FIFA gibt Fußball-WM der Frauen 2027 an Brasilien

Deutschland und seinen Partnern bleibt die Austragung der Frauen-WM 2027 verwehrt. Die Mitgliedsländer des Fußball-Weltverbandes FIFA stimmten beim Kongress in Thailands Hauptstadt Bangkok am Freitag mehrheitlich für den Konkurrenten Brasilien. Damit wird erstmals eine Frauen-WM in Südamerika stattfinden.

Deutschland hatte die WM im Jahr 2011 zuletzt alleine ausgerichtet. Unter dem Motto "Breaking New Ground" hatte sich der Deutsche Fußball-Bund gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden beworben. Die USA und Mexiko hatten ihre gemeinsame Bewerbung für 2027 Ende April zurückgezogen, zuvor hatte dies bereits Südafrika getan.

Bei der abschließenden Präsentation hatte Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), "die bislang kommerziell erfolgreichste Frauen-WM" und das "kompakteste Turnier" versprochen. Man wolle, die "größte Feier des Frauenfußballs in der Geschichte" organisieren. Seine Versprechungen reichten aber offenbar nicht, um die Mehrheit der Kongressmitglieder zu überzeugen.

"Glückwunsch an Brasilien, das war ein fairer Wettbewerb", sagte Neuendorf. "So ist es im Sport, man kann gewinnen und verlieren. Ich glaube, wir haben alles gegeben." Die Entscheidung habe keine Auswirkungen auf die Bemühungen in den drei Ländern, den Frauenfußball zu stärken. "Den Weg werden wir weitergehen", sagte Neuendorf. Brasiliens Verbandschef Ednaldo Rodrigues äußerte, er sei "euphorisch", er dankte seinem Team. "Ich fühle eine Menge Emotionen, wir wussten, dass es schwer werden würde. Aber wir wussten, dass wir vereint erfolgreich sein würden." Brasilien werde die "beste WM" liefern.

Schlechte Benotung durch die FIFA

Schon einige Tage zuvor hatten die deutschen WM-Hoffnungen einen Dämpfer erlitten: Im Evaluierungsbericht der FIFA hatte Brasilien 4,0 von 5 möglichen Punkten erhalten, die Europäer kamen lediglich auf 3,7. Es gebe bei einer Vergabe an Deutschland, Belgien und die Niederlande eine "Reihe rechtlicher Risiken", hieß es im Bericht. Für die FIFA bestehe die Gefahr, "mit erheblichen operativen und finanziellen Problemen konfrontiert zu werden".

Gianni Infantino und Bernd Neundorf im Gespräch auf der Tribüne bei der Fußball-WM in Katar
Gelten nicht als Freunde: FIFA-Präsident Gianni Infantino (l.) und DFB-Präsident Bernd Neuendorf (r.)null Federico Gambarini/dpa/picture alliance

Der Hintergrund der Benotung scheint klar: Der Weltverband zielt wieder einmal auf maximale Erlöse ab. Schon in der Vergangenheit war es der FIFA ein Dorn im Auge, wenn sie ihre Forderungen im Hinblick auf staatliche Unterstützung und Steuererleichterungen nicht wie gewünscht durchsetzen konnte. Der Bericht stellte jedoch nur eine Empfehlung dar und war in der Vergangenheit nicht immer ein sicherer Indikator für die letztliche Vergabe.

Ohnehin haben Neuendorf und FIFA-Präsident Gianni Infantino nicht das innigste Verhältnis. Neuendorf hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder mal verhalten kritisch gegenüber Infantino und dessen Plänen geäußert. Auch die Unterstützung bei dessen letzter Wiederwahl im November 2023 hatte Neuendorf lange offen gelassen und letztlich nicht für den Schweizer gestimmt, der dennoch mit großer Mehrheit gewonnen hatte. Allerdings wurden keine Stimmen ausgezählt, sondern per Applaus abgestimmt. 

Nächste Chance erst 2035?

Die letzten Bemühungen der deutschen Delegation im Kampf um den WM-Zuschlag fruchteten nicht mehr: Neuendorf und DFB-Sportdirektorin Nia Künzer hatten in den vergangenen Tagen noch einmal kräftig die Werbetrommel gerührt und sich prominente Unterstützung aus der Politik geholt. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz waren Belgiens Premierminister Alexander De Croo und Mark Rutte, Ministerpräsident der Niederlande, eingespannt worden.

Mit der gescheiterten Bewerbung könnte sich die Chance auf eine Heim-WM für den DFB nun für viele Jahre erledigt haben. FIFA-Boss Infantino pflegt vor dem Männerturnier 2026 immer engere Kontakte in die USA, die nach dem Rückzug im aktuellen Bewerbungsprozess als Kandidat für die Frauen-WM 2031 gelten. Die nächste Chance für den DFB ergibt sich damit womöglich erst 2035. 

asz/sn (SID, dpa)

FIFA führt Klub-WM der Frauen ein

Der Fußball-Weltverband FIFA richtet in gut anderthalb Jahren erstmals eine Klub-Weltmeisterschaft für Frauen-Teams aus. Die Premiere mit 16 Teams soll im Januar und Februar 2026 und danach alle vier Jahre stattfinden. Das beschloss das FIFA-Council, das höchste Gremium des Verbands, bei seiner Sitzung in der thailändischen Hauptstadt Bangkok. Als deutscher Vertreter war Bernd Neuendorf dabei, der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB).

Zudem soll es in Jahren, in denen keine Klub-WM ausgerichtet wird, einen weiteren internationalen Wettbewerb für Vereine geben. Weitere Details sollen noch folgen. In der kommenden Saison 2024/25 startet auch die CONCACAF, der Fußballverband Nord- und Mittelamerikas sowie der Karibik, als letzter der sechs Kontinentalverbände einen Vereinswettbewerb nach dem Vorbild der europäischen Champions League

Das Council verabschiedete den internationalen Spielkalender für Fußballerinnen von 2026 bis 2029. Dabei wurde die Zahl der Abstellungsfenster für Länderspiele von sechs auf fünf verringert. Dies solle den Spielerinnen mehr Gelegenheiten für Pausen geben und den Reisestress verringern.

Entscheidung über Frauen-WM 2027 am Freitag

Die Entscheidungen seien "ein wichtiger Meilenstein, um das Frauen-Spiel auf das nächste Level zu heben", sagte FIFA-Präsident Gianni Infantino. Bei den Männern findet die Klub-WM vom kommenden Jahr an mit 32 statt wie bisher sieben Mannschaften statt.

Am Freitag (17. Mai) entscheidet der FIFA-Kongress in Bangkok über die Vergabe der Frauen-Weltmeisterschaft 2027. Die beiden verbliebenen Kandidaten sind Brasilien sowie das europäische Trio aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden.

sn/asz (dpa, sid)

Olympia-Auslosung: Anspruchsvolle Gruppe für DFB-Frauen

"Ich bin eigentlich sehr zufrieden. Bei Australien weißt du, was auf dich zukommt. Bei den USA wissen wir auch, was Sache ist. Sambia oder Marokko als drittes Spiel passt eigentlich auch ganz gut rein", sagte Horst Hrubesch, Interims-Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen. "Das muss eine Gruppe sein, die auch machbar ist für uns." Die beiden Gruppenbesten kommen jeweils ins Viertelfinale des Frauenfußball-Turniers bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris (25. Juli bis 10. August). Dazu qualifizieren sich die beiden besten Dritten für die Runde der letzten Acht.

Entscheidung über afrikanischen Gegner Anfang April

Erster Gegner der DFB-Frauen ist am 25. Juli in Marseille der WM-Vierte Australien. Am 28. Juli trifft Hrubeschs Mannschaft, ebenfalls in Marseille, auf Olympia-Rekordsieger USA. Das dritte Vorrundenspiel ist für den 31. Juli in Saint-Etienne angesetzt. Ob der Gegner Sambia oder Marokko heißt, entscheidet sich Anfang April in der Finalrunde der afrikanischen Olympia-Qualifikation. Die beiden Teams treffen am 5. und 9. April aufeinander. Das zweite Afrika-Ticket wird am 1. und 9. April zwischen Nigeria und Südafrika ausgespielt. 

Giulia Gwinn im Zweikampf mit der Niederländerin Esmee Brugts beim Spiel um Platz drei in der Nations League Ende Februar.
Durch einen 2:0-Erfolg in den Niederlanden lösten Giulia Gwinn (l.) und Co. Ende Februar die Olympiafahrkartenull Memmler/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Nach Olympia übernimmt Christian Wück

Durch den 2:0-Auswärtssieg im Spiel um Platz drei der Nations League in den Niederlanden hatte sich Deutschland, der Olympiasieger von 2016 in Rio de Janeiro, das letzte Europa-Ticket für den Kampf um die Medaillen in Paris gesichert. Für das Olympische Turnier 2021 in Tokio hatten sich die DFB-Frauen nicht qualifizieren können. Für den 72 Jahre alten Hrubesch endet in Paris die Zeit als Übergangs-Bundestrainer. Danach wird Christian Wück, Weltmeistertrainer der U-17-Junioren des DFB, den Posten übernehmen. 

sn/jk (dpa, sid) 

DFB-Team ohne Mats Hummels und Leon Goretzka zur Fußball-EM

"Super-Truppe! Könnte von mir sein, ist aber unser Kader", sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann am Ende das Videos, in dem bei der Pressekonferenz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) der vorläufige Kader für die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland vorgestellt wurde. Damit wollte er betonen, dass er und sein Trainerteam gemeinsam die Spieler ausgesucht hatten, die am besten für die Mannschaft und ein erfolgreiches Abschneiden passen.

27 Spieler wurden berufen. Am 7. Juni ist der Tag, an dem Nagelsmann seine endgültige Auswahl, die maximal 26 Spieler umfassen darf, benennen muss. Einen Spieler muss der Bundestrainer vor dem Turnier also noch aussortieren.

Angeführt wird das Aufgebot von Kapitän Ilkay Gündogan. Mit Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller gehören ihm noch drei Weltmeister von 2014 an. Ein weiterer, Mats Hummels von Borussia Dortmund, fand genau wie Leon Goretzka vom FC Bayern keine Berücksichtigung.

"Anfang der Woche hatte ich mit beiden längere Gespräche", sagte Nagelsmann. "Natürlich sind beide sehr enttäuscht. Am liebsten würde man alle mitnehmen, aber ich muss meine Entscheidungen treffen im Sinne der Mannschaft. Ich habe versucht, es zu begründen. Es waren keine 'bösen Gespräche', aber es gibt angenehmere." Auch der verletzte Münchener Serge Gnabry wird nicht mit zum Turnier genommen. 

Ungewöhnliche Nominierungs-Kampagne vorab

Die Bekanntgabe durch Nagelsmann auf der Pressekonferenz am Donnerstag war lediglich der Abschluss einer ungewöhnlichen Nominierungskampagne. Der DFB hatte in den Tagen zuvor die Namen zahlreicher EM-Fahrer vorab durch Prominente, Fans, Influencer und Medien verkünden lassen. Das erzeugte Aufmerksamkeit und sollte die Vorfreude auf das erhoffte Sommermärchen 2.0 steigern. Der Großteil des Kaders war bis zum Mittwochabend schon öffentlich. Allerdings gab es auch einige Falschmeldungen, bei denen man zunächst nicht wusste, ob sie tatsächlich vom DFB autorisiert und initiiert waren, bis das offizielle Dementi vom Verband kam.

Der DFB-Tross wird sich in der übernächsten Woche zum Trainingslager versammeln. Es findet vom 26. bis 31. Mai in der Nähe der Stadt Weimar im Bundesland Thüringen statt. Allerdings stehen von den 27 nominierten Spielern gleich mehrere zum Start nicht zur Verfügung. Die Dortmunder Nico Schlotterbeck und Niclas Füllkrug spielen am 1. Juni in London noch im Finale der Champions League. Dort treffen sie auf ihre Nationalmannschaftskollegen Toni Kroos und Antonio Rüdiger von Real Madrid. Auch Florian Wirtz, Jonathan Tah und Robert Andrich von Bayer 04 Leverkusen werden nach dem DFB-Pokalfinale gegen den Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern am 25. Mai und der Saison-Abschlussfeier des neuen deutschen Meisters am Tag darauf leicht verspätet ins Trainingslager reisen.

"Es ist immer besser, dass Spieler mit Erfolgen zur Nationalmannschaft kommen", sagte Nagelsmann. "Natürlich wäre es einfacher, wenn alle von Anfang an da wären, aber ich traue uns zu, alle zu integrieren."

