Infektionen mit dem Pilz Candida auris nehmen rasant zu

Der erst vor wenigen Jahren entdeckte Pilz und Krankheitserreger Candida auris breitet sich rasch aus. Allein in Deutschland wurde er 2023 bundesweit 77 Mal nachgewiesen - das sei sechsmal häufiger gewesen als in den Vorjahren, wie aus der Auswertung des Nationalen Referenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen (NRZMyk) in Jena hervorgeht.

Auch im restlichen Europa und den USA kommt es immer häufiger zu Infektionen mit dem Pilz, der zwischen Menschen übertragbar und gegen diverse Medikamente immun ist. Waren es in den USA im Jahr 2020 noch 1310 Fälle, wurden 2022 bereits 5754 Fälle gezählt.

Auch wenn das im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in den USA wenig erscheint, sind Mediziner besorgt. Bereits im Oktober 2022 hatte die WHO Candida auris in die Liste der 19 gefährlichsten Pilzinfektionen aufgenommen, der Funfal Priority Pathogens List, FPPL.

Candida auris trifft vor allem immungeschwächte Menschen

Gesunden Menschen setzt der Pilz gewöhnlich nicht zu. Aber Menschen, deren Immunsystem etwa wegen einer Operation, einer Chemotherapie oder aufgrund anderer gesundheitlicher Gründe geschwächt ist, sind besonders gefährdet. Deshalb verbreitet sich der Pilz vor allem in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern.

"Die Schwäche oder das Versagen des Immunsystems ebnen dem Pilz seinen Weg und können unterschiedliche Regionen des Körpers betreffen", erklärt Oliver Cornely vom Studienzentrum Infektiologie an der Uniklinik Köln. Der Blutkreislauf gehört dazu, Wunden, der Verdauungstrakt und verschiedene Gewebe, "Wenn der Pilz den Blutstrom infiziert, kann das unter anderem zu einer Sepsis führen. Dringt der Pilz ins Gewebe ein, gelangt er irgendwann in ein Blutgefäß, wird dann über das Blut weiterbefördert und kann so in alle Organe gelangen." 

Insbesondere Infektionen von Prothesen und Fremdmaterialien im Körper durch Candida auris sind bedrohlich und schwer zu behandeln, etwa Infektionen von Gelenkprothesen.  

Invasive Pilzerkrankungen, wie sie durch Candida auris bei einigen Menschen ausgelöst werden, zählen weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten. Jedes Jahr erkranken mehr als eine Milliarde Menschen daran. Rund 1,5 Millionen sterben.

Pilzinfektion: wenn der Schimmel Organe befällt

Candida auris ist lange Zeit überlebensfähig

Erstmals beschrieben wurde der Pilz bereits 2009. Die Pilzinfektion tauchte an mehreren Orten auf der Welt zeitgleich auf. Ein Grund für dieses Phänomen ist nicht bekannt, und erst in jüngster Vergangenheit tritt der Pilz verstärkt auf. "Candida auris ist der neueste unter den Hefepilzen, die sich beim Menschen ansiedeln können. Wir alle tragen verschiedene Pilze in unserem Körper. In der Regel werden sie von unserem Abwehrsystem ausbalanciert, so dass gesunde Menschen keine Probleme damit bekommen", erläutert Cornely.

Candida auris verfügt über Resistenzen, die den Pilz für Menschen mit schlecht oder gar nicht funktionierendem Immunsystem sehr gefährlich machen. "Die Resistenzen entstehen nicht erst unter einer Therapie und durch die Gewöhnung des Erregers an Antimykotika. Dieser Pilz ist quasi von Geburt an resistent. Das macht es schwieriger, ihn zu bekämpfen", so Cornely. 

Außerdem kann Candida auris auf Oberflächen überleben. "Es kann sein, dass Sie eine kontaminierte Oberfläche berühren und gar nicht wissen, dass sie den Pilz anschließend an der Haut haben. Wenn Sie dann beispielsweise einem immungeschwächten Patienten die Hand geben, können Sie den Pilz sofort auf diese Person übertragen", sagt Cornely.

Und mit dieser außergewöhnlich hohen Überlebensfähigkeit ließen sich auch die steigenden Zahlen erklären, so der Wissenschaftler weiter. Panik sei nicht angesagt, aber die Pilzinfektionen sollten ernst genommen und es sollten bessere Diagnosemethoden entwickelt werden.

Die Symptome sind unspezifisch

Wer sich mit Candida auris infiziert, bekommt häufig erstmal Schüttelfrost und Fieber. Auf einer Krankenstation ist es nicht ungewöhnlich, dass Patienten Fieber entwickeln und ihr Immunsystem zumindest zeitweise geschwächt ist.

Diese Symptome sind typisch für viele Erkrankungen. Eine Pilzinfektion zu diagnostizieren, ist daher oft schwierig. Außerdem können sie sich an verschiedenen Körperstellen entwickeln oder im Inneren von Gewebe, wo sie nicht sichtbar sind. All das verzögert die Diagnose.

Besteht der Verdacht auf eine Pilzinfektion, wird ein Abstrich gemacht und eine Pilzkultur angelegt, die molekularbiologisch und morphologisch bestimmt wird. Bis ein eindeutiges Ergebnis vorliegt, können allerdings Tage vergehen - Tage, in denen der Pilz sich weiter verbreiten kann. In dieser Zeit sinken die Überlebenschancen für den Patienten. 

"Wenn ein Patient 24 Stunden lang falsch behandelt wird oder gar nicht, weil man eben noch nicht weiß, um welchen Pilz es sich handelt, kann es sein, dass der Patient bereits Organschäden davongetragen hat", erklärt Cornely.

Ist aber klar, um welchen Pilz es geht, werden entsprechende Antimykotika, also Antipilzmittel, verabreicht. Davon aber gibt es aber nur einige wenige, und sie sind nicht bei allen Pilzinfektionen gleichermaßen wirksam. Neue Medikamente fehlen. Sie müssten dringend entwickelt werden, aber - so klagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - die Forschung zu Pilzinfektionen werde viel zu sehr vernachlässigt, obwohl sie ein hohes Gefahrenpotential haben. 

Pilze sind sehr anpassungsfähig

Pilze sind neben Tieren das zweitgrößte Organismenreich. Sie sind auf unserer Haut, in der Lunge und im Mund, im Darm und in der Vagina. Nicht alle Pilze sind krankheitserregend oder gar tödlich.

Forschende schätzen, dass es weltweit etwa drei Millionen verschiedene Pilze gibt, 300.000 davon sind bekannt. Lediglich 150 bis 300 sind bislang als human-pathogen beschrieben und für rund 90 Prozent aller Todesfälle durch Pilzinfektionen verantwortlich. 

Wie gesundheitsschädlich sind Gasherde?

Wer mit Gas kocht, weiß die Vorteile zu schätzen: Ein direktes Feuer, Temperatur und Flamme lassen sich flexibel regeln, es braucht keine speziellen Töpfe wie beim Induktionsherd. Zudem ist das Kochen mit Gas günstiger als das Kochen mit Strom.

Nichtsdestotrotz sind Gasherde auch immer wieder in der Diskussion. So sollen sie in den meisten New Yorker Neubauten ab 2026 verboten werden. In erster Linie sollen so die Treibhausgasemissionen gesenkt werden. Doch Gasherde bergen auch gesundheitliche Risiken, wie Forschende der Stanford University nun in "Science Advances" schreiben. 

Gasherde: "Ein Problem für die ganze Familie"

Insbesondere das sogenannten Stickstoffdioxid (NO2) bereitet den Forschenden in der jüngsten Veröffentlichung Sorge. Dieses entsteht in großem Umfang als Nebenprodukt bei Verbrennungsprozessen, zum Beispiel in Industrieanlagen, Kraftwerken, Heizungsanlagen. Die Hauptquelle ist jedoch der Straßenverkehr. 

Stau auf der Autobahn
Die Hauptquelle für Stickstoffdioxid: der Verkehrnull Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture alliance

Auch beim Kochen mit Gas entsteht NO2 und die Stickstoffoxid-Belastung beschränkt sich nicht nur auf die Küche, warnen die Forschenden der Stanford-Universität. 

"Ich hatte nicht erwartet, dass die Schadstoffkonzentrationen in den Schlafzimmern innerhalb einer Stunde nach der Benutzung des Gasherds die gesundheitlichen Richtwerte überschreiten und auch noch Stunden nach dem Ausschalten des Herds so hoch sind", sagt Rob Jackson, Professor an der Stanford Doerr School of Sustainability. Er ist einer der Hauptautoren der Studie. 

Die Belastung durch Gas- und Propanherde sei deshalb nicht nur ein Problem für Köche oder Menschen in der Küche, sagt er. "Es ist ein Problem für die ganze Familie".

Gesundheitliche Risiken von Stickstoffoxid

Stickstoffdioxid ist ein ätzendes Reizgas, es schädigt das Schleimhautgewebe im gesamten Atemtrakt, vor allem in den Bronchien und Lungenbläschen. Atemnot, Husten oder Bronchitis können die Folge sein. Auch eine steigende Anfälligkeit für Atemwegsinfekte oder Lungenfunktionsminderung gehören zu den Folgen.

Insbesondere Menschen mit bestehenden Atemwegserkrankungen (Asthmatiker, Patienten mit chronischer Bronchitis), Herzkranke und Kinder, bei denen die Entwicklung der Lungenfunktion beeinträchtigt werden kann, gelten als Risikogruppe. 

Was steckt in unserer Atemluft?

Genau hierzu warnen auch die Autorinnen und Autoren der Studien. Sie schätzen, dass der Schadstoffmix, der von Gas- und Propanöfen ausgeht, allein in den USA für bis zu 200.000 aktuelle Asthmafälle bei Kindern verantwortlich sein könnte. Ein Viertel davon könne allein auf Stickstoffdioxid zurückgeführt werden, heißt es.

Dazu rechnen sie mit 19.000 Todesfälle pro Jahr durch die langfristigen NO2-Belastungen im Haushalt. Zum Vergleich: Dies entspricht 40 Prozent der Todesfälle, die in den USA jährlich mit Passivrauchen in Verbindung gebracht werden.

Doch gleichzeitig betont das Forscherteam auch, dass dies nur eine Schätzung ist. Denn eine wiederholte Exposition gegenüber extrem hohen Stickstoffdioxidwerten in kurzen Schüben, wie sie bei der Nutzung von Gasherden auftreten, sei nicht berücksichtigt. 

Außerdem basiere die Berechnung auf früheren Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen von Stickstoffdioxid im Freien, wo darüber hinaus auch weitere Schadstoffe aus Fahrzeugen und Kraftwerken vorhanden seien.

Welche Rolle spielen Gasherde für die Gesundheit?

Das Forscherteam aus Stanford hat bereits mehrere Studien zu Gasherden veröffentlicht. Die vorherigen Studien untersuchten, wie stark Gasherde Methan und das krebserregende Benzol ausstoßen. Die neueste Studie ist ein weiteres Puzzleteil, das hilft, die Auswirkungen der Emissionen von Gasherden auf die menschliche Gesundheit zu verstehen.

Methan: Der vernachlässigte Klimakiller

So haben die Forschenden diesmal untersucht, wie stark sich die Schadstoffe in einer Wohnung ausbreiten, anreichern und schließlich wieder abbauen. Dabei spielte die Wohnungsgröße eine messbare Rolle.

Zudem bestätigen die neuen Ergebnisse, dass Lebensmittel beim Kochen nur wenig oder gar kein Stickstoffdioxid freisetzen, und dass Elektroherde kein NO2 erzeugen. "Es liegt am Brennstoff, nicht an den Lebensmitteln", so Jackson.

Das Umweltbundesamt (UBA) schreibt, "durch das Kochen und Backen mit Gasherden [...] in der Wohnung können kurzzeitig hohe NO2-Belastungen entstehen, die in Abhängigkeit der Belüftung der Räume aber schnell wieder absinken." Das UBA-Fazit: Beim Einbau eines Gasherdes sollte eine Dunstabzugshaube mit einer Abluftführung nach draußen planerisch berücksichtigt werden.

Auch die Stanford-Forschenden raten, eine Dunstabzugshaube zu nutzen, wenn sie zur Verfügung steht. Und regelmäßiges Lüften, das die Schadstoffbelastung reduziert.

 

Quellen: 

Quantifying U.S. health impacts from gas stoves

UBA: Stickstoffdioxid im Innenraum: Aktueller Kenntnisstand 

Combustion from gas stoves can raise indoor levels of benzene, a chemical linked to a higher risk of blood cell cancers

Gas stoves leak unburned methane continuously and produce NOx gasses while on 

Wie Robert Habeck die deutsche Pharma-Industrie stärken will

Gar nicht so leicht, das Firmengelände des Pharma- und Chemie-Riesen Merck in Darmstadt zu besuchen. Eine gründliche Sicherheitsüberprüfung - online oder vor Ort - ist notwendig, in den Werkhallen tragen die Besucher dann Kittel, Schutzbrille und manchmal sogar Helme. Deutschlands Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen hat das trotzdem auf sich genommen und verteilt erst einmal Lob an die Branche allgemein: "Wir alle nutzen Medikamente, oft täglich. Aber wenn man über die Pharma-Industrie redet, dann heißt es oft: Das sind doch die mit den Tierversuchen, mit all der Chemie. Dabei sind auch sie das starke Deutschland." Die Merck-Chefs um den Geschäftsführer Technik, Kai Beckmann, hören das natürlich gern. 63.000 Menschen in mehr als 60 Ländern arbeiten für das Unternehmen, das 300.000 Produkte herstellt. Neben Medikamenten auch technische Produkte wie Halbleiter.

Weniger Energiebedarf, hoher Forschungsanteil

Zwei Tage Zeit hat sich Habeck genommen, um insgesamt fünf Unternehmen, Start-Ups und Gründerzentren, rund um das Thema Pharma zu besuchen. Rund acht Milliarden Euro werden in der Branche in Deutschland im Jahr investiert, rund 120.000 Menschen arbeiten in diesem Bereich. Die Energiekosten machen einen eher kleinen Anteil aus, entsprechend weniger wird in den Unternehmen seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ende der Lieferung russischen Gases über die hohen Belastungen geklagt. Dafür ist der Forschungsanteil hoch, und Habeck hört Beschwerden über den Mangel an Fachkräften und über eine stetig zunehmende Bürokratie. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht mit  Gründern und Entwicklern in der "Life Science Factory" in Göttingen
Robert Habeck zu Besuch bei Gründern und Entwicklern in der "Life Science Factory" in Göttingennull Helmut Fricke/dpa/picture alliance

Ein Beispiel nennen die Merck-Verantwortlichen: Sie präsentieren dem Minister eine High-Tech-Anlage, die gleich mehrere Produkte herstellen kann, indem nur wenige Teile ausgetauscht werden müssen. Modules Arbeiten wird das genannt. Aber bei jeder noch so kleinen Änderung muss die komplette Anlage neu genehmigt werden, was jeweils bis zu neun Monate dauert. Deutschland im Jahr 2024. Trotzdem gab es zuletzt auch positive Nachrichten, etwa, als der US-Konzern Eli Lilly in Alzey in Rheinland-Pfalz mit dem Bau einer Fabrik begann, in der Abnehm-Spritzen hergestellt werden sollen. Investitionssumme 2,7 Milliarden Euro.

Arzneimittelmangel: Folge des globalen Handels

Das ist ein gutes Zeichen, findet Habeck, denn oft genug laufe es andersherum: Habeck sagt der DW: "Immer dann, wenn Produkte etwa zehn Jahre am Markt waren, Massenware wurden, also günstig ohne Patente irgendwo produziert werden konnten, ist die Produktion häufig abgewandert in andere Länder, in denen Arbeit und die Umweltbedingungen möglicherweise günstiger sind." Die Menschen in Deutschland spüren das gerade, wenn es plötzlich Mangel an bestimmten Medikamenten gibt, weil die vielen globalen Krisen die Lieferketten einschränken oder verzögern. Medikamente, die oft in Deutschland entwickelt wurden, nun woanders produziert werden und im Land selbst nicht verfügbar sind.

Eine Flüssigkeit tropft aus der Kanüle einer Spritze
Spritzen und andere Medizintechnik sind eine der Schlüssel-Produkte deutscher Pharma-Unternehmen null Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture-alliance

Habeck will solche Produktionen zumindest teilweise wieder nach Deutschland holen: "Wenn man sie dann wieder hierher holen will, dann wird man dafür einen gewissen Preis zahlen müssen. Das ist dann der Preis der Sicherheit." Aber die Unternehmen hätten ihre Umsätze in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Habeck: "Die Entwicklung von neuen Produkten, die Forschung und die Start-Up-Unternehmen in dem Bereich an den Markt zu bringen, da hat Deutschland wirklich eine sehr starke Ausgangsposition."

Vom langen Weg bis zum fertigen Medikament

Ein solches neues Produkt stellt das Start-Up-Unternehmen Zedira in Darmstadt her. Die Firma ist ein gutes Beispiel dafür, wie lange es dauert, von der Idee über die Entwicklung bis zum Produkt zu kommen. Zedira entwickelt Vorprodukte für Medikamente gegen Gluten-Unverträglichkeit, an der allein in Deutschland nach Firmenangaben bis zu eine Million Menschen leiden. 2007 wurde das Unternehmen gegründet, es wird auch vom Wirtschaftsministerium gefördert. 2015 gab es erste klinische Studien, am Ende des Jahrzehnts, so hoffen die Unternehmensleiter, kann der Wirkstoff zur Verfügung stehen. Geschäftsführer Ralf Pasternack sagt: "Klar, das dauert alles ewig und kostet am Ende viel mehr, als man zunächst annimmt." Schwierig seien auch der Preisdruck und die Zulassung durch die Krankenkassen.

Eine Milliarde Tabletten im Jahr

High-Tech und Tradition gleichzeitig begegnen Habeck dann beim Besuch des Pharma- und Biotech-Unternehmens B. Braun in Melsungen in Hessen. Vor 185 Jahren gegründet und noch immer in Familienbesitz, eröffnet das Unternehmen schon bald ein neues Werk, in dem Produkte für die Infusionstherapie hergestellt werden. Und wenn alles funktioniert, folgt 2025 eines, in dem unter anderem Maschinen für die Dialyse gebaut werden sollen. Investitionssumme insgesamt: rund 60 Millionen Euro. Aus lauter Heimatliebe, so Firmenchefin Anna Maria Braun, sei die Entscheidung für den Standort Melsungen aber nicht gefallen. Hauptgrund war vielmehr die große Erfahrung der bereits jetzt hier arbeitenden rund 7000 Menschen. Aber der Fachkräftemangel macht auch ihr Sorgen. 

Medikamente liegen in den Regalen eines Kommissionier-Automaten einer Apotheke.
Einige Medikamente, auch Antibiotika, waren zuletzt in Deutschland Mangelwarenull Daniel Reinhardt/dpa/picture alliance

Habeck will sich für "Versorgungsgipfel" einsetzen

Welche Probleme die globalen Lieferketten oft bereiten, erfährt der Grünen-Politiker dann in Barleben bei Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Wieder Kittel und Brillen und diesmal sogar Sicherheitsschuhe: Die Firma Salutas, Tochter des Schweizer Konzerns Sandoz, fertigt hier "eine Milliarde Tabletten im Jahr", wie eine Mitarbeiterin stolz berichtet. Aber der Chef, Thomas Weigold, fordert einen "Versorgungsgipfel" der Regierung, weil es immer wieder zu Engpässen bei der Medikamenten-Versorgung in Deutschland komme. Vor allem, weil die meisten Produkte in Asien hergestellt werden. "Nur noch sieben Prozent der Umsätze machen die deutschen Unternehmen auf dem heimischen Markt", sagt er. Schon in anderen europäischen Ländern liege dieser Anteil bei 30 Prozent. Habeck will die Idee für einen "Versorgungsgipfel" mit ins Bundeskabinett nach Berlin nehmen. Und fordert während seiner Pharma-Reise, beeindruckt von den hohen Summen, um die es hier geht, ein "wuchtiges" Steuer-Entlastungsprogramm für die Wirtschaft. Dazu müsse man dann die Schuldenbremse des Grundgesetzes reformieren. Dafür aber, dass weiß auch der Wirtschaftsminister, fehlt es zurzeit an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. 

 

App soll Drogenkonsum sicherer machen

"Ich glaube, wir haben verstanden, dass es nicht hilft, sondern schadet, wenn wir nicht über Drogen informieren. Denn die Menschen konsumieren sie trotzdem", sagt Philipp Kreicarek. Der 35-Jährige hat KnowDrugs entwickelt, eine App, die nicht nur Informationen zu den neuesten Drugchecking-Ergebnissen und psychoaktiven Substanzen enthält, sondern auch Tipps zum sicheren Konsum.

Kreicarek studierte Soziale Arbeit und arbeitete in der Drogenberatung. Nebenher engagierte er sich in Clubs und auf Partys. Club- und Festivalbesucher konnten sich damals an Informationsständen oder auf speziellen Websites über potenziell gefährliche Drogen informieren. Dabei wurde ihm klar, dass sich viele Menschen bestimmter Risiken einfach nicht bewusst sind. So hat sich zum Beispiel die Konzentration psychoaktiver Substanzen in Ecstasy-Pillen teils stark erhöht. Manche können das Drei- oder Vierfache der herkömmlichen Dosis enthalten oder sogar eine völlig andere Substanz. Es erschien ihm einfacher, die Nutzer mit solchen Informationen über eine App zu erreichen.

"Meiner Meinung nach können Überdosierungen dieser Art mit ehrlichen Informationen vermieden werden", sagt er zur DW. "Ich bin überzeugt, dass Kenntnisse über psychoaktive Substanzen es den Nutzern erlauben, informierte Entscheidungen zu treffen und ihren Konsum sicher zu gestalten. So können Gefahren reduziert werden."

KnowDrugs ist gratis und kann ohne Angabe persönlicher Daten heruntergeladen werden. Gegenwärtig wird die App von etwa 80.000 aktiven Nutzern eingesetzt. 87 Prozent davon befinden sich in Deutschland, vor allem in Berlin. Es gibt aber auch Nutzer in Budapest, Warschau, London oder Paris.

Kreicarek arbeitet eng mit Suchtberatungszentren und dem Drugchecking-Dienst von Berlin zusammen. Dieser informiert ihn über neue Warnungen zu bestimmten Drogen oder Pillen. Diese werden dann per Push-Benachrichtigung über die App weitergeleitet.

Die Gefahren von illegalen Partydrogen sind bekannt: Kokain, Amphetamine und Ecstasy werden mit über 400 Todesfällen in Deutschland von 2020 bis 2022 in Verbindung gebracht. Weitere 4.300 Todesfälle sollen mit dem Konsum von Heroin und Morphium in Zusammenhang stehen.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Anfang des Jahres machten in Berlin Gerüchte die Runde, das hochwirksame Opioid Fentanyl sei in Berlin in Partydrogen gefunden worden. Drug Checking Berlin konnte die Nutzer beruhigen. In keiner der mehr als 1000 Proben, die in der Hauptstadt analysiert wurden, wurde Fetanyl festgestellt. Anderswo in Deutschland konnte die Polizei jedoch in beschlagnahmten Heroinproben Fetanyl nachweisen.

Wenn es nach Kreicarek ginge, würde das Drugchecking-Angebot auf die Überprüfung vor Ort in Clubs und auf Festivals ausgeweitet. "Die Menschen, die sich ihre Drogen im Club besorgen, erreichen wir im Moment nicht", bedauert er.

Drugchecking: Einst illegal, jetzt mit staatlicher Unterstützung

Nicht immer war das Testen von Drogen so einfach. 1995 führte Eve & Rave, ein Verein, der sich in der Club- und Partyszene engagiert, einen Testservice auf Partys und in Clubs in Berlin ein. Daraufhin wurden die Vereinsmitglieder von der Staatsanwaltschaft wegen Besitzes illegaler Drogen angeklagt. Auch wenn keine der Angeklagten letztlich verurteilt wurden, dauerte es doch bis 2016, bis die Berliner Landesregierung, damals gebildet von einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken, ihr eigenes Drugchecking-Projekt auf den Weg brachte.

Jahrelang wurde juristisch darum gerungen; erst auf Druck von Experten und Bürgerinitiativen wurde im Juni 2023 der erste kostenlose und anonyme Drugchecking-Dienst in Berlin eingeführt. Finanziert wird dieser vom Landesgesundheitsministerium.

Jetzt können Nutzer ihre Pillen, Tabletten, Flüssigkeiten und Pulver jeden Dienstag bei einer von drei Suchtberatungsstellen kostenlos und anonym prüfen lassen. In einem kurzen Beratungsgespräch werden Konsumgewohnheiten und sicherere Praktiken erörtert. Dann wird eine Probe der Droge zur chemischen Analyse entnommen und das Ergebnis wird einige Tage später telefonisch oder persönlich mitgeteilt.

Derzeit werden bei den drei Beratungsstellen wöchentlich etwa 40 Proben eingereicht, sagt Tibor Harrach. Er ist pharmazeutischer Koordinator bei Drug Checking Berlin. "Die Nachfrage nach Drugchecking ist deutlich höher als die Beratungs- und Analysekapazitäten des Projekts", berichtet er der DW.

Von Juni bis Dezember 2023 wollten 1286 Nutzer das Drugchecking-Angebot wahrnehmen, 566 von ihnen mussten jedoch abgewiesen werden. Im gesamten Jahr wurden über 1000 Proben analysiert. Fast die Hälfte waren entweder gefährlich hoch dosiert, mit toxikologisch relevanten Substanzen verunreinigt oder falsch deklariert. So handelte es beispielsweise gelegentlich bei als MDMA verkauften Pulvern oder Kristallisaten um Ketamin.

Berliner Kiez kämpft gegen Drogen

Eine Studie aus dem Jahr 2021 stellte fest, dass Drugchecking-Angebote nicht nur die Menge der konsumierten Drogen reduzieren, sondern auch das Risiko einer Überdosierung verringern. Durchgeführt wurde die Studie von The Loop, einer gemeinnützigen Organisation in Großbritannien, die für ihre Zielgruppe und bei Ereignissen Drugchecking-Dienste anbietet. Die Studie ergab außerdem, dass minderwertige oder falsch etikettierte Substanzen eher entsorgt oder vorsichtiger konsumiert werden und dass Drogenkonsumenten seltener Substanzen mischen.

Das Angebot von Drug Checking Berlin wird derzeit durch ein Institut der Charité Berlin wissenschaftlich evaluiert. Der entsprechende Bericht soll Ende 2024 veröffentlicht werden. "Bereits jetzt kann gesagt werden, dass durch das Drugchecking zahlreiche Konsumenten und Konsumentinnen erreicht wurden, die zuvor noch nie Kontakt zum Suchthilfesystem hatten", erzählt Harrach. "Das betrifft 84 Prozent der Nutzer und Nutzerinnen aus dem Jahr 2023.

Warum nicht alle Drogen entkriminalisieren?

Innerhalb der EU hat auch Deutschland kürzlich den Besitz und Konsum von Cannabis legalisiert. Das neue Gesetz trat am 1. April in Kraft und erlaubt es Erwachsenen, bis zu drei Cannabispflanzen im eigenen Haus anzubauen und bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis zu lagern.

Cannabipflanzen
Bis zu drei Cannabispflanzen können in Deutschland jetzt im eigenen Haushalt angebaut werdennull Emmanuele Contini/NurPhoto/picture alliance

Doch das sollte nur der Anfang sein, meinen viele Aktivisten. Philine Edbauer ist Mitbegründerin der Initiative My Brain My Choice (MBMC). Sie ist der Meinung, dass Drogenkonsum und -besitz allgemein entkriminalisiert werden sollten.

Eine App wie KnowDrugs begrüßt sie, insbesondere weil hier auch Ratschläge und Informationen zu finden sind. Sie ist überzeugt, dass das neue Drugchecking-Angebot in Berlin die Gefahren des Freizeit-Drogenkonsums reduzieren kann. Gleichzeitig gibt es den Konsumenten Zugang zu Fachleuten aus dem Gesundheitswesen, die potenziell lebensrettende Ratschläge geben können.

"Die Leute erhalten Antwort auf ihre Fragen und können selbst entscheiden, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen. Ich halte es für sehr sinnvoll, die Gesundheitsdienste wirklich zugänglich zu machen. So ist die Hürde weniger groß, Hilfe zu suchen oder einfach nur Fragen zu stellen", betont sie.

"Die Leute nehmen sowieso Drogen, das ist die Realität", sagt Edbauer. Statt kleine Händler und Konsumenten zu bestrafen, sagt sie, sei es besser, "Strategien zu entwickeln, die wirklich funktionieren."

Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.

Nitazene sind stärker und tödlicher als Heroin

Vor allem in den USA und in Großbritannien sind die Drogenbehörden zunehmend besorgt über den Konsum synthetischer Straßendrogen - also Drogen, die in öffentlichen Räumen wie Parks oder in Clubs verkauft werden. Darunter sind synthetisches Marihuana wie "Spice", aber auch Fentanyl und Oxycodon.

Die potentiell tödliche Wirkung von Fentanyl und Oxycodon war kaum erkannt, da tauchte ein weiteres schmerzstillendes Opioid auf und wurde zu einer lebensgefährlichen Straßendroge. Die gemeinhin als Nitazene bekannten 2-Benzyl-Benzimidazol-Opioide stammen ursprünglich aus der Pharmaindustrie und sind bis zu 500 Mal stärker als Heroin. Und sie machen sehr schnell abhängig.

Drogen- und Gesundheitsbehörden in Großbritannien und in weiteren europäischen Ländern sowie in den USA melden, dass die Zahl von Überdosierungen und Todesfällen wegen des Konsums von Nitazenen gestiegen ist. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Nitazene anderen Substanzen wie Heroin und Fentanyl, und sogar Cannabis, beigemischt werden, um etwa die Herstellungskosten zu senken. 

Was sind Nitazene?

Nitazene, eine Klasse von mehr als 20 synthetischen chemischen Verbindungen, wurden ursprünglich in den 1950er-Jahren als opioide Schmerzmittel, sogenannte Analgetika, entwickelt. Sie wurden jedoch nie für die Verwendung in der Human- oder Veterinärmedizin zugelassen. Synthetische Drogen wie Nitazene und Fentanyl werden nicht wie Heroin oder Cannabis auf natürliche Weise angebaut oder kultiviert, sondern mithilfe von Chemikalien künstlich hergestellt.

Sie tauchten um 2019 in Großbritannien, in den USA und in den baltischen Staaten als illegale Substanzen auf. Berichten zufolge gab es in Russland bereits 1998 eine Reihe von Todesfällen, die mit Nitazenen in Verbindung gebracht wurden.

Nitazene haben eine psychoaktive Wirkung, was laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bedeutet, dass sie "mentale Prozesse, einschließlich Wahrnehmung, Bewusstsein, Kognition oder Stimmung und Emotionen, beeinflussen".

In Pulverform verkauft, haben Nitazene eine gelbe, braune oder gebrochen weiße Farbe. Nach Angaben der US-Drogenbekämpfungsbehörde werden Nitazene auch in Pillen gepresst und "fälschlicherweise als Arzneimittel vermarktet, wie Dilaudid 'M-8'-Tabletten und Oxycodon 'M30'-Tabletten". Die Wirkung ähnelt denen anderer Opioide. Es kommt zu Euphorie, Sedierung und zu einer Art Wach-Schlaf-Bewusstsein, aber auch zu Atemdepression und Atemstillstand.

Warum ist das Risiko einer Überdosierung so hoch?

In einem offenen Brief an die Zeitschrift Lancet Public Health vom Februar 2024 schrieb die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD), dass Nitazene "seit 2022 zunehmend in Post-mortem-Analysen von drogenbedingten Todesfällen identifiziert wurden". 

Adam Holland von der School of Psychological Science der Universität Bristol kommentierte - ebenfalls in Lancet Public Health - dass Nitazene in Substanzen nachgewiesen wurden, die als andere Opioide, Benzodiazepine und Cannabisprodukte verkauft wurden. "Das bedeutet, dass viele Verbraucher unbeabsichtigt Nitazene konsumieren, ohne sich der Risiken bewusst zu sein", schrieb Holland.

In solchen Fällen ist die Gefahr einer Überdosierung besonders groß. Daten aus Großbritannien zeigen beispielsweise, dass zwischen Juli und Dezember 2023 mehr als 50 Menschen nach dem Konsum von Nitazenen starben.

Was bewirken Nitazene im Körper?

Nitazene interagieren mit verschiedenen Opioidrezeptoren im Gehirn und Nervensystem. Einer dieser Rezeptortypen wurde in einem Beratungspapier der britischen Regierung als "Hauptvermittler" im Gehirn beschrieben. Dieser beeinflusst positive, therapeutische Funktionen wie Schmerzlinderung und die Belohnung des Gehirns und ruft ein Gefühl der Euphorie hervor.

Eine 2022 durchgeführte Untersuchung, die sich mit der Funktion eines anderen Rezeptors beschäftigt, stellte allerdings fest, dass "sowohl therapeutische als auch unerwünschte Wirkungen von Opioiddrogen durch ihre Bindung" an die Rezeptoren hervorgerufen werden. Zu diesen unerwünschten Wirkungen gehören Sucht, Abhängigkeit und Entzugserscheinungen.

Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoactive substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/new-psychoactive-substances_en

Advisory Council on the Misuse of Drugs (UK, 2022): "Advice on 2-benzyl benzimidazole and piperidine benzimidazolone opioids" — updated December 2023: https://www.gov.uk/government/publications/acmd-advice-on-2-benzyl-benzimidazole-and-piperidine-benzimidazolone-opioids/acmd-advice-on-2-benzyl-benzimidazole-and-piperidine-benzimidazolone-opioids-accessible-version#pharmacology

Zhang JJ, Song CG, Dai JM, Li L, Yang XM, Chen ZN. "Mechanism of opioid addiction and its intervention therapy: Focusing on the reward circuitry and mu-opioid receptor" in MedComm, June 2022: https://doi.org/10.1002/mco2.148

Pergolizzi J Jr, Raffa R, LeQuang JAK, Breve F, Varrassi G. "Old Drugs and New Challenges: A Narrative Review of Nitazenes" in Cureus, June 2023: https://doi.org/10.7759/cureus.40736

Schüller M, Lucic I, Øiestad ÅML, Pedersen-Bjergaard S, Øiestad EL. "High-throughput quantification of emerging "nitazene" benzimidazole opioid analogs by microextraction and UHPLC-MS-MS" in Journal of Analytical Toxicology, September 2023: https://doi.org/10.1093/jat/bkad071

 

Die Welt mit den Augen eines Autisten sehen

Autisten wissen, wovon sie reden, wenn sie sich und ihre Situation beschreiben. Sie sehen Autismus aus einer anderen, aus ihrer eigenen Perspektive, so wie Ricky Zehrer. "Autismus ist als tiefgreifende Entwicklungsstörung definiert. Aber es ist anders: Autismus ist angeboren. Das Gehirn funktioniert etwas anders als bei Nicht-Autisten. Aus meiner Sicht ist es vor allem eine Frage der Wahrnehmung und die Frage, wie ein Autist Ereignisse filtert." 

40. Wie geht eigentlich Autismus?

Bei den meisten Autisten fehlt dieser Schritt des Filterns oder er ist nicht so ausgeprägt. Etwa elf Millionen Sinneseindrücke werden pro Sekunde von unserem Gehirn verarbeitet. Nur etwa 40 davon nehmen wir bewusst wahr. Nicht alles wird zur Weiterverarbeitung an das Gehirn geleitet, denn es ist nicht darauf ausgerichtet, all die Informationen, auf die wir tagtäglich treffen, zu sortieren und zu verarbeiten.

Folglich selektieren wir. Bei Autisten wie Zehrer ist das anders. "Ich bekomme quasi alles, was ich sehe, fühle und erlebe, unverdünnt vorgesetzt, und damit muss ich dann zurechtkommen." Diese Überstimulation bedeutet permanenten Stress. 

Autisten versuchen, ein "Zuviel" zu vermeiden

Autisten gehen unterschiedlich mit der Reizüberflutung um, die auf ihr Gehirn einwirkt. Und so versuchen sie, aus der Situation rauszukommen und all das abzuwehren, was einfach zu viel ist.

Das sei eine erste, wichtige Maßnahme und nötig, um den Alltag einigermaßen bewältigen zu können, sagt Zehrer. Die Reize, die im Gehirn ankommen und die einem Autisten Probleme bereiten, sind ganz unterschiedlich.

Licht ist beispielsweise ein Faktor. "Ich gehe nur mit Sonnenbrille raus. Im Auto nutze ich Blendschutzscheiben", sagt Zehrer. "Ich bin extrem lichtempfindlich. Jemand anders kann sich vielleicht problemlos in den Scheinwerfer stellen. Manche können Augenkontakt überhaupt nicht aushalten. Andere wiederum starren ihr Gegenüber an", erklärt Zehrer. Aber irgendetwas sei immer anders. 

Während Zehrer große Schwierigkeiten mit intensiven Lichtverhältnissen hat, reagieren andere extrem auf Geräusche. Sie müssen sich vor diesen Geräuschen schützen, damit sie ihr Gehirn nicht überladen und damit nicht alles aus dem Ruder läuft. Vielen geräuschempfindlichen Autisten fällt es beispielsweise schwer, die Stimme eines Gesprächspartners aus Hintergrundgeräuschen herauszufiltern. Dann wird ihnen schnell alles zu viel, im Gehirn entsteht Chaos.

Tschechien Böhmen Buchenurwald
Selbst in entspannter Umgebung kann es bei Autisten zu einer Reizüberflutung kommen null LIANEM/Zoonar/picture alliance

Mit Geräuschen gegen Geräusche angehen

Gewinnen Geräusche die Übermacht, gebe es verschiedene Möglichkeiten, dies zu beeinflussen, sagt Ricky Zehrer. Eine Option seien Kopfhörer, die Geräusche unterdrücken. Hilft das nicht, nutzen Autisten häufig auch das sogenannte Stimming, was so viel wie "selbstregulierendes Verhalten" bedeutet. Auch das kann vor Reizüberflutung ein wenig schützen. Diese Methode wirkt beruhigend und kann inneren Druck abbauen. 

Motorische Abläufe wie etwa Wippen oder Springen gehören dazu, aber auch die Erzeugung verschiedener Laute wie beispielsweise Zählen oder das Schnippen mit den Fingern. So wird ein störender Reiz, der alles andere überlagert, mit einem Reiz überdeckt, der kontrollierbar ist.

"Für jeden nachvollziehbar ist es, wenn es irgendwo juckt. Jucken ist ein unkontrollierter, extrem unangenehmer Reiz. Der Betroffene kann diesen Reiz mit Schmerzen überdecken, etwa mit Kratzen. Das heißt, über den unkontrollierten, unangenehmen Reiz legt sich ein kontrollierter, selbstausgelöster Reiz, und der ist einfacher zu ertragen", erklärt Zehrer. Sie selbst beiße sich in solchen Situationen beispielsweise in die Wange. 

Wenn rausgehen zum Problem wird

Eine der Eigenarten, die oft mit Autismus in Verbindung gebracht werden ist, dass Autisten große Probleme haben, unter Menschen zu sein.

Mit solchen Situationen wird auch Ricky Zehrer häufig konfrontiert. "Ich vergleiche das gerne mit einem Waschbecken. Jeder Reiz, der reinkommt, ist wie ein bisschen Wasser, das hineingekippt wird. Das kann ein Fingerhut voll sein. Das kann eine Tasse sein. Das kann ein Eimer sein. Bei einem Nicht-Autisten kann ich jede Menge Wasser hineinkippen. Das läuft alles ab. Beim Autisten hingegen verstopft der Abfluss." Der Stresspegel steigt immer weiter an. 

Dem Gegenüber in die Augen sehen

Was bei autistischen Menschen oft als charakteristisch angeführt wird, ist der Mangel an Blickkontakt. Zehrer erzählt von einer blinden Freundin. Sie zu treffen sei eine äußerst angenehme Situation, denn sie müssten sich nicht anschauen. Bei Menschen, die sehen können, sei das eben anders. Sie suchten den Blickkontakt zum Gegenüber.

"Diese ganze Partie im Gesicht bewegt sich ständig. Und dadurch, dass mir mein Hirn ja alles ungefiltert hinwirft, sehe ich jede dieser Bewegungen, jedes Zucken, jedes Blinzeln. Da ist dann einfach viel zu viel los. Ich kann mich dann auf nichts konzentrieren." Es entsteht Unordnung im Kopf, die nicht bewältigt werden kann.

drei Frauen - zwei Frauen unscharf im Vordergrund, eine im Hintergrund
Autisten schotten sich oft abnull U. Grabowsky/photothek/picture alliance

Autisten und Gefühle

Autisten seien gefühlsarm, heißt es oft. Dafür hat Zehrer eine Erklärung: "Bei Autisten ist oft nicht zu wenig, sondern eher zu viel eigenes Gefühl da. Und auch ein Gefühl ist ein Reiz. Und bei einigen ist es so, dass sie gar nicht so genau wissen, wie sie sich gerade fühlen." Es sei einfach alles viel zu durcheinander. Es fehle die Zeit, Gefühle zu sortieren und zu ordnen. Die meisten Autisten seien sowieso viel zu beschäftigt damit, sich so zu benehmen wie Nicht-Autisten. Das koste Kraft und Energie.

Autisten leisten oft überdurchschnittlich viel

Autisten versuchen, äußere Reize jeglicher Art so gut wie möglich zu reduzieren, um sich nicht einer Reizüberflutung auszusetzen. So sind sie in der Lage, sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren, alles andere bleibt außen vor.

Dieser Zustand könne aber durch kleine Dinge massiv gestört werden, etwa durch das Flackern einer Lampe. Dieser Hyperfokus, die absolute Konzentration auf eine einzige Sache, kann durchaus negative Folgen haben. Bei einem Autisten kann es sein, dass sich kein Hungergefühl einstellt oder auch, dass die Person keinen Durst hat - egal ob es draußen kalt oder heiß ist.

Alles konzentriert sich eben nur auf eines. Das kann die Lösung komplizierter mathematischer Aufgaben sein oder etwa das Entwickeln einer Software. Wegen dieser Eigenschaften sind Autisten mittlerweile sehr beliebt in Hightech-Unternehmen, denn sie lassen sich meist durch nichts und niemanden von der Arbeit ablenken. 

Achtsamkeit ist wichtig

Ideale Bedingungen für das Leben eines Autisten gibt es nicht. Jedes Geräusch oder auch blinkende Lichter können den Reizpegel verstärken und damit den Stress. Dafür aber gibt es keine gängige Maßeinheit, die auf alle zutrifft.

"Ich empfehle in der Regel anderen Autisten eine Sport-Watch, die Blutdruck und den Puls misst. Daran kann man ganz gut ablesen, wie hoch der Stresspegel gerade ist", sagt Zehrer.

Und der Stresspegel kann sogar in eigentlich entspannten Situationen ansteigen. "Ich kann in den Wald gehen, da ganz für mich alleine sein und trotzdem mein Gehirn überladen, weil im falschen Moment vielleicht das Licht aus der falschen Richtung kommt, weil ich zu viel rieche, weil ein Vogel singt, der nicht eingeplant war. Es gibt keine Umwelt, in der ich als Autist nicht auf meinen Autismus achten müsste."

 

Autismus - Krankheit oder Charakterzug?

Wenn die Sonne scheint, bleibt John gern im Zimmer. Es stört ihn, wenn alles glitzert und reflektiert. Es stört ihn auch, wenn es laut ist oder ein Fremder neben ihm im Bus sitzt. John ist Autist. "Er kann nicht schreiben, nicht sprechen und nicht alles verstehen", sagt Monika Scheele-Knight, Johns Mutter. "Man kann sagen, dass er wie ein ein- oder zweijähriges Kind ist."

Als John drei Jahre alt war, stellten Ärzte bei ihm frühkindlichen Autismus fest. Menschen mit dieser Autismus-Form entwickeln kaum Gestik und Mimik und haben Probleme, Gefühle zu verstehen. Viele halten zwanghaft an immer gleichen, wiederkehrenden Ritualen fest, an festgelegten Wegen oder Tagesabläufen.

Auch Rainer Döhle ist Autist. Er war bereits erwachsen, als bei ihm ein Asperger-Syndrom festgestellt wurde - eine Form von Autismus, die nicht mit sprachlichen und geistigen Beeinträchtigungen einhergeht. "Aber in meinem Zeugnis stand immer: Er findet keinen Zugang zur Klassengemeinschaft", erzählt er. "Ich habe einfach nie verstanden, wie Freundschaft funktioniert und war immer froh, wenn man mich in Ruhe gelassen hat und ich lesen konnte." Die Diagnose "Asperger-Syndrom" sei für ihn eine große Erleichterung gewesen - endlich gab es eine Erklärung für die Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Heute sitzt Rainer Döhle im Vorstand von Aspies e.V., dem größten deutschen Selbsthilfeverein für Autisten. Er arbeitet als Übersetzer und ist Autor bei Wikipedia. "Ich hab eine Hochbegabung und spezielle Interessen im Bereich Geographie und Geschichte. Manchmal schreibe ich stundenlang Listen über Regenten oder Hauptstädte. Aber inzwischen kann ich das konstruktiv nutzen."

Hilfe für Autisten

Von hochbegabt bis geistig beeinträchtigt

Während einige Autisten nie sprechen lernen, fallen andere schon früh durch ihre gewählte Sprache auf. Die einen sind motorisch ungeschickt, andere zeichnen stundenlang - es gibt den geistig beeinträchtigten Autisten ebenso wie den mit dem außergewöhnlichen Zahlengedächtnis. Sie alle zeigen aber in der Regel immer dieselben, wiederkehrenden Verhaltensmuster und haben ähnliche Schwierigkeiten, mit anderen zu interagieren.

Während man noch vor einigen Jahren dachte, dass es sich bei den verschiedenen Formen von Autismus um qualitativ unterschiedliche Zustände handelt, die jeweils unterschiedliche Ursachen haben, weiß man heute aus vielen Studien, dass sie sich eher graduell unterscheiden.

"Autismus ist nichts qualitativ anderes als das Asperger-Syndrom", erklärt Sven Bölte, Leiter der Forschungsgruppe "Autismus-Spektrum-Störungen" am Stockholmer Karolinska-Institut. "Beide Autismusformen unterscheiden sich eher in der Schwere ihrer Symptome." Autismus-Forscher sprechen daher heute von Autismus-Spektrum-Störungen, die sie auf eine andersartig verlaufene neurologische Entwicklung zurückführen. Was da bei Autisten allerdings genau untypisch verläuft in der Entwicklung von Gehirn und Nervensystem ist unklar.

Der britische Autor und Autist Daniel Tammet
Der britische Autor und Autist Daniel Tammet hält mit 22.514 Stellen den europäischen Rekord im auswendigen Aufsagen der Zahl Pinull AFP/Getty Images

Eine Extremvariante des männlichen Gehirns?

Aus Hirnscans etwa weiß man, dass Autisten weniger Aktivität in Hirnregionen zeigen, die für die Verarbeitung von Gefühlen und Sprache zuständig sind oder für die Erinnerung an Gesichter. Dafür gibt es eine stärkere Aktivität dort, wo Objekte verarbeitet und Details eines Systems erkannt werden.

Der britische Autismus-Forscher Simon Baron-Cohen vertritt daher die Ansicht, Autisten besäßen eine Extrem-Variante des männlichen Hirns. In einer Studie hatte er im Fruchtwasser von Schwangeren den Spiegel des sogenannten pränatalen Testosterons gemessen, das Einfluss auf die Hirnentwicklung hat. "Als wir nach der Geburt die Kinder untersuchten, fanden wir: Je höher das Niveau des pränatalen Testosterons war, desto mehr zeigten die Kinder später autistische Züge - und desto mehr Interesse für Systeme."

Ausschnitt aus dem Film "Rain Man"
In dem Film "Rain Man" spielt Dustin Hoffman den Autisten Raymondnull picture-alliance/United Archives

Gehirne von Autisten unterscheiden sich von typischen Gehirnen außerdem durch eine andere Verteilung der Andockstellen für die Botenstoffe Dopamin und Serotonin - die unter anderem bei der Steuerung von Angst und Motivation eine Rolle spielen. Studien der Universität Freiburg zeigen, dass die Kommunikation zwischen Neuronen in den Gehirnen von Autisten gestört ist und auch Gene und Genveränderungen sind im Zusammenhang mit Autismus entdeckt worden.

Die jedoch erklären häufig nur einige autistische Symptome, zum Beispiel eine gestörte Sprachfähigkeit. Sie tauchen nur bei wenigen untersuchten Personen auf oder finden sich ebenso bei gesunden Menschen oder bei Nichtautisten mit Intelligenzminderung, Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder Epilepsie.

Umweltfaktoren beeinflussen Autismus-Risiko

Wahrscheinlich sei es deshalb so, erläutert Sven Bölte, dass neben der Genetik auch noch andere Faktoren bei der Entstehung von Autismus eine Rolle spielen. "In einer dänischen Studie wurde der Zusammenhang von Autismus und viralen Infektionen in der Schwangerschaft untersucht. Dabei hat man festgestellt, dass das Autismus-Risiko des Kindes von einem auf zwei Prozent gestiegen ist, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine solche Infektion hatte."

Auch bestimmte Medikamente, die während der Schwangerschaft genommen werden, Komplikationen bei der Geburt und sogar Umweltgifte oder Luftverschmutzung sind mögliche Risikofaktoren für Autismus. Allerdings: "Diese Faktoren sind nicht für jeden gleichermaßen ein Risiko. Die Entstehung von Autismus kann individuell ein ziemlich komplexes Wechselspiel sein."

Autismus-Diagnose bleibt subjektiv

Was Autismus ist, entscheiden Psychiater und Neurologen daher noch immer in erster Linie aufgrund des beobachtbaren Verhaltens: Dieselben, immer wiederkehrenden Verhaltensweisen, Probleme in der sozialen Interaktion. Es bleibt eine subjektive Einschätzung. Mehr noch: Je komplexer das Bild, das Genetiker, Epidemiologen und Neurowissenschaftler von Autismus zeichnen, desto mehr verschwimmen die Kriterien dafür, was Autismus ist - und was nicht.

"Im Moment beobachten wir so ein 'Ausfransen'. Wir wissen nicht mehr: Wo ist das Ende des Spektrums?", kritisiert Inge Kamp-Becker, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg. "Viele Studien zeigen aber, dass Autismus eher eine Eigenschaft ist, dass es autistische Züge gibt, die man eben auch in der Normalbevölkerung findet und noch viel mehr zusammen mit anderen Störungsbildern. Aber was genau dann Autismus ist, das wird immer unklarer."

Symbolbild : Autismus
Autisten haben oft Probleme, in Kontakt mit anderen Menschen zu tretennull Fotolia/pholidito

Diagnostisch wird die Grenze zwischen gesund und krank meist dort gezogen, wo autistisches Verhalten dazu führt, dass jemand alltägliche Aufgaben nicht selbstständig erfüllen kann und wo Hilfebedarf besteht.

Die Grenze jedoch ist fließend. Und auch in der Autismus-Forschung, so Sven Bölte, bleibt die Frage - Krankheit oder Charakterzug - vorerst unentschieden: "Es spricht nichts dagegen, zu sagen, dass alle Menschen im Bereich ihrer sozialen Fertigkeiten variieren. Und wenn wir in einen Bereich von sehr gering ausgeprägtem Sozialverhalten kommen, befinden wir uns im Bereich des Autismus. Auf der anderen Seite wären dann die Leute, die sehr kommunikativ und sozial sind. Es ist nicht undenkbar, dass man da mal hinkommt."

Aber? "Viele Forscher - und auch ich - sind nicht sicher, ob es nicht doch diesen Shift gibt, ob sich die Entwicklung beim Autismus nicht doch qualitativ von anderen Störungen und von einer typischen neuronalen Entwicklung unterscheidet. Ich habe meine Meinung da auch 20 bis 30 Mal geändert, weil's einfach schwierig ist."

Die Zahl neurologischer Erkrankungen ist in Afrika sehr hoch

Die Prävalenz neurologischer Erkrankungen ist in Afrika sehr hoch und hat verheerende Auswirkungen auf die örtlichen Gemeinschaften.

"Psychische Gesundheit und neurologische Erkrankungen werden in Kenia oft missverstanden", sagt Penny Wangari-Jones, Gründungsmitglied von Hidden Voices , einer in Kenia ansässigen Wohltätigkeitsorganisation für psychische Gesundheit. "Die Menschen werden oft in Kirchen gebracht, um dort für sie zu beten oder man sagt ihnen, sie seien besessen. Viele Patienten werden vernachlässigt, in Häuser eingesperrt oder in Anstalten zurückgelassen, um zu Sterben. Es ist erschütternd."

Neurologische Erkrankungen sind heute weltweit die häufigste Krankheitsursache - etwa 3,4 Milliarden Menschen leben mit neurologischen Problemen. Im Vergleich zu anderen Regionen sind neurologische Erkrankungen in Afrika südlich der Sahara unverhältnismäßig häufig.

50 Prozent der Menschen, die in Afrika eine Notaufnahme aufsuchen, haben irgendeine Art von neurologischer Beeinträchtigung. Die Zahl neurologischer Erkrankungen ist oft doppelt so hoch wie in Regionen mit höherem Einkommen. Die Prävalenz von Epilepsie zum Beispiel ist in Afrika südlich der Sahara zwei- bis dreimal so hoch wie in Europa.

"Da es oft keine Gesundheitsdienste oder Anlaufstellen für die Menschen gibt, haben die örtlichen Gemeinschaften keine Möglichkeit, sich um Menschen mit neurologischen oder psychischen Erkrankungen zu kümmern", so Wangari-Jones gegenüber DW.

Klinik in der Zentralafrikanischen Republik - Zimmer mit mehreren Betten
Die meisten Regionen in Afrika haben einen Mangel an medizinischem Personalnull BARBARA DEBOUT/AFP/Getty Images

Warum gibt es in Afrika so viele neurologische Erkrankungen?

Die wichtigsten Faktoren, die zu neurologischen Erkrankungen beitragen, sind Schlaganfall, neonatale Enzephalopathie (Hirnverletzungen), neuropathische Schmerzen oder Nervenschmerzen, Alzheimer und andere Formen von Demenz.

Ein Grund für die höhere Prävalenz in Afrika sind Infektionskrankheiten wie HIV, Meningitis und Malaria. Sie können neurologische Komplikationen wie Enzephalitis - eine Entzündung des Gehirns - verursachen.

Laut Jo Wilmshurst, Leiter der pädiatrischen Neurologie am Red Cross War Memorial Children's Hospital im südafrikanischen Kapstadt, sind die Probleme jedoch auch auf verschiedene sozioökonomische und gesundheitspolitische Faktoren zurückzuführen.

"Es kann sein, dass ein Kind [mit neurologischen Erkrankungen] eher in einem Umfeld geboren wird, das sozioökonomisch benachteiligt ist und die Mutter möglicherweise mit HIV infiziert ist. Sie könnten auch Tuberkulose haben. Und dann gibt es noch all die Probleme mit dem Zugang zu Therapien", so Wilmshurst.

Neurologische Probleme begännen oft schon vor der Geburt, fügt sie hinzu. Komplikationen oder Infektionen während der Geburt können zu bleibenden neurologischen Schäden führen. Der Mangel an Neonatologen, die sich um Neugeborene kümmern, bedeutet, dass die Schäden oft nicht rechtzeitig diagnostiziert oder behandelt werden, um dauerhafte neurologische Schäden zu verhindern.

"Dann ist da noch die Gesundheit von Müttern. In Westkap haben wir pandemische Ausmaße von Toxinbelastung durch das fetale Alkoholsyndrom [FASD]. Dieses verursacht bei Kindern neurologische Störungen", erklärt Wilmshurst.

Abwanderung medizinischer Fachkräfte stoppen

Derzeit gibt es in Afrika nicht genügend Fachärzte und anderes medizinisches Personal, um das Ausmaß an neurologischen Erkrankungen zu bewältigen. Das gilt auch für die Belastung, die dadurch entsteht.

"Das Hauptproblem ist, dass die Ausbildung von Fachärzten in Afrika nicht richtig Fuß gefasst hat. Man kann die höchste Prävalenz neurologischer Erkrankungen in Regionen feststellen, in denen es keine Neurologen gibt", so Wilmshurst.

Die Zahl der Neurologen in den afrikanischen Ländern unterscheidet sich auffallend von der in Europa: In Afrika kommen auf 100.000 Einwohner 0,03 Neurologen, in Europa sind es 8,45 Neurologen pro 100.000.

Wilmshurst konstatiert, dass sich die Dinge verbessern. Der Ausbau neurologischer Dienst habe auch in Afrika begonnen. Dazu gehört auch die Ausbildung von Fachärzten.

"Wir nehmen für die Dauer von zwei Jahren einen Kliniker [aus Afrika] auf und machen mit ihm [in Südafrika] eine intensive Ausbildung. Der erste von ihnen, der nach Tansania zurückgekehrt ist, war der erste Kinderneurologe im ganzen Land", erzählt Wilmshurst.

Obwohl das Programm in den letzten 16 Jahren nur etwa 200 Fachärzte ausgebildet hat, ist die Wirkung enorm.

"Einer unserer Auszubildenden ist zurück nach Kenia gegangen, wo er sich für die Einführung der Rotavirus-Impfung eingesetzt hat. Wir wissen, dass die Sterblichkeitsrate auf Grund von Komplikationen mit dem Rotavirus dann drastisch gesunken ist. Er hat dort ein paar Millionen Leben gerettet", sagt Wilmshurst.

Zusammenarbeit im Kampf gegen neurologische Erkrankungen

Wangari-Jones ist der Auffassung, dass es bei der Bekämpfung belastender neurologischer Erkrankungen wichtig ist, die verschiedenen Hilfsprogramme in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren.

"Es gibt viele Ängste und Befürchtungen bezüglich der Medikamente oder der modernen Medizin. Sie sind oft auf ein Trauma aus der Kolonialzeit zurückzuführen. Eine der Herausforderungen besteht darin, bei neurologischen Erkrankungen nicht zu sehr auf Medikamente zu setzen. Die Menschen könnten sich sonst von der ursprünglichen Art entfernen, wie in den Kommunen Menschen gepflegt werden."

Wangari-Jones arbeitet mit Hidden Voices daran, Stigmatisierung und Ängste im Zusammenhang mit neurologischen und psychischen Erkrankungen abzubauen. Deshalb spricht sie oft vor Kirchengruppen in Kenia und in Schulen.

"In diesen Gesprächen erzählen die Menschen oft von ihren Problemen und von Vorfällen, die Familienmitglieder betreffen. Auf diese Weise erreichen wir die Menschen in der Gemeinde und helfen ihnen, Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten zu erhalten", sagt sie.

Das Gesundheitswesen ist für Wilmshurst ebenfalls ein wichtiges Thema, zu dem sie spezielle Trainingsprogramme organisiert. Die Gesundheit der Bevölkerung ist dabei ein wichtiges Ziel. Gesundheits- und Pflegepersonal der Gemeinden werden darin geschult, neurologische Krankheiten zu erkennen und zu behandeln. Das geschieht oft im Rahmen bestehender Programme für HIV- oder Tuberkulosebehandlung.

"Die Menschen in Afrika sind vielbeschäftigt", sagt Wilmshurst. "Die Arbeitsbelastung ist enorm und es gibt viele Verpflichtungen. Der einzige Weg, die Situation zu ändern, besteht darin, Lösungen zu finden, die in der betreffenden Arbeitsumgebung machbar und anpassungsfähig sind."

 

Quellen:

Nervous System Disorders Collaborators (2024). Global, regional, and national burden of disorders affecting the nervous system, 1990-2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet Neurology. DOI: 10.1016/S1474-4422(24)00038-3

 

Wieviel Wasser braucht unser Körper und wofür?

Der Körper eines Neugeborenen besteht zu etwa 80 Prozent aus Wasser. Wenn wir älter werden, nimmt der Wassergehalt im Körper ab und liegt dann bei etwa 60 Prozent.

Dabei haben Fettzellen einen niedrigeren Wassergehalt als andere Körperzellen. Entsprechend haben Übergewichtige einen geringeren Anteil an Wasser als dünne Menschen, und der Wasseranteil bei Frauen ist geringer als der bei Männern. Für uns alle aber ist es überlebenswichtig, unserem Körper durch Trinken regelmäßig Flüssigkeit zuzuführen. 

Einige Organe enthalten extrem viel Wasser. Dazu gehört etwa unser Auge. Sein Glaskörper besteht aus bis zu 99 Prozent Wasser. Muskeln haben mit etwa 80 Prozent ebenfalls einen hohen Flüssigkeitsanteil. Um unseren Körper ausreichend zu versorgen, können wir vor allem eines tun: Trinken, trinken und nochmals trinken.  

Wasser trinken ist ein absolutes Muss 

Etwa zwei Liter Flüssigkeit verliert unser Körper jeden Tag, zum einen über die Haut, die so die Temperatur im Körper regelt. Das gilt vor allem bei Hitze. Aber auch trockene Heizungsluft kann uns zusetzen. Die Nieren, die unseren Körper von Giftstoffen befreien, scheiden Flüssigkeit in Form von Urin aus. Wenn wir nicht genug getrunken haben, hat unser Urin eine intensiv gelbe Farbe. Ist er bräunlich verfärbt, gilt das als ernstes Warnzeichen, dass etwas nicht stimmt. Über den Darm wird Flüssigkeit mit dem Stuhl ausgeschieden, und auch beim Atmen verlieren wir Wasser in Form von kleinsten Tröpfchen. 