Die deutsche Mannschaft bestreitet vor dem EM-Auftakt noch zwei Testspiele. Am 3. Juni geht es in Nürnberg gegen die Ukraine. Vier Tage später steht in Mönchengladbach die EM-Generalprobe gegen Griechenland auf dem Programm. Das Turnier startet für Nagelsmann und sein Team dann mit dem Eröffnungsspiel am 14. Juni in München gegen Schottland.

Der deutsche EM-Kader in der Übersicht:

Tor: Manuel Neuer (FC Bayern), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona), Alexander Nübel (VfB Stuttgart), Oliver Baumann (TSG Hoffenheim)

Abwehr: Jonathan Tah (Bayer Leverkusen), Antonio Rüdiger (Real Madrid), Robin Koch (Eintracht Frankfurt), Nico Schlotterbeck (Borussia Dortmund), Joshua Kimmich (FC Bayern), Benjamin Henrichs, David Raum (RB Leipzig), Waldemar Anton (VfB Stuttgart)

Mittelfeld und Angriff: Toni Kroos (Real Madrid), Ilkay Gündogan (FC Barcelona), Florian Wirtz, Robert Andrich (beide Bayer Leverkusen), Kai Havertz (FC Arsenal), Pascal Groß (Brighton & Hove Albion), Niclas Füllkrug (Borussia Dortmund), Deniz Undav, Chris Führich, Maximilian Mittelstädt (alle VfB Stuttgart), Thomas Müller, Jamal Musiala, Leroy Sané, Aleksandar Pavlovic (alle FC Bayern), Maximilian Beier (TSG Hoffenheim)

asz/ck (SID, dpa)

Ukraines Sportminister: "Es gibt keine neutralen Athleten"

DW: Herr Bidny, viele Staaten unterstützen die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus an den Olympischen Spielen teilnehmen zu lassen, allerdings unter neutraler Flagge. Was halten Sie davon?

Matwij Bidny: Unsere Position bleibt unverändert: Wir sind der Meinung, dass es keine neutralen Athleten gibt. Wir denken, dass alle Athletinnen und Athleten, die die russische Aggression nicht unterstützen, ihre Nationalität wechseln sollten. Das ist jetzt möglich. Aber russische und belarussische Athleten unter neutraler Flagge, das ist keine gute Entscheidung.

Es gibt ukrainische Sportler, die Wettkämpfe mit russischen Teilnehmern boykottieren. Wie ist die offizielle ukrainische Haltung dazu? Unterstützen Sie dieses Verhalten?

Ich denke, es sollte die Entscheidung unserer Athleten sein, denn viele von ihnen befinden sich jetzt in einer sehr schwierigen Lage. Sie müssen sich überlegen, wie sie gemeinsam mit Menschen in eine Sportarena gehen können, die die Tötung ihrer Angehörigen unterstützen. Sportlerinnen und Sportler, die möglicherweise einen direkten Draht zu den Leuten haben, die den Knopf für die Raketen drücken, mit denen unsere friedlichen Mitbürger getötet werden.

Es ist daher eine sehr schwierige Entscheidung für jeden von uns. Es gibt ein spezielles Verfahren, nach dem Athletinnen und Athleten als neutral akzeptiert werden oder nicht. Diese Kriterien der Neutralität sollten erfüllt werden. Es ist sehr wichtig, dass keiner der Propagandisten des russischen Regimes zu den Olympischen Spielen zugelassen und dort akzeptiert wird.

Im Juni beginnt in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft. Die Ukraine wird teilnehmen. Russland konnte sich nicht qualifizieren, weil sie vorher ausgeschlossen wurden. Was bedeutet das für Ihr Land?

Torschütze Mykhailo Mudryk von der Ukraine bejubelt den 2:1-Siegtreffer gegen Island im entscheidenden Spiel der EM-Qualifikation
Ende März setzte sich die Mannschaft der Ukraine im Playoff der EM-Qualifikation gegen Island durchnull Pawel Lipnicki/firo Sportphoto/picture alliance

Es ist ein weiteres Zeichen für die ukrainische Widerstandsfähigkeit. Selbst in diesem Umfeld und dieser schwierigen Situation sind unsere Sportler weiterhin Gewinner. Sie lenken so das Augenmerk der ganzen Welt darauf, was heute in der Ukraine passiert. Es ist sehr wichtig für uns zu zeigen, dass die Ukraine immer noch Teil der europäischen Familie ist - ein großes, mächtiges Land mit einer großen und glänzenden Zukunft.

In Deutschland sollen die Sicherheitsvorkehrungen für die Ukrainer zur Europameisterschaft verstärkt werden. Machen Sie sich Sorgen um Ihre Fußballspieler?

Natürlich machen wir uns jedes Mal Sorgen um unsere Sportler, denn die Lage ist sehr schwierig. Wir denken über die Situation bei den Olympischen Spielen und bei der Euro 2024 nach. Aber wir glauben an unsere Kollegen in Frankreich und Deutschland. Sport-Großereignisse sind immer eine Herausforderung. Wir sind überzeugt davon, dass sie in der Lage sein werden, ausreichend für Sicherheit zu sorgen.

Matwij Bidny, geboren 1979, ist ein ukrainischer Sportmanager und ehemaliger Bodybuilder. Am 9. November 2023 wurde er zum Minister für Jugend und Sport der Ukraine ernannt.

Das Interview führte Lucia Schulten, DW-Korrespondentin in Brüssel.

EURO 2024: "Wir brauchen ein neues Sommermärchen - für uns selbst"

"40 Jahre Selbstzweifel sind von einem ganzen Land abgefallen", befand der Soziologe Thomas Druyen 2006 nach dem "Sommermärchen" der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland: Vier Wochen lang hatten Hunderttausende Fans das Land gefühlt in eine einzige Fanmeile verwandelt und das DFB-Team, den Fußball und auch ein Stück weit sich selbst gefeiert. "Es war nicht nur deutscher Patriotismus, sondern es war schon eine Form des Weltbürgertums, weil man sich gemeinsam freute. Man freute sich nicht gegen jemanden und für etwas, sondern die Freude hat einen Selbstzweck bekommen", sagte Druyen damals in einem Interview, das der bekannte deutsche Filmregisseur Sönke Wortmann führte.

18 Jahre später hat DW-Sport mit dem Wissenschaftler noch einmal über das Sommermärchen gesprochen - mit Blick auf die bevorstehende Europameisterschaft in Deutschland (14. Juni bis 14. Juli).

DW: Wie nachhaltig war aus Ihrer Sicht das Sommermärchen 2006?

Thomas Druyen: Der Fußball ist eine der wenigen Wettbewerbe, in denen selbst Niederlagen Emotionalität nicht oder nur ganz selten in Hass umschlagen lässt. Dieser Sport ist zudem begnadet, weil er Regeln hat, die alle Welt akzeptiert. Die Kraft des Fußballs hat 2006 dazu geführt, dass ein skeptisches, nicht risikoaffines, sondern sicherheitsfanatisches Volk wirklich die Arme öffnete und ein großes Fest feierte. Es war für mich, wie für Millionen andere Menschen, eine Sternstunde in meinem Leben. Die Erinnerung daran ist nachhaltig, im Sinne einer Sehnsucht. Nachhaltig ist auch die internationale Akzeptanz, was unsere Menschlichkeit angeht. Ich bin viel in der Welt unterwegs, und mich hat noch nie jemand bedauert, dass ich aus Deutschland komme. Erschreckend ist allerdings zu beobachten, wie weit wir aktuell von diesem verbindenden Gemeinschaftserlebnis und -gefühl von 2006 entfernt sind. Das ist eine durchaus desaströse Entwicklung. Vielleicht war es wirklich ein Sommermärchen und keine Sommerwirklichkeit.

Soziologe Thomas Druyen im Porträt
Prof. Thomas Druyen: "Vielleicht Sommermärchen und keine Sommerwirklichkeit"null Stefan Zeitz/IMAGO

Nach 2006 haben viele gedacht, von nun an sei Deutschland unwiderruflich das weltoffene Land, als das es sich vier Wochen lang präsentiert hatte. Ist die damalige Heim-WM verklärt worden?

Ich glaube, dass diese Naivität ein Kennzeichen unserer Kultur ist. Wir erleben einen Sieg unserer Lieblingsmannschaft und meinen, dass war die Wende. Wir erleben etwas Schönes im Privatleben oder Beruf und meinen, es bleibt so. Diese gewisse Gutgläubigkeit war damals ein Teil der Euphorie. Wir haben gedacht, das bleibt so. Aber wir haben nicht erkannt, dass man dafür etwas leisten muss. So eine Atmosphäre kann man nicht einfach aus dem Hut zaubern. Vor allen Dingen nicht, wenn es einem nicht gut geht. Wir müssen nach den Kriterien fragen, die dieses wünschenswerte Ereignis möglich gemacht haben. Denn so eine positive Stimmung verbessert das Leben - und entlastet auch die Psychotherapeuten.

Wir haben jetzt einige ähnliche Voraussetzungen wie 2006: ein Team, dem man bis vor Kurzem nichts zutraute, ein relativ neuer Trainer, der auch vor drastischen Schritten nicht zurückschreckt. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein neues Sommermärchen bei der anstehenden Heim-EM?

Nichts würde ich uns mehr wünschen. Nichts würde ich aber im Moment mehr ausschließen, weil die gesellschaftlichen Bedingungen nicht dazu passen und auch nicht unsere Bereitschaft, über uns selbst hinauszuwachsen. Unsere Gesellschaft ist tief frustriert. Aus so einer Stimmung heraus loszulassen, ist - wenn überhaupt - nur möglich, wenn Deutschland ins Endspiel kommt. Eine Euphorie kann nicht aufkommen, wenn die eigene Mannschaft ausscheidet. Die sportliche Krise der Nationalelf in den letzten Jahren war ein Spiegelbild unserer seelischen Verfassung. Der Fußball durchlief die gleichen Probleme wie unsere Gesellschaft. Die lange Erfolglosigkeit hatte auch psychische Gründe. Selbst tolle Spieler kamen in der Mannschaft nicht zurecht.

Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Torsten Frings (l.-r.) bejubeln Lahms Tor zum 1:0 im Vorrundenspiel gegen Costa Rica.
Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Torsten Frings (l.-r.) und Co. begeisterten 2006 die Fansnull Florian Eisele/Pressefoto ULMER/picture-alliance

Ukrainekrieg, Nahostkonflikt, andere ungelöste Probleme - viele Menschen in Deutschland sind verunsichert und in einer eher depressiven Grundhaltung. Wie kann man es schaffen, die Freude wieder wie 2006 zum Selbstzweck zu erheben?

Unsere Position in der Welt, der Zustand unseres Landes, etwa der Medizin, unsere technischen Möglichkeiten stehen international immer noch sehr weit oben. Ja, wir haben etwa zehn Prozent der Bevölkerung, deren Situation wirklich anders werden sollte oder muss. Aber in den meisten anderen Gesellschaften sind es dreißig oder vierzig Prozent. Wir haben faktisch eine deutlich bessere Position, als sie empfunden wird. Es hat also mit Wahrnehmung zu tun. Wenn wir unsere Sorgen 90 Minuten lang ausblenden können und uns einfach nur gemeinsam am Fußballspiel erfreuen, in der Familie oder beim Public Viewing, bedeutet das ein Stück Lebensqualität. Gerade weil die Voraussetzungen jetzt so schlecht sind, sollte es für uns ein Ansporn sein zu sagen: "Mensch, jetzt lass‘ doch mal los! Wir feiern gemeinsam." Es ist eine historische Gelegenheit, die emotionale Sackgasse zu überwinden, in der wir uns gerade befinden. Nehmen wir das Beispiel Borussia Dortmund. Die Bundesliga-Saison verlief eher enttäuschend. Aber jetzt steht der BVB im Champions-League-Endspiel. Was für eine Euphorie, was für eine Freude! Da werden auch viele Leute Seite an Seite stehen, die sich vorher nicht mochten.

Im Gegensatz zu 2006 gibt es heute im Bundestag die AfD, eine rechtspopulistische, in Teilen rechtsextremistische Partei. Sehen Sie die Gefahr, dass diese Szene ein neues Sommermärchen für sich instrumentalisieren könnte?