Diese Verluste müssen wir ausgleichen und deswegen täglich etwa 1,5 bis zwei Liter Flüssigkeit zu uns nehmen. Bei körperlicher Anstrengung, beim Sport, bei hohen Temperaturen, bei Fieber, Erbrechen und Durchfall steigt der Bedarf. Es muss allerdings nicht immer Wasser sein. Suppen, Obst oder verschiedene Gemüsesorten tun dem Körper ebenfalls gut und helfen, die Speicher aufzufüllen. 

Das ist unbedingt nötig, denn unser Körper zeigt bereits bei einem Flüssigkeitsverlust von einem bis zwei Prozent erste Symptome. Ab einem Verlust von etwa sieben Prozent sind wir auf der Gefahrenseite: Beschleunigter Puls oder Verwirrtheit deuten darauf hin, denn alle chemischen Reaktionen und Abläufe im Körper benötigen Flüssigkeit. Bei einem Mangel von zwölf Prozent kann es im schlimmsten Fall zu einem Schockzustand oder sogar zum Koma kommen. 

Unser Gehirn braucht Flüssigkeit, um sich zu schützen

Auch unser Gehirn und unser Rückenmark können ohne Flüssigkeit nicht arbeiten. Wir haben etwa 140 Milliliter Nerven- oder Hirnwasser, medizinisch: Liquor cerebrospinalis. Es ist eine durchsichtige Flüssigkeit, in der unser Gehirn im Schädel quasi schwimmt und die es vor Erschütterungen schützt. Jeden Tag bilden wir etwa einen halben Liter dieser Flüssigkeit, die auch wieder abgebaut wird und natürlich entsprechend ersetzt werden muss. 

Zentralorgan des menschlichen Nervensystems Anatomie des Gehirns als Grafik
Unser Gehirn schwimmt geschützt in einer durchsichtigen Flüssigkeit null magicmine/Zoonar/picture alliance

Erste Anzeichen dafür, dass unser Körper dringend Wasser braucht, sind Kopfschmerzen und Schwindel, trockene Schleimhäute in Mund und Rachen, und möglicherweise Schluckbeschwerden. Wir sind müde, fühlen uns schlapp, aber bringen das erst einmal nicht mit einem Zuwenig an Flüssigkeit in Verbindung. 

Bei Hitze und zusätzlichem Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen kann es sein, dass unser Kreislauf versagt und wir schlichtweg umkippen. Ob es dringend an der Zeit ist, etwas zu trinken, teilt uns der Körper unmissverständlich mit, denn auch unser Blutdruck steigt an. Ohne ausreichende Flüssigkeit wird unser Blut dicker und kann den Blutkreislauf nicht mehr problemlos aufrechterhalten.

Je älter, desto weniger Durstempfinden

Je älter wir werden, umso geringer ist unser Durstempfinden. Es ist auch nicht selten, dass ältere Menschen einfach vergessen, ausreichend zu trinken. Das kann dann u.a. zu Schwindel, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen oder Bewusstlosigkeit führen. Bei extremem Flüssigkeitsmangel müssen Ärzte dem Körper per Infusion entsprechende Mengen zuführen. 

Manch älterer Mensch aber verzichtet bewusst darauf, ausreichend zu trinken, denn im Alter können viele ihren Harndrang nicht mehr so gut kontrollieren wie jüngere Menschen. Aus Angst davor, ungewollt Urin zu verlieren oder nachts zu häufig zur Toilette zu müssen, trinken viele zu wenig oder gar nichts.  

Wann wir besonders viel Flüssigkeit benötigen

Haben wir Durchfall oder Erbrechen, braucht unser Körper mehr als das Minimum von 1,5 Litern am Tag. Wird der Wasserhaushalt nicht möglichst schnell wiederhergestellt, trocknet der Körper aus. Auch bei der Einnahme bestimmter Medikamente ist viel Flüssigkeit angesagt, beispielsweise bei sogenannten Diuretika. Sie wirken harntreibend und entwässern den Körper, um so beispielsweise Ödeme, also Wasseransammlungen, zu verhindern.

Große Biergläser auf einem Tisch und Männerarme dazwischen
Bier entzieht dem Körper eine große Menge an Flüssigkeitnull Josef Wildgruber/picture-alliance

Alkohol entzieht dem Körper Flüssigkeit

Auch Alkohol entzieht unserem Körper Flüssigkeit, denn er wirkt harntreibend. Die Nieren versuchen, die giftigen Substanzen aus dem Körper zu spülen, entsprechend oft müssen wir zur Toilette, um den Urin loszuwerden. 

Alkohol sorgt dafür, dass es zu einer gehemmten Ausschüttung von sogenanntem Vasopressin im Hypothalamus kommt. Vasopressin ist ein Hormon, das den Wasserhaushalt in der Niere reguliert. Hat der Körper aber keine ausreichende Menge dieses wichtigen Hormons zur Verfügung, scheiden unsere Nieren zu viel Wasser aus. Der Wasserhaushalt ist gestört, alles kommt durcheinander. 

Auch zu viel des Guten kann schädlich sein

Trinken wir fünf Liter oder mehr innerhalb weniger Stunden, kann auch das lebensgefährlich sein und sogenannte Hyperhydratation zur Folge haben, also eine Überwässerung des Körpers. Die Nieren schaffen es dann nicht mehr, die große Flüssigkeitsmenge zu regulieren und auszuscheiden. Eine der schlimmsten Folgen kann ein Hirnödem sein. 

Unmengen von Flüssigkeit werden beim Wasser-Wett-Trinken geschluckt. Das kann den Körper überfordern. Nicht nur die Nieren kommen mit ihrer Arbeit nicht mehr hinterher, auch der Salzhaushalt wird zerstört. Wie und ob ein Körper so viel überhaupt verkraftet, ist abhängig vom Alter, vom Gewicht und vom Allgemeinzustand. Auch hier gilt: die Menge macht's.

Pränataler Down-Syndrom-Test hoch umstritten

Bei ihrer dritten Schwangerschaft war Susanne (Nachname ist der Redaktion bekannt) 36 Jahre alt. Zwei kleine Söhne hatten sie und ihr Mann bereits. Wie bei Schwangeren über 35 in Deutschland üblich, wurde bei Susanne ein Erst-Trimester-Screening gemacht. Ihr wurde Blut abgenommen, über Ultraschall wurde die Nackenfalte des Babys untersucht. Das Ergebnis: Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind eine Chromosom-Störung wie zum Beispiel Trisomie 21, Down-Syndrom, haben könnte.

Es folgte die Überweisung an einen Humangenetiker und weitere Tests. Hier bekam die Familie aus der Nähe von Heidelberg bestätigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Susanne ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen würde, war deutlich erhöht. Um noch mehr Gewissheit zu erlangen, gab es damals, 2008, nur die Möglichkeit invasiver Tests, beispielsweise der Fruchtwasseruntersuchung. Der Eingriff liefert zwar mehr Informationen, birgt aber auch ein 0,5 prozentiges Risiko einer Fehlgeburt. Susanne und ihr Mann verzichteten noch aus einem anderen Grund auf die Maßnahme. 

"Man muss sich vorher natürlich überlegen, was man mit dem Ergebnis macht," erzählt Susanne. "Und uns war klar, wegen Down-Syndrom würden wir die Schwangerschaft nicht abbrechen."  

Arzt nimmt einer Schwangeren Blut ab
Den nicht-invasiven Pränataltest, mit dem relativ sicher festgestellt werden kann, ob ein Kind Down-Syndrom haben wird, gab es während Susannes Schwangerschaft noch nicht. Ob sie ihn gemacht hätte, weiß sie nicht.null picture-alliance/BSIP

Als Tochter Luise geboren wurde, war sich der entbindende Arzt, selbst kein Trisomie-Experte, nicht sicher, ob das Baby nun Down-Syndrom hatte oder nicht - für Susanne in dem Moment egal.

"Es ist halt ein Baby und es ist unser Baby," beschreibt sie ihre Gedanken nach der Entbindung.

Erst am nächsten Tag diagnostizierte der hinzugezogene Experte: Luise hat Trisomie 21.  

Mittlerweile besucht die bald 14-Jährige eine Förderschule, ein schwerer Herzfehler, der kurz vor ihrem zweiten Geburtstag operiert wurde, ist verheilt. Luise führe ein "ganz normales Schülerinnen-Leben", erzählt ihre Mutter.

Trisomie ist nicht gleich Trisomie

Seit 2012 haben Schwangere in Deutschland die Möglichkeit, eine mögliche Chromosom-Störung ihres Babys auch über einen nicht-invasiven pränatalen Test (NIPT) diagnostizieren zu lassen. Für einen NIPT wird eine Blutprobe der schwangeren Frau untersucht. Die Erkennungsrate für Trisomie 21 liegt bei rund 99%. Die Erkennungsrate für eine Trisomie 18 liegt bei 98% und die für eine Trisomie 13 bei nahezu 100%. Die beiden letzteren sind schwere Chromosom-Störungen, bei denen die Kinder teilweise schon im Mutterleib sterben, oder so schwere körperliche Fehlbildungen haben, dass sie nach der Geburt nicht lange überleben können.

Bei Menschen, die mit Trisomie 21 geboren werden, ist das Chromosom 21 dreifach statt doppelt vorhanden. Sie haben meistens eine leichte geistige Behinderung ― in wenigen Fällen ist diese auch schwer ― und motorische Störungen. 40 bis 60 Prozent haben einen angeborenen Herzfehler, auch Fehlbildungen des Magen-Darm-Trakts sind nicht ungewöhnlich. Viele der körperlichen Anomalien sind operabel, die Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom  liegt im Durchschnitt bei etwa 60 Jahren.

Infografik Genom von Menschen mit Trisomie 21
Menschen mit Down-Syndrom haben das Chromosom 21 dreimal

Pränataldiagnose als Kassenleistung

Seit 2019 wird der NIPT in Deutschland in begründeten Einzelfällen, bei Schwangerschaften mit einem erhöhten Risiko, nach einer ärztlichen Empfehlung von der Krankenkasse bezahlt.

Der Schritt war, wie auch schon die Einführung des Tests, umstritten. Kritiker sorgen sich, dass der NIPT als einfache Methode genutzt werden könnte, Menschen mit Behinderung noch vor ihrer Geburt auszusortieren, wenn Frauen ein Baby beispielsweise aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit von Trisomie 21 abtreiben.

"Weiter fürs Down-Syndrom kämpfen"

Natalie Dedreux startete vor zwei Jahren eine Petition dagegen, dass die Krankenkassen in bestimmten Fällen die Kosten des NIPT übernehmen. 

"Ein Leben mit Down-Syndrom ist was Besonderes", sagt sie. Und die 23-jährige Bloggerin muss es wissen ― sie hat Down-Syndrom, lebt allein in einer Wohnung in Köln und gehört zum Team des Forschungsinstituts Touchdown 21, wo Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammenarbeiten. Außerdem schreibt sie für 'Ohrenkuss', das Magazin des Instituts. "Wichtig ist, dass wir gesehen werden, damit die Welt auch mal sieht, dass Menschen mit Down-Syndrom da sind."

Die Petition ist trotz der Entscheidung zur Kostenübernahme der Krankenkassen weiterhin offen und hat bereits fast 30.000 Unterschriften. "Ich möchte fürs Down-Syndrom weiter kämpfen", sagt Dedreux.

"Treibt uns nicht ab!"

Dänemark: Kaum noch Babys mit Down-Syndrom

"Es ist ein Problem, wenn wir in einer Gesellschaft ein Leben wegen eines extra-Chromosoms als nicht lebenswert benennen", sagt Grete Fält-Hansen. Sie ist die Vorsitzende der Nationalen Down-Syndrom Gesellschaft in Dänemark und Mutter von Karl-Emil, einem 20-Jährigen mit Down-Syndrom.

In Dänemark gehört seit 2004 ein nicht-invasiver Test, mit dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, ob ein Kind Trisomie 13, 18 oder 21 haben wird, zum normalen Voruntersuchungspaket, das jeder Schwangeren angeboten wird. Den Frauen entstehen keine zusätzlichen Kosten, fast alle entscheiden sich dafür. Von denen, die eine Down-Syndrom-Diagnose bekommen, entscheiden sich mehr als 95 Prozent für eine Abtreibung, berichtet das US-Magazin The Atlantic.

Das hat radikale Folgen. 2019 wurden in ganz Dänemark 18 Kinder mit Down-Syndrom geboren. In den USA sind es jedes Jahr etwa 6000 Kinder, für Deutschland gibt es eine vergleichbare Statistik nicht. Aktuell leben in der Bundesrepublik schätzungsweise rund 50.000 Menschen mit Down-Syndrom.

Natalie Dedreux mit Bundeskanzlerin Merkel bei der Caritas in Köln
Dedreux mit Angela Merkel bei einem Besuch der Bundeskanzlerin in Köln im Juli 2018null picture-alliance/dpa/O. Berg

Fält-Hansen sagt, die Regelung habe dazu geführt, dass Eltern, die den Pränataltest ablehnen und dann ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, schon mal gefragt werden "Warum hast du denn den Test nicht gemacht?" 

Sie bemängelt, dass Frauen, bei denen der Test auf Trisomie 21 hindeutet, nicht genügend betreut werden. "Sie müssen eine der härtesten Entscheidungen treffen, die es gibt", sagt Fält-Hansen. "Ich finde es gut, dass die Frauen das selbst entscheiden können. Niemand hätte mir vorschreiben dürfen, ob ich abtreibe oder nicht. Aber es sollte eine gut informierte Entscheidung sein. Und daran mangelt es häufig." 

"Keine Frau treibt leichtfertig ab"

Das kritisiert auch Katja de Bragança, Leiterin des Touchdown 21 Instituts und Ohrenkuss-Chefredakteurin. Wenn die Ärzte der Schwangeren mitteilen, dass ihr Baby höchstwahrscheinlich Down-Syndrom habe, "lässt der Informationsstandard sehr zu wünschen übrig", sagt sie. 

De Bragança und Ohrenkuss-Mitarbeiter Achim Priester
De Bragança (mit ehem. Ohrenkuss-Mitarbeiter Achim Priester): Es ist schockierend, was Menschen mit Down-Syndrom wie selbstverständlich abgesprochen wird.null Britt Schilling

"Manchmal kommt die Erstmitteilung und dann 70 Sekunden danach soll der Abbruch-Termin gemacht werden. Die Mitteilung sollte respektvoller und mit mehr Wissen passieren. Wenn es mehr Informationen gibt, steht die Entscheidung der Frau auf sichereren Füßen." 

Und es ist eine schwere Entscheidung, das erlebt Dr. Heike Makoschey-Weiß immer wieder. Die Frauenärztin und Psychotherapeutin arbeitet in der Pränatalmedizin- und Genetik-Praxis Meckenheim.

"Es ist für niemanden leicht, einen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch zu nehmen", sagt sie.

Hilde Mattheis
Mattheis: NIPTs nur für Frauen, die es sich leisten können, wäre "soziale Diskriminierung"null picture-allianceZB/B. Pedersen

Ein Punkt, der auch Hilde Mattheis wichtig ist. "Keine Frau treibt leichtfertig ab", sagt die SPD-Politikerin. Sie unterstützt den NIPT als Kassenleistung, weil "ich Frauen zutraue, dass sie bedacht und verantwortungsvoll damit umgehen." Makoschey-Weiß sagt dagegen, der Test werde von Ärzten zu häufig und vor allem zu unreflektiert eingesetzt.

Mehr Offenheit gegenüber Menschen mit Behinderung

Für Susanne, die Mutter der bald 14-jährigen Luise aus der Nähe von Heidelberg, ist der NIPT an sich nicht das Problem. "Der ist nun mal in der Welt und der wird auch nicht wieder verschwinden. Das ist ein Instrument. Aber die Frage 'Wie gehe ich mit dem Ergebnis um?', die hängt absolut damit zusammen, was die Eltern wahrnehmen, wie Behinderung in der Gesellschaft bewertet wird."

Es müsse gute Unterstützungsangebote für Eltern geben und Offenheit und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Behinderung. Nur so, sagt Susanne, sei es tatsächlich möglich, "den Eltern ein Umfeld zu bieten, wo sie sich frei entscheiden können ― frei von Ängsten und Zwängen." 

 

Alt werden mit Down-Syndrom

Kinder mit Trisomie 21 sehen nicht nur anders aus als Kinder ohne Down-Syndrom. Sie sind anders. Ihre gesamte Entwicklung verläuft langsamer als bei Kindern ohne Trisomie 21. Das betrifft die Motorik, die Sprache und die geistige Entfaltung, und sie haben von Anfang an mit vielen Erkrankungen zu kämpfen. Etwa 50.000 Menschen mit Trisomie 21 leben in Deutschland. 

Etwa 120 verschiedene Krankheitssymptome tauchen speziell bei Kindern mit Down-Syndrom auf. Dazu gehören vor allem Herzfehler. Vor einigen Jahrzehnten war das noch ein großes Problem. "Angeborene Herzfehler kann man heute wesentlich besser operieren als noch vor einigen Jahrzehnten. Deshalb ist auch die Lebenserwartung mittlerweile viel höher als noch in den 1970er Jahren", sagt Gerhard Hammersen. Er ist ehrenamtlicher Leiter einer Down-Syndrom-Ambulanz in Nürnberg. Er hat dort lange als Kinderarzt an der Cnopfschen Kinderklinik praktiziert und die Entwicklung verfolgt. 

Herzoperation werden heute früher durchgeführt

Vor etwa fünfzig, sechzig Jahren waren Herzoperationen bei Kindern mit Down-Syndrom eher selten, und selbst wenn operiert wurde, kam es häufig zu Komplikationen. "Ich habe ein 16- oder 17-jähriges Mädchen erlebt, das mit einem komplexen Herzfehler auf die Welt gekommen ist", erzählt Hammersen. Damals habe man gerade erst begonnen, derartige Fälle zu operieren. "Seit sie 14 war, litt sie verstärkt unter ihrem Herzfehler und unter Gefäßveränderungen. Bei ihr kamen Infekte hinzu, die Operation wurde verschoben, und dann war es irgendwann zu spät. Sie ist qualvoll verstorben", erinnert sich Hammersen. "Das ist eine Kombination, die wir heute Gott sei Dank nicht mehr erleben."

Down-Syndrom-Bluttest
Ein Bluttest zeigt, ob das Kind möglicherweise mit Trisomie 21 zur Welt kommtnull picture-alliance/dpa/T. Kleinschmidt

Die Medizin hat dazugelernt

Wenn nötig werden Kinder mit Down-Syndrom heute bereits im ersten Lebensjahr am Herzen operiert. So kann es auch später nicht mehr zu Komplikationen kommen. Früher war es keine Seltenheit, dass bestimmte Herzprobleme erst in der Pubertät auftauchten, weil das Kind nicht schon im frühesten Alter operiert worden war. "In den 80er Jahre haben die Mediziner gelernt, dass Kinder mit Trisomie 21 anders behandelt werden müssen. Ich glaube, es gab damals eine andere Einstellung zu Menschen mit Down-Syndrom. Heute wissen wir mehr", sagt Hammersen.

Aber es geht nicht nur ums Herz. Oft ist der Magen-Darm-Trakt von der Krankheit betroffen, etwa wenn der Zwölffingerdarm nicht durchlässig ist. "Diese Kinder müssen schon am zweiten oder dritten Lebenstag operiert werden", erklärt Hammersen. Mittlerweile ist auch das kaum noch ein Problem und verhilft letztlich zu einem längeren Leben. Oft aber ist es mit einer Operation nicht getan. Weitere Erkrankungen betreffen zum Beispiel das blutbildende System. Dazu gehört auch Leukämie.

Leukämie ist eine häufige Erkrankung

Menschen mit Down-Syndrom erkranken wesentlich häufiger an einer Leukämie als Menschen ohne Trisomie 21. Und auch da mussten die Mediziner so einiges lernen. "Während der ersten vier, fünf Lebensjahre entwickeln Kinder mit Trisomie 21 eine besondere Form der Leukämie. Sie tritt bei Kindern ohne Trisomie 21 recht selten auf, ist aber bei Menschen mit Down-Syndrom relativ häufig zu finden. Diese Leukämie hat bei Menschen mit Trisomie 21 einen recht günstigen Verlauf. Entsprechend kann man sie mit einer wesentlich milderen Form von Chemotherapie behandeln als das bei Kindern ohne Down-Syndrom der Fall ist.

"Früher gab es die Fragestellung, ob man diesen Kindern überhaupt eine Chemotherapie zumuten kann. Es kam die Überlegung hinzu, dass diese Kinder intellektuell  gar nicht nachvollziehen könnten, was wir ihnen mit dieser Behandlung antun. Es ist schließlich eine Therapie, die massiv in den Körper eingreift", erläutert Hammersen. Bei einem Kleinkind ohne Down-Syndrom hätte man eine solche Behandlung allerdings gar nicht in Frage gestellt", so Hammersen weiter. 

Eines Models mit Down-Syndrom unter anderen Models
Madeline Stuart - ein Model mit Down-Syndrom auf der New York Fashion Weeknull Reuters/A. Kelly

Die Menschen müssen gefördert werden

In den 70er und 80er Jahren war die Einstellung gegenüber Menschen mit Trisomie 21 anders als heute. Viele – auch Mediziner – haben  Menschen mit Down-Syndrom kaum etwas zugetraut. Heute weiß man: Es ist wichtig, sie zu fördern, damit sie sich entwickeln können und verhältnismäßig selbständig werden. "Viele Menschen mit Down-Syndrom leben im Erwachsenenalter in Wohngemeinschaften. Einmal oder zweimal pro Woche kommt dann vielleicht ein Sozialpädagoge oder eine Betreuungsperson vorbei. Ansonsten aber leben sie relativ unabhängig. Das hat man sich früher nicht vorstellen können", sagt Hammersen.

Heute wird versucht, die Kreativität zu fördern und Menschen mit Down-Syndrom ins Arbeitsleben zu integrieren. Das ist oft schwierig, meist aber nicht wegen der Menschen mit Down-Syndrom sondern wegen fehlender Bereitschaft in der Gesellschaft, und es fehlen entsprechende Stellenangebote. Außerdem möchten viele etwa am Arbeitsplatz nicht auf Kollegen mit Down-Syndrom Rücksicht nehmen müssen.  

Sebastian Urbanski - Schauspieler mit Down-Syndrom
Sebastian Urbanski arbeitet als Schauspieler. Er hat das Down-Syndrom.null picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Die Entwicklung bei Menschen mit Down-Syndrom verlaufe unterschiedlich, meist wesentlich langsamer als bei anderen und ende in den meisten Fällen auch auf einem anderen Niveau, so Hammersen. "Aber genauso gibt es bei Menschen ohne Down-Syndrom große Unterschiede in der Entwicklung - angefangen bei demjenigen, der Probleme mit einem Grundschulabschluss hat bis hin zu jemandem, der ein Hochschulstudium absolviert und ein Überflieger ist. Und so findet sich auch bei Menschen mit Down-Syndrom eine entsprechende Bandbreite der Entwicklungsmöglichkeiten", sagt Hammersen. Vielleicht sind diese Möglichkeiten aber eben nur anders. 

Das Café der Hoffnung

Unsere Quellen:

Down-Syndrom Infocenter (https://www.ds-infocenter.de/)

Cnopfsche Kinderklinik (https://www.klinik-hallerwiese.de/de/cnopfsche-kinderklinik.html)

 

 

Schreien statt Weinen – Depressionen bei Männern

Depressionen gelten als typisch weiblich und sind ein Tabuthema, vor allem bei Männern. "All die Dinge, die klassischerweise eher mit Weiblichkeit assoziiert sind, werden bei Männern tendenziell verdrängt und müssen kompensiert werden. Aggressives Verhalten kann dabei ein Ventil sein", sagt Anna Maria Möller-Leimkühler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass weltweit etwa 322 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer.  

Traditionelle Verhaltensmuster gelten noch

Gefühle zeigen, darüber reden, das scheint vor allem Frauensache. Männer sprechen seltener über ihre Gefühle und Probleme. Dieser Mangel an Kommunikation ist ein Grund dafür, dass psychische Erkrankungen bei Männern seltener diagnostiziert werden als bei Frauen. Und das, obwohl Männer häufiger Suizid begehen. 

Viele Männer sehen ihre Depression als Versagen an oder glauben, Ansprüchen nicht gerecht werden zu können. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention ziehen sich Männer bei Depressionen eher zurück, wollen ihre Erkrankung nicht wahrhaben.  "Das ist diese emotionale Kontrolle, bloß keine Gefühle der Schwäche zeigen, also Traurigkeit, Unsicherheit, Ängste, Scham", so Möller-Leimkühler. Bei Frauen hingegen ist das Zeigen von Schwäche gesellschaftlich akzeptiert. Frauen sind auch eher in der Lage, über ihre Gefühle zu sprechen, sei es mit der besten Freundin oder in einer Gruppe mit anderen Frauen.

Auf erste Anzeichen achten

Die Kernsymptome einer Depression sind bei Männern und Frauen gleich. "Beide haben Schuldgefühle, beide empfinden Hoffnungslosigkeit, haben Suizidgedanken, Schlafstörungen und ein Gefühl von Erschöpfung", sagt Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe. Die Lebensumstände aber seien unterschiedlich.

49. Depressionen: Eine ernsthafte Krankheit

Auch physische Hinweise für eine Depression finden sich. Diese müssen nicht nur erkannt, sondern auch richtig zugeordnet werden: Kopfschmerzen etwa, Schmerzen in der Brust, Gelenk- oder Rückenschmerzen, Magen- und Darmproblemen und Müdigkeit. Derartige Symptome sind aber durchaus gesellschaftsfähig und werden nicht als Schwäche gesehen, denn es sind ganz "normale" Krankheiten, vor denen keiner gefeit ist und die kein Tabu darstellen.

Es gibt anatomische Unterschiede

Nicht nur die traditionelle Geschlechterrolle oder Veranlagung können Auslöser sein, auch die Anatomie des Gehirns hat Einfluss. Das männliche Gehirn sei in seinen beiden Hälften nicht so verschaltet wie bei Frauen, sagt Möller-Leimkühler. "Das männliche Gehirn arbeitet etwas asymmetrischer. Die linke Gehirnhälfte ist aktiver. Das ist der Bereich, in dem Logik und Rationalität stecken."

Männer haben nicht nur einen schlechteren Draht zu ihren eigenen Gefühlen als Frauen. Sie haben oft Probleme, Gefühle in Worte zu fassen. So werden negative, depressive Stimmungen bei Männern nicht als Signal erkannt. "Männer spüren eine innere Spannung und reagieren auf der Verhaltensebene mit Aktivismus, Aggressivität, Verdrängung, Bagatellisierung und Abwehr. Diese Abwehrmechanismen können sich auch in höherem Alkoholkonsum zeigen", sagt Möller-Leimkühler.

Depressionen sind vererbbar

Depressionen entwickeln sich nicht durch Unfähigkeit oder Versagen. "Die Veranlagung ist ein wesentlicher Punkt", sagt Hegerl. "Das müssen Betroffene erst einmal verstehen und auch, dass sie nichts dagegen tun können. Sie haben diese Veranlagung vielleicht geerbt oder in der frühen Kindheit erworben."

Was Patientinnen und Patienten allerdings tun können, ist sich Hilfe zu holen und das so schnell wie möglich. Hat sich eine Depression erst mal manifestiert und ist chronisch geworden, wird es immer schwieriger, die Betroffenen aus dem schwarzen Loch zu holen, in dem sie stecken.

Meist sind es Angehörige und Freunde, die den Stein ins Rollen bringen und dafür sorgen, dass der Betroffene dann doch Hilfe sucht. Der Anlass sind dann oft Wesensänderungen wie etwa eine erhöhte Aggressivität, die dazu führt, dass die Umgebung hellhörig wird.

Mann schreit und ist wütend
Bei Männern können sich Depressionen durch aggressives Verhalten zeigennull Adobe Stock

Es ist wichtig, Hilfe zu suchen

Gerade Männer denken oft, sie könnten ohne fremde Hilfe einen Weg aus der Depression finden. Das aber ist ein Trugschluss. Ein wichtiger erster Schritt ist, über Gefühle und das eigene Befinden mit jemandem zu reden. Das müssen viele Männer erst lernen. 

Bei Depressionen braucht es eine entsprechende Therapie und je nach Schwere der Symptome, wird auch eine medikamentöse Unterstützung benötigt. Eine bewährte Methode ist nach wie vor die Psychotherapie, die bei der Behandlung von Depressionen unverzichtbar ist. Dabei steht das Gespräch mit dem Therapeuten im Mittelpunkt. Betroffene lernen dabei u.a. über ihre Gefühle, ihre Ängste und ihre Befindlichkeiten zu reden und zu erkennen, welche Probleme im Zusammenhang mit der Depression stehen. Auch die Erprobung neuer Verhaltens- und Denkweisen gehören dazu.

Oft wird sie mit der Pharmakotherapie kombiniert. Das heißt, der Patientin oder dem Patienten werden Medikamente gegeben, meist sind das Antidepressiva, die helfen sollen, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden, und das geht nicht im Alleingang. 

"Depression ist eine gefährliche Erkrankung – nicht nur wegen der Suizidgefahr", sagt Hegerl. Menschen mit Depressionen ernähren sich oft schlecht. Sie bewegen sich nicht oder kaum. Das erhöht beispielsweise die Gefahr für einen Herzinfarkt, für einen Schlaganfall oder andere schwere Krankheiten wie Diabetes. Das erklärt auch, dass die Lebenserwartung von Menschen mit Depressionen durchschnittlich um 10 Jahre reduziert ist."

Tabletten gegen Depressionen

Geschlechterspezifische Untersuchungen sind nötig

Ein Werkzeug, um den Verdacht 'Depression' zu untermauern, sind Fragebögen, die auf das Krankheitsbild 'Depression' zugeschnitten sind. Die führen allerdings dazu, dass bei Männern oft weniger Symptome festgestellt werden als bei Frauen. Damit erreichen diese Männer nicht den klinischen Schwellenwert und fallen durch das Raster. Eine mögliche Depression bleibt also unerkannt.

2020 leitete Möller-Leimkühler Studien zur Entwicklung und Evaluation eines "Gendersensitiven Depressionsscreenings", das in der National Library of Medicine veröffentlicht wurden. Das GSDS wurde umfangreich untersucht und konnte im Vergleich zu einem geschlechterneutralen Fragebogen bis zu 18 Prozent mehr depressionsgefährdete Männer identifizieren. Damit stehe "ein mehrdimensionales, valides und zuverlässiges Instrument für ein genderdepressives Depressionsscreening“ zur Verfügung, so Möller-Leimkühler. Sind die Untersuchungen also geschlechtsspezifisch, werden bei Männern mehr Risikofälle gefunden. Anlass genug, um noch besser über psychische Erkrankungen aufzuklären. 

 

Quellen:

Stiftung Deutsche Depressionshilfe: Einsamkeit bei den Bundesbürgern und bei Menschen mit Depression, 2023, https://www.deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/deutschland-barometer-depression

National Library of Medicine, Development and Preliminary Validation of a Gender-Sensitive Depression Screening (GSDS), 2020, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31952089/

National Library of Medicine, Gender-Sensitive Depression Screening (GSDS) - Further Validation of a New Self-Rating Instrument, 2022, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34921365/

Wird Rheuma durch Darmbakterien ausgelöst?

Rheuma lässt die Finger und Zehen anschwellen. Die Gelenke schmerzen und werden steif. Alltägliche Aufgaben werden zur Herausforderung: das Essen mit Besteck, das Schließen von Knöpfen, die Körperpflege. Auch wenn sich die Symptome vor allem an den Händen zeigen, ist der ganze Körper von der rheumatischen Entzündung befallen.

Weltweit leidet laut deutscher Rheuma-Liga ungefähr ein Prozent der Menschen an Rheuma, in Europa sind etwa drei Millionen Personen betroffen. Und es trifft nicht nur alte Menschen - auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können an Rheuma erkranken. Auffallend ist zudem, dass Frauen zwei- bis dreimal häufiger betroffen sind als Männer.

Vergebliche Suche nach der Ursache

Bislang ist die genaue Ursache für die rheumatoide Arthritis, wie Rheuma eigentlich heißt, unklar. Faktoren wie eine gewisse erbliche Veranlagung, Stress oder Wetterwechsel werden mit dieser Autoimmunkrankheit in Verbindung gebracht.

Nun glauben US-Forschende eine mögliche Ursache gefunden zu haben: Laut ihrer Studie soll das Darm-Mikrobiom die eigentlich hilfreiche Aminosäure Tryptophan in einen entzündlichen Stoff umwandeln, der Arthritis auslösen kann. Das Team um Kristine Kuhn, Leiterin der Abteilung für Rheumatologie an der University of Colorado, hat die Studie im Journal of Clinical Investigation veröffentlicht.

Lebenswichtige Aminosäure

Tryptophan ist im Körper unter anderem wichtig für die Produktion von Proteinen, Enzymen und Neurotransmittern - also den chemischen Botenstoffen des Nervensystems. Als Vorstufe des Botenstoffs Serotonin wirkt Tryptophan zum Beispiel wie ein natürliches Antidepressivum.

Kind mit Rheuma wird behandelt
Rheuma trifft nicht nur alte Menschen, auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können erkranken.null picture alliance/dpa

Unser Körper kann Tryptophan nicht selber herstellen, wir müssen diese lebensnotwendige Aminosäure mit der Nahrung aufnehmen. Besonders große Mengen Tryptophan finden sich in Hartkäse, in Hühnerfleisch, in Cashew- und Erdnüssen, in Sojabohnen und dunkler Schokolade. 

Wenn Helfer zu Feinden werden

Allerdings kann Tryptophan auch Entzündungen im Körper auslösen, vor allem, wenn es auf Bakterien trifft. Wenn Rheuma-Erkrankte tryptophanhaltige Lebensmittel essen, wird die Aminosäure durch ihr Darm-Mikrobiom anders aufgespalten als bei gesunden Menschen. Trifft Tryptophan dann auf Bakterien, kommt es zu einer verstärkten Indolproduktion. Die chemische Verbindung Indol ist ebenfalls grundsätzlich sehr nützlich und hat entzündungs- und krebshemmende Eigenschaften.

Allerdings zeigte sich im Mäuseversuch, dass sich durch die verstärkte Indolproduktion autoreaktive, also gegen das körpereigene Gewebe gerichtete T-Zellen entwickeln können. Diese T-Zellen greifen gesunde Zellen an: Es kommt zu einer entzündlichen Autoimmunreaktion, die eine rheumatoide Arthritis auslösen kann.

Ist der Darm unser zweites Gehirn?

Sollte sich dieser Wirkmechanismus auch beim Menschen nachweisen lassen, ermöglicht dies neue Therapieansätze. Wenn es gelingt, die Indolbildung zu blockieren, könnte eine rheumatoide Arthritis bereits in einem sehr frühen Stadium behandelt werden. Lange bevor es zu den stark geschwollenen Gelenken und schmerzhaften Deformationen der Hände kommt.

Ernährung kann vor Rheuma schützen

Da möglicherweise das Darm-Mikrobiom eine so zentrale Rollen bei der Ausbildung von Rheuma spielt, kann zudem eine ausgewogene Ernährung vor rheumatoider Arthritis schützen.

Die Deutsche Rheuma-Liga gibt einige Tipps für die Ernährung bei Rheuma: Wenig "rotes" Fleisch (Schwein, Rind, Lamm) und nur eine Fleischmahlzeit pro Woche. Stattdessen Fisch und Meeresfrüchte, die das nötige Eiweiß liefern. Statt tierischen sollten lieber pflanzliche Fette und Öle mit hohem Linolsäureanteil verwendet werden: etwa Distelöl, Rapsöl, Maiskeimöl oder Weizenkeimöl.

Die Rheuma-Liga empfiehlt zudem reichlich Obst und Gemüse zu essen, die den Körper mit Nährstoffen, Ballaststoffen sowie sekundären Pflanzenstoffen versorgen. Außerdem Vollkornprodukte und Nüsse, Milchprodukte als Kalziumlieferant und wenig Eier. Dazu viel Wasser und ungesüßten Tee trinken. Für Rheumapatienten empfiehlt es sich besonders, möglichst frisch zu kochen und wenig Fertiggerichte zu essen. Diese enthalten oftmals viel Salz, gesättigte Fettsäuren, versteckten Zucker sowie Eier.

Die Rheumatologin Kuhn empfiehlt eine mediterranen Ernährungsweise: "Eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Ballaststoffen und magerem Fleisch ist - diese ganze mediterrane Ernährung - scheint das Mikrobiom in einen gesünderen Zustand zu versetzen", erläutert Kuhn.

Eine solche mediterrane Ernährung erhalte die hilfreichen, entzündungshemmenden Eigenschaften von Tryptophan, wohingegen die typische westliche Ernährung Entzündungen eher begünstige, so die Rheumatologin.

 

Quellen:

Microbiota-dependent indole production stimulates the development of collagen-induced arthritis in mice, 2024, https://www.jci.org/articles/view/167671

Merkblatt der Deutschen Rheuma-Liga: Rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis), 9. Auflage,  https://www.rheuma-liga.de/fileadmin/public/main_domain/Dokumente/Mediencenter/Publikationen/Merkblaetter/1.2_Rheumatoide_Arthritis.pdf

 

Führt Gürtelrose zu Depressionen?

"Wenn ich Schmerzen eine ganze Zeit lang mit mir schleppe, bekomme ich psychische Probleme. Das kann bis hin zu Depressionen gehen, das sehen wir bei Schmerzpatienten. Da taucht immer wieder die Frage auf: 'Habe ich Rückenschmerzen, weil ich depressiv bin? Oder bin ich depressiv, weil ich Rückenschmerzen habe?'" Günter Rambach weiß, wovon er spricht. Der stellvertretende Präsident der Deutschen Schmerzliga hatte selbst Gürtelrose, ausgelöst durch das Herpes-Zoster-Virus, das auch für Windpocken verantwortlich ist. Diese Kinderkrankheit ist zwar unangenehm, aber kaum lebensbedrohlich und es gibt Impfungen dagegen.

Erst Windpocken, dann Gürtelrose

Herpes-Zoster-Viren sind hinterhältig

Als Kind sind es die Windpocken, als Erwachsene die Gürtelrose. Windpocken hat fast jeder einmal durchgemacht. Typisch für die hochansteckende Virusinfektion sind juckender Hautausschlag mit roten Bläschen und leichtes Fieber. Kinder überstehen die Erkrankung meist ohne ernsthafte Nachwirkungen. Außer ein paar Narben, die durch das Aufkratzen der Bläschen entstehen, bleibt erst einmal nichts.

Aber selbst wenn die Kinderkrankheit ausgeheilt ist, heißt das noch lange nicht, dass die Gefahr vorbei ist. Denn die Herpes-Zoster-Viren schlummern weiterhin im Körper, können noch Jahre bis Jahrzehnte später wieder aktiv werden und dann die äußerst schmerzhafte Gürtelrose auslösen. "Ohne Windpocken gibt es keine Gürtelrose", so Rambach.

Unser Körper vergisst nichts

Im Alter erhöht sich das Risiko, eine Gürtelrose zu entwickeln. Vor allem Personen um die 50 mit einem geschwächten Immunsystem gehören zur Risikogruppe. Auch Menschen ab 60 gehören dazu, denn ab diesem Alter funktioniert das Immunsystem nicht mehr so gut wie in jüngeren Jahren, es kann Krankheiten entsprechend schlechter abwehren.

Ein Kennzeichen von Gürtelrose ist brennender und juckender Hautausschlag, der aber meist nach ein paar Tagen abklingt. Teilweise verursacht eine Gürtelrose Nervenschmerzen. Bei der akuten Gürtelrose sind vor allem die entzündlichen Verletzungen der Nervenstrukturen für die Schmerzen verantwortlich, denn diese Nervenstrukturen können durch das Virus geschädigt werden. Es entsteht eine Post-Zoster-Neuralgie.

Die chronischen Schmerzen können dann zu ernsthaften Depressionen führen. Es entsteht eine Wechselwirkung: Die Depressionen verschlimmern die Schmerzen. Die Schmerzen verschlimmern die Depressionen. Forschende gehen davon aus, dass 66 Prozent derjenigen, die unter chronischen Schmerzen leiden, gleichzeitig Depressionen entwickeln. 

Gürtelrose - warum sie sofort behandelt werden sollte

Das Immunsystem spielt eine wichtige Rolle

Forschende gehen davon aus, dass es keinen direkten medizinischen Zusammenhang zwischen Gürtelrose und Depressionen gibt, aber dass es durchaus indirekte Faktoren gibt. Das Gebiet ist bislang nur wenig erforscht. Bekannt aber ist, dass Depressionen und Stress es dem Virus leicht machen, wieder aktiv zu werden.

Die Gründe für die Reaktivierung des Herpes-Zoster-Virus können sowohl physischer Natur als auch psychischer Natur sein, wie etwa ein schwerer Schicksalsschlag. Rambach erzählt von einer Frau, deren Tochter an Brustkrebs erkrankt war. "Da ist eine Welt zusammengebrochen. Die Krankheit ihrer Tochter hat sie so belastet, dass bei ihr Gürtelrose ausgebrochen ist."

Einen ähnlichen Fall habe es bei einer anderen Frau gegeben. Sie sei sogar geimpft gewesen. "Eine Impfung ist keine Gewähr dafür, dass man niemals Gürtelrose bekommt, aber die Wahrscheinlichkeit ist wesentlich geringer", ergänzt Rambach. Und die Infektion laufe wesentlich glimpflicher ab.

Wenn die Schmerzen nicht aufhören

Wenn die Erkrankung einfach nicht besser werden will, macht sich oft ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit oder Verzweiflung breit. Die Schmerzen treten immer weiter in den Vordergrund. Am häufigsten bildet sich der Ausschlag an Rücken und Brustkorb. Er legt sich wie ein Ring - oder eben ein Gürtel um den Körper. Aber auch andere Stellen kann es erwischen. "Kopf, Augen, Ohren und sogar die Genitalien können betroffen sein", sagt Rambach.

Besonders unangenehm kann es für Betroffene mit einer sogenannten Post-Zoster-Neuralgie werden, die sich u.a. durch einen permanenten Schmerz und Empfindlichkeit gegenüber Berührung zeigt. Zur Behandlung werden oft Antiepileptika gegeben und mit Schmerzmitteln kombiniert. Auch Antidepressiva kommen zum Einsatz, um der Schwermut entgegenzuwirken. Manchen kann auch mit Akupunktur oder mit Psychotherapie geholfen werden, um den Kreislauf endlich zu stoppen.

Mit Gesprächen und Ratschlägen, die auf viel Erfahrung beruhen, versucht die Deutsche Schmerzliga so gut wie möglich zu helfen. Impfen ist aber noch immer die beste Möglichkeit, sich vor Gürtelrose zu schützen.

 

Darum steigen die Fälle von Geschlechtskrankheiten

Als "besorgniserregend" stuft die EU-Gesundheitsbehörde (ECDC) die Entwicklung ein. Allein die Infektionen mit Gonorrhö, auch bekannt als Tripper, sind in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum, EWG, im Jahr 2022 auf nahezu 71.000 Fälle gestiegen. Das sind 48 Prozent mehr als noch 2021.

Auch Infektionen mit Syphilis und Chlamydien verzeichnen einen Anstieg um 34 Prozent, die der Chlamydien um immerhin 16 Prozent. Die Zahlen seien vermutlich nur "die Spitze des Eisbergs".

Unfruchtbarkeit als Folge

Die Zunahme sei u.a. auf verschiedene Testverfahren in den Ländern zurückzuführen. Werden die sexuell übertragenen Krankheiten (STI) früh genug diagnostiziert, können sie behandelt werden. Ist das nicht der Fall, können einige im schlimmsten Fall zu Unfruchtbarkeit führen.

Wichtig ist also eine frühe Diagnose, aber auch, dass es Zugang zu entsprechenden Therapien gibt. Um das zu gewährleisten, seien Aufmerksamkeit und intensive Präventionsmaßnahmen dringend notwendig, so ECDC-Direktorin Andrea Ammon. Dazu gehört auch eine bessere Aufklärung. Würden diese Angebote ausgeweitet, könne der zurzeit "besorgniserregende Trend" sogar umgekehrt werden, so Ammon.

Steigende Infektionsraten als weltweites Problem

Laut Robert-Koch-Institut hat sich die registrierte Zahl der Syphilis-Infektionen zwischen 2010 und 2022 allein in Deutschland mehr als verdoppelt, von 4077 auf 8309 Fälle. 

Bei der Syphilis zeigt sich auch in den USA und in Kanada ein eindeutiger Trend. "In den letzten zwei, drei Jahren hat es in den USA dramatische Anstiege der Syphilis-Infektionen bei Frauen gegeben, vor allem bei schwangeren Frauen", erklärt Norbert Brockmeyer, Präsident der deutschen Gesellschaft zur Förderung Sexueller Gesundheit. "Im frühen Stadium einer Syphilis-Infektion kann die Schwangere die Erreger auf das Ungeborene übertragen, Fehl- und Totgeburten können die Folge sein oder das Baby kommt blind oder taub zur Welt."

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) registrierte im Jahr 2022 insgesamt 178.000 Fälle von Syphilis, davon etwa 3760 Babys. Das ist verglichen mit 2012 eine Steigerung um das Zehnfache.

Auch Krisen und Kriege als Ursachen

Dramatisch ist auch die Situation in Entwicklungsländern. Während es in den meisten europäischen Ländern relativ verlässliche Zahlen zu den Infektionsraten gibt, finden sich in Entwicklungsländern kaum umfassende Dokumentationen.

Für sexuell übertragbare Infektionen in Afrika liegen zum Beispiel nur geschätzte Daten vor. "Wir können davon ausgehen, dass gerade in afrikanischen Ländern die sexuell übertragbaren Infektionen deutlich angestiegen sind, denn diese Regionen sind stark von Kriegen, von Dürre und von Migration betroffen, und es gibt kaum medizinische Versorgung", beschreibt Brockmeyer die Situation.

Symptome zeigen sich erst verspätet

Bei der Syphilis treten meist in einem Zeitraum von fünf bis 21 Tagen rote Flecken und Knoten dort auf, wo der Erreger in den Körper eingedrungen ist, also am Penis, am After, der Scheide, nach Oralsex auch im Rachen. Bis zu drei Monate nach der Ansteckung können vergehen, bis sich die Infektion auf diese Weise bemerkbar macht. Das erschwert eine schnelle Diagnose der Syphilis, die auch als das "Chamäleon der Medizin" gilt.

Bei einer Infektion mit Gonorrhö zeigen sich zunächst Rötungen und Schwellungen an der Mündung zur Harnröhre. Beim Urinieren haben Infizierte oft Schmerzen. Hinzu kommt eitriger Ausfluss.

Die weltweit am häufigsten übertragene Geschlechtskrankheit ist die Infektion mit Chlamydien. Weltweit kommt es jedes Jahr zu etwa 127 Millionen Neuinfektionen, so die Schätzung der Weltgesundheitsorganisation. Die Erkrankung verläuft häufig ohne Symptome und wird deshalb häufig erst dann diagnostiziert, wenn ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt und deswegen entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden.

Auch andere sexuell übertragbare Infektionskrankheiten nehmen deutlich zu. Darunter Hepatitis B, eine Erkrankung, die ebenfalls oft nicht sofort diagnostiziert wird. Bei etwa 70% aller mit Hepatitis infizierten Personen verläuft die Erkrankung ohne oder mit unspezifischen Symptomen, wie etwa Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Erst im späteren Verlauf können sich Augen und Haut gelb färben, der Urin kann dunkel werden. In den meisten Fällen heilt Hepatitis B von selbst aus. In seltenen Fällen wird die Infektion allerdings chronisch und kann dann zu Leberzirrhose oder Leberkrebs führen. 

Es gibt immer mehr Resistenzen

Verantwortlich für die Infektion mit einer STI sind verschiedene Erreger, meist Bakterien, die mit Antibiotika behandelt werden können. Und hier nehmen die Resistenzen zu. "Die Infektionen mit resistenten Erregern spielen eine enorm große Rolle", so Brockmeyer.

"Bei Gonokokken, den Auslösern der Gonorrhö, sind die Resistenzraten weiter angestiegen, so dass wir immer häufiger Probleme mit der Therapie haben. Die Frage ist: Welche wirksamen Medikamente stehen uns noch zur Verfügung? Bezüglich Gonokokken sind das recht wenige, und die Situation ist weltweit ähnlich."

Sexuelle Gesundheit immer noch Tabuthema

Nicht nur in Entwicklungsländern, auch in Europa sind viele Menschen nicht ausreichend über sexuell übertragbare Infektionen informiert. "Das Wichtigste ist, dass Diagnosen schnell getroffen werden können. Je früher es eine Diagnose gibt, desto früher kann behandelt werden", sagt Brockmeyer. Sexuelle Gesundheit mache einen großen Teil der allgemeinen Gesundheit aus, aber es sei eben noch immer ein Tabubereich.

Der Glaube, bestimmte Krankheiten seien vor allem ein Problem weit entfernter Länder, täuscht in einer globalisierten Welt. "Corona hat gezeigt, dass Infektionen heute in China sind und morgen schon in Südafrika oder bei uns. Wir müssen Verantwortung für andere Länder übernehmen, die Gesundheitssituation dort verbessern und dafür sorgen, dass es weniger Infektionen gibt", erklärt Brockmeyer. "Das sind Präventionsmaßnahmen, von denen alle Länder profitieren."

Sie könnten auch dabei helfen, das Ziel der Vereinten Nationen zu erreichen. Bis 2030 sollen sexuelle Infektionen stark eingedämmt werden. Bei HIV ist das recht gut gelungen. Da sind die Zahlen sind stabil.

Werden entsprechende Maßnahmen getroffen, könnte das auch zu einem Rückgang der sexuellen Infektionen in Europa und weltweit führen.

Mental Health Report: Immer mehr Menschen psychisch krank

Aktuell leiden rund 31 Prozent der Deutschen unter einer psychischen Erkrankung. Genau so viele sind es in China und Thailand. In den USA haben sogar 40 Prozent mit einer psychischen Erkrankung wie Depression, Angststörung oder einer Essstörung zu kämpfen. So lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des internationalen Meinungsforschungsunternehmen Ipsos.

Das deutsche Versicherungsunternehmen AXA hat die Befragung in Auftrag gegeben und die Ergebnisse im Mental Health Report 2024 veröffentlicht.

 

Für den Report wurden je 1000 Menschen aus 16 Ländern in Europa, Asien und Nordamerika zu ihrem mentalen Gesundheitszustand befragt. Im Vergleich zum Jahr 2023 fällt auf: In den meisten Ländern hat sich die Lage 2024 verschlechtert. In Frankreich, Irland und Mexiko stieg der Anteil der Menschen mit einer psychischen Erkrankung um 6 bis 7 Prozent. In der Türkei sogar um 8 Prozent. Lediglich auf den Philippinen sind 2024 weniger Personen erkrankt als im Jahr davor.

Mentale Gesundheit scheint zudem eine Generationenfrage zu sein: Vor allem junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren gaben besonders häufig an, unter einer psychischen Erkrankung zu leiden. In Irland, der Türkei und den USA sind vor allem die 18- bis 24-Jährigen betroffen. Doch auch in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen führen die USA und die Türkei das Feld an.

 

Laut Report geben 43 Prozent aller befragten Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren an, psychisch krank zu sein. Die häufigsten genannten Erkrankungen sind Depressionen, unter denen 22 Prozent leiden, und Angststörungen wie Phobien oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), von denen ebenfalls 22 Prozent betroffen sind.

Je älter die befragten Menschen, desto seltener die psychischen Erkrankungen: Nur 14 Prozent der 65- bis 75-Jährigen gaben an, aktuell unter Depressionen, Angststörungen und Co. zu leiden.

Die Befragung macht allerdings nicht nur einen Generationen-, sondern auch einen Geschlechterunterschied deutlich: Frauen bezeichnen sich häufiger als psychisch erkrankt als Männer. Das gilt für alle der 16 untersuchten Länder. Und auch hier gilt: Junge Frauen fühlen sich schlechter als ältere.

 

Der Report klärt außerdem darüber auf, wie die befragten Personen zu ihren Angaben kommen. In Deutschland hat eine Mehrheit von 57 Prozent eine Diagnose durch Psychologinnen und Psychiater erhalten. Etwa 17 Prozent sind durch Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen diagnostiziert worden.

Die Anzahl der Deutschen, die sich durch eigene Recherchen - etwa im Internet - selbst als psychisch krank eingeschätzt hat, liegt bei 16 Prozent. In anderen Ländern liegt die Zahl der Selbstdiagnosen teilweise deutlich höher: Auf den Philippinen beispielsweise sind es 60 Prozent und in der Türkei 36 Prozent.

Wenn die Seele krank ist

Die Befragung macht deutlich, wie wichtig professionelle Hilfe im Falle einer psychischen Erkrankung ist: Mit 57 Prozent sagt eine Mehrheit der Befragten aus Deutschland, dass sie sich dadurch erfolgreich von ihrer Erkrankung erholt haben.

Allerdings lässt sich auch rund jede vierte Person aus Deutschland (24 Prozent) gar nicht behandeln. Nur in Japan nehmen mit 25 Prozent noch mehr Menschen keinerlei Behandlung in Anspruch.

Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) zählen "psychische Erkrankungen in Deutschland zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre. Menschen mit psychischen Erkrankungen haben zudem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung."

Akute Hungersnot - was kann unser Körper tun?

Im Gazastreifen herrscht eine Hungersnot. Der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sprach von "schwerer Unterernährung", die zum Tod von bisher zehn Kindern geführt habe. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium spricht von mindestens 15 Kindern die an Unterernährung und Dehydrierung gestorben seien.

Im nördlichen Gazastreifen leben schätzungsweise 300.000 Menschen ohne ausreichend Nahrungsmittel und sauberes Wasser. 

Der Körper ist aufs Überleben programmiert

Langanhaltender Hunger ist eine extreme Belastung für unseren Körper. Doch die Evolution hat den menschlichen Körper darauf trainiert, zur Not wochenlang ohne Nahrung auszukommen. Menschen, die gesund sind und genügend Wasser haben, können bis zu drei Monate ohne Essen auskommen.

Aber das funktioniert nicht bei jedem. Wenn noch andere Faktoren wie Krankheiten hinzukommen, die das Immunsystem zusätzlich schwächen, stehen die Überlebenschancen eines Menschen schlecht.

Das Gehirn kennt die Tricks  

Eine zentrale Rolle spielt das Hungerzentrum im Hypothalamus. Die Stoffwechsel-Zentrale im Gehirn wird aktiv, sobald der Blutzuckerspiel fällt. Als erste Maßnahme sorgt dieser Teil des Gehirns dafür, dass die Nebenniere das Stresshormon Adrenalin ausschüttet. So kann der Mensch alle Kräfte mobilisieren, um erfolgreich auf Nahrungssuche zu gehen. Wird keine Nahrung zugeführt, greift das Gehirn zu Plan B. 

Um zu funktionieren, braucht das Gehirn Traubenzucker, also Glucose. Obwohl das Gehirn nur zwei Prozent der Körpermasse eines Menschen ausmacht, beansprucht es etwa die Hälfte des Glucoseverbrauchs im Körper. Also sichert sich das Gehirn durch einen Trick die gesamten Glucosevorräte.

Das geht so: Ohne Insulin kann Glucose nicht in die Muskeln gelangen. Also gibt das Gehirn das Signal, die Insulinausschüttung zu stoppen. Resultat: Die Muskeln gehen leer aus. Das Gehirn steuert den Stoffwechsel so, dass es selbst überlebt.

Jedes Organ schrumpft während starken Hungers auf etwa die Hälfte seines ursprünglichen Gewichts, bis der Tod eintritt. Nicht so das Gehirn: Es nimmt maximal um zwei bis vier Prozent ab. Kein Wunder, wenn das Gehirn sich die Glucosereserven exklusiv sichert. 

Dauert der Nahrungsentzug weiter an, greift der Körper auf Eiweiß zur Energiegewinnung zurück. Auch diese Maßnahme geht zu Lasten der Muskeln, die zu einem großen Teil aus Eiweiß bestehen. Der Körper kann nämlich aus kleingehackten Eiweißen, den Aminosäuren, Traubenzucker herstellen.

Warum man Hunger riechen kann

Nach acht bis zehn Tagen stellt der Körper seinen Stoffwechsel auf eine Art Energiesparprogramm um: Wesentliche Aktivitäten laufen auf Sparflamme: Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur sinken - ähnlich wie bei einem Tier in Winterschlaf. Bei geringem Nahrungsangebot ist es das Beste, was der Körper machen kann.

Außerdem zapft der Körper seine Fettreserven an. Dazu baut er Fettsäuren zu sogenannten Ketonkörpern um. Diese Ketonkörper sind eine äußerst wichtige Energiequelle und machen das Überleben in Hungerzeiten überhaupt erst möglich, denn sie sind die einzigen Verbindungen, die das Gehirn neben Glucose überhaupt verwerten kann.

Den Umstand, dass der Stoffwechsel eines Hungernden auf die Fettdepots zurückgreift, kann man mitunter sogar riechen. Denn zu den Ketonkörpern, die über die Niere und die Atemluft ausgeschieden werden, gehört auch Aceton mit seinem charakteristischen Nagellack-Geruch.

Je länger der Hunger dauert, umso mehr negative Folgen treten auf: Die Barrierefunktion der Haut lässt nach, das Immunsystem wird schwächer, Entzündungen machen sich breit.

Wenn die Organe versagen

Nach und nach zieht der Körper aus allen lebenswichtigen Organen Gehirnnahrung. Und nach einer Weile besteht der Mensch nur noch aus Haut und Knochen. Die Organe beginnen zu versagen. Das Herz gibt oft als erstes auf. 

Ein Mensch kann Hunger nur dann über längere Zeit überleben, wenn sich der Stoffwechsel - wie oben beschrieben - so umstellt, dass das Gehirn mit weniger Glukose auskommt. Das macht es möglich, die Eiweißreserven in den lebenswichtigen Organen zu erhalten. Damit all dies reibungslos funktioniert, muss der Körper ein erstes Hungersignal geben. Dieses stoppt die Insulinausschüttung. Das aber klappt nicht immer. 

Leidet jemand beispielsweise an Malaria, an AIDS oder anderen Krankheiten, hat er so viele Entzündungsstoffe im Blut, dass die Bauchspeicheldrüse weiterhin Insulin ausschüttet. Das wiederum bedeutet, dass der Hungerstoffwechsel nicht in Gang kommt.

Langfristige Auswirkungen von Hunger

Menschen erholen sich vom Hungern. Einige haben jedoch mit langfristigen physischen und psychischen Auswirkungen zu kämpfen. Dazu können irreversible Organschäden oder Funktionsstörungen, eine beeinträchtigte Immunfunktion und ein Verlust der Knochendichte gehören.

Hungern kann sich auf Hormone wie Insulin, Cortisol und die Schilddrüse auswirken. Bei Menschen, die gehungert haben, besteht oft auch ein höheres Risiko, Magen-Darm-Probleme zu entwickeln. Hungersnot schwächt das Immunsystem und macht den Körper anfälliger für Infektionskrankheiten wie Cholera, Masern und Malaria.

Die Folgen von Hungersnot übertragen sich

Eine Hungersnot überträgt sich von der Mutter auf das Kind. Unterernährte Schwangere können die negativen Auswirkungen des Hungers an ihr Baby weitergeben. 

In einer Studie aus dem Jahr 2022 untersuchten Forschende der Pennsylvania State University in den USA Personen, die dem "holländischen Hungerwinter", einer Hungersnot am Ende des Zweiten Weltkrieges, ausgesetzt waren. Sie wollten die langfristigen Auswirkungen des Hungers auf Kinder untersuchen. Bei allen untersuchten Altersgruppen fanden die Forschenden heraus, dass Unterernährung im Mutterleib schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. 

Babys, die unter solchen Umständen geboren wurden, hatten im späteren Alter ein erhöhtes Risiko für Diabetes, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Fettleibigkeit sowie für Muskel- und Skelettprobleme und Hörschäden. 

Die psychologische Wirkung von Hungern

Mitte der 1940er Jahre machten sich Forscher daran, die Physiologie des Hungerns mit Hilfe eines Experimentes zu analysieren, das heutzutage undenkbar wäre. 

Unter der Leitung des amerikanischen Wissenschaftlers Ancel Keys bekamen 36 Versuchspersonen drei Monate lang nur die Hälfte der Kalorien, die sie eigentlich benötigten.

Die psychologischen Auswirkungen wurden dabei besonders deutlich. Viele Teilnehmer zogen sich zurück und wurden apathisch. Der Hunger überschattete alles. Sie interessierten sich nur noch für Dinge, die mit dem Essen zu tun hatten. Einige träumten sogar von Kannibalismus. Gleichzeitig waren ihre Sinne aufs Äußerste geschärft: Die Versuchspersonen vermochten sehr viel besser zu riechen und zu hören als vor Beginn der Studie. 

Schnelle Hilfe ist nötig

Den Menschen in Gaza helfen die Studien zurzeit wenig. Sie benötigen dringend Hilfe. Viele von ihnen sind akut von Hunger bedroht. Und die Hilfsorganisationen können oft nicht einmal zu den Hilfsbedürftigen vordringen. Der weitverbreitete Mangel an Nahrungsmitteln, an sauberem Wasser sei eine direkte Folge der Barrieren, auf die Hilfsorganisationen treffen. Die Menschen, so UNICEF, seien hungrig, erschöpft und litten unter Schock. 

3D Illustration des menschlichen Gehirns
Das Gehirn steuert den Stoffwechsel so, dass es selbst überlebt. Alle anderen Organe schrumpfen auf etwa die Hälfte des ursprünglichen Gewichts. null magicmine/Zoonar/picture alliance

 

Wenn Sex an mangelnder Libido scheitert

Andrea lebt in Berlin und ist mit Ben zusammen, einem freundlichen, kreativen und hilfsbereiten jungen Mann. Sie hatte allerdings schon bald das Gefühl, dass sie zwar intellektuell kompatibel waren und sich gut unterhalten konnten, aber es gab von Anfang an ein Problem: Er war weniger an Sex interessiert als sie.