Wenn es ein Sommermärchen geben sollte, hätte es eine einigende Kraft. Keine Gruppe könnte es für sich in Anspruch nehmen, weder rechts noch links. Das Gemeinschaftsgefühl würde die Menschen wieder einander näherbringen und nicht auseinandertreiben. Die Nationalmannschaft ist eine diverse Gruppe, in der viele kulturelle Elemente vertreten sind. Wenn man sie feiert, widerspricht man rassistischen Argumentationen. Deshalb sehe ich nicht die Gefahr, dass ein großer Erfolg von den Rechten instrumentalisiert werden kann. Anders sieht es aus, wenn es in die Hose geht und das DFB-Team früh ausscheidet. Dann würde dies sicherlich als Beleg für eine Gesellschaft angeführt, die nicht mehr funktioniert.

Torwarttrainer Andreas Köpke, Teamchef Jürgen Klinsmann, Co-Trainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff (l.-r.) bei der WM-Feier auf der Fan-Meile am Brandenburger Tor.
Euphorie um DFB-Team 2006: Torwarttrainer Andreas Köpke, Teamchef Jürgen Klinsmann, Co-Trainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff (l.-r.)null picture-alliance/dpa

Studien haben gezeigt, dass das Sommermärchen 2006 zu einem deutlichen Imagegewinn Deutschlands geführt hat. Hat das Land einen solchen Schub wieder nötig?

Der Imageschub damals war gewaltig, geradezu exponentiell. Wir haben ihn nach den Jahrzehnten zuvor auch gebraucht und verdient. Dieses Image ist danach nicht nennenswert eingebrochen. Es gibt zwar durchaus einige Menschen auf der Welt, die uns wieder als hartherzig bezeichnen würden. Aber im Gros ist unser Image auf einer viel besseren Ebene als vorher. Das liegt auch daran, dass Deutschland überall auf der Welt helfend unterwegs ist und Hoffnungslosen eine Perspektive bietet. Darauf sollten wir stolz sein. Deshalb würde ich sagen: Jetzt brauchen wir ein Sommermärchen für uns selbst und nicht, um unsere Reputation in der Welt aufzubessern.

Brauchen wir auch gutes Wetter? 2006 hatten wir während der WM in Deutschland vier Wochen lang Sonnenschein.

Natürlich entwickelt sich Euphorie nur selten unter dem Regenschirm oder wenn man sogar durchnässt ist. Wir brauchen schönes Wetter, auf keinen Fall Regen. Man sieht, von wie vielen Faktoren ein Sommermärchen abhängt. Noch besser wäre es allerdings , wenn wir alle in der Lage wären, uns emotional so einzustellen, dass wir auch gemeinsam im Regen feiern können.

 

Thomas Druyen, geboren in Viersen nahe Düsseldorf, ist ein deutscher Soziologe. Der Professor leitet seit 2015 das von ihm gegründete Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien und ist Präsident der opta data Zukunfts-Stiftung in Essen. Der 66-Jährige bekennt sich zu seiner Fußballleidenschaft.

Das Interview führte Stefan Nestler.

Kommt es tatsächlich zum Gruppen-Coming-out im Profifußball?

Was ist Sports Free?

Es handelt sich dabei um eine Initiative, die sich für die Sichtbarkeit und die Akzeptanz von queeren Athletinnen und Athleten im Profisport einsetzt. Urheber der Initiative ist Diversero, eine weltweite Community für Vielfalt und gegen Mobbing. Kopf und Mit-Initiator der "Sports Free"-Kampagne ist Marcus Urban.

Wer ist Marcus Urban?

Urban war 2007 der erste ehemalige Fußballspieler in Deutschland, der sich als homosexuell outete. Damals hatte er seine Laufbahn als aktiver Leistungssportler allerdings schon lange beendet. Urban, geboren 1971 in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), war einer der talentiertesten Nachwuchsfußballer seines Landes. Er spielte als Mittelfeldspieler mit dem FC Rot-Weiß Erfurt aus dem Bundesland Thüringen in der höchsten Liga für DDR-Jugendmannschaften und für mehrere Junioren-Nationalmannschaften der DDR.

Ex-Fußballer Marcus Urban im Porträt
"Es lebt sich leichter, wenn man frei lebt", sagt Ex-Fußballer Marcus Urban, der sich 2007 selbst geoutet hatnull Reto Klar/Funke Foto Services/IMAGO

Fast wäre er Anfang der 1990er Jahre Profi geworden, verzichtete aber auf eine Laufbahn als Berufsfußballer, weil ihm der Druck, seine Homosexualität verstecken zu müssen, zu groß war.

Was ist beabsichtigt?

Für den 17. Mai 2024, den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT), stellt die Initiative eine Plattform zur Verfügung, auf der Profisportlerinnen und -sportler sich öffentlich zu ihrer Homosexualität oder ihrem Queersein bekennen können.

"Wir organisieren ein Gruppen-Coming-out und fordern die Gesellschaft auf, über die Werte der Inklusion nachzudenken", heißt es auf der Internetseite. Der Termin wurde bereits im November 2023 angekündigt. "Wir bauen eine Art digitale Bilderwand", erklärte Urban kürzlich in einem Interview mit dem Magazin "stern". "Dort können Spieler, Trainer, Schiedsrichter oder andere Personen aus dem Umfeld des Profifußballs ihre Geschichte teilen."

Anschließend soll der 17. jedes weiteren Monats weltweit als "Sports Free Day" gefeiert werden, um das Bewusstsein für die Herausforderungen zu schärfen, denen sich queere Sportlerinnen und Sportler stellen müssen. Besonderes Augenmerk liegt am 17. Mai jedoch auf schwulen Profifußballern.

"Es ist eine kleine Revolution", sagte Urban im April im Gespräch mit der DW und hoffte auf eine "Kettenreaktion". "Für viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene weltweit wird das sehr wichtig. Für sie gibt es dann neue Vorbilder."

Welche Ängste herrschen bei schwulen Fußballern?

Homophobie ist im Fußball der Männer immer noch weit verbreitet. Es gibt zahlreiche schwulenfeindliche Fangesänge, zudem fallen auf dem Platz auch unter den Spielern oft abwertende Kommentare, wie: "Was war das für ein schwuler Pass?" oder "Du spielst wie ein Schwuler!"

Im Dortmunder Stadion hängt ein Transparent mit der Aufschrift "Gemeinsam gegen Homophobie".
Homophobie ist im Männerfußball ein Dauerthema - auch wenn viele Klubs und Fangruppen sich seit Jahren dagegen positionierennull RHR-FOTO/TK/IMAGO

Marcus Urban und seinen Mitstreitern zufolge haben viele homosexuelle Spieler daher eher Angst vor den Reaktionen auf dem Platz und in der Kabine als durch die Fans von den Rängen.

Zudem seien viele Spieler der Überzeugung, "dass sie nach einem Coming-out in Ungnade fallen würden in der Branche", erklärte Urban. Sie versteckten sich daher, führten ein Doppelleben, teilweise mit Scheinfreundinnen für die Öffentlichkeit und träfen sich nur im Geheimen mit anderen Männern.

Welche Fußballprofis haben sich bereits geoutet?

Neben Urban war Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in Deutschland der prominenteste. Allerdings offenbarte sich Hitzlsperger im Jahr 2014 ebenfalls erst nach dem Ende seiner aktiven Karriere. Einen aktiven Profifußballer, der sich outete, gab es in Deutschland bisher noch nicht.

Ohnehin haben sich weltweit nur sehr wenige aktive Profis öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt. Der erste war 1990 der Engländer Justin Fashanu - ein tragischer Fall. Fashanu schlug Hass und Ablehnung entgegen. Er nahm sich 1998 das Leben, nachdem ein 17-Jähriger ihn der Vergewaltigung beschuldigt hatte.

Spielszene Jakub Jankto für Tschechien gegen Schweden
Tschechiens Nationalspieler Jakub Jantko (l.) ist einer der wenigen aktiven Profis, die sich geoutet habennull Jonas Ekstromer/dpa/AP/picture alliance

Nach Fashanus Outing dauerte es lange, bis US-Fußballer Collin Martin 2018 bekanntgab, schwul zu sein. Ihm folgten 2021 der Australier Josh Cavallo (Oktober 2021), Jake Daniels aus England (Mai 2022) und der Tscheche Jakub Jankto (Februar 2023). Zudem gibt es in anderen Ländern einige aktive Spieler im halbprofessionellen, oberen Amateurbereich, die sich geoutet haben.

Was sagen Kritiker zum geplanten Gruppen-Outing?

Sie befürchten, dass die Initiative Urbans keine nachhaltige Wirkung haben werde, sondern nur ein kurzes Schlaglicht auf die Problematik werfe, ohne tatsächlich etwas an der Situation zu ändern, dass Homophobie weit verbreitet ist. "Es ist eine Ablenkung, weil es Menschen das Gefühl vermittelt, dass das Problem angegangen wird und sich etwas verändert - obwohl das in der Realität ja nicht so ist", bemängelte der australische Verhaltensforscher Erik Denison im Deutschlandfunk (DLF). Er forscht seit Jahren zu Homophobie im Sport.

Kritik gibt es auch vom Deutschen Fußballbund (DFB), der nicht in die Initiative eingebunden ist. "Das fehlt mir leider bei der Kampagne, dass da ein breiteres Bündnis aufgebaut wurde, was das Ganze mit unterstützt", sagte Christian Rudolph ebenfalls im DLF. Er leitet beim DFB die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.

Von den 36 Profivereinen aus der 1. und 2. Liga haben sich mit dem VfB Stuttgart, Hannover 96, dem VfL Osnabrück, dem SC Freiburg, Borussia Dortmund, der TSG Hoffenheim, Union Berlin und dem FC St. Pauli bislang erst acht Klubs zur Unterstützung der "Sports Free"-Initiative bekannt.

Was ist für den 17. Mai zu erwarten?

Das ist schwer vorauszusagen. Jedoch steigt die Skepsis, ob es tatsächlich zum erhofften Gruppen-Outing prominenter Fußballprofis kommt, je näher der Termin rückt. Auch Initiator Marcus Urban dämpfte zuletzt die Erwartungen und ruderte ein wenig zurück.

"Aktive Profifußballer halten sich noch zurück", sagte er im "stern"-Interview und gab zudem zu, selbst gar keinen direkten Kontakt zu schwulen Profis zu haben, auch nicht per SMS oder Kurznachrichten. "Es gibt eine Vernetzung, aber sie findet im Verborgenen statt." Er müsse "mühsam" über Dritte kommunizieren. "Die Spieler sind extrem vorsichtig. Keiner traut sich aus der Deckung." Es herrsche "höchste Vorsicht", so Urban.

Daher muss sich erst zeigen, ob die Kampagne erstmal nur große mediale Aufmerksamkeit erzeugt hat, oder ob sie tatsächlich einen nachhaltigen Effekt haben wird und eine Verbesserung der Situation homosexueller Fußballprofis bewirkt.

Wer richtet die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2027 aus?

In wenigen Tage ist es so weit. Beim FIFA-Kongress am 17. Mai in Thailands Hauptstadt Bangkok entscheiden die 211 FIFA-Mitglieder, welches Land die nächste Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen austragen wird. Es ist das erste Mal, dass eine Frauen-WM von einem FIFA-Kongress vergeben wird. Über die bisherigen neun WM-Ausrichter seit der ersten Auflage im Jahr 1991 hatten erst das FIFA-Exekutivkomitee und dann bei der WM 2023 das FIFA-Council entschieden. Bei der letzten WM in Australien und Neuseeland waren erstmals 32 Teams in einer WM-Endrunde mit dabei. Und das soll auch bei der kommenden Weltmeisterschaft 2027 so bleiben. Bei dem Turnier im vergangenen Jahr hatte die spanische Nationalmannschaft den Titel geholt.

Welche Bewerberländer gibt es?

Ursprünglich hatten sich drei Bewerber um die Vergabe der Frauen-Weltmeisterschaft 2027 bemüht. Doch Ende April zogen sich die USA und Mexiko, die das Turnier gemeinsam ausrichten wollten, zurück. Damit sind nur noch zwei Kandidaten im Rennen. Deutschland bewirbt sich mit den Niederlanden und Belgien um den Zuschlag. Einzig verbliebener Konkurrent für die europäische Bewerbung ist Brasilien.