Zuerst dachte Andrea, dass er vielleicht nicht wirklich Interesse an ihrer Person hatte. Aber das wies er vehement zurück. Sex stand bei ihm nur wesentlich weiter unten auf der Prioritätenliste als bei Andrea.

"Was unsere zwischenmenschliche Beziehung angeht, gab es nicht viel, was wir hätten ändern sollen", sagt sie. Trotzdem fühlte sie sich in der Beziehung einsam, so als ob etwas fehlte.

Die DW hat ihre Namen geändert, um die Privatsphäre des Paares zu schützen. Aber es ist eine wahre Geschichte - und sie passiert häufiger als man vielleicht denkt. Hier erfahrt ihr, wie du und dein Partner oder deine Partnerin eine glückliche Beziehung aufbauen könnt. 

Charaktereigenschaften sind nicht ausschlaggebend

"Ein unterschiedliches sexuelles Verlangen ist in langfristigen Beziehungen ziemlich unvermeidlich", so Kristen Mark. Sie ist Sex- und Beziehungsforscherin und Professorin für Family Medicine und Community Health an der University of Minnesota Medical School.

Es sei wichtig zu verstehen, dass es für sexuelles Verlangen keine festen Regeln gebe. "Früher dachten wir, dass es eine Eigenschaft ist, die sich im Laufe der Zeit kaum verändert, nach dem Motto 'Ich bin einfach ein Mensch mit geringem Sexualtrieb'", sagt Mark.

Stattdessen verschiebt sich das sexuelle Verlangen mit der Zeit. Das hat Folgen. "Bei zwei Menschen, deren Sexualtrieb sich im Laufe ihres Lebens verändert, wird es Momente oder auch längere Zeiträume geben, in denen es zu einem Missverhältnis kommt", so Mark.

Der Sexualtrieb ist individuell

Mark teilt die Faktoren, welche die Libido beeinflussen, in drei Kategorien ein: individuelle, zwischenmenschliche und gesellschaftliche Faktoren. Zu den individuellen Faktoren gehören zum Beispiel Stress, Gesundheit oder auch Schlafmangel. "Bei manchen Menschen dämpft Stress wirklich das Verlangen. Bei anderen wiederum steigert Stress die Lust", so Mark.

Weibliche Libido: Was treibt die Lust auf Sex bei Frauen?

Zwischenmenschliche Faktoren haben damit zu tun, ob ein Paar in der Beziehung glücklich ist oder ob sie eine starke Anziehungskraft aufeinander ausüben. "Wir hören von vielen Menschen, die denken, sie hätten ein geringes Verlangen, aber in Wirklichkeit steckt dahinter: 'Ich mag meinen Partner einfach nicht so sehr'", erklärt Mark.

"Vor allem in langjährigen Beziehungen haben manche Paare ein Muster entwickelt, wie sie ihren Sex initiieren. Wird man zum Beispiel ein paar Mal abgewiesen, kann sich das sehr negativ auf das sexuelle Verlangen auswirken. Man hat dann einfach keine Lust mehr, sich zu nähern", erklärt Mark.

Andrea erzählt, dass sie diese Erfahrung in ihrer Beziehung mit Ben gemacht habe. Aus Angst, aufdringlich zu wirken oder zurückgewiesen zu werden, verzichtete sie lieber ganz auf Sex mit ihm.

Gesellschaftliche Aspekte sind wichtig

Frauen, die den Großteil der häuslichen Pflichten übernehmen, haben möglicherweise weniger Lust auf Sex mit ihren Partnern. Sie haben vielleicht das Gefühl, dass die Partner nicht ihren gerechten Anteil an der Hausarbeit leisten oder dass ihre Partner aktiv zu ihren Stressgefühlen beitragen.

Sex ohne Scham

Sexuelles Verlangen ist oft nicht das, was wir denken: Ein spontaner Drang, aus heiterem Himmel Sex haben zu wollen. Aber es sei seltener als ein Verlangen, das auf verschiedene Reize reagiert. "Es kann sein, dass man vor dem Sex erstmal keine Lust hat, aber dann fühlt es sich großartig an", sagt Mark.

Fehlende Libido überbrücken

Während sich der Partner oder die Partnerin mit dem stärkeren Sexualtrieb vielleicht einsam fühlt, wird die andere Person möglicherweise als problematisch angesehen. Das wiederum setzt die andere Person unter Druck. Paare, die gut mit diesem Unterschied zurechtkommen, träfen sich in der Mitte, sagt Mark.

Paare sollten "ein wirklich offenes Gespräch über sexuelle Bedürfnisse führen", rät Mark. Es ist wichtig herauszufinden, wie ihre individuellen Bedürfnisse erfüllt werden können, so dass es für beide funktioniert.

Für viele Menschen, so Mark, sei der Wunsch nach Sex in Wirklichkeit ein Wunsch nach Nähe und Intimität. Guter Sex in einer Beziehung kann eine Bestätigung dafür sein, dass man anziehend und gewollt ist. Für manche Paare sind zärtliche Berührungen, die nicht zu Sex führen, eine Möglichkeit, diese Kluft zwischen den verschiedenen Bedürfnissen zu überbrücken.

Einen 'normalen' Sexualtrieb gibt es nicht

Es gebe keine Norm dafür, wie oft man Sex pro Woche hat, sagt Mark. Sie ermutigt die Paare, sich von dem Druck zu befreien, dass ihr Sexualleben "unnormal" sei oder schlechter als das des Paares nebenan sei. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Sex einmal pro Woche der "Sweet Spot" sein könne, also durchaus sinnlich. Aber, so Mark, "das ist wirklich individuell".

Der Text ist ursprünglich auf Englisch erschienen.

Long COVID: Gestörte Blut-Hirn-Schranke für Gehirnnebel verantwortlich?

Inzwischen ist COVID-19 kein Thema mehr, es sei denn, man selber oder nahestehende Menschen leiden unter Long COVID. Dabei ist sogenannter "Brain Fog", also Gehirnnebel, eine der häufigsten und lang anhaltenden Beschwerden bei Patienten mit Long COVID.

Betroffene mit Brain Fog berichten über Probleme bei der Arbeit und im Leben, ihnen fällt Multitasking schwer, sie können sich schlecht an Details, Termine oder Fristen erinnern. Sie können große Informationsmengen schlecht zusammenfassen und sich schlecht auf anstehende Aufgaben konzentrieren. Sie leiden unter Kopfschmerzen oder Schwindel sowie unter einer krankhaften Erschöpfung. Undichte Blutgefäße könnten dafür verantwortlich sein.

Schutzloses Gehirn

Forschende des Trinity Colleges Dublin haben herausgefunden, dass eine Infektion mit dem SARS CoV-2 Virus das Blutversorgungssystems im Gehirn stört. Dadurch werden die Blutgefäße durchlässiger, das Gehirn wird schlechter vor anderen Krankheitserregern und schädlichen Stoffen im Blut geschützt. Denn normalerweise schirmen spezielle Zellen der "Blut-Hirn-Schranke" unser Gehirn vor schädlichen Stoffen und Erregern ab.

"Zum ersten Mal konnten wir zeigen, dass undichte Blutgefäße im menschlichen Gehirn zusammen mit einem hyperaktiven Immunsystem die Hauptursache für Gehirnnebel im Zusammenhang mit Long COVID sein können", erklärte das Team um Matthew Campbell vom Trinity College Dublin im Fachmagazin "Nature Neuroscience".

Der Brain Fog steht also in einem direkten Zusammenhang mit einer sehr starken Immunreaktion, mit der sich der Körper gegen das Virus wehrt. Dies hatte in der vergangene Woche auch eine Studie der Berliner Charité ebenfalls im Fachmagazin "Nature Neuroscience" belegt. Untermauert wurden die Erkenntnisse der Charité mit umfassenden molekularbiologischen und anatomischen Ergebnissen aus Autopsie-Untersuchungen.

Long Covid - Wenn der Gehirnnebel bleibt

Keine Anzeichen für direkte Infektion des Gehirns

Wie genau die Blut-Hirn-Schranke gestört wird, muss noch weiter untersucht werden, aber mittels bildgebender Verfahren konnten die Forschenden die Störung sichtbar machen. Bei dem verwendeten Verfahren, einer sogenannten dynamischen kontrastmittelbasierten Perfusions- Magnetresonanztomografie, zeigte sich, dass bei Patienten mit Brain Fog mehr Kontrastmittel in das Hirngewebe außerhalb der Blutkapillaren gelangt, weil die Blut-Hirn-Schranke gestört ist.

In der Charité-Studie fanden die Forschenden keine Anzeichen für eine direkte Infektion des Gehirns. Allerdings konnte in einigen Fällen das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachgewiesen werden. "SARS-CoV-2-infizierte Nervenzellen haben wir jedoch nicht gefunden", betont Dr. Helena Radbruch, Leiterin der Arbeitsgruppe Chronische Neuroinflammation am Institut für Neuropathologie der Charité.

"Wir gehen davon aus, dass Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen haben und dann ins Gehirn gewandert sind. Sie tragen noch immer das Virus in sich, es infiziert aber keine Gehirnzellen. Das Coronavirus hat also andere Zellen des Körpers, nicht aber das Gehirn befallen."

Gehirn überreagiert auf Entzündung im Körper

Laut Charité-Studie kommt es bei den Betroffenen zu einer Art Überreaktion im Körper. So fahren einige Zellen im Gehirn den sogenannten Interferon-Signalweg hoch, der bei einer viralen Infektion aktiviert wird.

"Vereinfacht interpretieren wir unsere Daten so, dass der Vagusnerv die Entzündungsreaktion in unterschiedlichen Organen des Körpers 'spürt' und darauf im Hirnstamm reagiert - ganz ohne eine echte Infektion von Hirngewebe", resümiert Helena Radbruch. "Auf diese Weise überträgt sich die Entzündung gewissermaßen aus dem Körper ins Gehirn, was dessen Funktion stören kann."

Covid-19: Das Virus und das Gehirn

Wenn die gestörte Blut-Hirn-Schranke für den Gehirnnebel mitverantwortlich ist, könnte dies auch für andere neurologische Erkrankungen von großer Bedeutung sein.

Denn eine Virusinfektion, die das Gehirn schädigt, wird auch zum Beispiel bei Multipler Sklerose (MS) vermutet. Ob auch bei MS eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke vorliegt, will das irische Team vom Trinity College nun eingehender untersuchen.

 

Faktencheck: Abzocke mit Nahrungsergänzungsmitteln?

Immer mehr Menschen weltweit nehmen Nahrungsergänzungsmittel zu sich, weil sie sich davon etwa schönere Haut und Haare, ein gestärktes Immunsystem oder mehr Leistungsfähigkeit versprechen. Magnesium, Vitamin C & Co. sind ein Milliardenmarkt.

Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW setzt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema auseinander: "Das Problem ist, dass sehr viele Menschen Nahrungsergänzungsmittel quasi als eine Art natürliche Arzneimittel empfinden und sie entsprechend zur Therapie, Linderung oder Heilung von Krankheiten einsetzen. Doch der eigentliche Zweck von Nahrungsergänzungsmitteln ist nur, Bausteine zu ergänzen, die wir über unsere Nahrung nicht ausreichend zu uns nehmen."

Kaufen Konsumentinnen und Konsumenten Nahrungsergänzungsmittel, die ihnen nichts bringen, so geben sie im besten Fall Geld für Unsinn aus - doch manche Stoffe können im Übermaß auch schädlich sein, wie Vitamin D, Jod oder Selen.

Wofür brauchen wir Vitamine und Mineralstoffe?

Zudem werden Nahrungsergänzungsmittel, eben weil sie keine Medikamente sind, viel weniger kontrolliert. Sie können auf den Markt gelangen, ohne zuvor auf Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit geprüft worden zu sein. Deshalb enthalten Nahrungsergänzungsmittel nicht immer die Inhaltsstoffe oder die Menge davon, die auf der Packung steht. Es finden sich auch immer wieder gefährliche und verbotene Substanzen.

Und was in den Sozialen Netzwerken über Nahrungsergänzungsmittel gesagt wird, wird noch viel schlechter überwacht. Falsche Gesundheitsversprechen sind überall - wie auch eine stichprobenartige Untersuchung Hunderter Posts und Stories 2021 zeigte.

DW Faktencheck hat selbst in den Sozialen Netzwerken nach Aussagen zu Nahrungsergänzungsmitteln gesucht - und drei Fälle beispielhaft analysiert.

Schlauer dank Ginko, Bacopa monnieri, L-Theanin und Magnesium L-Threonat?

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In dem TikTok-Video heißt es: "Ja Nahrungsergänzungsmittel können dich schlauer machen"

Behauptung: In diesem Video mit circa 1,7 Millionen Views behauptet eine TikTokerin: "Du bist nicht dumm, du hast nur nicht genug Zirkulation in deinem Gehirn, was dich davon abhält, dich zu fokussieren und zu konzentrieren. Es führt auch zu schlechter Erinnerung." Ihre Top 4 der Nahrungsergänzungsmittel dagegen seien Ginko, Bacopa monnieri, L-Theanin und Magnesium L-Threonat.

DW-Faktencheck: Falsch

Bessere Denkleistung und Konzentration dank dieser Nahrungsergänzungsmittel - das ist leider zu schön, um wahr zu sein. Ernährungswissenschaftlerin Friederike Schmidt von der Universität Lübeck hat sich das Video für uns angeschaut und sagt: "Die TikTokerin nennt zwar sehr konkrete Stoffwechselmechanismen und erscheint erst einmal kompetent." Aber in Wahrheit wisse man bei den genannten Präparaten "an vielen Stellen eigentlich noch überhaupt nicht, was sie machen und ob sie überhaupt helfen".

So ist zum Beispiel eine Behauptung im Video, dass der Pflanzenextrakt Bacopa monnieri die Level des Neurotransmitters Acetylcholin im Gehirn steigere, was die Gedächtnisleistung verbessere. "Das ist an den Haaren herbeigezogen. Man hat noch keine methodisch gute Studie durchgeführt, geschweige denn mehrere, in denen die Personen diesen Pflanzenextrakt bekommen haben, mehr Acetylcholin im Gehirn hatten und sich dann auch noch besser erinnern konnten."

Studien heranzuziehen, die in Wahrheit kaum Aussagekraft haben, hat Methode beim Bewerben von Nahrungsergänzungsmitteln, wie auch Angela Clausen weiß. "Die präsentierten Studien sind in der Regel  - bezogen auf das Produkt - eine Katastrophe."

Insgesamt sind die Aussagen der Tiktokerin alles andere als wissenschaftlich stichhaltig. Dass ihre "Top 4 der Nahrungsergänzungsmittel" die Gehirnleistung wie von ihr beschrieben steigern, ist nicht belegt.

Wundermittel Kurkuma - wirklich?

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Dieses Video empfiehlt jeden Morgen Kurkumapulver in Wasser aufgelöst mit Limette zu trinken

Behauptung: Laut diesem spanischsprachigen Video mit über 1,5 Millionen Views hilft Kurkuma - als Pulver in Wasser aufgelöst - gegen Hautekzeme. Es soll zudem den Körper entgiften sowie Arthritis verhindern und das Risiko für Krebs verringern. Ähnliche Behauptungen finden sich etwa hier und hier.  

DW-Faktencheck: Falsch

Auch wenn der Kurkumaknolle als Gewürz schon lange verdauungsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden: "Diese ganzen Claims sind unzulässig, die Studienlage gibt das nicht her", sagt Angela Clausen von der Verbraucherzentrale. Es gebe zwar Untersuchungen zum Inhaltsstoff Curcumin. Aber für die in den Produkten verwendeten, nicht exakt definierten Extrakte gebe es keine "Goldstandardstudien". Also Studien am Menschen, bei der weder Anwender noch Nutzer gewusst hätten, wer Placebo und wer das wirksame Präparat bekommen habe und die im Idealfall von mindestens einer weiteren Studie einer anderen Arbeitsgruppe bestätigt werden.

Untersuchungen zeigten lediglich, dass ein bestimmter Kurkuma-Extrakt in einer bestimmten Dosierung im Reagenzglas entzündungshemmend wirkt. Aber solche Wirkungen lassen sich dann eben nur auf genau diesen Extrakt in genau dieser Dosierung beziehen, nicht auf Kurkuma insgesamt. Und: beim Menschen kann etwas vollkommen anderes herauskommen als im Labor.

Auch Ernährungswissenschaftlerin Schmidt erklärt: "Wir sind weit weg davon zu sagen, Kurkuma hilft auf jeden Fall." Als besonderes Problem führt die Expertin an, dass Curcumin sehr reaktionsfreudig ist. Es interagiert also im Labor mit vielen anderen Stoffen - deshalb wohl auch die nachgesagte Wirkung gegen so viele verschiedene Krankheiten und Probleme - doch für die Wirkung am Menschen hat das erst einmal nichts zu bedeuten.

Bessere Haut, Haare, Nägel und Gelenke dank Kollagen?

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Diese TikTokerin erzählt, ihre Haut habe sich entscheidend verbessert, seit sie Kollagenpulver zu sich nimmt

Behauptung: Kollagen wird in den Sozialen Netzwerken ebenfalls viel Positives zugeschrieben. Es soll laut diesem viralen Video für straffere Haut, stärkere Nägel sowie glänzenderes und kräftigeres Haar sorgen, und laut diesem TikTok-Clip zudem die Gelenke unterstützen. 

DW-Faktencheck: Falsch

Kollagen ist ein körpereigenes Eiweiß, das wichtig für Knochen, Gelenke, Muskeln und Sehnen ist. Nahrungsergänzungsmittel mit Kollagen sind deshalb tierisch und meist wohl aus Schlachtabfällen gewonnen. Wie gut der Körper von außen zugeführtes Kollagen verwerten kann, ist nicht gesichert. Selbst zum wohl bekanntesten vermuteten Effekt von Kollagen - einer verjüngenden Wirkung für die Haut - besteht laut einer Meta-Studie von 2023 noch weiterer Forschungsbedarf. 

"Für Kollagen ist keines dieser Werbeversprechen in der EU zugelassen, und das zur Gelenkgesundheit schonmal gar nicht", sagt Angela Clausen. Es gebe keine aussagekräftigen Belege für eine entsprechende Wirkung. Gegen die Aussage "Gesunde Knochen und Gelenke" des Herstellers von "Glow25 Collagen Pulver" hat die Verbraucherzentrale 2022 sogar erfolgreich auf Unterlassung geklagt. Auch bezüglich Versprechen zu Haut, Haaren und Nägeln erkannte der Anbieter an, dass sie unzulässig sind. Dennoch sind viele Postings mit entsprechenden Aussagen online. 

Fazit: Konsumenten werden hinters Licht geführt

Bei Nahrungsergänzungsmitteln ist es nicht einfach, den Hype von der Wahrheit zu trennen. Insgesamt sind die Aussagen in den Sozialen Netzwerken aber oft übertrieben, unwissenschaftlich oder sogar verboten. Natürlich können Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein, etwa Eisen, wenn man einen Eisenmangel hat. Aber "in vielen Fällen sehen wir einfach, dass die Menschen Geld für Dinge ausgeben, die sie nicht bräuchten", so Friederike Schmidt. Es sei eben eine "total verlockende Vorstellung, dass man mit ein paar Kapseln oder Pülverchen etwas für seine Gesundheit tun kann". 

Mitarbeit: Julia Vergin

Cannabis am Steuer: Warum lässt sich ein THC-Grenzwert schwer festlegen?

Ab April 2024 soll Cannabis in Deutschland freigegeben werden, parallel dazu soll auch ein neuer gesetzlicher THC-Grenzwert für den Straßenverkehr vorliegen. Geplant ist ein Grenzwert für den Wirkstoff THC im Blut - so wie die 0,5-Promille-Grenze beim Alkohol.

Gegenwärtig liegt der Grenzwert in Deutschland bei 1 Nanogramm (ng) THC pro Milliliter Blut. Aber wieso ist der Grenzwert in Frankreich nur halb so hoch und in den Niederlanden dreimal so hoch?

Warum ist ein Cannabis-Grenzwert schwer festzumachen?

Dass der Konsum von Cannabis das Fahrverhalten beeinflussen kann, ist unbestritten: Cannabis enthält psychoaktive Substanzen wie Tetrahydrocannabinol (THC), die auf das zentrale Nervensystem wirken und für die Rauschwirkung verantwortlich sind.

Aber im Gegensatz zu Alkohol, dessen Auswirkungen relativ schnell spürbar sind und mit der Blutalkoholkonzentration korrelieren, kann die Wirkung von Cannabis verzögert auftreten und auch nach dem Konsum noch einige Zeit anhalten.

Anders als beim Alkohol, bei dem eine bestimmte Blutalkoholkonzentration (BAC) relativ zuverlässig mit einem bestimmten Grad der Beeinträchtigung und einem erhöhten Unfallrisiko korreliert, ist die Beziehung zwischen der im Blut gemessenen THC-Konzentration und der Fahrfähigkeit weniger klar. Es gibt keine eindeutige Schwelle, ab der jemand sicher fahren kann oder nicht.

Auch deshalb ist es schwierig, einen einheitlichen Grenzwert für Cannabis im Straßenverkehr festzulegen, der sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praktisch anwendbar ist.

Cannabis-Blatt auf Ampel
Der Konsum von Cannabis beeinflusst das Fahrverhalten, aber wo liegt die Grenze?null Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Warum schwankt der THC-Gehalt?

Beim Kiffen steigt die THC-Konzentration im Blut zunächst stark an, fällt dann aber erst mal ebenso schnell wieder ab. Denn das THC verteilt sich im gut durchbluteten Gewebe wie der Lunge, dem Herz, der Leber oder dem Gehirn und lagert sich zunächst im Fettgewebe ab. Von dort gelangt es dann in den kommenden Tagen und Wochen wieder zurück in die Blutbahn. Deshalb lässt sich Cannabis-Konsum auch noch Wochen später nachweisen.

Die Art, wie Cannabis konsumiert wird, beeinflusst die Geschwindigkeit und die Konzentration von THC im Blut. Das Rauchen von Cannabis führt zu einer schnelleren Aufnahme von THC und zu höheren Konzentrationen im Blut. Nach dem Verzehr von Cannabisprodukten wie Keksen oder Tees muss THC zuerst durch den Verdauungstrakt gehen und dann von der Leber metabolisiert werden, bevor es in den Blutkreislauf gelangt. Die Wirkung kann erst nach 30 Minuten bis zu mehreren Stunden eintreten. Obwohl die Wirkung langsamer eintritt, kann sie auch länger anhalten, da THC durch den Verdauungstrakt langsamer abgebaut wird.

Aber die Auswirkungen von Cannabis auf die kognitive Funktion, auf Koordination, Reaktionszeit und Wahrnehmung können je nach individueller Empfindlichkeit und Konsumgewohnheiten stark von Person zu Person variieren. Und damit auch die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeugs.

Wie vermindert Cannabis die Fahrtüchtigkeit?

Häufig fallen bekiffte Fahrer auf, weil sie besonders langsam fahren. Sie bemerken ihre Einschränkungen selber und wollen sie kompensieren - statt den Wagen stehen zu lassen.

Denn Cannabis kann die Reaktionszeiten verlangsamen. Fahrer reagieren also möglicherweise langsamer auf verändernde Verkehrssituationen, zum Beispiel beim Bremsen oder Ausweichen von Hindernissen. Außerdem mindert Cannabis-Konsum die Aufmerksamkeit und Konzentration. Fahrer können wichtige Verkehrsschilder, Fußgänger oder andere Fahrzeuge übersehen.

Der Konsum von Cannabis kann aber auch das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Fahrer treffen dann riskantere Entscheidungen, fahren zu schnell oder ignorieren Vorfahrtsregeln. Die motorischen Fähigkeiten können durch den Cannabis-Konsum eingeschränkt und die Raum- und Zeitwahrnehmung verändert werden. Fahrer können dann die Geschwindigkeit und Entfernung anderer Fahrzeuge schwerer einschätzen.

Welche Regeln gelten international?

Die Regelungen zum Cannabiskonsum im Straßenverkehr variieren je nach Land erheblich.

Einige Länder wie Schweden haben eine Nulltoleranzpolitik im Straßenverkehr, egal ob Cannabis oder Alkohol, jeglicher Nachweis von Drogen im Blut kann also zu strafrechtlichen Konsequenzen führen, unabhängig von der Menge oder von einer tatsächlichen Beeinträchtigung.

Andere Länder haben festgelegte Grenzwerte für den THC-Gehalt im Blut oder im Speichel. Die variieren aber erheblich je nach Land. Frankreich: 0,5 ng/ml THC im Blut, Schweiz: 1,5 ng/l THC im Blut, Niederlande: 3 ng/ml THC im Blut.

Ein Polizist zeigt einen positiven Drogen-Test auf THC (Cannabis) eines Autofahrers.
Die Regelungen zum Cannabiskonsum im Straßenverkehr variieren je nach Land erheblich.null Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Einige Länder verwenden kombinierte Ansätze, bei denen neben festgelegten Grenzwerten auch Verhaltensbeobachtungen und standardisierte Feldtests durchgeführt werden, um die Fahrtauglichkeit zu bewerten. Dies ist beispielsweise in den USA der Fall, wo einige Bundesstaaten Grenzwerte für THC im Blut haben, aber auch die Möglichkeit besteht, eine Fahruntüchtigkeit aufgrund von Verhaltensindikatoren festzustellen.

Warum braucht es einen Grenzwert?

Grenzwerte im Straßenverkehr dienen als objektive Maßnahme, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten, unabhängig davon, ob eine Person subjektiv glaubt, dass sie noch fahrtüchtig ist.

Selbst wenn regelmäßige Cannabis-Konsumenten wie auch Alkohol-Konsumenten individuell keine Verhaltensauffälligkeiten zeigen, braucht es einen verbindlichen Grenzwert. Und wenn ein Grenzwert bei Cannabis wissenschaftlich schwer zu bestimmen ist, muss diese Obergrenze dann eben politisch durch den Gesetzgeber festgelegt werden.

 

Der Artikel wurde zuletzt am 11.03.24 aktualisiert

Türkei: Das Geschäft mit den Schönheits-OPs

"Eine Nasenkorrektur wollte ich seit meinem 13. Lebensjahr haben. Ich hatte gehört, dass türkische Ärzte sehr gut darin sein sollen. Ein paar Freundinnen von mir hatten ähnliche Operationen; sie waren sehr zufrieden."

Deshalb, und weil es günstig war, entschied sich die 28-jährige US-Amerikanerin Benita Paloja für eine Nasen-OP in der Türkei. 5000 Dollar habe sie dafür gezahlt; bereits eine Woche nach dem Eingriff durfte sie wieder heimfliegen.  

Die junge Frau, die hauptberuflich im Finanzsektor tätig ist und nebenbei als Model jobbt, blickt zufrieden zurück. Heute habe sie ein größeres Selbstbewusstsein und bekomme als Model mehr Aufträge als früher. Begeistert erzählt sie auch von der Rundumbetreuung in der Klinik, in der sie war. Noch immer stehe sie mit dem Ärzteteam in Kontakt. "Ich hätte mich auch in den USA operieren lassen und 30.000 Dollar dafür zahlen können, aber die Betreuung und Hilfsbereitschaft, die ich in der Türkei bekam, hätte ich hier sicher nicht gehabt", glaubt sie.

Benita Paloja posiert mit ihrem Hund, die 28-jährige umarmt ihren Hund, hat rote Jacke an und eine graue Kepi.
Benita Paloja ist mit dem Ergebnis ihrer Nasen-OP zufrieden null privat

Seit der Corona-Pandemie erlebt die Türkei einen echten Boom im Gesundheitstourismus. Laut der zuständigen staatlichen Agentur USHAS waren im Jahr 2021 mehr als 670.000 Patienten aus dem Ausland in der Türkei und nahmen eine Gesundheitsleistung in Anspruch. Ein Jahr später kletterte die Zahl auf über 1,25 Millionen, ein Anstieg von 88 Prozent. In den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres blieben die Zahlen auf vergleichbarem Niveau.       

Entsprechend hoch sind auch die Einnahmen türkischer Gesundheitseinrichtungen aus diesem Geschäft: Sie beliefen sich 2022 auf mehr als zwei Milliarden US-Dollar. In der ersten Jahreshälfte 2023 sanken sie zwar leicht, dies ist aber Experten zufolge vor allem auf das verheerende Erdbeben vom Februar 2023 zurückzuführen, bei dem mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen.

Deutsche in Türkei an erster Stelle

Laut Internationaler Gesellschaft für Ästhetische und Plastische Chirurgie (ISAPS) stammten die meisten ausländischen Gäste 2022 aus Deutschland, gefolgt von Großbritannien und der Schweiz. Die beliebtesten Eingriffe im nicht chirurgischen Bereich waren Behandlungen mit Botox und Hyaluronsäure gegen Falten. Im OP-Bereich belegten Fettabsaugungen, Nasenkorrekturen und Brustvergrößerungen die ersten drei Plätze.

Auch für Beinverlängerungen wird die Türkei immer attraktiver. Vor allem Männer aus dem Westen, die mit ihrer Größe unzufrieden sind, legen sich am Bosporus unters Messer. So wie der 31-jährige Ash* aus den USA. Mit der Proportion seines Körpers sei er immer unglücklich gewesen. Nun sei er stolze 1,84 Meter groß - und damit zwölf Zentimeter größer als früher. Und er fühle sich besser. "Es war sehr schmerzvoll und die Genesungsphase dauerte unfassbar lang", erinnert er sich, aber für ihn habe es sich gelohnt. Die OP, sagt Ash, habe seine Chancen beim Flirten verbessert und er genieße mehr Respekt.

Der erfahrene Orthopäde Yunus Öc aus Istanbul hat nach eigenen Angaben allein in den vergangenen zwei Jahren mehr als 200 Beinverlängerungs-OPs durchgeführt. "Früher habe ich diesen Eingriff eher aus medizinischer Notwendigkeit vorgenommen, nach einem Unfall oder aufgrund von Wachstumsstörungen oder Kleinwüchsigkeit", sagt er. In den vergangenen Jahren kämen immer mehr Menschen aus ästhetischen Gründen zu ihm. Er geht davon aus, dass die Zahl dieser Eingriffe in den kommenden drei bis fünf Jahren weiter ansteigen wird. Zugleich warnt er davor. Denn anders als eine Nasen- oder Brust-OP sei eine Beinverlängerung folgenreicher, wenn am Ende der gewünschte Erfolg ausbleibe.  

Bodymodification - gefährlicher Schönheitstrend

Vergiftungsfälle wegen Magen-Botox

In der Tat häuften sich in jüngerer Zeit Meldungen über Komplikationen bei Schönheits-OPs in der Türkei. Vor einem Jahr meldete das Robert-Koch-Institut etwa 27 Vergiftungsfälle nach einer Magenbehandlung mit Botox. Dieses wird in die Magenwand gespritzt, um ein längeres Sättigungsgefühl zu erzeugen. Die Methode führte allerdings bei einigen Patienten zu gravierenden Nebenwirkungen. In den besagten Fällen kam es zu Muskelschwäche, verschwommenem Sehen, Atembeschwerden und vereinzelten Lähmungserscheinungen.

Auch ein "Brazilian Butt Lift" in Istanbul endete Mitte Januar tödlich. Eine dreifache Mutter aus England erlitt vier Tage nach einer Operation einen Herzinfarkt - ausgelöst durch eine Fettembolie, berichteten britische Medien. Bei dem sogenannten "Brazilian Butt Lift" wird das Gesäß mit eigenem Fett aufgepolstert und vergrößert, was bei der jungen Mutter zum Tod führte.

Türkei ist viel günstiger

Warum gibt es immer wieder solche Fälle? Sind die Ärzte oder Kliniken in der Türkei nicht kompetent genug? Dr. Susanne Punsmann, Expertin von der Verbraucherzentrale des Landes Nordrhein-Westfalen, rät von Pauschalisierungen ab. "Es gibt in der Türkei, wie überall, gute und schlechte Einrichtungen", betont sie und gibt zu bedenken, dass der Begriff "Schönheitschirurg" gesetzlich nicht geschützt sei. Daher empfiehlt sie Interessierten, sich vor einem geplanten Eingriff gründlich zu erkundigen, über welche Qualifikationen die behandelnden Ärzte verfügen oder wie oft sie die geplanten Eingriffe bereits durchgeführt haben. Sie weist auch darauf hin, dass Ärzte mit einer entsprechenden Qualifikation "Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie" heißen. "Aber auch andere Ärzte - oftmals sind es Chirurgen, Haut- oder Frauenärzte - dürfen Schönheitsoperationen durchführen", fügt sie hinzu.

Wichtig sei auch zu schauen, ob der Arzt oder die Klinik eine Zertifizierung nach europäischen Standards habe, etwa das ISO-Zeichen, das unter anderem auf eine regelmäßige Kontrolle der Praxis hinweise. Aber auch über das verwendete Material oder das genutzte Labor sollten sich die Patienten informieren.

Im Bild sieht man eine Hüfte kurz vor dem Fettabsaugen. Die Stelle ist markiert, darauf die Hand eines Arztes mit Handschuhe.
Türkische Praxen und Kliniken versuchen, mit niedrigen Preisen und aggressiver Werbung weltweit mehr Kunden ins Land zu lockennull Jens Schierenbeck/dpa Themendienst/picture alliance

Vorsicht vor den illegalen Praxen

Auch Ali Ihsan Ökten vom Türkischen Ärzteverband (TTB) mahnt zur Vorsicht bei nicht zertifizierten Praxen oder Kliniken. Seiner Meinung nach führt der starke Boom im Gesundheitstourismus zu einer wachsenden Kommerzialisierung.

Tatsächlich ist der Markt hart umkämpft. Mit aggressiver Werbung, SMS und WhatsApp-Nachrichten und niedrigen Preisen versuchen Kliniken, auch weltweit mehr Kunden anzulocken. "Entscheidendes Kriterium für eine Behandlung in der Türkei ist oft der günstige Preis. Einsparungen von bis zu 70 Prozent sind möglich", so Verbraucherschutzexpertin Punsmann: Eine Brustvergrößerung koste in Deutschland mindestens 4500 Euro, in der Türkei gibt es sie hingegen schon für 2500 Euro. In Düsseldorf koste eine Magenverkleinerung etwa 12.500 Euro, in der Türkei hingegen nur ein Drittel des Betrages. Gerade bei sehr kostenintensiven Eingriffen lasse sich in der Türkei eine Menge Geld sparen und dies erhöhe bei vielen Interessierten die Risikobereitschaft.

*Name von der Redaktion geändert.

Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan: Viele Kinder schwer krank

Sobald die Sonne aufging, verließ Nicolas Aschoff das Quartier von "Ärzte ohne Grenzen" und machte sich auf den Weg ins Regionalkrankenhaus in Mazar-i-Sharif im Norden Afghanistans. Bis Sonnenuntergang arbeitete der Kinderarzt mit mehr als 20 lokalen Assistenz- und Fachärzten auf der Kinderintensivstation und in der pädiatrischen Notaufnahme des Krankenhauses. Viele der jungen Patienten und Patientinnen waren schwer krank, die Stationen ständig überfüllt.

"Die Situation war schon vor der Machtübernahme der Taliban schlecht und die Kindersterblichkeit sehr hoch", sagt Aschoff nach seiner Rückkehr aus Afghanistan. Doch seit die Taliban an der Regierung sind, habe sich die Lage nochmal deutlich verschlechtert. "Das liegt vor allem daran, dass die internationale Gemeinschaft weniger Geld zur Verfügung stellt."

Seit August 2023 versucht die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" mit Hilfe des Projektes in Mazar-i-Sharif die desolate Gesundheitssituation von Kindern und Neugeborenen zu verbessern. Es fehlt an Geld und Fachpersonal. Vor allem aber fehlt es den Menschen an ausreichend Nahrungsmitteln.

Humanitäre Krise in Afghanistan

Unterernährte Kinder sterben am häufigsten

"Viele Schwangere sind schon mangelernährt", sagt Aschoff. Die Bedingungen für deren Kinder seien schwer. "Es sind die Frühgeburten und die magelernährten Kinder, die wir am häufigsten verlieren", sagt der Kinderarzt. Für die geschwächten kleinen Körper sei jede Infektion potentiell tödlich. Masern, Tuberkulose oder auch das RS-Virus sind lebensgefährlich.

Die Mediziner behandeln nicht nur viele Krankheiten, deren Hauptursache Armut und Hunger sind. Auch Durchfallerkrankungen durch verunreinigtes Trinkwasser sind an der Tagesordnung. "Vergiftungen durch toxische Substanzen aus den Restbeständen der Streitkräfte wie Farbe, Treibstoff und andere ätzende Stoffe sehen wir ebenfalls sehr häufig", sagt Aschoff.

Kinderkrankenhaus ständig überbelegt

Rund 3000 Kinder kommen jeden Monat in die neu eingerichtete pädiatrische Notaufnahme des Krankenhauses. Die Station für schwerkranke Neugeborene bietet Platz für 27 Babys - allerdings ist sie ständig überbelegt: oft müssen in den Bettchen und Brutkästen über 60 Kinder, die intensivmedizinisch betreut werden, gleichzeitig untergebracht werden. "Gerade für Infektionskrankheiten ist das ziemlich ungünstig", sagt Aschoff. Auch die Qualität der Behandlung leide, wenn die Stationen permanent überfüllt sind.

Mit Hilfe eines sogenannten Triagesystems schätzen Ärzte die Schwere der Erkrankung ein und entscheiden, welche Kinder auf der Intensivstation für Säuglinge behandelt werden müssen und welche auf der normalen Kinderstation behandelt werden können. "Das ist eine gängige Praxis in jeder Notaufnahme und nicht zu verwechseln mit der Not-Triage, über die während der Corona-Pandemie viel die Rede war", erklärt Aschoff. Alle Kinder würden medizinisch versorgt.

Um eine Priorisierung vornehmen zu können, werden den Kinder verschiedene Farben zugewiesen, die Auskunft über ihren Gesundheitszustand geben. "Grün triagierte Kinder sind nicht ernsthaft krankt, deshalb verweisen wir sie an einen lokalen Kinderarzt", erklärt Aschoff. "Gelbe Kinder" bleiben im Krankenhaus und werden von `Ärzte ohne Grenzen´ behandelt. Um die schwersten Fälle, die rot triagierten Kinder, hat sich Nicolas Aschoff selbst gekümmert oder seine lokalen Kollegen und Kolleginnen in der Akutbehandlung angeleitet.

Wenn Aschoffs Schicht im Krankenhaus zu Ende war, kümmerte er sich im Quartier der Hilfsorganisation um die Ausbildung lokaler Ärzte und Ärztinnen. "Ziel von `Ärzte ohne Grenzen´ ist, sich überflüssig zu machen", sagt der Mediziner. Damit das funktionieren kann, arbeitet die Organisation mit dem Gesundheitsministerium zusammen. Auch das ist mittlerweile von den Taliban geführt.

Zusammenarbeit mit Taliban schwierig, aber notwendig

Wenn "Ärzte ohne Grenzen" das Krankenhaus und das Land wieder verlässt, wollen sie sichergestellt wissen, dass die aufgebauten Strukturen weiterbestehen, damit kranke Kinder behandelt werden können. Das funktioniere nur mit Rückendeckung durch die Taliban-Regierung.

Afghanische Mädchen sehnen sich nach Schule

Erschwert wird diese Zusammenarbeit unter anderem dadurch, dass die Taliban den Frauen ein Berufsverbot erteilt haben. Die Leitlinien von "Ärzte ohne Grenzen" sehen allerdings vor, keinerlei Geschlechterunterschiede zu machen. Frauen gehörten zu Aschoffs Ärzteteam dazu und nehmen genau wie ihre männlichen Kollegen an den Fortbildungen teil.

Zwar seien Frauen, die im medizinischen Bereich arbeiten, teilweise vom Berufsverbot ausgenommen, sagt Aschoff. "Dennoch war das Thema Gegenstand andauernder Diskussionen." 

Nicolas Aschoff glaubt dennoch, dass die Arbeit in der Klinik auch dann fortgesetzt werden kann, wenn "Ärzte ohne Grenzen" das Projekt für beendet erklärt und sich zurückzieht. "Die afghanischen Kollegen sind unglaublich motiviert und haben eine gute Ausbildung", sagt Aschoff.

Allerdings sei es ebenso wichtig, dass dem afghanischen Gesundheitswesen genügend Geld zur Verfügung steht, um kranke Kinder behandeln zu können, so Aschoff. "Die internationale Gemeinschaft sollte Afghanistan nicht die Hilfe entziehen", findet der Kinderarzt.

Masern: Eine tödliche Krankheit, die verhindert werden kann

Die Zahl der durch Masern verursachten Todesfälle ist im Jahr 2023 um 40 Prozent gestiegen, warnen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) in einem gemeinsamen Bericht, der im November 2023 veröffentlicht wurde. Auch hier hat die COVID-19-Pandemie ihre Spuren hinterlassen. 

Als "erschütternd, aber leider nicht unerwartet angesichts der sinkenden Impfraten, die wir in den letzten Jahren erlebt haben," bezeichnet John Vertefeuille, der Direktor des Bereiches für globale Impfkampagnen der CDC, den Anstieg.

Die Ausbreitung des Virus im Jahr 2023 führte zu Epidemien in 37 Ländern. Neun Millionen Kinder erkrankten und 136.00 Menschen starben, vor allem in ärmeren Ländern, so die WHO und CDC. Sie rufen die weltweiten Gesundheitssysteme dazu auf, ihre Impfanstrengungen zu verstärken, auch in reicheren Regionen wie den USA und Europa.

Denn auch in Europa stiegen die Masernfälle im Jahr 2023 auf mehr als 42.000. Dies entspricht einem Anstieg um das 45-fache gegenüber dem Vorjahr.

Impfmüdigkeit durch COVID-19-Pandemie

Dabei war die Zahl der Masernfälle seit den 1980er Jahren weltweit rückläufig. Nach Angaben der WHO ist dies vor allem auf die Impfprogramme zurückzuführen, die allein in den letzten 20 Jahren potentiell mehr als 50 Millionen Menschenleben gerettet haben.

Während es in den 1980er Jahren weltweit noch bis zu vier Millionen Masernfälle pro Jahr gab, waren die Infektionsraten Anfang der 2020er Jahre auf einige Hunderttausend gesunken. 

In Deutschland liegt die Inzidenz bei Masern seit 2020 unter der von der WHO geforderten Inzidenz von 1 Fall pro 1 Million Einwohner. Dies dürfte auch auf die Masern-Impfpflicht zurückzuführen sein, die seit März 2020 in Deutschland gilt. Gleichwohl steigen auch hierzulande die Zahlen derzeit leicht an.

Masern wieder auf dem Vormarsch

Der jüngste Anstieg zeigt: Die Masern sind noch nicht verschwunden oder gar ausgerottet. Und das liegt laut WHO vor allem daran, dass sich die Menschen - insbesondere Kinder - nicht impfen lassen: "Wo Kinder nicht geimpft sind, kommt es zu Ausbrüchen".

Die Masern-Impfrate sei "suboptimal", gab auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) am 16. Februar 2024 bekannt. Laut ECDC wird die Anzahl der Masernfälle in der Europäischen Union und im europäischen Wirtschaftsraum in den kommenden Monaten weiter steigen, weil nicht genug geimpft worden sei.

Die Gesundheitsbehörde sagt, es bestehe eine "hohe Wahrscheinlichkeit, dass Masern aus Gebieten, wo sie häufig vorkommen, importiert werden". Die kommenden Monate seien die Hochzeit für das Masernvirus.

"Niemand sollte an Masern sterben", sagt ECDC Direktorin Andrea Ammon. "Impfungen sind eine sichere und effektive Methode, vermeidbare Tode zu verhindern."

Masern bleiben gefährlich

Die Krankheit ist hoch ansteckend und potenziell tödlich, aber es gibt keine spezifische Behandlung für Masern. Eine Vorbeugung durch eine Impfung gilt daher als beste Möglichkeit, die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Allerdings hat die COVID-19-Pandemie diesen Bemühungen einen Strich durch die Rechnung gemacht, sodass die Fallzahlen sprunghaft angestiegen sind.

Laut CDC wurden in den ersten beiden Jahren der Pandemie etwa 61 Millionen Masernimpfungen verschoben oder versäumt. Dies deckt sich mit anderen Daten der WHO, wonach im Jahr 2021 schätzungsweise 128.000 Menschen an Masern starben, die meisten davon waren ungeimpfte oder unzureichend geimpfte Kinder unter fünf Jahren.

Was sind die Symptome von Masern und wer ist am meisten gefährdet?

Die Symptome ähneln denen einer Erkältung: hohes Fieber, Husten, laufende Nase. Außerdem zeichnen sich Masern durch einen Ausschlag am ganzen Körper aus.

Die Krankheit kann zu Lungenentzündung, Durchfall, Taubheit, Blindheit, Hirnschäden und in den schlimmsten Fällen zum Tod führen.

Masern werde oft in Kombination mit Röteln und Mumps beschrieben, weil die Symptome, die sie verursachen, ähnlich sind. 

Wo kann man sich mit Masern anstecken?

Masern werden durch Viren ausgelöst. Wie bei vielen anderen Virusinfektionen erfolgt die Übertragung häufig über Husten und Niesen - als sogenannte Tröpfcheninfektion.

Aber auch in schlecht belüfteten Räumen kann sich das Virus verbreiten, da es in der Luft und auf Oberflächen bis zu zwei Stunden lang aktiv und ansteckend bleiben kann.

Nach Angaben der WHO kann das Masernvirus von einer infizierten Person auf neun von zehn weiteren - ungeimpften - Personen übertragen werden, mit denen die infizierte Person engen Kontakt hat.

Grundsätzlich kann sich jeder mit Masern anstecken, Kinder sind jedoch besonders gefährdet.

Nach Angaben der WHO sind auch Flüchtlinge einem besonders hohen Masernrisiko ausgesetzt. So hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) seine Besorgnis über die Ausbreitung von Masern und anderen vermeidbaren Krankheiten wie Polio im Gazastreifen zum Ausdruck gebracht. 

Fast 19.000 Kinder, die zu den "1,9 Millionen Binnenvertriebenen" (Flüchtlingen) gehören, haben seit Oktober 2023 wegen der Kämpfe in der Region keine Routineimpfungen mehr erhalten. 

Prävention: Die Masernimpfung

Der Masernimpfstoff kann allein verabreicht werden, wird aber oft vor allem bei Kindern mit Impfstoffen gegen Mumps, Röteln und/oder Windpocken kombiniert - das ist die sogenannte MMR-Impfung.

Die WHO empfiehlt, dass Kinder zwei Dosen des Impfstoffs erhalten, um ihre Immunität zu gewährleisten - unabhängig davon, ob es sich um einen reinen Masernimpfstoff oder die kombinierte MMR-Impfung handelt. 

Eine Impfung kann eine Erkrankung nicht verhindern, aber geimpfte Personen haben meist einen leichteren oder untypischen Krankheitsverlauf und übertragen nur selten Masernviren auf weiter Personen.

Infografik: Mindestens empfohlene Impfungen

Behandlung: Was passiert, wenn man Masern hat?

Es gibt keine direkte Behandlung für Masern. Gesundheitsexperten raten den Patienten jedoch, sich auszuruhen, viel Wasser zu trinken, um eine Dehydrierung zu vermeiden, insbesondere bei Durchfall oder Erbrechen, und bei Bedarf Schmerzmittel einzunehmen.

Ärzte können auch Antibiotika verschreiben, um Begleiterkrankungen wie Lungenentzündung, Ohr- und Augeninfektionen zu behandeln.

Wichtig: Da Masern allerdings ein Virus sind, können Antibiotika eine Maserninfektion nicht bekämpfen, da sie nur nur bakterielle Infektionen bekämpfen. Und der Missbrauch von Antibiotika führt zu einer zunehmenden antimikrobiellen Resistenz, wodurch die Medikamente unbrauchbar werden.

Alles, was Sie also tun können, ist, sich bestmöglich - mit der Impfung - zu schützen und dem Virus seinen Lauf zu lassen.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert. Er wurde ursprünglich am 1. Februar 2024 veröffentlicht und am 16. Februar 2024 um Äußerungen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten über Masernimpfungen ergänzt.

Faktencheck: Wie (un)gefährlich ist Cannabis?

Sollte Cannabis legal sein? Mehrere Regierungen haben sich in den letzten Jahren dafür entschieden, etwa in Kanada, Südafrika und in mehreren US-Bundesstaaten. In weiten Teilen der Welt ist der Besitz und Konsum von Cannabis allerdings verboten und wird häufig streng bestraft .

In Deutschland soll der Bundestag in der Woche ab dem 19. Februar 2024 über ein neues Cannabis-Gesetz abstimmen. Da alle drei Regierungsparteien das Gesetz befürworten, gilt die Verabschiedung als sicher. Dann wären vom 1. April an der Eigenanbau, Besitz und Konsum kleiner Mengen Cannabis für Volljährige in Deutschland erlaubt. 

Das Thema bleibt allerdings umstritten und im Netz kursieren allerlei Behauptungen, die sich nicht immer belegen lassen. Das DW-Faktencheck-Team hat sich die Studienlage angeschaut und mit Experten und Expertinnen gesprochen, um Klarheit zu schaffen. 

Ist Cannabis eine Einstiegsdroge?

Behauptung: Cannabis sei "eine Einstiegsdroge für viele andere Bereiche", sagt zum Beispiel der Ministerpräsident Bayerns Markus Söder.

DW-Faktencheck: Unbelegt.

Die Theorie, dass Cannabiskonsum zum Konsum härterer und gefährlicherer Drogen führt, ist wohl eines der häufigsten Argumente gegen eine Legalisierung, und eines der ältesten. So sagte etwa Söders Parteikollege und CSU-Generalsekretär Martin Huber gegenüber der BILD-Zeitung vor kurzem: "Mit Drogenclubs und legalem Eigenanbau verharmlost die Ampel die Einstiegsdroge Cannabis."

Auf Social Media halten vor allem Befürworter der Legalisierung dagegen. 

Fakt ist: Es gibt eine Korrelation zwischen Cannabiskonsum und dem späteren Konsum härterer Rauschmittel, das zeigen Studien. Je früher und je häufiger Menschen Cannabis konsumieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines späteren Konsums anderer illegaler Drogen.

Aber: Korrelation ist nicht Kausalität

"Wenn man guckt, wie jemand zum Heroinkonsumenten geworden ist, wird man auf dem Weg den Cannabiskonsum mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit finden", bestätigt Dr. Stefan Tönnes, Leiter der forensischen Toxikologie der Universitätsklinik Frankfurt. "Wenn man aber andersherum schaut, wie viele Cannabiskonsumenten nachher zu einem Heroinkonsum übergehen - das sind ganz, ganz, wenige." Das zeigt: Eine Korrelation allein ist noch kein Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang, eine Kausalität.

Vollständig widerlegen lässt sich die Einstiegsdrogen-Theorie dennoch nicht, sagt Dr. Eva Hoch, Psychologin der Psychiatrie des Uniklinikums München. Sie beschäftigt sich seit rund 20 Jahren wissenschaftlich mit den Effekten von Cannabis. "Cannabis stimuliert natürlich das Belohnungszentrum im Gehirn und könnte dadurch pharmakologisch die Drogenaffinität fördern."

Doch es gebe darüber hinaus eine Vielzahl von weiteren Risikofaktoren für Konsum von illegalen Drogen, die berücksichtigt werden müssten. Das schreibt auch das National Institute on Drug Abuse (NIDA), genauso wie, dass zur Frage nach Cannabis als Einstiegsdroge noch weitere Forschung nötig ist. Die Behauptung von Cannabis als Einstiegsdroge bleibt solange erst mal unbelegt. 

Ist Alkohol gefährlicher als Cannabis?

Behauptung: Alkohol sei "über 100 Mal gefährlicher als Cannabis", wird in diesem Tweet behauptet.

Tweet: "Drinking alcohol ist 100 times more dangerous than using marijuana, according to a study." ("Alkoholkonsum ist laut einer Studie 100 Mal gefährlicher als Marihuanakonsum.")
Häufig werden Studien zu Cannabis sehr ungenau und ohne Angabe der Quelle zitiert

DW-Faktencheck: Irreführend.

Häufig wird - insbesondere von Legalisierungs-Befürwortern - behauptet, Alkohol sei um ein Vielfaches gefährlicher als Cannabis. Mehrere Social Media-Posts und Zeitungsartikel berichten von einer Studie, laut der Alkohol angeblich 114 Mal gefährlicher sei als Cannabis.
Diese Aussage ist allerdings nicht haltbar - die Zahl findet sich in der zitierten Studie nicht wieder. Sie zeigte lediglich, dass das Risiko einer tödliche Überdosis Alkohol größer ist als das einer tödlichen Überdosis Cannabis. 

Da Cannabis seine Wirkung beim Rauchen schnell entfaltet, könne die Stärke des Rausches im Vergleich zu Alkohol hier besser kontrolliert werden, sagt Stefan Tönnes. Damit sinke das Risiko einer Überdosis. Aber: "Bei Konsum von Cannabis als Gebäck können Überdosierungen ebenso auftreten."

Die negativen Auswirkungen beider Drogen beginnen nicht erst bei der Überdosierung. Mit anderen, nicht notwendigerweise tödlichen Konsequenzen für Gesundheit und Umfeld der Konsumenten befasst sich die in den Posts zitierte Untersuchung aber nicht.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Dabei brächten die unterschiedlichen Rauschwirkungen von Alkohol und Cannabis jeweils eigene Gefahren mit sich, erklärt Stefan Tönnes. Auch Auswirkungen auf das soziale Umfeld und die psychische Gesundheit seien dabei zu beachten. "Alkohol hat einen ganz wesentlichen Effekt, der in der Enthemmung und erhöhten Risikobereitschaft liegt. Das ist bei Cannabis eigentlich weniger der Fall. Hier haben wir aber das unvorhersehbare Paranoia-Risiko, und da kann die individuelle Empfindlichkeit bezüglich der Cannabiswirkung unterschiedlich sein." 

Die negativen Auswirkungen von Alkoholkonsum auf den Körper sind längst erwiesen. "Alkohol hat eine hohe organschädigende Wirkung und verursacht dort mehr gesundheitliche Schäden als Cannabis," sagt auch Suchtforscherin Eva Hoch. Aber: "Es kommt auch auf die Intensität des Gebrauchs an, nicht nur auf die Substanz."

Die eindeutige Erfassung der gesundheitlichen Risiken von Cannabis werde erschwert durch seine verschiedenen Konsumformen, sagt Hoch. In Europa wird Cannabis zum Beispiel häufig mit Tabak geraucht, dessen gesundheitsschädigende,krebserregende Wirkung bekannt ist – diese hängt so indirekt mit dem Cannabiskonsum zusammen.

Überdosierungen durch Alkohol sind also wahrscheinlicher als durch Cannabis. Beide Drogen können aber auch bereits in kleineren Mengen die körperliche und psychische Gesundheit ihrer Konsumenten gefährden und sich negativ auf deren Umfeld wirken. Diese Gefahr lässt sich kaum in einer Zahl zusammengefasst vergleichen – die Behauptung, Alkohol sei 114-Mal gefährlicher als Cannabis, ist also irreführend.

Kann man durch übermäßigen Cannabis-Konsum sterben?

Behauptung: Es wurde noch "kein Todesfall aufgrund einer Überdosis Cannabis" verzeichnet, wird in diesem Tweet behauptet.

DW-Faktencheck: Richtig.

Tweet: "There has never been a recorded death due to a cannabis overdose"
Die Kausalität cannabisbezogener Todesfälle ist nicht eindeutig zu klären

Nach Angaben des National Institute on Drug Abuse (NIDA) hat es bisher noch keinen Todesfall durch Überdosierung gegeben, der ausschließlich auf Cannabis zurückzuführen ist. Auch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) stellen fest, dass "eine tödliche Überdosis unwahrscheinlich ist".

Trotzdem ist Cannabiskonsum als Todesursache aber immer wieder im Gespräch und Gegenstand wissenschaftlicher Studien.

In den 1970er Jahren wurde an Hunden und Affen getestet, welche Cannabisdosis potenziell tödlich sein könnte. Den Tieren wurde dabei oral eine hohe Dosis THC verabreicht. Sie zeigten Symptome wie Schläfrigkeit, Zittern, Erbrechen - überlebten den unfreiwilligen Trip aber. 

Tierstudien lassen sich zwar nur schwer auf den Menschen übertragen. Dennoch gilt auch für uns: "Die letale Dosis für Cannabis ist sehr, sehr hoch", sagt Eva Hoch. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Mensch so viel zu sich nehmen würde."

Cannabis: Tod nicht ausgeschlossen

Cannabis - Kiffen ist nicht ungefährlich

Forschende des Londoner Kings College haben versucht, rückblickend herauszufinden, ob Cannabis für Menschen tödlich sein kann. Sie prüften alle Todesfälle, die sich in England zwischen 1998 und 2020 ereignet haben und bei denen Cannabis im Spiel war. Bei nahezu allen Fällen war Cannabis allerdings nicht die einzige Droge - durchschnittlich waren drei bis sieben andere Substanzen nachweisbar: Opiate, Alkohol, aber auch Medikamente wie Beruhigungs- oder Schlafmittel.

Bei vier Prozent stellten die Forschenden Cannabis als alleinige Todesursache fest, in der Regel aufgrund von Verletzungen während des Rausches. In einem Fall hätte eine Cannabistoxizität zum Tod geführt. Unklar bleibt dabei jedoch, ob eine einzelne Dosis zum Tod geführt hat oder die Dauer des Konsums schließlich dazu beigetragen hat.

Eva Hoch ergänzt, dass es "weitere publizierte Fälle von Cannabis-bezogenen Todesfällen gibt". Diese sind im Zusammenhang mit Unfällen, Suiziden oder kardiovaskulärer Komplikationen, wie einem Herzinfarkt, berichtet worden. Doch die Kausalität dieser Todesfälle zu klären, sei schwierig.

Kiffen ist nicht gut fürs Herz

Auch die NIDA etwa warnt vor den Risiken, die von der erhöhten Herzfrequenz durch Cannabiskonsum ausgehen können. "Marihuana erhöht die Herzfrequenz für bis zu drei Stunden nach dem Rauchen. Dieser Effekt kann das Risiko eines Herzinfarkts erhöhen," heißt es. 

"Cannabis hat durchaus eine Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System", sagt auch Stefan Tönnes. "Personen, die besonders empfindlich, vorbelastet oder vielleicht sogar vorgeschädigt sind, können daher besonders empfindlich auf Cannabis reagieren." 

Auf einen Zusammenhang von Cannabiskonsum und einem erhöhten Risiko bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) deuten auch ältere Studien hin. "Ausschließen, dass das lebensbedrohlich werden kann, kann man nicht", so Tönnes. 

Warum ist eine einzelne Überdosis (wahrscheinlich) nicht tödlich?

Doch das Risiko, an einer einzelnen Überdosis Cannabis zu versterben, sei "zu vernachlässigen", schlussfolgern die Forschenden des Kings College.

Neben der riesigen Menge Cannabis, die nötig wäre, gilt es auch physiologisch als eher unwahrscheinlich, sagt auch Eva Hoch. Das sehr geringe Vorkommen von Cannabinoid-Rezeptoren im Hirnstamm erklärt, warum Cannabis - zumindest bei Menschen ohne Vorerkrankungen - weniger starke Effekte auf die Atmung oder andere wichtige Körperfunktionen wie Blutdruck oder Herzfrequenz hat. Opioid-Rezeptoren hingegen spielen im Hirnstamm eine größere Rolle, weshalb eine Überdosis Heroin zu Atemstillstand führen kann. 

"Auch Alkohol kann eine lähmende Wirkung auf das zentrale Nervensystem, insbesondere auf das Atemzentrum haben", sagt Stefan Tönnes, "und daher zum Tod führen."

Tötet Cannabis Gehirnzellen?

Behauptung: "Marihuana tötet keine Gehirnzellen", behauptet dieser Twitter-Account.

DW-Faktencheck: Unbelegt.

Tweet "Marijuana doesn't actually kill brain cells; a study says it may help regrow them."
Die Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn sind noch nicht voll erforscht

Wie wirkt Cannabis beziehungsweise Marihuana - so werden die getrockneten, harzhaltigen Blüten und die blütennahen, kleinen Blätter der weiblichen Hanfpflanze bezeichnet - aufs Gehirn? Eine erste Untersuchung, die zeigte, dass Marihuanakonsum Gehirnzellen tötet, fand in den 1970er Jahren statt. Der umstrittene amerikanische Psychiater Robert Heath von der Tulane University Medical School in New Orleans sorgte damals für Schlagzeilen als er meinte, dies anhand eines Versuchs mit Rhesusaffen belegt zu haben.

Die qualitative Durchführung des Experiments stieß allerdings auch auf große Kritik. Später wurden die Ergebnisse der Heath-Studie von Forschenden des National Center for Toxical Research in Arkansas widerlegt . Doch das war erst der Anfang.  

Viele Hypothesen, keine Klarheit

Bis heute zeigen Studien über die langfristigen Auswirkungen von Cannabis auf die Gehirnstruktur beim Menschen widersprüchliche Ergebnisse. 

Auch Eva Hoch verfolgt die Hypothesen und die "Explosion an Publikationen" rund um Cannabis. "Es stimmt, dass Cannabis in die Neurophysiologie eingreift", sagt sie. Aber auf die Frage, wie neurotoxisch - also schädigend für das Gehirn - der Hauptwirkstoff von Cannabis, das Tetrahydrocannabinol (THC), wirklich ist, dazu kann auch sie keine klare Aussage machen. Das Thema sei sehr umstritten und weitere Forschung sei nötig. 