DFB-Sportdirektorin Nia Künzer trägt ein rosafarbendes T-Shirt und schaut nach rechts.
Nia Künzer ist seit Januar 2024 die erste DFB-Sportdirektorin für den Frauenfußballnull Oliver Kaelke/DeFodi Images/picture alliance

Spielorte in Deutschland sollen Gelsenkirchen, Dortmund, Düsseldorf und Köln sein. Letztmals hatte Deutschland 2011 die Fußball-WM der Frauen ausgetragen. "Ich glaube, dass wir eine WM bieten können mit hervorragender Infrastruktur und Organisation, mit kurzen Wegen zu den Spielorten und der Aussicht auf einen sehr guten monetären Gewinn, der wieder in die weltweite Entwicklung des Frauenfußballs fließen wird", sagte DFB-Sportdirektorin Nia Künzer.

Wie groß sind die Chancen der europäischen Bewerbung?

Doch die gemeinsame Bewerbung von Deutschland, den Niederlanden und Belgien hat einen Rückschlag erlitten. Im Evaluationsbericht der FIFA erhielt das Trio aus Europa 3,7 von 5 möglichen Punkten, Mitbewerber Brasilien kam auf 4,0 Punkte. Bei der Risikoanalyse schnitt das Konzept der drei europäischen Verbände in fast allen Punkten besser oder gleichwertig ab. Beim Unterpunkt Stadien, vertragliche Rahmenbedingungen und unterstützende Dokumente von staatlicher Seite hatte Brasilien jedoch die Oberhand.

Vor der Skyline der thailändischen Hauptstadt Bangkok liegen im Vordergrund verschiedene Boote im Wasser.
Beim FIFA-Kongress in Bangkok fällt am 17. Mai die Entscheidung über die Vergabe der Frauen-WM 2027null Zoonar.com/sanga/Imago Images

Es gebe eine "Reihe rechtlicher Risiken", die Regierungen würden geforderte Garantien "nicht gewährleisten", so der Bericht. Für die FIFA bestehe die Gefahr, "mit erheblichen operativen und finanziellen Problemen konfrontiert zu werden".

Obwohl der Bericht nur eine Empfehlung für die abstimmenden FIFA-Mitglieder darstellt und Männer-Weltmeisterschaften in der Vergangenheit oftmals entgegen der besten Bewertung vergeben wurden, geht Brasilien nun als Favorit in die Abstimmung. Der erste FIFA-Evaluationsbericht für eine Frauen-WM überhaupt wurde für das Turnier 2023 erstellt. Damals folgte das FIFA-Council der Empfehlung und vergab das Turnier an Australien und Neuseeland.

Ist eine WM in Europa überhaupt noch möglich?

Am Rande des DFB-Pokalfinals der Frauen machte Bundesinnenministerin Nancy Faeser Werbung für die europäische Bewerbung. Für die SPD-Politikerin war das ausverkaufte Spiel, das der VfL Wolfsburg für sich entscheiden konnte, ein starkes Zeichen. "Wir wären bereit für eine WM im Herzen Europas, die Frauen und Frauenfußball fördert, die nachhaltig ist und die Fans in den Mittelpunkt stellt", sagte Faeser.

Nach ihren Worten würde eine Heim-WM die Aufmerksamkeit für den Frauen-Fußball in Deutschland weiter steigern. Trotz des Rückschlags durch den Evaluationsbericht der FIFA hoffen die Niederlande, Belgien und Deutschland noch auf ein positives Ende, wenn in Bangkok die Entscheidung fällt. "Darauf warten wir alle gespannt", sagte Faeser.

Wolfsburgs erneuter DFB-Pokalsieg: Eine Gefahr für die Bundesliga?

Während ihre Teamkolleginnen schreiend und jubelnd auf das Spielfeld stürmten, sackte Wolfsburgs Kapitänin Alexandra Popp von Emotionen übermannt nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen zusammen. Soeben hatte sie zum 13. Mal den DFB-Pokal gewonnen, ein Rekord im Fußball der Frauen. Das 2:0 gegen den FC Bayern durch Tore von Jule Brand (14.) und Dominique Janssen (40.) war zugleich der zehnte DFB-Pokalsieg des VfL Wolfsburg in Folge, während den Münchenerinnen das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokalsieg verwehrt blieb. Es wird wohl nicht das letzte Mal sein, dass sich diese beiden Mannschaften im Pokalfinale gegenüberstehen. Seit Jahren machen Wolfsburg und Bayern die Meisterschaft bereits unter sich aus, und vieles deutet darauf hin, dass im Pokal eine ähnliche Entwicklung folgen wird. 

Fehlende Spannung in der Frauen-Bundesliga?

Noch tut der ständige Zweikampf der Popularität des Frauenfußballs jedoch keinen Abbruch. Das Pokalfinale war mit 54.400 Zuschauern im Kölner Rhein-Energie-Stadion erneut ausverkauft, in der Frauen-Bundesliga kommen derzeit im Schnitt 3200 Zuschauer pro Spiel zu den Partien, vor vier Jahren waren es noch etwa 650. Auch das Interesse der Medien hat sich in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Die Frauen-Bundesliga ist mittlerweile auf sechs verschiedenen Sendern zu sehen, und alle Vereine und Spiele können mit entsprechendem Abo live verfolgt werden. Mit der Vergabe der Medienrechte für die Spielzeiten 2023/24 bis 2026/27 ist die Liga auch wirtschaftlich in neue Dimensionen vorgestoßen. Im Vergleich zum vorherigen Vertrag haben sich die Lizenzeinnahmen um das 16-fache auf jährlich 5,17 Millionen Euro erhöht.

Jule Brand (li.) und Klara Bühl im Zweikampf
Seit Jahren ist die deutsche Meisterschaft ein Zweikampf zwischen Wolfsburg und Bayernnull FloriannWiegan/IMAGO

Doch bei allen positiven Nachrichten: Trotz der Zuschauerrekorde und bei aller Professionalisierung könnte die Frauen-Bundesliga langfristig ein großes Problem bekommen: Die seit Jahren zementierte Tabelle mit den immer selben Top zwei und und dementsprechend auch den selben Pokalsiegern. Seit 2013 mit einer Ausnahme - 2014 der Pokalsieg des 1. FFC Frankfurt - teilen sich der FC Bayern und der VfL Wolfsburg alle nationalen Titel untereinander auf.

Abhängigkeit vom Stammverein

Doch wie entsteht diese überwältigende Dominanz, wenn doch das Fernsehgeld gleichmäßig unter allen Vereinen aufgeteilt wird? Die Fußball-Bundesliga der Frauen ist aktuell noch immer ein Zuschussgeschäft. Die finanziellen Möglichkeiten der Klubs hängen somit stark davon ab, wie viel Geld der jeweilige Stammverein bereitstellen kann oder möchte. Elf der zwölf Vereine der Frauen-Bundesliga werden von ihren Männerfußball-Abteilungen finanziell unterstützt. Die Höhe der jeweiligen Zuschüsse ist jedoch von Verein zu Verein sehr unterschiedlich. Der FC Bayern und der VfL Wolfsburg stecken deutlich mehr Geld in ihre Frauen-Abteilungen als andere Vereine und haben damit im Kampf um die Topspielerinnen sowie beim Thema Infrastruktur einen klaren Vorteil.

Diese Diskrepanz spiegelt sich auch deutlich in den Kaderwerten der verschiedenen Vereine wieder. Laut soccerdonna.de haben der FC Bayern und der VfL Wolfsburg Kaderwerte von etwa 3,3 Millionen Euro und 3 Millionen Euro. Auf dem dritten Platz rangiert Eintracht Frankfurt schon weit abgeschlagen mit knapp 1,6 Millionen Euro, während der MSV Duisburg als Schlusslicht nur einen Kaderwert von knapp 435.000 Euro hat.

FC Bayern Spielerinnen feiern die Meisterschaft 2024
Auch 2024 entschied sich die Meisterschaft zwischen Bayern und Wolfsburg, diesmal zugunsten der Münchnerinnennull Max Ellerbrake/firo/picture alliance

"Kein gerechter Wettbewerb möglich"

Eine Entwicklung, die mitunter auch von Spielerinnen der profitierenden Vereine kritisch gesehen wird. "Wenn man auf alles schaut, dann ist einfach kein gerechter Wettbewerb möglich", sagte Bayern Münchens Torfrau Mala Grohs im ZDF. "Man denkt immer, das sind nur Kleinigkeiten. Aber das summiert sich halt, wenn nicht mal jedes Team in der Bundesliga seine eigene Kabine am Trainingsgelände hat."

Auch Frankfurts Klubchef Axel Hellmann stört sich an der seit über einem Jahrzehnt anhaltenden Dauerdominanz von Bayern und Wolfsburg. "So verliert eine Zwölfer-Liga, die netto nur fünf Monate im Jahr spielt, ihren Reiz", sagte Hellmann der "Frankfurter Rundschau": "Und wenn ich mir dann noch anschaue, wie stark bezuschusst die Frauen sind, ist das kein System, auf dem wir dauerhaft eine stabile Berufsgrundlage für Fußballerinnen gründen können." Dass der DFB vor einer großen Herausforderung steht, ist auch der Vizepräsidentin für Frauen-und Mädchenfußball, Sabine Mammitzsch, bewusst. "Wie schaffen wir das, dass wir die Liga auf ein gleiches Niveau heben? Darum geht es im Moment," sagte Mammitzsch im Deutschlandfunk.

Ausgliederung als Lösung?

Bei der Frage, wie genau das funktionieren soll, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Ein möglicher Lösungsansatz ist eine Ausgliederung, also eine Frauen-Bundesliga, die unabhängig vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Deutschen Fußball Liga (DFL) existiert. Externe Investoren hätten somit die Möglichkeit, Anteile an der Kapitalgesellschaft eines Vereins zu erwerben und in den jeweiligen Klub zu investieren. "Wir brauchen ein unabhängiges Management", sagte der langjährige Vorstandschef des FC Bayern, Karl-Heinz Rummenigge bereits 2022 gegenüber der "Funke Mediengruppe": "Der DFB braucht zu lange für Entscheidungen. Die Frauen-Bundesliga muss sich für die Vermarktung ausgliedern." Ähnliches ist zuletzt in England passiert, wo der neue Verband NewCo ab der nächsten Saison die ersten beiden Ligen organisiert, um den Umsatz zu steigern.

Porträtphoto von Sabine Mammitzsch
Sabine Mammitzsch, Vizepräsidentin für Frauen-und Mädchenfußball, weiß um die Gefahr der Langeweile in der Frauen-Bundesliganull Sebastian Christoph Gollnow/dpa/picture alliance

Auch eine Aufstockung der Frauen-Bundesliga um zwei oder vier weitere Klubs wird diskutiert sowie die Einführung eines Mindestgehalts oder auch einer Gehaltsobergrenze. "Vielleicht brechen wir so das System mal auf, dass mehr Spannung entsteht, damit wir eine größere Öffentlichkeit erreichen", sagte Hellmann. "Weil damit auch der SC Freiburg, Werder Bremen oder Eintracht Frankfurt die Chance hätten, Meister zu werden."

In einem Punkt sind sich Spielerinnen und Funktionäre jedenfalls einig: Die Frauen dürfen keinesfalls bloß ein Anhängsel der Männervereine sein. Denn ansonsten, da ist sich Hellmann sicher, "werden wir in zehn Jahren bei Männern und Frauen exakt dasselbe Tabellenbild haben, weil die Leistungsfähigkeit im Frauenfußball dann komplett vom Männerfußball abhängt." Man hätte dann eine Riesenchance vertan. 

An all diese Dinge verschwendet Alexandra Popp unmittelbar nach dem Pokalfinale allerdings keine Gedanken. "Es ist der VfL Wolfsburg, es ist der DFB-Pokal und es ist unser Titel", sagte Popp. "Jetzt wird erstmal gefeiert." 

"König" Kroos erreicht mit Real Madrid das Champions-League-Finale

In der zweiten Minute der Nachspielzeit richteten sich alle Augen auf Schiedsrichter Szymon Marciniak. Dieser ignorierte die wild auf ihn einredenden Spieler von Real Madrid und konzentrierte sich auf die Kommunikation mit dem VAR. Wenige Sekunden zuvor hatte Joselu das 2:1-Siegtor für Real Madrid erzielt.

Aufgrund einer möglichen Abseitsstellung wurde der Treffer überprüft und nach weiteren bangen Sekunden aus Sicht der Madrid-Fans für regelkonform erklärt. Es war gleichzeitig die Entscheidung in einem Spiel, in dem der FC Bayern München bis zur 90. Spielminute wie der Champions-League-Finalist ausgesehen hatte. Doch dann traf der eingewechselte Joselu doppelt und machte den Finaleinzug für Madrid perfekt. "Wir waren heute über 90 Minuten die deutlich bessere Mannschaft", sagte Toni Kroos bei DAZN. Der Finaleinzug gegen Borussia Dortmund sei daher verdient.