Zu den unmittelbaren, kurzfristigeren Auswirkungen ist hingegen schon mehr bekannt. So ist gut belegt, dass bestimmte geistige Fähigkeiten nach akutem Cannabisgebrauch beeinträchtigt sind, wie das Kurzzeitgedächtnis, psychomotorische Koordination oder die Aufmerksamkeitsspanne. Bei chronischem Konsum können diese Auswirkungen auch tagelang bestehen bleiben. Sie scheinen jedoch nach mehrwöchiger Abstinenz reversibel zu sein.

Jugendliche gefährdet 

Unbestritten ist hingegen, dass Cannabiskonsum vor allem junge Gehirne schädigen kann, da sich das Gehirn in der Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter deutlich weiterentwickelt, warnt Eva Hoch.

Auch die CDC warnt, dass der Konsum von Marihuana vor dem 18. Lebensjahr sich darauf auswirken kann, wie das Gehirn Verbindungen für Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernen aufbaut, betont aber auch, dass die Auswirkungen des Marihuanakonsums auf das Gehirn von vielen Faktoren abhängt, wie der Menge des THC, wie oft es konsumiert wird, von dem Alter beim Erstkonsum, und ob der Konsum mit anderen Substanzen einhergeht, zum Beispiel Alkohol oder Tabak.

Langfristige Auswirkungen auf das Gehirn können auch durch andere Faktoren als Marihuana verursacht werden, etwa durch die Genetik, das häusliche Umfeld oder andere unbekannte Faktoren.

Neurogenese durch Cannabis: Forschung nötig

2019 sorgte indes eine Studie für Aufsehen, die ergab, dass sich in bestimmten Gehirnbereichen bei Jugendlichen nach dem Kiffen mehr Graue Substanzbildet. Ob die Zunahme der Grauen Substanz allerdings als nützlich oder eher schädlich zu werten ist, dazu wollten sich selbst die beteiligten Forschenden nicht eindeutig positionieren. Es sei Vorsicht bei der Interpretation der Daten angebracht.

Infografik Cannabis-Chemie: CBD und THC

Doch grundsätzlich sei die Behauptung, dass Cannabis neue Gehirnzellen wachsen lassen kann, interessant und müsse in der Zukunft weiter verfolgt werden, so Hoch.

Erste tierexperimentelle Versuche fokussieren sich auf die Wirkung von Cannabidiol (CBD) auf die Neurogenese. CBD gehört zusammen mit THC zu den bekanntesten Cannabinoiden, also chemischen Verbindungen, die in Cannabis vorkommen. Der kleine aber feine Unterschied: THC wirkt psychoaktiv, CBD nicht.

Man müsse das körpereigene Cannabissystem weiter erforschen, plädiert Suchtforscherin Hoch: "Wann fördern Cannabinoide die Gesundheit, wann bergen sie Risiken?" Bislang wurden über 140 Cannabinoide entdeckt. Von den meisten sei die Wirkung noch gar nicht untersucht. 

Aber: "Cannabisprodukte, die auf dem Schwarzmarkt erhältlich sind, haben ein völlig unklares Cannabinoid-Profil. Meist enthalten sie sehr wenig CBD, dafür viel vom berauschenden Hauptwirkstoff THC. Auch gefährliche Beimischungen wie synthetische Opioide oder Cannabinoide könnten enthalten sein, sagt Hoch. Deshalb lautet ihre Empfehlung an Jugendliche: "Ihr tut eurem Gehirn etwas Gutes, wenn ihr nicht kifft."

Mitarbeit : Uta Steinwehr

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 11.06.2023 veröffentlicht und am 15.02.2024 mit Informationen zur Legalisierung in Deutschland aktualisiert.

Warum Cannabis Heißhunger auslöst

Das Rauchen von Cannabis kann den Appetit anregen - das ist bekannt. Aber wie genau das vor sich geht und warum dieses Wissen durchaus nützlich sein kann, haben neue Forschungsergebnisse aus den USA gezeigt.

Die Forschenden der Washington State Universität setzten Ratten und Mäuse Cannabisdampf aus, um so bestimmte Gehirnregionen zu stimulieren, die mit Appetit zu tun haben. Dann beobachteten sie das Fressverhalten der Nagetiere, beispielsweise wie oft sie fraßen.

Donald Abrams, Onkologe an der Universität von Kalifornien in San Francisco, war nicht an der Studie beteiligt. Er hält die Ergebnisse für eine nützliche Ergänzung zu bereits bestehenden Forschungen, die sich mit der medizinischen Anwendung von Cannabis beschäftigen.

Portugal | Arbeiter in Gewächshaus: Herstellung von medizinischem Cannabis
Cannabis wird in Europa bereits für medizinische Zwecke hergestellt - ist in vielen Ländern aber weiterhin verbotennull Patricia de Melo Moreira/AFP/Getty Images

"Ratten sind keine Menschen", sagt Abrams, "aber als jemand, der in den 60er Jahren studiert hat, weiß ich, dass Cannabis den Appetit anregt." Offenbar das Ergebnis eines Selbstversuchs. Die neuen Forschungserkenntnisse könnten beispielsweise Menschen helfen, die sich einer Krebsbehandlung unterziehen müssen und keinen Appetit haben. Dabei ist es gerade für sie wichtig, genug zu essen, damit sie bei Kräften bleiben.

Cannabis aktiviert spezifische Neuronen

Doch zurück zur Studie: Die Forschenden setzten die Ratten und Mäuse einer vergleichbaren Cannabismenge aus, die auch Menschen beim Konsum durchschnittlich rauchen. Das Fressverhalten der Ratten und Mäuse zeigte, dass sie häufiger nach Nahrung suchten, nachdem sie Cannabisdampf geatmet hatten.

Dann untersuchten die Forschenden bei den Mäusen die neuronale Aktivität. Dabei stellten sie fest, dass das Cannabis eine kleine Gruppe spezifischer Neuronen im Hypothalamus aktivierte. Der Hypothalamus kontrolliert den Appetit, kontrolliert aber auch andere Funktionen wie Körpertemperatur und Stimmung.

Werden diese spezifischen Neuronen aktiviert, löst das eine Kaskade von neuronalen Signalen aus, die mit Motivation und Bewegung verbunden sind. Das ist es, was uns Menschen dazu bringt, vom Sofa aufzustehen, um in den Küchenschränken nach Süßkram und Chips zu suchen. Bei den Ratten und Mäusen in der Studie war das nicht viel anders - auch sie gingen auf Nahrungssuche.

Wie die Chemikalien in Cannabis den Appetit beeinflussen

Die Forschenden analysierten daraufhin die Wechselwirkung zwischen den Chemikalien in Cannabis und der Gehirnaktivität, die mit Appetit und Nahrungsaufnahme zusammenhängt. Cannabis setzt Chemikalien frei, die als Cannabinoide bekannt sind: Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).

Infografik: CBD vs THC

THC und CBD lösen Neuronen im Hypothalamus aus, die ein Protein namens Cannabinoid-1-Rezeptor (CB1-Rezeptor) hervorbringen. Man weiß, dass dieser Rezeptor den Appetit steigert und die Suche nach Nahrung anregt.

Die neue Studie ergab, dass der Hypothalamus deutlich mehr Zellen mit dem CB1-Rezeptor aktivierte, sobald die Mäuse Nahrung sahen. Die Forschenden schalteten daraufhin die entsprechenden Neuronen bei einigen Mäusen aus und konnten beobachteten, dass das Cannabis den Appetit dann deutlich weniger stimulierte.

Medizinisches Cannabis soll den Appetit anregen

Forschende untersuchen schon seit einiger Zeit die appetitanregenden Eigenschaften von Cannabis. Man hofft, medizinisches Cannabis beispielsweise bei Menschen einsetzen zu können, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen und deshalb kaum Appetit verspüren oder bei Menschen, die unter Magersucht leiden.

Entsprechend wurden Medikamente auf synthetischer Basis entwickelt. Sie sollen die Wirkung von Cannabis imitieren. In einigen Studien - zum Beispiel zur Behandlung von Magersucht - wirkten die Medikamente jedoch nicht zuverlässig.

Cannabis - umstrittene Schmerzmedizin

Nach Michelle Sexton, Forscherin an der Universität von Kalifornien in San Diego (USA), könne dies daran liegen, dass die Medikamente oral eingenommen wurden, was möglicherweise nicht so wirksam ist wie das Rauchen von Cannabis. Per E-Mail teilte Sexton der DW mit, dass "die Beweise für die Auswirkungen von verdampftem Cannabis auf den Appetit nicht ausreichend untersucht sind."

In den USA und einigen anderen Ländern, darunter auch Deutschland, ist Cannabis nach wie vor eine verbotene Substanz. Selbst in US-Bundesstaaten wie Colorado und Kalifornien, wo Cannabis in lizenzierten Verkaufsstellen erhältlich ist, wird es nicht für den medizinischen Gebrauch akzeptiert.

Abrams aber sieht durchaus eine positive Wirkung. "Cannabis ist die einzige Therapie gegen Übelkeit, die gleichzeitig den Appetit steigert. Es ist auch gut gegen Schmerzen, Schlaflosigkeit, Angst und Depressionen, also etwas, das ich Menschen, die mit Krebs leben und auch für ihr Leben nach der Erkrankung häufig empfehle", so Abrams. Seit 40 Jahren empfehle er es, dürfe es aber nicht verschreiben.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert. 

Präeklampsie - eine tödliche Schwangerschaftskomplikation

Experten raten schwangeren Frauen dringend zu einer konsequenten Schwangerschaftsvorsorge. Dazu gehören u.a. häufige Blutdruckkontrollen. So kann eine Präeklampsie erkannt werden, bevor sie schlimme Ausmaße annimmt.

Wie viele Präeklampsie-Fälle es gibt, variiert von Land zu Land. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass die Präeklampsierate in Entwicklungsländern etwa siebenmal höher ist als in Industrieländern. Weltweit verursacht die Präeklampsie etwa 12 Prozent der jährlichen Todesfälle bei Müttern.

Unbemerkte Symptome

Im Jahr 2012 war Koiwah Koi-Larbi in der 25. Woche ihrer ersten Schwangerschaft. Ihr Bauch war deutlich gewachsen, ihre  Beine, Füße und Hände waren geschwollen. In Ghana, so erzählt sie, sei das ein deutliches Zeichen dafür, dass ein Junge unterwegs ist.

Doch Koi-Larbi bemerkte auch andere Symptome. Sie bekam Kopfschmerzen und Schmerzen im Oberbauch, so genannte epigastrische Schmerzen, und Sodbrennen. Als sie einer  Krankenschwester ihre Symptome schilderte, sagte diese lediglich: "So ist das eben".

Kurz darauf  erhielt Koi-Larbi die Diagnose "Präeklampsie". Ein Anzeichen ist hoher Blutdruck, den die werdenden Mütter aber oft gar nicht bemerken und selbst für medizinisch geschultes Personal sind die Symptome nur sehr schwer zu erkennen und zu deuten.

Stadien der Präeklampsie: Krampfanfälle, Koma, Tod

Im späteren Verlauf des Monats bekam Koi-Larbi Krampfanfälle. Um zwei Uhr nachts wurde sie ins Krankenhaus gebracht. Man sagte ihr, sie habe Eklampsie - die Folge einer unbehandelten Präeklampsie. Sie kann zum Koma und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Das Einzige, was Koi-Larbi und ihr Baby zu diesem Zeitpunkt noch retten konnte, war ein Not-Kaiserschnitt.

Koi-Larbi sah ihr Kind zum ersten Mal drei Tage nach der Entbindung. Es sei winzig gewesen, erzählt sie. Es sei zu klein gewesen, um es stillen zu können. 48 Stunden später kam es bei dem Säugling zu Komplikationen, und er verstarb.

Zweite und dritte Schwangerschaft

Koi-Larbi wollte auf jeden Fall ein Kind bekommen. 2013 wurde sie erneut schwanger. Im fünften Monat reiste sie in die USA, um dort die verbleibenden Schwangerschaftsmonate zu verbringen. Aber auch dort kam zu einer spät einsetzenden Präeklampsie. Trotzdem konnte sie in der 37. Woche ein Mädchen zur Welt bringen.

Motiviert durch das positive Geburtserlebnis wurde sie 2017 ein drittes Mal schwanger. Sie hatte dieselben Symptome wie bei den anderen Schwangerschaften, wenn auch weniger stark ausgeprägt. In der 26. Woche ging sie ins Krankenhaus, um ihren Blutdruck überprüfen zu lassen. Ihr Blutdruck lag bei 150 zu 100, und der Arzt empfahl, sie in ein Krankenhaus einzuweisen. Dort überprüfte eine Hebamme die Herztöne des Babys, aber es gab keine mehr. Koi-Larbi hatte das Kind verloren.

Kinderwunsch – wie kann der erfüllt werden?

Hilfe zur Selbsthilfe

Während ihrer Genesung begann Koi-Larbi, im Internet nach Antworten zu suchen. In den USA fand sie eine Präeklampsie-Selbsthilfegruppe und fand heraus, dass es weitere nur in Großbritannien und Australien gab. Also gründete sie ihre eigene Selbsthilfegruppe und nannte sie "Action on Preeclampsia Ghana". Koi-Larbis Ziel war es, über die Krankheit zu informieren und sowohl die Frauen als auch die Fachkräfte im Gesundheitswesen dafür zu sensibilisieren.

2019, als "Action on Preeclampsia Ghana" bereits erfolgreich angelaufen war, wurde Koi-Larbi ein viertes Mal schwanger. Dieses Mal aber war sie mit dem Wissen gewappnet, das sie über Jahre gesammelt hatte. Doch auch bei dieser Schwangerschaft gab es Komplikationen. Sie erkrankte am sogenannten HELLP-Syndrom, der schwersten Form der Präeklampsie. Um ihr eigenes Leben zu retten, brachte sie das Baby zur Welt bringen. Es wog gerade mal tausend Gramm. Drei Tag nach der Geburt starb es.

Frauengesundheit ist ein wichtiger Indikator

Frauengesundheit, insbesondere die Gesundheit von Müttern seien ein Indikator dafür, ob und wie ein Gesundheitssystem funktioniere, sagt Joyce Browne. Sie ist Professorin für globale Gesundheit und Epidemiologie am UMC Utrecht in den Niederlanden.

"Die meisten Frauen sind zu Beginn ihrer Schwangerschaft gesund. Aber es [kann] zu Komplikationen kommen, die eine rechtzeitige und qualitativ hochwertige Versorgung erfordern. Und wenn man keinen Zugang zu schneller und guter Versorgung hat, kann dies negative Folgen haben, und die Folgen können tödlich sein." Für Experten und Expertinnen wie Browne sind es vor allem drei Aspekte, um die Gesundheit von Schwangeren sicherzustellen.

Oft verzögern sich Behandlungen, weil die Schwangere selbst ihre Schmerzen nicht ernst genug nimmt, um ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein weiterer Aspekt sind die oft großen Entfernungen etwa von entlegenen Dörfern zu bestehenden Gesundheitseinrichtungen.

Frau mit zwei Kindern lehnt an einer Hauswand
Große Entfernungen oder fehlender Zugang zur Gesundheitsversorgung erhöht das Müttersterblichkeitsrisiko null DW

Kommunikation ist entscheidend

Ein weiterer Aspekt ist die Qualität der Versorgung im Krankenhaus. Titus Beyou ist ein ghanaischer Arzt, der sich mit seiner Forschung auf Präeklampsie konzentriert. Wenn die Frauen es ins Krankenhaus geschafft hätten, so der Mediziner, könne die Kommunikation zwischen ihnen und ihrem Arzt entscheidend für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft sein.

Es ist aber nicht ungewöhnlich, dass einer Schwangeren gesagt wird, sie müsse die Schwangerschaft beenden und das Baby sofort entbinden, ohne dass sie eine Erklärung bekomme oder überhaupt verstehe, um was es geht, sagt Beyou.

Häufig wollen Schwangere auch erst einmal Rücksprache mit ihrem Pfarrer halten, bevor sie sich für einen Behandlung entscheidet. In Ghana etwa gebe es viele verschiedene Religionen und viele verschiedene Konfessionen. Eine allgemeingültige Lösung könne es nicht geben, so Beyou, und Experten sind sich einig: Gute Betreuung sei aber schon zu Beginn einer jeden Schwangerschaft dringend nötig.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert. 

Hoffnungsträger mRNA-Impfung gegen Krebs

Zwei wirksame Impfungen gegen Krebs gibt es bereits: Wir können uns zwar nicht direkt gegen Krebszellen impfen lassen, aber gegen Infektionen, die zur Entstehung von bestimmten Krebsarten führen können. Das ist beim gefährlichen Gebärmutterhalskrebs der Fall. Ursache dafür sind Humane Papillomaviren (HPV), und dagegen kann man sich impfen lassen. Diese Impfung kann als Erfolgsgeschichte gelten.

Die präventive Impfung gibt es seit den frühen 2000er Jahren. Sie schützt Menschen vor einer Infektion mit Hochrisikotypen der Papillomaviren . Die Infektion selber verursacht noch keinen Krebs, kann aber dazu führen, wenn sich das Virus dauerhaft in den Schleimhautzellen einnistet und dort Vorstufen von Krebs auslöst.

Eine weitere präventive Impfung ist die gegen Hepatitis B-Viren und damit gegen Lebertumore, die bei einer chronischen Hepatitis B entstehen können. Nach Angaben des Krebsinformationsdienstes gehen etwa vier Prozent aller Krebserkrankungen in den Industrienationen auf Infektionen mit Viren oder Bakterien zurück. In den Entwicklungsländern ist der Anteil höher.

Papilloma Virus Mikroaufnahme
Humane Papillomaviren können Gebärmutterhalskrebs auslösennull Gladden W. Willis/picture-alliance

Therapeutische Impfungen

Außer diesen beiden empfohlenen präventiven Impfungen gibt es therapeutische Impfungen, an denen intensiv geforscht wird. Mit einer therapeutischen Impfung wird eine bereits bestehende Krebserkrankung behandelt. Dabei können unter anderem mRNA-Impfstoffe das Immunsystem im Kampf gegen Tumorzellen trainieren und ihm beibringen, Krebszellen zu erkennen, sie individuell und schnell zu beseitigen. Und das mit nur geringen Nebenwirkungen. Dazu müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

"mRNA-Impfungen sind nach heutigem Wissensstand besonders dann eine Möglichkeit, wenn das Tumorgewebe beispielsweise durch eine Operation bereits weitgehend aus dem Körper entfernt wurde. Dann hat man mit der mRNA-Impfung in Kombination mit weiteren Wirkstoffen eine bessere Chance, die Krebszellen, die vielleicht noch im Körper verblieben sind und die zu einem Rückfall führen könnten, zu eliminieren", sagt Susanne Weg-Remers vom Deutschen Krebsinformationsdienst.

Im besten Fall könnten also noch mehr Patientinnen und Patienten durch eine mRNA-Impfung ihre Heilungschancen verbessern. Mediziner können die Therapie individuell auf die Merkmale des Tumors zuschneiden. Der mRNA-Impfstoff gegen Krebs basiert auf der gleichen Technologie wie die mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2.

Die Rolle der Tumorantigene

Die Krebszellen können erkannt werden, weil sie auf ihrer Oberfläche im Idealfall typische Merkmale haben, die auf gesunden Zellen entweder gar nicht oder nicht so häufig vorkommen. Diese sogenannten Tumorantigene nutzen Mediziner bei der Entwicklung von Impfungen gegen die Krebszellen.

Die Patientin oder der Patient erhält einen Impfstoff, der eine Immunantwort gegen die Tumorantigene auslöst. So soll das Immunsystem lernen, sich gegen Zellen mit diesen Antigenen zu wehren. Mit der therapeutischen mRNA-Impfung haben Forschende etwa beim malignen Melanom in frühen klinischen Studien bereits erste Erfolge verzeichnen können.

"Für 2024 ist eine internationale klinische Studie zur mRNA-Therapie des malignen Melanoms, also den schwarzen Hautkrebs, mit tausend Patientinnen und Patienten geplant. Die ist dann Basis für eine Zulassung", sagt Weg-Remers. Weitere Krebsarten, die im Fokus der Forschung stehen, sind beispielsweise Darmkrebs und Lungenkrebs. Diese beiden gehören zu den häufigsten Krebsformen."

Schwarzer Hautkrebs und die Gefahr von Metastasen

Eine große Herausforderung ist vor allem die große Bandbreite an Tumoren. "Es gibt über 200 Krebsarten und weitere Subtypen, sie sich in ihren molekularen Eigenschaften unterscheiden. Da jetzt das 'magic bullet' zu finden, das all diese unterschiedlichen Krebsarten über eine Impfung verhindern oder therapieren kann, ist sehr schwierig", gibt Weg-Remers zu bedenken.

Eine Impfung ist keine Wunderwaffe

Nach Angaben des Krebsinformationsdienstes erkranken allein ins Deutschland jedes Jahr fast eine halbe Million Menschen an Krebs. Im Jahr 2021 starben fast 230.000 Menschen an der Erkrankung. Hinter den Statistiken und hinter jeder Zahl stecken Menschen mit ihrem persönlichen Schicksal und all den Ängsten, die das Schreckgespenst "Krebs" auslöst.

Trotz aller bisherigen Erfolge weisen Forschende immer wieder daraufhin, dass die Impfstoff-Entwicklung noch am Anfang stehe. Erste Ergebnisse zeigen, dass eine Impfung gegen Krebs wirksam sein kann, aber es fehlen noch viele große klinische Studien, in denen die neuen Ansätze mit den Standardtherapien verglichen werden.

Darüber hinaus sind die Erkrankungssituationen sehr unterschiedlich: Wurde bei einer Patientin oder einem Patienten beispielsweise ein Tumor entfernt und sollen vereinzelte, noch im Körper verbliebene Tumorzellen bekämpft werden, ist dies eine ganz andere Therapievoraussetzung als wenn sich bereits Metastasen gebildet haben. "Ich gehe davon aus, dass die Krebstherapie weiterhin eine Therapie sein wird, bei der man unterschiedliche Methoden miteinander kombinieren wird, um gute Ergebnisse zu erreichen", ist Weg-Remers überzeugt.

Die Infektion "Noma" zerstört Gesicht und Psyche

Die Infektionskrankheit "Noma" beginnt meist mit einer Zahnfleischentzündung. Dann aber breitet sie sich schnell im ganzen Gesicht aus. Lippen und Gesichtsmuskulatur sind ebenso betroffen wie Kiefer, Wangen oder Nase. Meist werden Teile des Gesichts innerhalb weniger Tage zerstört. Ansteckend ist die Krankheit nicht, dennoch erkranken in Afrika jährlich weit mehr als Tausende von Menschen daran. 

Die 18-jährige Amina beschreibt, was sie empfunden hat, als sie die Krankheit an sich bemerkte. "Damals war ich sehr erschöpft, so als hätte ich Fieber. Dann schwollen meine beiden Ohren an. Als ich meine Hand auf mein Gesicht legte, fühlte ich, dass eine Stelle weich war. Ich lag alleine da und musste weinen. Ich berührte meine Wangen und spürte, dass sich dort ein Loch gebildet hatte."

Aminas Erzählung ist Teil des Dokumentarfilms "Restoring Dignity" (Die Wiederherstellung der Würde), den die medizinische Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" zusammen mit französischen Filmschaffenden produziert hat.

Es braucht intensive Forschung

Die Krankheit, die auch als "Gesichtsbrand" bekannt ist, wird durch verschiedene Bakterien verursacht. Diese sind meist natürlicher Bestandteil der Mundflora. Forschende gehen davon aus, dass Mangelernährung und schlechte Mundhygiene das Immunsystem schwächen und sich die Bakterien so leichter einnisten können.

Auch Vorerkrankungen wie Masern oder Malaria zählen zu den Risikofaktoren, denn auch sie beeinflussen das Immunsystem. Welches aber letztendlich die Auslöser sind, wie "Noma" genau entsteht und sich entwickelt, ist noch nicht erforscht.

Eine Frau untersucht ein Mädchen mit der Gesichtserkrankung "Noma"
Betroffene müssen oftmals Jahre warten, bis sie auf die Operationsliste gesetzt werden könnennull Fabrice Caterini/Inediz/MSF

Mittlerweile gibt es aber immerhin einen kleinen Erfolg im Kampf gegen die grausame Krankheit: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat "Noma" Ende Dezember letzten Jahres auf die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten gesetzt.  So soll sie mehr Aufmerksamkeit bekommen und auch finanzielle Mittel, die in die Forschung gesteckt werden können - in Diagnostik, Therapie und in die Prävention.

Vernachlässigte Tropenkrankheiten

"Noma" gibt es vor allem in armen Ländern

Verbreitet ist "Noma" vorwiegend in Afrika. Dabei ist Nigeria am schlimmsten betroffen. Die Krankheit tritt überwiegend bei Kindern auf, die jünger als sieben Jahre alt sind. Etwa 140.000 Kinder sind es jedes Jahr. Rund 90 Prozent sterben in den ersten zwei Wochen, sofern sie nicht mit Antibiotika behandelt werden. Das ist die einzige Möglichkeit, die Zerstörung aufzuhalten. Oft aber ist es schon zu spät und bei Überlebenden bleiben Wunden und Entstellungen, beispielsweise an Mund und Nase. Das Sprechen, Essen und sogar das Atmen werden zur Qual.

Die Krankheit fördert Diskriminierung und Ausgrenzung

Da die Krankheit das Gesicht entstellt, können sich Betroffene kaum verstecken. Aus Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung trauen sich Kinder nicht mehr in die Schule. Oft sind es aber auch die Eltern, die sie aus Scham von der Öffentlichkeit fernhalten und sie verstecken. Soziale Kontakte gibt es dann so gut wie keine mehr. 

Im "Noma"-Krankenhaus im nigerianischen Sokoto sei das anders, erzählt die deutsche Krankenschwester Fabia Casti im Podcast "Notaufnahme",  den die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" regelmäßig produziert. "Die Kinder können rausgehen, sie spielen mit anderen Kindern, sie lachen", sagt Casti, "und man merkt manchmal gar nicht, dass diese Kinder "Noma" haben und überlebt haben." Casti hat neun Monate lang "Noma"-Patientinnen und -patienten betreut. Diese Arbeit im "Noma"-Krankenhaus habe sie tief bewegt.

Frau mit entstelltem Gesicht
"Noma"-Überlebende sind oft für ihr Leben gezeichnetnull Fabrice Caterini/Inediz/MSF

Rekonstruktive Operationen können Leid lindern

Zwischen vier und sechs Wochen dauert die Erstbehandlung im Krankenhaus. Danach müssen Betroffene meist ein bis zwei Jahre warten, bis sie auf die Operationsliste gesetzt werden können, um schlimme Deformierungen zu korrigieren.

"Drei- bis viermal im Jahr finden Operationen statt. Dazu kommt ein Team von internationalen Chirurgen und Anästhesisten zusammen. Bei unserer letzten Operationsphase hatten wir rund 40 Patienten in einem Zeitraum von zwei Wochen", erzählt Casti.

Viele von ihnen haben Probleme zu essen, zu trinken oder zu sprechen, weil die Krankheit große Teile des Gesichts zerstört hat. Erfahrene Operateure versuchen, möglichst große Bereiche des Gesichts wiederherzustellen. Solche rekonstruktiven Operationen sind aufwändig, denn es geht auch darum, das Gesicht ästhetisch so gut wie möglich wiederherzustellen, damit Betroffene wieder mit anderen in Kontakt kommen und aktiv am alltäglichen Leben teilnehmen können. Die psychischen Schäden und die Narben auf der Seele aber bleiben.

 

Halluzinogene Kröte gegen Depressionen

"Es ist wie bei den meisten Dingen, denen Sie in einem Nationalpark begegnen, [...], sehen Sie bitte davon ab, sie abzulecken. Dankeschön", schreibt der US National Park Service (NPS) im November 2022 auf seinen Social Media-Kanälen.

Wen der Nationalparkdienst damit meint? Die Coloradokröte (Bufo alvarius), auch Sonora-Wüstenkröte genannt, von der Parkbesuchende bitte die Finger lassen sollen. Und schon gar nicht sollten sie auf die Idee kommen, die Kröte anzulecken.

Die Kröte ist im Südwesten Nordamerikas zuhause. Mit einer Länge von fast 18 Zentimetern ist sie eine der größten Kröten Nordamerikas. Wenn sich die Coloradokröte bedroht fühlt, sondert sie ein starkes Gift ab, das sie vor Fressfeinden schützen soll. Einen ausgewachsenen Hund könnte das Gift töten. Menschen hingegen scheint das Krötengift trotzdem anzuziehen. 

Sie haben es aufs Bufo, wie das Krötengift auch genannt wird, abgesehen. Auf das weiße, milchige Sekret, das die Substanz "5-MeO-DMT" enthält. Es gilt als das stärkste bekannte Halluzinogen, das bislang entdeckt wurde. Bufo kann zu Kristallen getrocknet und in einer Pfeife geraucht werden. Der Trip gilt als heftig und kurz im Vergleich zu anderen psychedelischen Substanzen, er dauert etwa 15 bis 30 Minuten lang.

Doch: Vom Lecken an Kröten ist nicht nur aus Tierwohl-Sicht abzuraten, sondern auch, weil ohne Trocknen, Verdampfen oder ähnliches andere Giftstoffe in den Körper gelangen und auch extreme Nebenwirkungen auftreten können. 

Mit LSD, Psilocybin oder Krötengift gegen Depressionen

Aber nicht nur - nenne wir sie - Abenteurer, sind an der Kröte interessiert, auch die Forschungswelt ist es. Seit Jahrzehnten wird durch die schiere Anzahl an Studien zu psychoaktiven Wirkstoffen deutlich, dass Wissenschaftler im Bereich der psychischen Gesundheit großes Interesse an alternativen Therapiemethoden haben, etwa mit LSD, Psilocybin oder MDMA. Aber auch 5-MeO-DMT gerät aufgrund seines therapeutischen Potenzials immer mehr in den Fokus. 

Forschende der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York haben entschlüsselt, wie 5-MeO-DMT mit Serotoninrezeptoren im Gehirn interagiert. Die Studie wurde jüngst in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Serotoninrezeptoren sind in der Medizin ein wichtiger Ansatzpunkt für Medikamente, zum Beispiel für Antidepressiva. Für ihre Studie haben die Forschenden 5-MeO-DMT synthetisiert und die Wirkung auf die Serotoninrezeptoren 5-HT2A und 5-HT1A unter anderem bei Mäusen untersucht.

"Wir waren in der Lage, das 5-MeO-DMT/Serotonin-Gerüst so abzustimmen, dass wir eine maximale Aktivität an der 5-HT1A-Schnittstelle und eine minimale Aktivität an 5-HT2A erreichten", erklärt der Hauptautor Daniel Wacker, Assistenzprofessor für pharmakologische Wissenschaften und Neurowissenschaften am Icahn Mount Sinai.