Real Madrids Joselu jubelt nach seinem Torerfolg gegen Bayern München
Der eingewechselte Joselu schießt Real Madrid mit seinem Doppelpack ins Finale der Champions Leaguenull Susana Vera/REUTERS

Im Finale im Londoner Wembley-Stadion treffen die Königlichen nun auf Borussia Dortmund, das sich einen Tag zuvor gegen Paris Saint Germain durchgesetzt hatte. Für Toni Kroos, der nach seiner Auswechslung in der 69. Minute das restliche Spiel von der Bank beobachtete, wird das Duell um die Krone im europäischen Fußball ein ganz besonderes.

Bereits vor elf Jahren stand Kroos, damals noch im Trikot des FC Bayern, im Finale der Königsklasse und feierte am Ende einen knappen Sieg gegen den BVB. Nun kommt es erneut zu einem Duell zwischen Madrids Spielmacher und den Dortmundern. "Ein Champions-League-Finale ist etwas für die Dortmunder, was sie noch nicht so oft gespielt haben. Das ist nochmal ein ganz anderes Ambiente. Wembley. Da machen noch ein paar andere Gefühle was mit dir", sagte Kroos, der für Madrid zum entscheidenden Faktor werden könnte. 

Ein König unter Königen

Das untermauert die beeindruckende Statistik beim Halbfinal-Rückspiel. Mit 94 Prozent Passquote bei 101 gespielten Pässen sowie vier Torschussvorlagen war der 34-Jährige bis zu seiner Auswechslung mal wieder Dreh- und Angelpunkt im Spiel der Königlichen. "Es ist wie ein Orchester, er leitet es. Er gibt das Tempo vor", schwärmte Teamkollege Antonio Rüdiger bereits vor dem Spiel und ergänzte überschwänglich: "Du kannst ihn immer anspielen. Er strahlt immer Ruhe aus. Puls 20. Toni ist ein sehr wichtiger Baustein."

Bei Real muss "König Kroos VIII.", wie ihn Real Madrid in einem Post mit Verweis auf seine Rückennummer acht nannte, nichts mehr beweisen. "Toni", betonte Mitspieler Dani Ceballos voller Hochachtung, "ist eine Ikone dieses Vereins." Kroos sei "einzigartig", ergänzte Trainer Carlo Ancelotti. Der Deutsche leiste sich "keinen Fehlpass und wählt immer die beste Lösung", weil er über die nötige Kontrolle und Orientierung verfüge.

Europapokal-Monster Toni Kroos

Und genau diese Verlässlichkeit seines Handelns auf dem Platz zeigte Kroos auch in den beiden Halbfinal-Spielen gegen den deutschen Rekordmeister. Der Spielmacher war immer anspielbereit, sorgte für Ruhe oder änderte das Tempo mit schnellen Pässen. Er war da, wenn seine Mitspieler ihn brauchten.

Das wird vor allem Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß ärgern. Einst verunglimpfte er Kroos als "Querpass-Toni" und verlängerte dessen Vertrag trotz des Champions-League-Gewinns 2013 und des WM-Titels 2014 nicht. Der Mittelfeldstratege musste den Verein verlassen und schloss sich Real Madrid an.

Toni Kroos hält den Champions-League-Pokal in seinen Händen
Toni Kroos konnte bereits fünf Mal die Champions League gewinnen - folgt gegen den BVB Titel Nummer sechs?null Alberto Lingria/Pressefoto ULMER/picture alliance

Nach seinem Wechsel in die spanische Hauptstadt hielt der Stratege mit Real bisher vier weitere Male den Henkelpott in die Höhe, er verkörpert den legendären Ruf des Klubs als Europapokal-Monster wie kein Zweiter. Zudem holte er insgesamt sechs Mal den Weltpokal und ist somit einer der am höchsten dekorierten Fußballer weltweit.

Seit nunmehr zehn Jahren steht Kroos bei Real unter Vertrag und gewann in dieser Zeit insgesamt 21 Titel mit den Madrilenen. In Deutschland ist der Weltmeister ohnehin die Nummer eins. "Wer in der erfolgreichsten Mannschaft der letzten Jahre so stattfindet wie Toni, ist über alle Zweifel erhaben", sagte Joshua Kimmich.

Eine erfolgreiche Europameisterschaft mit Kroos?

Auch Bundestrainer Julian Nagelsmann ist sich der Qualitäten von Kroos bewusst und hat ihn zurück in die Nationalmannschaft geholt. In seinen ersten beiden Spielen mit der DFB-Elf verhalf er dem Team zu Siegen in Frankreich und gegen die Niederlande. Der Einfluss des Mittelfeldregisseurs war in beiden Spielen zu sehen und macht den Verantwortlichen des DFB, aber auch den deutschen Fans Hoffnung auf eine erfolgreiche Europameisterschaft.

Toni Kroos steht im DFB-Trikot auf dem Platz
Mit der DFB-Elf will Toni Kroos nun auch bei der Heim-EM erfolgreich seinnull eu-images/IMAGO

Mit dem Weltmeister ist der Erfolg zurückgekehrt, und das hat sogar Kroos' größten Kritiker dazu bewegt, sich lobend über den Offensivmann zu äußern. "Im Moment begrüße ich das schon, dass Toni Kroos zurückkommt, weil wir von den Persönlichkeiten im Moment nicht so die große Auswahl haben", sagte Bayerns Ehrenpräsident Uli Hoeneß. "Jetzt hat sich Julian Nagelsmann entschieden, sehr viele junge Spieler zu holen. In so einem Umfeld ist ein erfahrener Spieler wie Toni Kroos vielleicht der Richtige."

Kroos erneut gegen Borussia Dortmund

Vor der EM kehrt Kroos zurück an den Ort, wo er 2013 seinen ersten großen Titel feiern konnte. Der damals 23 Jahre alte Spieler von Bayern München besiegte in einem knappen Spiel Borussia Dortmund. Elf Jahre später bekommt er nun die erneute Chance, seinen vielleicht letzten Champions-League-Titel zu gewinnen - und erneut muss er im Wembley-Stadion dafür den BVB schlagen. 

Real greift nach dem 15. Henkelpott der Vereinsgeschichte, der BVB hat bislang nur 1997 gewonnen. "Ich hoffe, dass die mit uns ein bisschen weniger machen und wir den Vorteil Erfahrung mitbringen und dann auch das Ding holen", sagte Kroos und ergänzte: "Aber das ist jetzt keine Kampfansage - dass wir das gewinnen wollen, ist klar."

Marco Reus und der BVB stehen im Finale der Champions League

In der 56. Minute war es so weit. Nur wenige Momente nach dem 1:0-Führungstreffer von Borussia Dortmund durch Mats Hummels hielt ein Offizieller der UEFA ein Schild mit der Nummer elf in die Höhe. Marco Reus stand an der Seitenlinie, rieb sich kurz die Hände und klatschte dann mit Karim Adeyemi ab, der das Feld verlassen musste. Reus betrat das Spielfeld des Pariser Stadions und kam so zu seinem 71. Champions-League-Spiel für den BVB.

Auch dank des eingewechselten Spielmachers schafften es die Dortmunder, mit einer reifen und starken Leistung dem Druck der Gastgeber um Superstar Kylian Mbappé Stand zu halten. Durch den 1:0-Sieg zog das Team von Trainer Edin Terzic zum dritten Mal nach 1997 und 2013 ins Finale ein. Im ersten Endspiel triumphierte der BVB gegen Juventus Turin, im zweiten verlor er in Wembley gegen den FC Bayern München

Nun bekommen sie die nächste Chance - dieses Mal heißt der Gegner Real Madrid - und für Reus, der den Verein am Saisonende nach fast 22 Jahren verlassen wird, ist das die letzte Möglichkeit einen großen internationalen Titel mit "seinem" Verein zu holen. "Unbeschreiblich", freute sich Reus nach dem Einzug ins Finale. "Keiner hat mit uns gerechnet. Wir haben sehr viel leiden müssen. Jetzt das Finale. Da steht nur der Name Borussia Dortmund", sagte Reus und forderte: "Jetzt müssen wir den Titel holen. Sonst wär es scheiße." Matchwinner Hummels blickte bereits voraus: "In Wembley wird es auch ein Kampf mit der Atmosphäre, aber wir glauben alle dran."

Abschiedsspiel im Wembley-Stadion

Es wird das letzte Spiel für Reus im Trikot des BVB werden. Denn der 35-Jährige hatte vor wenigen Tagen bekannt gegeben, seinen auslaufenden Vertrag bei den Dortmundern nicht zu verlängern. In einem emotionalen Abschiedsvideo hatte Reus seinen Weggang verkündet. "Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich in diesem Verein verbracht und jeden Tag genossen, obwohl es natürlich auch schwierige Momente gab", sagte Reus. "Ich weiß heute schon, dass mir der Abschied am Saisonende schwerfallen wird. Und trotzdem bin ich froh, dass jetzt Klarheit herrscht."

Immer wieder verletzt

Mit gerade einmal sechs Jahren schnürte Reus das erste Mal seine Fußballschuhe bei Borussia Dortmund. Er spielte fast die gesamte Jugend beim BVB und wechselte zehn Jahre später nach Ahlen, wo er den Durchbruch im Profi-Fußball schaffte. Nach drei Spielzeiten in Mönchengladbach wechselte der in Dortmund geborene Offensivspieler dann wieder zurück zu seinem Herzensverein. Seitdem Reus in der Bundesliga aktiv ist, erzielte er 155 Treffer. Und auch in der Champions League gelangen ihm in zehn Saisons 24 Tore.

Marco Reus küsst den DFB-Pokal
Marco Reus gewinnt 2017 und 2021 den DFB-Pokal mit Borussia Dortmundnull Marvin Ibo G?ng?r/GES/picture alliance

Ohne Zweifel zählt der Spielmacher zu den besten deutschen Spielern in der Geschichte, und trotzdem ist sein Trophäenschrank ziemlich leer. Zweimal gewann er den DFB-Pokal (2017 und 2021), und dazu ist Reus noch dreifacher Superpokalsieger mit Borussia Dortmund. In der Nationalmannschaft gelang dem Spielmacher nie der Durchbruch. Immer wieder warfen ihn schwere Verletzungen zurück und verhinderten eine große internationale Karriere.

Heim-EM mit Marco Reus?

Im WM-Jahr 2014 zog er sich im letzten Testspiel vor der Abreise nach Brasilien eine Bänderverletzung zu und musste vom Krankenbett aus zuschauen, wie seine Mitspieler Weltmeister wurden. Zwei Jahre später wurde er infolge einer Schambeinentzündung ebenfalls nicht in den finalen Kader der DFB-Elf berufen und verpasste die Europameisterschaft in Frankreich.

Ob Reus bei der Heim-EM in diesem Jahr noch einmal eine Chance bekommt, ist weiter offen. Die Hoffnungen auf eine Nominierung von Bundestrainer Julian Nagelsmann hat der 48-fache Nationalspieler noch nicht ganz aufgegeben. "Das wäre was ganz Besonderes", sagte Reus im Januar dieses Jahres. "Das wäre natürlich mein letztes Turnier - und dann auch noch im Heimatland. Ich will ihm [Bundestrainer Nagelsmann, Anm. d. Redaktion] die Auswahl im Sommer so schwer wie möglich zu machen."

Abschied als Dortmunder Legende

Diese letzte Saison im BVB-Trikot bietet für Reus nun etwas überraschend die letzte Möglichkeit auf einen internationalen Titel mit Borussia Dortmund. Damit wird das Champions-League-Finale im Wembley-Stadion zu seinem letzten Auftritt im Trikot des BVB. "Er ist eine lebende Legende hier. Im modernen Fußball ist es eine einmalige Geschichte, dass sich jemand so hingibt für einen Verein", sagte BVB-Trainer Edin Terzic bereits vor dem Spiel. Und Sportdirektor Sebastian Kehl lobte: "Er ist einer der größten Spieler in der Geschichte des Vereins."

Nach dem Spiel in Paris feierte das ganze Team in T-Shirts mit dem Aufdruck "London 24" noch minutenlang mit den angereisten Fans im Pariser Stadion. Die nächste Party soll dann in der englischen Hauptstadt stattfinden und für Marco Reus so zu einem perfekten Abschied werden.

Sabrina Wittmann: erste Cheftrainerin im deutschen Männer-Profifußball

"Vorbilder sind wichtig, damit andere Frauen erkennen, was alles möglich ist", hatte Sabrina Wittmann noch Anfang April in einem Interview auf der Internetseite des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gesagt. Wochen später bekommt sie nun die Gelegenheit, selbst eines zu sein. Die 32-Jährige wird beim FC Ingolstadt, der in der 3. Liga spielt, bis zum Saisonende als Cheftrainerin fungieren. Sie ist damit die erste Frau, die ein Männerteam im deutschen Profifußball trainiert.

Zwar gab es mit Ex-Nationalspielerin Inka Grings beim SV Straelen und Imke Wübbenhorst bei Sportfreunde Lotte Vorgängerinnen, jedoch waren sie bei Männerteams in der vierten Liga tätig. Beim Bundesliga-Verein 1. FC Union Berlin vertrat Marie-Louise Eta zu Jahresbeginn als Co-Trainerin gemeinsam mit Danijel Jumic den gesperrten Chefcoach Nenad Bjelica. Wittmann ist nun aber die erste Chefin in einer der drei Profiligen.

"Wir gehen nach Qualität, nicht nach Geschlecht"

"Wenn Sabrina männlich wäre, wäre alles okay, und es wäre nicht spannend", kommentierte Ingolstadts Sportdirektor Ivo Grlic die Beförderung Wittmanns, die bisher Trainerin der U19-Juniorinnen des Klubs war. "Aber wir gehen nach Qualität und nicht nach dem Geschlecht", so der ehemalige Bundesliga-Profi, der unter anderem bei Alemannia Aachen und für den MSV Duisburg spielte. Grlic beschrieb Wittmanns Kerneigenschaften mit: "Direkt, authentisch, sehr talentiert."  

"Uns ist klar, dass sie eine sehr gute Trainerin ist", sagte Ingolstadts Geschäftsführer Dietmar Beiersdorfer vor Wittmanns erstem Spiel auf der Ingolstädter Bank. Sie sei "wirklich eine hervorragende Trainerin, das hat sie in all den Jahren bewiesen." Beiersdorfer hob Ausstrahlung und inhaltliche Kompetenz hervor.

Sport-Geschäftsführer Dietmar Beiersdorfer (l.) und Sportdirektor Ivica Grlic (r.) vom FC Ingolstadt
Die Verantwortlichen des FC Ingolstadt: Sport-Geschäftsführer Dietmar Beiersdorfer (l.) und Sportdirektor Ivica Grlic (r.)null Wolfgang Zink/Sportfoto Zink/picture alliance

Wittmann ist in Ingolstadt geboren und aufgewachsen. Sie spielte von 2011 bis 2013 für das Frauenteam des FCI, danach für andere Mannschaften im Bundesland Bayern und der bayerischen Landeshauptstadt München. Profispielerin war sie aber nie.

Seit 2017 hat Wittmann beim FC Ingolstadt verschiedene Jugendmannschaften trainiert und ist den Verantwortlichen des FCI daher bestens bekannt. Mit der U19 feierte sie am vergangenen Wochenende die Vize-Meisterschaft in der A-Junioren-Bundesliga Süd/Südwest.

Der Verein, so Grlic, sei "auch dafür da, unsere Trainer weiterzuentwickeln". Daher habe man sich dafür entschieden, Wittmann bei der ersten Männermannschaft eine Chance zu geben, nachdem man sich zuvor vom bisherigen Cheftrainer Michael Köllner getrennt hatte.

Vier Ligaspiele und ein Pokalfinale

Am Donnerstag leitete Wittmann das erste Training, am Sonntagabend stand mit der Heimpartie gegen den SV Waldhof Mannheim das erste Pflichtspiel an. Insgesamt wird Wittmann fünf Spiele des FCI coachen. Dem Spiel gegen den SV Waldhof folgen die Ligapartien gegen den VfB Lübeck, der bereits als Absteiger feststeht, und den SV Sandhausen. Der FC Ingolstadt, der von 2015 bis 2017 in der Bundesliga spielte, ist als Tabellenelfter nicht vom Abstieg bedroht, kann aber auch nicht mehr aufsteigen.

Dennoch gibt  es sportlich noch etwas Großes zu erreichen: Am 25. Mai - im letzten Spiel unter Wittmann - geht es im Endspiel des Bayern-Pokals gegen die Würzburger Kickers um einen Titel. Mit dem Sieg im Finale wäre gleichzeitig der Einzug in die erste Runde des DFB-Pokals verbunden.

Sabrina Wittmann gibt bei ihrem ersten Training als Ingolstadts Cheftrainerin Anweisungen an das Team
"Direkt, authentisch, sehr talentiert" - Sabrina Wittmann bei ihrem ersten Training null Daniel Löb/dpa/picture alliance

Wittmann freute sich am Donnerstag sichtlich über die Aufmerksamkeit, die ihr beim Betreten des Trainingsplatzes zuteilwurde. Zahlreiche Journalisten und mehrere Kamerateams waren anwesend, um über die erste Frau im Männer-Profifußball zu berichten. Mit einem Lächeln betrat sie den Platz, danach ging es konzentriert an die Arbeit.

Sie ist seit 19 Jahren im Verein und kenne "alle Spieler, von den ganz kleinen bis zu den ganz großen". Auch wenn ihr Engagement laut Klubangaben nur bis Saisonende angelegt ist, bedankte sich Wittmann für die "maximale Wertschätzung vom Verein".

Ihr Einstand als Cheftrainerin gelang ebenfalls: Zwar lagen die Ingolstädter gegen Waldhof Mannheim lange Zeit zurück, gaben sich aber nie auf und kamen in allerletzter Sekunde doch noch zum 1:1-Ausgleich.

Der Text wurde am 6. Mai aktualisiert. 

Absage: Ralf Rangnick wird nicht Trainer beim FC Bayern

"Ich bin mit vollem Herzen österreichischer Teamchef. Diese Aufgabe macht mir unglaublich viel Freude und ich bin fest entschlossen, unseren eingeschlagenen Weg erfolgreich weiterzugehen." Mit diesen Worten wird Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick in einer Mitteilung des österreichischen Fußballbundes (ÖFB) zitiert. Der 65-Jährige bleibt auch über die Fußball-EM 2024 hinaus Bundestrainer in Österreich

Das freut die Österreicher, bringt aber gleichzeitig den FC Bayern München in Bedrängnis. Denn eigentlich war erwartet worden, dass Rangnick das Angebot des renommierten Bundesliga-Klubs annimmt und nach der EM neuer Bayern-Trainer wird. Nach den Absagen von Bayer Leverkusens Meistercoach Xabi Alonso und Bundestrainer Julian Nagelsmann, haben sich die Bayern damit den dritten Korb eines Wunschkandidaten eingehandelt.

Auch wenn Rangnick ausdrücklich betonte, dass sein Entschluss, das Angebot der Münchener nicht anzunehmen "keine Absage an den FC Bayern ist, sondern eine Entscheidung für meine Mannschaft und unsere gemeinsamen Ziele". Für den FC Bayern bleibt das Ergebnis unter dem Strich dasselbe: Offenbar hat niemand Lust, den Job auf der Bayern-Bank zu übernehmen. Seit im Februar bekanntgegeben worden war, dass man sich von Thomas Tuchel nach der Saison trennt, läuft die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Bislang vergeblich.

FC Bayern: kein gutes Pflaster für Trainer

Die Gründe derjenigen, die abgesagt haben, sind allesamt nachvollziehbar: Xabi Alonso sieht seinen Weg und seine Arbeit bei Bayer Leverkusen noch nicht als beendet an. Julian Nagelsmann nannte es - ähnlich wie Rangnick in Bezug auf Österreichs Nationalteam - eine "Entscheidung des Herzens", beim DFB-Team bis zur WM 2026 weiterzumachen.

Bayern Münchens Coach Julian Nagelsmann steht vor der Trainerbank
Julian Nagelsmann war schon Bayern-Coach, wollte seinen Job aber nicht zurückhaben, sondern Bundestrainer bleibennull Jan Woitas/dpa/picture alliance

Ein weiterer Grund dürfte bei allen drei Wunschkandidaten aber auch gewesen sein, dass es zuletzt ein äußerst undankbarer Job war, beim FC Bayern als Cheftrainer zu arbeiten: Nagelsmann, der von Juli 2021 bis zu seiner überstürzten Entlassung im März 2023 Bayern-Trainer war, hat es am eigenen Leib erfahren. Obwohl er damals mit der Mannschaft noch in drei Wettbewerben chancenreich im Rennen lag, musste er gehen.

Schon Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick war aus freien Stücken gegangen und hatte seinen Vertrag nicht verlängert, weil es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten mit dem damaligen Sportvorstand Hasan Salihamidzic gekommen war.

Unter Nagelsmanns Nachfolger Thomas Tuchel schied der FC Bayern kurz nach dessen Amtsübernahme erst aus dem DFB-Pokal, dann aus der Champions League aus. Zwar gewann man unter gütiger Mithilfe Borussia Dortmunds im vergangenen Jahr die Meisterschaft, wie eine gut geölte Maschine funktionierte die Mannschaft aber nicht. 

Tuchels Transferwünsche werden nicht erfüllt

Tuchel bemerkte und bemängelte das und wünschte sich Verstärkungen an den neuralgischen Punkten. Zwar wurde mit Harry Kane ein Top-Stürmer verpflichtet, einen defensiven Sechser, die "holding Six", bekam Tuchel aber nicht. Er hätte gerne Declan Rice in München gesehen, aber daraus wurde nichts. Auch in der Verteidigung wurde Tuchels Wunsch, den Portugiesen João Palhinha vom FC Fulham zu verpflichten, nicht erfüllt. Stattdessen gab man mit Josip Stanisic sogar einen Defensivspieler per Leihe an die direkte Konkurrenz in Leverkusen ab - und bereute es später.

Tuchel galt schnell als unzufriedener Nörgler, der in Interviews manches Mal mit kritischen Aussagen über eigene Spieler auffiel. Die Kabine, so hieß es, habe er verloren. Nachdem man gegen Drittligist 1. FC Saarbrücken früh aus dem DFB-Pokal ausgeschieden war, in der Bundesliga von Leverkusen deklassiert wurde und es auch auf menschlicher Ebene zwischen Coach, Team und Verein nicht zu passen schien, war die Bekanntgabe der Trennung im März keine Überraschung mehr.

Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel blickt bei Pressekonferenz nachdenklich ins Leere
Thomas Tuchel wirkte in den vergangenen Monaten oft ratlos angesichts der Leistungen seiner Mannschaftnull Tom Weller/dpa/picture alliance

Zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten war ein renommierter Trainer in München gescheitert - weil er mit der nicht perfekt austarierten Mannschaft nicht zurecht kam und es an Rückendeckung und Vertrauen vom Verein fehlte.

Rangnick - Qualitäten als Talententwickler

Nun sollte - wenn auch nur als dritte Wahl - Ralf Rangnick wieder Erfolg nach München bringen. Und zwar für die nächsten Jahre. "Wir wollen einen Trainer haben, der ein Stück weit Bayern München längerfristig begleitet", hatte Bayerns Sportdirektor Christoph Freund gesagt. Er ist gemeinsam mit Sportvorstand Max Eberl für die Trainersuche verantwortlich und kennt Rangnick aus gemeinsamen Zeiten im Red-Bull-Fußballkosmos gut. 

Die Wahl fiel auch deswegen auf Rangnick, weil er in der Lage ist, junge Talente zu entwickeln. Eine Fähigkeit, die Bayern Münchens ehemaliger Manager und heutiger Ehrenpräsident Uli Hoeneß dem noch amtierenden Trainer Thomas Tuchel zuletzt öffentlich absprach - und damit erneut für Unruhe von außen sorgte.

Zidane? De Zerbi? Wer hat überhaupt noch Lust auf den Job?

"Dass Ralf Rangnick ein guter Trainer ist und in seiner Karriere schon viel bewegt hat, das wissen wir alle", sagte Freund dem Internetportal "t-online.de" noch einen Tag vor Rangnicks Absage und ergänzte: "Wichtig ist, wenn alles passt und beide Seiten davon überzeugt sind, dann wird es gemacht." Es müsse "die richtige Lösung sein und nicht die schnelle". Offenbar war Rangnick doch nicht überzeugt, und nun hat der FC Bayern weder eine schnelle, noch eine richtige Lösung, sondern erstmal gar keine.