Was das bedeutet? Die 5-HT1A-Rezeptoren gelten als Zielrezeptoren zur Behandlung etwa von Angstzuständen oder Depressionen. 5-HT2A-Rezeptoren hingegen sind für die von Psychedelika ausgelöste halluzinogene Wirkung verantwortlich.

Die Forschenden hoffen, dass es bald möglich sein wird, neue, aus Psychedelika abgeleitete Medikamente zu entwickeln, allerdings ohne die halluzinogenen Effekte. 

Coloradokröte oder Sonora-Wüstenkröte
Die Coloradokröte produziert eines der stärksten bekannten Halluzinogene.null Christian Hütter/imagebroker/IMAGO

"Unsere Studie zeigt zum ersten Mal, wie Serotoninrezeptoren wie 5-HT1A wahrscheinlich die subjektiven Effekte der psychedelischen Erfahrung regulieren können", sagt Erstautorin Audrey Warren, Doktorandin an der Graduiertenschule für Biomedizinische Wissenschaften am Icahn Mount Sinai.

In vielen weiteren Untersuchungen wird geprüft, inwieweit 5-MeO-DMT bei der Behandlung von schweren Depressionen oder Angstzustände zum Einsatz kommen könnte. Die neuste Studie ist ein weiteres Puzzleteil.

5-MeO-DMT: Revival der Naturdroge

Nicht nur die Coloradokröte produziert 5-MeO-DMT. Das Gift kommt auch in einigen Pflanzen vor, etwa in den Samen und der Rinde von Anadenanthera peregrina. Die Hülsenfrucht ist in Südamerika verbreitet und wird dort Yopo genannt. Vielerorts werden die psychoaktiven Substanzen aus Yopo schon seit Jahrtausenden als Psychedelikum genutzt.

Das Interesse an der Coloradokröte begann in den 1960er Jahren. Inzwischen gibt es teure Retreat-Urlaube, zum Beispiel in Mexiko, wo die Substanz und allerlei anderes zu spirituellen Zwecken verabreicht wird. Oder auch nur für eine Erfahrung. Mexiko ist eines der wenigen Ländern, in denen der Konsum von 5-MeO-DMT legal ist.

Australien erlaubt Ecstasy-Wirkstoff MDMA

Psychedelika als Medizin

Während die Behandlungsmethoden außerhalb von klinischen Studien weitgehend noch nicht erlaubt sind, hat Australien MDMA seit 2023 zur Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) zugelassen. Psilocybin ist bei der Behandlung von anders nicht therapierbaren Depressionen erlaubt. Doch auch hier äußern Experten noch immer Kritik.

Es heißt, die Arzneimittelbehörde habe dem Druck von Öffentlichkeit und Lobbygruppen nachgegeben, da es noch nicht genügend Beweise gebe, um einen umfassenden Zugang zu rechtfertigen. Die australische Arzneimittelbehörde argumentiert, dass die Behandlung mit intensiver Betreuung eines Psychiaters einherginge und die Therapie für behandlungsresistente Patienten womöglich die einzige Option sei. Grundsätzlich gelten strenge Vorschriften für die Vergabe der Erlaubnis, wenn ein Psychiater die Wirkstoffe einsetzen wolle. 

Am 4. Juni 2024 wird auch die US-Arzneimittelbehörde FDA  darüber beraten, ob es die Zulassung der ersten MDMA-unterstützten Therapie für PTBS empfehlen soll. Dies wäre das erste FDA-Gremium aus externen Experten, das seit 25 Jahren eine potenzielle neue PTBS-Behandlung prüft. 

 

Abnehmen mit Süßstoffen? Ernährungsmythen überprüft

Limo, Weingummi, Joghurt - alles ohne Zucker, aber genauso süß. Abnehmen, ohne verzichten zu müssen, lautet das Versprechen von Süßstoff-Produkten. Klingt toll, einerseits. Andererseits machen Süßstoffe immer wieder Negativ-Schlagzeilen. So wie im Jahr 2023, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Zuckerersatz Aspartam als "möglicherweise krebserregend" einstufte

Im selben Jahr veröffentlichte die WHO eine Richtlinie, in der die Organisation davon abrät, Süßstoffe als Abnehmhilfe einzusetzen. Der Nutzen sei nicht langfristig. Und mögliche Schäden bisher nicht klar nachweisbar. Schauen wir uns das mal genauer an.

Welche Süßstoffe gibt es?

In der EU sind insgesamt 12 Süßstoffe zugelassen. Dazu gehören unter anderem:

  • Acesulfam K (E 950)
  • Aspartam (E 951)
  • Cyclamat (E 952)
  • Saccharin (E 954)
  • Sucralose (E 955)

Die verschiedenen Süßstoffe gehören nicht zu einer Gruppe und unterscheiden sich chemisch stark voneinander. "Folglich werden die auch im Darm unterschiedlich behandelt", sagt Stefan Kabisch. Er ist Ernährungsforscher am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung an der Berliner Charité.

"Es gibt Süßstoffe, die in den Blutkreislauf gelangen. Andere, wie das Aspartam, werden direkt im Darm verdaut. Sucralose wiederum wandert einfach durch den ganzen Darm durch", erklärt Kabisch. 

Sind Süßstoffe gesünder als Zucker?

Zucker und zuckerhaltige Lebensmittel tragen aufgrund ihres hohen Kaloriengehaltes dazu bei, dass Menschen übergewichtig werden.

Übergewicht wiederum führt zu verschiedenen Krankheiten: Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und verschiedene Krebsarten wie Darm- oder Brustkrebs. "Gesünder als Zucker sind Süßstoffe sicherlich", sagt Ernährungsforscher Kabisch. 

Verursachen Süßstoffe Krebs, Übergewicht und Diabetes?

Doch auch im Zusammenhang mit Süßstoffen gibt es Veröffentlichungen, die verunsichern. Die Einstufung von Aspartam als "möglicherweise krebserregend" gehört dazu. Laut WHO gibt es "begrenzte Hinweise" darauf, dass Aspartam einen bestimmten Typ Leberkrebs im Menschen verursachen könnte.

Die bislang empfohlene tägliche Höchstmenge an Aspartam von 40 mg pro Kilogramm Körpergewicht sei jedoch weiterhin unbedenklich, heißt es weiter. Für einen 70 kg schweren Menschen bedeutet das, er müsste 9 bis 14 Dosen Diät-Softdrink trinken, um die zulässige Menge zu überschreiten. Vorausgesetzt, die Softdrinks sind die einzige Aspartamquelle.

"Die Annahme, dass Süßstoffe Krebs verursachen, das Herz-Kreislauf-System schädigen, Adipositas begünstigen und Diabetes fördern, stammen vorwiegend aus der gleichen Art von Studien", sagt Stefan Kabisch. "Aus Beobachtungsstudien." Und das ist ein Problem.

Abnehmen mit Zuckerersatz?

Beobachtungsstudien sammeln große Datenmengen tausender Teilnehmer durch Befragungen oder Untersuchungen. Manchmal werden die Probanden mehrfach befragt oder untersucht, manchmal bloß ein einziges Mal. 

"Diese Daten zeigen hochsignifikant, dass Menschen, die viele Süßstoffe konsumieren, ein hohes Risiko für Diabetes, Krebs, Herzinfarkte und Schlaganfälle haben", sagt Kabisch. 

Allerdings seien Menschen mit sehr hohem Süßstoffkonsum häufig schon vorher übergewichtig und hätten einen insgesamt weniger gesunden Lebensstil, so Kabisch. In einer Beobachtungsstudie können all diese zusätzlichen Risikofaktoren nicht vollständig herausgerechnet werden. Oder andersherum gesagt: Beobachtungsstudien können nicht einen Faktor isoliert betrachten.

Was sich in Studien zu Süßstoffen bisher häufig gezeigt habe, sei eine Korrelation und kein kausaler Zusammenhang, so Kabisch. "Hat der Süßstoff die Adipositas verursacht oder nimmt der Mensch Süßstoff, weil er adipös ist? Das können sie bei einer Beobachtungsstudie nicht beantworten." Hier sei weitere Forschung notwendig.

Eine weitere ungeklärte Frage ist: Schaden Süßstoffe dem Darmmikrobiom und beeinflussen auf diese Weise das Immunsystem negativ? Hinweise darauf gibt es, doch auch hier sind weitere Untersuchungen gefragt. Übrigens, dass Zucker dem Darmmikrobiom das Leben schwer macht, gilt als gesichert.

Helfen Süßstoffe beim Abnehmen?

Auf den ersten Blick scheint die Frage leicht zu beantworten zu sein: Wer den kalorienreichen Zucker durch den kalorienarmen Süßstoff ersetzt, verliert Gewicht. "In einem solchen Setting nehmen die Leute immer ab", sagt Kabisch. "Allerdings nicht so stark wie erwartet."

Das könnte etwas mit dem Darm zu tun haben. Dort sitzen Süßrezeptoren, die durch Zucker ebenso aktiviert werden können wie durch Süßstoffe. Die Aktivierung dieser Rezeptoren setzt bestimmte Hormone frei, sogenannte Inkretine. Die unterstützen die Insulinproduktion und sorgen für ein Sättigungsgefühl.

Allerdings gibt es auch hier einen Unterschied zwischen Süßstoff und Zucker: "Purer Süßstoff setzt kein Insulin frei. Möglicherweise treibt das den Hunger wieder an", sagt Stefan Kabisch. 

Ein weiterer Grund, der gegen Süßstoffe als Diätmittel Nummer eins spricht: Sie halten die Lust auf Süßes aufrecht. "Das suchtartige Verhalten, immer wieder und immer mehr Süßes haben zu wollen, bedient man mit Süßstoffen genauso", sagt Kabisch. Es gebe keinen Grund, Süßstoffe aktiv zu meiden, aber auch keinen, sie aktiv zu empfehlen, so Kabisch: "Der Nutzen ist gering, der Schaden nicht klar nachweisbar."

 

Quellen:

WHO advises not to use non-sugar sweeteners for weight control in newly released guidelin, WHO, 15.05.2023

Aspartame hazard and risk assessment results released, WHO, 14.07.2023

Review - Non-nutritive sweeteners and their impacts on the gut microbiome and host physiology, Frontiers Nutrition (2022), Irene L. Richardson, Steven A. Frese

Süßungsmittel: Was sind Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe?, Verbraucherzentrale Deutschland, 10.01.2024

 

Burn On - wenn ständiger Stress zur Depression führt

Viele Menschen stehen permanent unter Strom. Sie brennen für ihren Job: Das Handy ist ihr ständiger Begleiter, immer sind sie erreichbar, auch abends oder am Wochenende. Die Arbeit macht ihnen Spaß, aber es wird immer mehr. Termine hier, Probleme da. Dazu die Familie, Kinder, die Freunde - allen wollen sie gerecht werden. Auch den eigenen Ansprüchen: trotz der Hektik wollen sie noch Sport machen und Veranstaltungen besuchen.

Aber wenn jemand ständig "on fire" ist, kann das gefährlich werden. Dauerstress ohne echte Verschnaufpausen macht krank. Diese chronische Überlastung beschreibt der vergleichsweise neue Begriff "Burn On".

Was ist der Unterschied zwischen Burn Out und Burn On?

Den Begriff "Burn On" haben die Psychologen Timo Schiele und Bert te Wildt von der psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee, in der Nähe von München geprägt. Sie behandeln Patientinnen und Patienten mit Burn Out-Syndrom.  

Burn Out-Symptome sind:

  • Erschöpfung 
  • verringertes Leistungsvermögen 
  • Zynismus/eine mentale Distanz zur Arbeit 

Beim Burn On sind die Symptome anders, so Timo Schiele gegenüber der DW: "Stattdessen beschrieben Betroffene eine zu enge und begeisterte Verbindung zu ihrer Arbeit, teilweise eher eine Hyper-Erregung. Daraus entstand die Beschreibung des Burn On-Syndroms."

Mann in Blauem T-Shirt fühlt Verzweiflung bei Überstunden im hellen Büro
Der permanente Stress kann Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Frust und auch Depressionen auslösennull Pond5 Images/IMAGO

Wie sind die Symptome bei Burn On?

Betroffene brennen für ihre Arbeit, aber der permanente Stress führt zu einer Daueranspannung. Viele leiden zunächst unter:

  • Nackenschmerzen
  • Rückenschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Zähneknirschen (Bruxismus)

Das erschöpfende Leben im Hamsterrad lässt sie verzweifeln, sie verlieren die Hoffnung auf eine Besserung, sie können sich nicht mehr recht freuen und stellen sich die Sinnfrage.

"Neben psychischen Begleit- und Folgeerkrankungen wie Depressionen, Angst- oder auch Suchterkrankungen, gehen wir auch davon aus, dass Betroffene möglicherweise vermehrt an psychosomatischen Phänomenen wie beispielsweise Bluthochdruck und dessen möglichen Folgen leiden", so Schiele. Durch Bluthochdruck steigt die Gefahr von Herzinfarkten und Schlaganfällen deutlich an.

Was sind die häufigsten Ursachen von Burn On?

Unser Alltag wird immer hektischer. Beruflicher Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung sind von zentraler Bedeutung. Starke Konkurrenz, wirtschaftliche Krisen oder hohe Kosten können den Stress verstärken. Zahlen gibt es bislang eher zum Burn Out: Bei der Krankenkasse Pronova hatte die Zahl der Burn Out-Fälle 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zugenommen, ein Fünftel der Beschäftigten fürchtet einen Burn Out. 

Wer im hektischen Alltags nicht nur besonders viel erledigen will, sondern dies auch noch möglichst gut machen möchte, neigt besonders zum Burn On, so Schiele: "Wir gehen davon aus, dass viele Betroffene eine hohe Leistungsmotivation in sich tragen, sich eher schwer damit tun, Fehler zu machen oder Dinge nicht perfekt zu gestalten."

Betroffene glauben durch gewisse (Sach-)Zwänge nur wenig Handlungsspielräume zu haben, so Schiele. "Oftmals erleben wir aber auch Menschen, die sich selbst viele Zwänge auferlegen, zum Beispiel durch Perfektionismus."

Wie kann man Burn On behandeln?

Um dem Hamsterrad und der chronischen Daueranspannung zu entkommen, muss das Problem zunächst erkannt werden, so Schiele: "Erster Schritt einer Behandlung ist wie so oft die Bewusstwerdung eines Problems. Betroffene eines Burn Ons scheinen ja oftmals nach Außen hin noch zu funktionieren, weshalb sie häufig auf Rückmeldungen von Familienangehörigen oder anderen nahestehenden Personen angewiesen sind. Ebenfalls wichtig ist eine Besinnung auf eigene, persönliche Werte."

Gerade wenn jemand für die Arbeit brennt, neigt er im stressigen Alltag dazu, persönliche Bedürfnisse zu vernachlässigen. "Wenn das zum Dauerzustand wird, werden wir unzufriedener. Daher erscheint es wichtig, immer wieder innezuhalten und sich zu fragen – wie wichtig sind mir die Dinge, mit denen ich meinen Alltag fülle? Setze ich meine Energie in den für mich richtigen Bereichen ein? Wenn nein, gilt es etwas zu verändern und zu prüfen, welche inneren wie auch äußeren kleinen Freiräume ich mir dafür schaffen kann. Damit ist oftmals schon ein großer Schritt getan", so Schiele.

Tipps zur Entspannung

Wie kann man permanenten Stress abbauen?

Welche Art der Entspannung jemandem gut tut, hängt von den individuellen Vorlieben ab. Das können Wanderungen, Meditationen oder Yoga sein. Entscheidend ist, den Alltag zu entschleunigen und runterzukommen.

Es kann auch sinnvoll sein, sich professionelle Hilfe zu suchen, etwa durch eine ärztliche oder eine psychotherapeutische Betreuung.

Warum ist die Benennung der Erkrankung wichtig für Betroffene?

Lange galt Burn Out als Modekrankheit. Bislang sind weder Burn Out noch Burn On als eigenständige psychische Krankheiten definiert, auch wenn der gravierende Einfluss auf die Gesundheit anerkannt wird.

Die Symptome variieren sehr stark, das erschwert eine einheitliche Klassifikation nach der ICD. In dieser "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch alle psychischen Erkrankungen aufgelistet.

Trotzdem sei es für Betroffene extrem wichtig, einen Begriff wie "Burn On" zu haben, der ihre Beschwerden beschreibe, so Schiele: "Sich in einem beschriebenen Phänomen wiederzufinden ist für viele Betroffene sehr entlastend und der erste Schritt zur Veränderung. Betroffene fühlen sich dadurch nicht mehr so alleine mit ihrem Problem. Sie können Hoffnung schöpfen, wenn sie erleben, dass es auch andere Menschen gibt, die darunter leiden."

 

Ernährungsmythen überprüft: Macht Kaffee süchtig?

Eine Tasse nach dem Aufstehen. Ein Kaffee-Date mit Kollegen oder Freundinnen. Kaffee entspannt, macht munter und ist soziales Bindeglied. Kurz: Kaffee ist aus dem Leben vieler Menschen nicht wegzudenken. "Kaffee kann definitiv süchtig machen", sagt Carsten Schleh. Er ist Toxikologe und Autor des Buches "Die Wahrheit über unsere Drogen".

Viele Studien kommen ebenfalls zu diesem Ergebnis, weshalb die Koffeinkonsumstörung (Caffeine use disorder) mittlerweile eine anerkannte medizinische Diagnose ist.

Möglich, dass der Konsum in den kommenden Jahren zurückgeht, weil der Klimawandel die Kaffeeproduktion und -ernte bedroht und die Preise steigen lässt. Bisher geht der Trend allerdings in die andere Richtung. In Luxemburg wurde im Jahr 2023 mit 8,5 kg pro Person am meisten Kaffee getrunken. In Deutschland lag der Absatz bei gut 4,8 kg pro Kopf und in Brasilien waren es 4,5 kg.

Was steckt in Kaffee drin?

Kaffee ist ein komplexes Gemisch aus mehr als 1000 verschiedenen Inhaltsstoffen. Dazu gehören Polyphenole, die in Pflanzen als Farb- oder Geschmacksstoffe vorkommen, Vitamin B2 und Magnesium.

Was den Kaffee als Getränk aber so besonders beliebt macht, ist ein anderer Inhaltsstoff: Koffein. Koffein ist eine natürliche Substanz, die in Kaffee- und Kakaobohnen und in manchen Teeblättern (Teein) enthalten ist. Auch Energy-Drinks stecken voller Koffein.

Wie wirkt Koffein im Körper?

15 bis 30 Minuten nach dem ersten Schluck Kaffee ist das darin enthaltene Koffein im Gehirn angekommen. "Dort bindet es an die Adenosinrezeptoren", sagt Schleh. 

Adenosin blockiert die Ausschüttung aktivierender Botenstoffe wie Dopamin oder Noradrenalin. "Adenosin spielt Sandmännchen im Gehirn. Wir werden müde und träge", erklärt Schleh.

Koffein blockiert die Adenosinrezeptoren und nimmt dem Adenosin damit seinen Platz weg. Die einschläfernde und beruhigende Wirkung des Signalmoleküls bleibt aus. Oder anders gesagt: Wer Kaffee trinkt, bleibt wach.

"Kaffee regt den Blutdruck an und macht fitter, agiler und leistungsbereiter", sagt Schleh über die schönen Seiten des Kaffeetrinkens.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Wann spricht man von Kaffeesucht?

 Koffein sei die am häufigsten konsumierte psychoaktive Droge der Welt, heißt es in einem Review in der Zeitschrift Psychopharmacology. 

Wie viele psychoaktive Substanzen erhöht auch Koffein die Ausschüttung von Dopamin. Dopamin wirkt positiv erregend im Körper und ist deshalb auch als Glückshormon bekannt. Adenosin hemmt die Dopamin-Ausschüttung, sobald es an die Rezeptoren bindet. Sind die allerdings schon vom Koffein besetzt, bleibt das Glückshormon-Level ungebremst hoch.

Das hat auch körperliche Folgen: "Wenn Sie viel Kaffee trinken, bilden sich weitere Adenosinrezeptoren aus", sagt Schleh. Das bedeutet: Läuft kein Kaffee nach, hat das Adenosin plötzlich sehr viele Bindungsstellen. Starke Müdigkeit und Gereiztheit können die Folge sein. Es sind Koffeinentzugserscheinungen. Weitere Symptome sind:

  • Kopfschmerzen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Niedergeschlagenheit
  • Unzufriedenheit

"Das tolle, entspannende Gefühl während der ersten Tasse Kaffee am Morgen kommt auch daher, dass wir unsere Entzugserscheinungen lindern", sagt Schleh.

Ist Kaffee gesund oder nicht?

Auch wenn das Koffein in Kaffee Suchtpotential hat, ein moderater Kaffeekonsum schadet gesunden erwachsenen Menschen nicht. "Die Dosis macht das Gift", sagt der Toxikologe Schleh. 

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) empfiehlt eine über den Tag verteilte Koffeinmenge von 400 mg. Das sind, je nach Größe der Kaffeetasse, etwa zwei bis fünf Tassen. Schwangere sollten 200 mg Koffein pro Tag nicht überschreiten. 

Innerhalb dieser Grenzwerte hat Kaffee durchaus gesundheitliche Vorteile: Das Getränk wird mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen, Leber- und Gebärmutterkrebs, Parkinson und Depressionen in Verbindung gebracht.

Wer auf Kaffeeentzug mit Symptomen wie Zittern, Schwitzen oder depressiver Verstimmung reagiert, könnte unter einer Koffeinsucht leiden. Da eine Abhängigkeit von Koffein lange keine anerkannte Sucht war, werden Betroffene oft nicht ernst genug genommen. 

Carsten Schleh empfiehlt allen, deren Koffeinkonsum über dem empfohlenen Tagesmaß liegt, den Kaffee langsam zu reduzieren. "Koffein ist eine der harmloseren Drogen." Ein kalter Entzug ist selten notwendig und kann sehr unangenehme Symptome mit sich bringen. Die Gefahr für einen Rückfall ist dann besonders groß."

Quellen:

EFSA erklärt Risikobewertung - Koffein, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)

Caffeine Use Disorder: A Comprehensive Review and Research Agenda, Journal of Caffeine Research, Steven E. Meredith, Laura M. Juliano, John R. Hughes and Roland R. Griffiths

An update on the mechanisms of the psychostimulant effects of caffeine, Journal of Neurochemistry, Sergi Ferré

Autismus - Krankheit oder Charakterzug?

Wenn die Sonne scheint, bleibt John gern im Zimmer. Es stört ihn, wenn alles glitzert und reflektiert. Es stört ihn auch, wenn es laut ist oder ein Fremder neben ihm im Bus sitzt. John ist Autist. "Er kann nicht schreiben, nicht sprechen und nicht alles verstehen", sagt Monika Scheele-Knight, Johns Mutter. "Man kann sagen, dass er wie ein ein- oder zweijähriges Kind ist."

Als John drei Jahre alt war, stellten Ärzte bei ihm frühkindlichen Autismus fest. Menschen mit dieser Autismus-Form entwickeln kaum Gestik und Mimik und haben Probleme, Gefühle zu verstehen. Viele halten zwanghaft an immer gleichen, wiederkehrenden Ritualen fest, an festgelegten Wegen oder Tagesabläufen.

Auch Rainer Döhle ist Autist. Er war bereits erwachsen, als bei ihm ein Asperger-Syndrom festgestellt wurde - eine Form von Autismus, die nicht mit sprachlichen und geistigen Beeinträchtigungen einhergeht. "Aber in meinem Zeugnis stand immer: Er findet keinen Zugang zur Klassengemeinschaft", erzählt er. "Ich habe einfach nie verstanden, wie Freundschaft funktioniert und war immer froh, wenn man mich in Ruhe gelassen hat und ich lesen konnte." Die Diagnose "Asperger-Syndrom" sei für ihn eine große Erleichterung gewesen - endlich gab es eine Erklärung für die Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Heute sitzt Rainer Döhle im Vorstand von Aspies e.V., dem größten deutschen Selbsthilfeverein für Autisten. Er arbeitet als Übersetzer und ist Autor bei Wikipedia. "Ich hab eine Hochbegabung und spezielle Interessen im Bereich Geographie und Geschichte. Manchmal schreibe ich stundenlang Listen über Regenten oder Hauptstädte. Aber inzwischen kann ich das konstruktiv nutzen."

Hilfe für Autisten

Von hochbegabt bis geistig beeinträchtigt

Während einige Autisten nie sprechen lernen, fallen andere schon früh durch ihre gewählte Sprache auf. Die einen sind motorisch ungeschickt, andere zeichnen stundenlang - es gibt den geistig beeinträchtigten Autisten ebenso wie den mit dem außergewöhnlichen Zahlengedächtnis. Sie alle zeigen aber in der Regel immer dieselben, wiederkehrenden Verhaltensmuster und haben ähnliche Schwierigkeiten, mit anderen zu interagieren.

Während man noch vor einigen Jahren dachte, dass es sich bei den verschiedenen Formen von Autismus um qualitativ unterschiedliche Zustände handelt, die jeweils unterschiedliche Ursachen haben, weiß man heute aus vielen Studien, dass sie sich eher graduell unterscheiden.

"Autismus ist nichts qualitativ anderes als das Asperger-Syndrom", erklärt Sven Bölte, Leiter der Forschungsgruppe "Autismus-Spektrum-Störungen" am Stockholmer Karolinska-Institut. "Beide Autismusformen unterscheiden sich eher in der Schwere ihrer Symptome." Autismus-Forscher sprechen daher heute von Autismus-Spektrum-Störungen, die sie auf eine andersartig verlaufene neurologische Entwicklung zurückführen. Was da bei Autisten allerdings genau untypisch verläuft in der Entwicklung von Gehirn und Nervensystem ist unklar.

Der britische Autor und Autist Daniel Tammet
Der britische Autor und Autist Daniel Tammet hält mit 22.514 Stellen den europäischen Rekord im auswendigen Aufsagen der Zahl Pinull AFP/Getty Images

Eine Extremvariante des männlichen Gehirns?

Aus Hirnscans etwa weiß man, dass Autisten weniger Aktivität in Hirnregionen zeigen, die für die Verarbeitung von Gefühlen und Sprache zuständig sind oder für die Erinnerung an Gesichter. Dafür gibt es eine stärkere Aktivität dort, wo Objekte verarbeitet und Details eines Systems erkannt werden.

Der britische Autismus-Forscher Simon Baron-Cohen vertritt daher die Ansicht, Autisten besäßen eine Extrem-Variante des männlichen Hirns. In einer Studie hatte er im Fruchtwasser von Schwangeren den Spiegel des sogenannten pränatalen Testosterons gemessen, das Einfluss auf die Hirnentwicklung hat. "Als wir nach der Geburt die Kinder untersuchten, fanden wir: Je höher das Niveau des pränatalen Testosterons war, desto mehr zeigten die Kinder später autistische Züge - und desto mehr Interesse für Systeme."

Ausschnitt aus dem Film "Rain Man"
In dem Film "Rain Man" spielt Dustin Hoffman den Autisten Raymondnull picture-alliance/United Archives

Gehirne von Autisten unterscheiden sich von typischen Gehirnen außerdem durch eine andere Verteilung der Andockstellen für die Botenstoffe Dopamin und Serotonin - die unter anderem bei der Steuerung von Angst und Motivation eine Rolle spielen. Studien der Universität Freiburg zeigen, dass die Kommunikation zwischen Neuronen in den Gehirnen von Autisten gestört ist und auch Gene und Genveränderungen sind im Zusammenhang mit Autismus entdeckt worden.

Die jedoch erklären häufig nur einige autistische Symptome, zum Beispiel eine gestörte Sprachfähigkeit. Sie tauchen nur bei wenigen untersuchten Personen auf oder finden sich ebenso bei gesunden Menschen oder bei Nichtautisten mit Intelligenzminderung, Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder Epilepsie.

Umweltfaktoren beeinflussen Autismus-Risiko

Wahrscheinlich sei es deshalb so, erläutert Sven Bölte, dass neben der Genetik auch noch andere Faktoren bei der Entstehung von Autismus eine Rolle spielen. "In einer dänischen Studie wurde der Zusammenhang von Autismus und viralen Infektionen in der Schwangerschaft untersucht. Dabei hat man festgestellt, dass das Autismus-Risiko des Kindes von einem auf zwei Prozent gestiegen ist, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine solche Infektion hatte."

Auch bestimmte Medikamente, die während der Schwangerschaft genommen werden, Komplikationen bei der Geburt und sogar Umweltgifte oder Luftverschmutzung sind mögliche Risikofaktoren für Autismus. Allerdings: "Diese Faktoren sind nicht für jeden gleichermaßen ein Risiko. Die Entstehung von Autismus kann individuell ein ziemlich komplexes Wechselspiel sein."

Autismus-Diagnose bleibt subjektiv

Was Autismus ist, entscheiden Psychiater und Neurologen daher noch immer in erster Linie aufgrund des beobachtbaren Verhaltens: Dieselben, immer wiederkehrenden Verhaltensweisen, Probleme in der sozialen Interaktion. Es bleibt eine subjektive Einschätzung. Mehr noch: Je komplexer das Bild, das Genetiker, Epidemiologen und Neurowissenschaftler von Autismus zeichnen, desto mehr verschwimmen die Kriterien dafür, was Autismus ist - und was nicht.

"Im Moment beobachten wir so ein 'Ausfransen'. Wir wissen nicht mehr: Wo ist das Ende des Spektrums?", kritisiert Inge Kamp-Becker, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg. "Viele Studien zeigen aber, dass Autismus eher eine Eigenschaft ist, dass es autistische Züge gibt, die man eben auch in der Normalbevölkerung findet und noch viel mehr zusammen mit anderen Störungsbildern. Aber was genau dann Autismus ist, das wird immer unklarer."

Symbolbild : Autismus
Autisten haben oft Probleme, in Kontakt mit anderen Menschen zu tretennull Fotolia/pholidito

Diagnostisch wird die Grenze zwischen gesund und krank meist dort gezogen, wo autistisches Verhalten dazu führt, dass jemand alltägliche Aufgaben nicht selbstständig erfüllen kann und wo Hilfebedarf besteht.

Die Grenze jedoch ist fließend. Und auch in der Autismus-Forschung, so Sven Bölte, bleibt die Frage - Krankheit oder Charakterzug - vorerst unentschieden: "Es spricht nichts dagegen, zu sagen, dass alle Menschen im Bereich ihrer sozialen Fertigkeiten variieren. Und wenn wir in einen Bereich von sehr gering ausgeprägtem Sozialverhalten kommen, befinden wir uns im Bereich des Autismus. Auf der anderen Seite wären dann die Leute, die sehr kommunikativ und sozial sind. Es ist nicht undenkbar, dass man da mal hinkommt."

Aber? "Viele Forscher - und auch ich - sind nicht sicher, ob es nicht doch diesen Shift gibt, ob sich die Entwicklung beim Autismus nicht doch qualitativ von anderen Störungen und von einer typischen neuronalen Entwicklung unterscheidet. Ich habe meine Meinung da auch 20 bis 30 Mal geändert, weil's einfach schwierig ist."