Der Trainer von Brighton and Hove Albion, Roberto De Zerbi, applaudiert den Fans nach einem Premier-League-Spiel
Kommt Roberto De Zerbi aus Brighton? Er hat bislang keine Bereitschaft signalisiert, sondern sagte sogar, er wolle in England bleibennull Richard Sellers/empics/picture alliance

Nach Rangnick bleiben aus dem Kreise derer, die seit Wochen gehandelt werden, im Grunde nur noch Roberto De Zerbi, derzeit mit Brighton & Hove Albion in der englischen Premier League erfolgreich, und Zinedine Zidane. Der ehemalige Weltklassespieler aus Frankreich und Ex-Coach von Real Madrid hat momentan kein Engagement. Bei beiden gibt es allerdings die Hürde, dass sie weder die Bundesliga kennen, noch der deutschen Sprache mächtig sind. 

Zudem werden sich beide gut überlegen, ob sie tatsächlich einen Job haben möchten, den zuvor bereits drei andere abgesagt haben. Außerdem ist es vielleicht auch nicht so prickelnd zu wissen, dass man in einem Verein, in dem es mit Vertrauensvorschuss und ruhigem Arbeiten in sportlich schwierigen Zeiten nicht weit her ist, nicht die erste oder zweite Wahl der Vereinsverantwortlichen ist, nicht mal die dritte, sondern nur die Nummer vier.

Mit Pfeil und Bogen vom Amazonas nach Paris

Die brasilianische Bogenschützin Graziela Santos ist eine Ausnahmeathletin. "Ich bin die erste indigene Frau im brasilianischen Bogensportteam", sagt sie. "Das ist ein historischer Meilenstein für uns alle." Als erste Indigene überhaupt möchte Santos für Brasilien bei den Olympischen Spielen starten. Das Ticket nach Paris wäre für sie aber mehr als die Verwirklichung eines persönlichen Traums. Es wäre gleichzeitig auch eine Auszeichnung für ein Förderprojekt im Amazonas, das junge indigene Athleten unterstützt.

Als Graziela Santos vom Projekt der Stiftung Nachhaltiger Amazonas (FAS) erfährt, ist sie noch auf der Schule. "Von dem Dorf, in dem wir wohnten, waren es fünf Stunden mit dem Boot nach Manaus. Damals gab es nur eine Grundschule", erinnert sich die Brasilianerin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie hörte davon, dass die FAS ein Bogenschießsportprojekt aufbaute und nach interessierten Talenten suchte. "Dieser Sport stammt ja aus unserer alten Kultur, denn wir benutzen Pfeil und Bogen seit langer Zeit. Aber vor dem Projekt wusste ich nicht, dass es das Bogenschießen gibt", erinnert sich Graziela Santos.

Bogenschützin Graziela Santos im Porträt
Im Juni steht für Graziela Sontas und ihr Team die entscheidende Olympia-Qualifikation annull Tobias Käufer

Heute, mit 28 Jahren, gehört sie der Nationalmannschaft ihres Heimatlandes an und trainiert im Leistungszentrum der Bogenschützen in Marica im Bundesstaat Rio de Janeiro. Santos gehört zum indigenen Volk der Karapãna und stammt aus der Gemeinde Kuana am Fluss Cuieiras, etwa 80 Kilometer von Manaus entfernt. In der indigenen Sprache trägt sie den Namen Yaci ("Mond"). In Brasilien leben heute etwa 1,7 Millionen Indigene, das entspricht 0,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch ihr Bruder Gustavo Santos ist Mitglied der brasilianischen Nationalmannschaft.

Großes Potential bei indigenen Athleten

Dass Graziela Santos eine Chance auf Olympia hat, liegt an ihrem Talent, am Trainingsfleiß, an den Trainern und der Unterstützung durch die FAS. Denn die suchte damals gezielt nach indigenen Talenten. Zwischen dem traditionellen Pfeil und Bogen und dem Olympischen Bogenschießen gibt es allerdings einige Unterschiede, die es erstmal zu bewältigen galt.

"Es gibt natürlich Gemeinsamkeiten, aber es gibt auch einige prägnante Unterschiede", erklärt Santos. "Beim Bogenschießen haben wir eine ganze Reihe von Ausrüstungsgegenständen, die Klingen, die Sehnen, den Stabilisator, das Visier, damit wir ein besseres Ergebnis erzielen können."

Santos ist überzeugt, dass Indigene ein Potential mitbringen, das noch gar nicht richtig erschlossen ist: "Wir machen alles. Wir laufen, wir schwimmen, wir schießen mit Pfeil und Bogen, wir jagen, wir fischen. Wir haben eine großartige motorische Koordination." Und deshalb könnten Indigene vom Land bei entsprechendem Willen und Anstrengung so manche Sportart auch schneller erlenen als Menschen aus der Stadt, sagt Santos.

Der Traum vom eigenen Leistungszentrum

In den nächsten Wochen entscheidet sich nun, ob es tatsächlich klappt mit dem großen Ziel Olympia. Schon jetzt aber haben Graziela, ihr ebenfalls aktiver Bruder Gustavo und die Stiftung ein Zeichen gesetzt. In einer brasilianischen TV-Show des bekannten Moderators Luciano Huck gewannen Aktivisten der FAS vor einem Millionenpublikum Geld, mit dem sie ihren Traum verwirklichen wollen: den Aufbau eines Trainingsleistungszentrums für Bogenschießen im Amazonasgebiet.

Indigene Bogenschützin Graziela Santos beim Training
Graziela Santos lebt und trainiert in Rio de Janeiro, tausende Kilometer entfernt von ihrem Heimatdorf im Amazonasgebietnull Tobias Käufer

"Ich bin überzeugt, dass es ein erfolgreicher Weg ist, in indigene Sportler zu investieren", sagt Santos. "Wir kommen aus Dörfern und Gemeinden, die weit von Manaus entfernt sind. Und wir haben nicht die finanziellen Mittel, um nach Manaus zu fahren und dort das ganze Jahr über zu leben, die Materialien zu bezahlen und uns in einem guten Trainingslager zu halten und uns wie Hochleistungssportler zu ernähren."

Das Leistungszentrum in der Region aber würde die Möglichkeit bieten, Erfahrungen an andere junge Menschen vor Ort weiterzugeben. "Der Bau wird dazu führen, dass große Talente entdeckt werden, die wir in unserem Volk haben, und es ist wichtig, dass diese jungen Menschen ihre Heimat nicht früh verlassen, sondern in der Nähe ihrer Familien bleiben", sagt Santos und prophezeit: "Wir werden mehr Hochleistungssportler haben, die indigene Völker repräsentieren."

Vorbild für andere Indigene

Zunächst einmal gilt aber die ganze Konzentration der Qualifikation für Olympia. Die nächste Chance für ein Olympiaticket gibt es in der Türkei: "Wir müssen unter die letzten vier Teams kommen", sagt Santos. "Darauf bereiten wir uns intensiv vor, nehmen an internationalen Wettbewerben teil. Diese Wettkämpfe im Ausland sind sehr wichtig für uns, um mit dem Druck umzugehen und uns immer mehr zu verbessern."

Graziela Santos fühlt sich als eine Pionierin und ein Beispiel für andere indigene Frauen. "Mein Beispiel zeigt, dass wir fähig sind, hier zu sein", sagt sie. "Wir können unsere Ziele wählen und beweisen, dass wir sie auch eines Tages erreichen werden."

Georgia Stanway: Bayern Münchens Schlüssel zum Erfolg

Die Frauen des FC Bayern München könnten in dieser Saison erstmals in der Vereinsgeschichte zwei Titel holen. Die Deutsche Meisterschaft in der Fußball-Bundesliga der Frauen und den Gewinn des DFB-Pokals haben die Münchenerinnen dabei im Fokus. "Wir wollen auf keinen Fall den 'Wolfsburger Pokal', wie ihn manche Leute nennen, gewinnen", erklärt Mittelfeldspielerin Georgia Stanway im DW-Interview. "Wir wollen den Pokal gewinnen und dann können wir ihn dieses Jahr vielleicht anders nennen."

Die 25-Jährige macht sich keine Sorgen, denn die englische Nationalspielerin hat mit guten Leistungen dazu beigetragen, dass Bayern München in diesem Jahr die Chance auf das 'Double" hat. Damit würden Stanway und ihre Teamkolleginnen auch die Dauersiegerinnen aus Wolfsburg ablösen, die den DFB-Pokal in den vergangenen neun Jahren gewinnen konnte. vor der historischen Chance steht.

"Immer wenn wir gegen Wolfsburg spielen, wissen wir nicht was uns erwartet", sagt Stanway. "Diese Spiele werden hart umkämpft sein und eine hohe Qualität haben. Der Druck ist groß, aber als Team sind wir in einer wirklich guten Verfassung."

Der WM-Kater ist längst verflogen

Seit der Niederlage Englands im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Spanien im vergangenen Sommer hatte Stanway kaum Zeit sich zu erholen. Der Wunsch der Mittelfeldspielerin sich bei den Münchnerinnen durchzusetzen ließ sie nicht los.

"Nach der WM ging es mir gut. Ich wollte einfach weitermachen und habe gehofft, dass die Zeit mir helfen würde", sagt sie. "Im Dezember hat es mich aber dann erwischt. Mein Körper und mein Geist waren nicht in Ordnung. Ich war die ganze Zeit müde und habe noch nie in meinem Leben so viel geschlafen. Zudem waren meine Leistungen auf dem Platz nicht auf dem Niveau, das ich haben wollte."

Stanway braucht eine Pause

"Die Gründe für meine schlechte Verfassung lagen also auf der Hand. Ich musste nach Hause gehen und meine Familie sehen", berichtet Stanway der DW. Die Mittelfeldspielerin wies dabei auf den Einsatz ihres Cheftrainers Alexander Straus hin, der sie wieder in die Spur brachte und ihr Spiel insgesamt verbesserte.

Bayern Münchens Trainer Alexander Straus (rechts) nimmt Georgia Stanway in den Arm und jubelt mit ihr
Bayern Münchens Alexander Straus (r.) ist Trainer und Ansprechpartner für seine Spielerinnennull IMAGO/Eibner

"Ich habe noch nie einen Trainer gehabt, der so zugänglich ist", erklärt sie. "Er kümmert sich um alles, was in deinem Leben passiert, und er kümmert sich um alles, was im Fußball passiert. Denn er weiß, dass alles einen beeinflussen kann."

Künstlerin auf und neben dem Spielfeld

Nachdem Stanway in ihrer Heimat wieder Kraft getankt hatte, suchte sie sich neben dem Fußball noch eine andere Tätigkeit und begann als Tätowiererin zu arbeiten. Nach einem Besuch in einem Tätowierstudio, entwickelte Stanway eine Verbindung zu den Künstlern und stellte fest, dass dies auch eine therapeutische Funktion für sie haben könnte.

"Das ist meine Art, allem zu entfliehen", sagt die 25-Jährige. "Ich finde einfach etwas Frieden und Ruhe dabei und die Belohnung danach ist etwas Besonderes." Es sei sehr nervenaufreibend, so Stanway, und man müsse ruhig bleiben. "Am Ende ist man voller Adrenalin, weil man gerade jemanden wirklich glücklich gemacht hat."

Zurück zur Topform - und zum 'Double'?

Stanway hat sich rechtzeitig wieder in Topform gebracht und zählt zu den beliebtesten Spielerinnen beim FC Bayern. Denn ihr Trikot wurde am öftesten verkauft, als der Verein Anfang des Jahres ein spezielles Trikot für Frauen herausbrachte.

Und es ist auch kein Zufall, dass die überzeugendsten Leistungen der Bayern mit Stanways Rückkehr zu alter Form zusammenfallen. Vier Tore in ihren letzten vier Einsätzen in allen Wettbewerben haben ihre Offensivqualitäten noch einmal unterstrichen. Aber ihr Einfluss geht weit über ihre Torjägerleistung hinaus. Denn mit ihren Leistungen auf uns neben dem Platz hat sie dafür gesorgt, dass die Bayern nur noch zwei Siege vom ersten 'Double' der Vereinsgeschichte entfernt sind.

FC Bayern gegen Real Madrid - Thomas Tuchel im Mittelpunkt

Bayern München gegen Real Madrid - die "bestia negra", die schwarze Bestie, gegen die Königlichen. Das Halbfinal-Hinspiel der Champions League, 75.000 Zuschauer werden im Stadion in München sein. Eigentlich ist alles angerichtet für ein Fußballfest. Die Fans, die Medien sollten darüber spekulieren, wer die bessere Abwehr hat, wie sich wohl die beiden deutschen Nationalspieler Toni Kroos und Antonio Rüdiger bei Real im Duell mit Supertorjäger Harry Kane schlagen werden, ob Bayern wieder mit zwei Linksverteidigern antritt wie gegen den FC Arsenal im Viertelfinale oder ob Leroy Sane und Jamal Musiala rechtzeitig fit werden.

Tatsächlich aber dreht sich alles um einen Namen: Thomas Tuchel. Eigentlich schien die Diskussion um den Bayern-Trainer im März beendet, als bekannt gegeben wurde, dass der Vertrag mit ihm zum Saisonende aufgelöst werde. Wohl, weil es einfach nicht passt zwischen Tuchel und dem deutschen Rekordmeister: das blamable Aus im DFB-Pokal gegen Drittligist Saarbrücken, der damals schon kaum noch aufzuholende Rückstand in der Meisterschaft auf Bayer Leverkusen, dazu der manchmal eigentümliche Umgang mit der Presse.

Hoeneß: "Wenn's nicht weitergeht, dann kaufen wir"

Dass die Trennung damals nicht per sofort erfolgte, lag wohl einerseits an den mangelnden Alternativen - Bayern sucht immer noch nach einem Nachfolger - andererseits an der Hoffnung, dass es Tuchel in der Champions League mit den Bayern doch noch weit bringen könnte. Schließlich hat er die ja schon mal gewonnen, 2021 mit dem FC Chelsea. Übrigens nach einem Halbfinal-Triumph über Real Madrid. Also sollte der Trainer das Werk mit den Münchenern wenigstens in diesem Wettbewerb ungestört zu Ende führen.

Hoeness und Trainer Tuchel im Gespräch
Uli Hoeneß (l.) versteht sich nach eigener Aussage menschlich gut mit Thomas Tuchel, nur eben fachlich nichtnull Christian Kolbert/dpa/picture alliance

Doch dann meldete sich wenige Tage vor dem sportlichen Highlight Uli Hoeneß zu Wort. Der langjährige Klub-Macher in verschiedenen Funktionen, jetzt aber "nur" noch Aufsichtsrat, zog am vergangenen Freitag bei einer Veranstaltung der renommierten überregionalen Tageszeitung "Frankfurter Allgemeine" (FAZ) über Tuchel her: "Er hat eine andere Einstellung. Nicht, dass man den Pavlovic verbessern kann, dass man den Davies verbessern kann. Sondern: Wenn's nicht weitergeht, dann kaufen wir".

Sollte bedeuten: Tuchel sei nicht in der Lage, junge Spieler wie Aleksandar Pavlovic und Alphonso Davies individuell zu verbessern. Dazu fehle es im Umgang mit den Spielern an der menschlichen Seite.

Kritik zum falschen Zeitpunkt

Tuchel wiederum sieht sich ob dieser Aussagen "in meiner Trainerehre verletzt", wie er vor dem Bundesliga-Spiel gegen Eintracht Frankfurt am Samstag beim TV-Sender Sky klagte. "Das ist so meilenweit an der Realität vorbei, ich weiß gar nicht, wie ich darauf antworten soll", meinte er. "Ich finde es absolut haltlos."

Tuchel entgegnete dem Hoeneß-Vorwurf mit Verweis auf die geleistete Arbeit der vergangenen 15 Jahre. Hauptsächlich störte den Trainer aber der Zeitpunkt des Angriffs des Ehrenpräsidenten: "Ich hätte auf diese Aussage überhaupt nicht reagiert, wenn sie nicht von Uli Hoeneß, unserem Boss, und vier Tage vor dem Real-Spiel gekommen wäre", meinte Tuchel.

Hoeneß seinerseits sah keinen Grund, sich bei seinem Noch-Trainer zu entschuldigen - im Gegenteil. Zu dem Satz, dass Tuchel bei Misserfolgen lieber neue Spieler fordere als die eigenen zu verbessern, stehe er, versicherte der 72-Jährige im Gespräch mit dem Fußball-Fachmagazin "Kicker". Den Krach zwischen ihm und dem Coach halte er für medial aufgebauscht, ergänzte Hoeneß. Er sei wild entschlossen, seine "Meinung wieder deutlicher zu machen", legte er im "Kicker" nach. "Sag ich nix mehr dazu. Das Thema ist abgehakt", so der lapidare Kommentar von Tuchel dazu auf der Pressekonferenz einen Tag vor dem Spiel gegen Madrid.

Einfluss auf die Spieler?

Die Diskussion kommt zur Unzeit, beeinträchtig die Spieler nach eigenen Angaben aber nicht. Ihr Fokus liegt auf dem Sportlichen, beinhaltet das Duell mit Real doch die letzte Chance in dieser Saison auf einen Titel. "Hehe, das ist mir scheißegal!", kommentierte Bayern-Urgestein Thomas Müller die Situation. Auch Joshua Kimmich war ganz auf den Sport fokussiert: "Das Feuer hat man natürlich wahrgenommen", sagte er auf der Pressekonferenz zum Real-Spiel am Montagmittag, "aber uns Spieler betrifft das nicht. Für uns zählt das Spiel morgen und nächste Woche. Der Fokus ist klar. Wir tun gut daran, uns darauf zu konzentrieren. Das andere können wir eh nicht beeinflussen.“

Übrigens wird Thomas Tuchel gegen Real Madrid auch als Diplomat gefragt sein. Schiedsrichter Clement Turpin aus Frankreich, der die Partie leiten wird, hatte Tuchel vor einem Jahr beim Viertelfinal-Rückspiel gegen Manchester City mit seinen Entscheidungen noch mächtig auf die Palme gebracht. "Note 6!" brüllte der Trainer da aufs Spielfeld und musste kurz vor Spielende mit gelb-roter Karte auf die Tribüne.

Bayern hatte das Hinspiel in Manchester 0:3 verloren und schied nach einem 1:1 im Rückspiel in München aus. Es gab zwei Handelfmeter nach Videobeweis, eine zurückgenommene rote Karte, jede Menge Diskussionen und dazu 19 Torschüsse der Bayern. Über solche Themen würde man sich normalerweise unterhalten vor so einem Champions-League-Kracher, wenn da nicht diese Attacken von Uli Hoeneß wären.

Kreuzbandriss - schwere Verletzung mit guter Prognose

Welche Funktion hat das Kreuzband?

In beiden Knien gibt es jeweils ein vorderes und ein hinteres Kreuzband. Sie verbinden den Oberschenkelknochen mit dem Schienbein und stabilisieren das Kniegelenk nach vorne und hinten sowie bei Drehbewegungen. Neben den Kreuzbändern gibt es Außen- und Innenband sowie die Menisken [Anm.d.Red.: halbmondförmige Knorpelscheiben zwischen dem Unter- und Oberschenkelknochen].

Alle Bänder begrenzen gemeinsam die Streckung des Knies, sodass es im Normalfall nicht überstreckt wird. Außerdem schränken sie die Rotation des Kniegelenks ein. Dabei werden sie von der Gelenkkapsel, Sehnen und umgebender Muskulatur unterstützt. Je besser die stabilisierende Muskulatur ausgebildet ist, umso geringer ist die Gefahr, einen Kreuzbandriss zu erleiden.

Wie kommt es zum Kreuzbandriss?

Werden die Kreuzbänder durch eine plötzliche Drehbewegung, eine Überstreckung oder das Wegknicken des Knies zur Seite überlastet, können sie teilweise oder komplett reißen. Das vordere Kreuzband ist dabei zehnmal häufiger betroffen als das hintere, weil es länger und dünner ist. Die meisten Kreuzbandrisse sind sogenannte Non-Contact-Verletzungen. Das bedeutet, sie passieren ohne Fremdeinwirkung oder direkten Kontakt zum Gegner, zum Beispiel bei einem Foul im Fußball.

Spielszene SV Werder Bremen gegen VfB Stuttgart Serhou Guirassy springt mit ausgestreckten Armen und einem abgespreizten Bein in die Luft
Schnelle Richtungswechsel oder eine unkontrollierte Landung führen viel häufiger zu einem Kreuzbandriss als Foulsnull nordphoto GmbH/Kokenge/picture alliance

Vielmehr sind Landungen auf einem Bein, abruptes Abstoppen und plötzliche Richtungswechsel die häufigsten Ursachen für eine Ruptur. Der Patient merkt dabei meist einen stichartigen Schmerz im Knie. Es schwillt in der Regel in den Stunden nach der Verletzung an, weil sich durch den Riss Flüssigkeit im Gelenk sammelt.

Was sind die akuten Folgen?

Man kann das Knie wegen Schmerzen und Schwellung meist nicht mehr gut bewegen und nur noch leicht beugen. Bei Belastung entstehen Schmerzen. Zudem ist das Kniegelenk durch die fehlende Funktion der Bänder instabil - es verrutscht beim Gehen wie eine Schublade. In vielen Fällen ist das Kreuzband nicht die einzige Struktur im Knie, die beschädigt wurde. Außen- und Innenband, Menisken und Knochen können ebenfalls betroffen sein.

Es kann allerdings in seltenen Fällen auch vorkommen, dass ein Kreuzband reißt, ohne dass der Patient etwas davon mitbekommt. Solche Kreuzbandrisse fallen dann oft erst später dadurch auf, dass Schäden an den Menisken oder den Knorpeln im Knie entstanden sind.

Wie werden Kreuzbandrisse behandelt?

Ein gerissenes Kreuzband wird entweder operiert oder konservativ behandelt. Bei der Operation, auch Kreuzbandplastik genannt, werden die gerissenen Teile des Kreuzbands entfernt und durch ein Transplantat aus körpereigenem Sehnenmaterial ersetzt. Es gibt aber auch Transplantate aus Spendermaterial oder synthetischer Herstellung. Normalerweise wird die OP erst Wochen oder sogar Monate nach der Verletzung durchgeführt, weil dann die Schwellung abgeklungen und das Knie wieder gut beweglich ist.

Bei der konservativen Behandlung wird das Knie zunächst für mehrere Wochen ruhiggestellt und mit einer Schiene stabilisiert. Sind die Enden des gerissenen Kreuzbands noch in engerem Kontakt miteinander, kann das Kreuzband in seltenen Fällen sogar von selbst wieder zusammenwachsen. In der Regel funktioniert das beim vorderen Kreuzband allerdings nicht. Beim hinteren, das kürzer und kompakter ist, sind die Chancen größer. Zur konservativen Behandlung gehört immer auch ein gezieltes Training der Muskeln rund um das Knie. Sie sollen das Knie stabilisieren und so die Funktion des fehlenden Kreuzbands übernehmen.

Was sind Langzeitfolgen eines Kreuzbandrisses?

Kreuzbandrisse können in der Folge zu einer veränderten Statik im Kniegelenk führen und damit zu Fehlbelastungen. Das gilt für operierte Kreuzbandrisse genauso wie für unbehandelte, allerdings ist bei den unbehandelten das Risiko höher. Die Belastung der Menisken und Gelenkknorpel nimmt zu. Das kann zu Rissen im Meniskus und zu Arthrose führen, dem irreversiblen Abbau der gelenkschützenden Knorpelflächen im Kniegelenk. Im schlimmsten Fall ist irgendwann ein künstliches Kniegelenk nötig.

Warum haben Frauen ein höheres Risiko, einen Kreuzbandriss zu erleiden?

Frauen haben anatomisch, genetisch und hormonell schlechtere Voraussetzungen als Männer. Weil sie ein breiteres Becken haben, neigen Frauen zur X-Bein-Stellung, die einen Kreuzbandriss bei entsprechender Krafteinwirkung auf das Knie begünstigt. Die weibliche Muskulatur ist in der Regel schwächer ausgeprägt als die männliche, sodass auch die stabilisierende Funktion weniger stark ist.

Fußball-Nationalspielerin Carolin Simon liegt verletzt auf dem Spielfeld, während ein Betreuer per Handzeichen siganlisiert, dass sie ausgewechselt werden muss
Ein Kreuzbandriss ist im Frauenfußball eine häufige Verletzungnull Heiko Becker/HMB Media picture alliance

Und auch die Hormone spielen eine Rolle: In der zweiten Hälfte des Zyklus macht das Sexualhormon Progesteron die Bänder im weiblichen Körper weicher und das Kreuzbandrisiko steigt. Insgesamt ist es für Frauen etwa doppelt so hoch wie für Männer.

Wie lange fällt man mit einem Kreuzbandriss aus?

Das hängt von der Schwere der sonstigen Verletzungen im Kniegelenk ab und von der Sportart, die man betreibt. Bei einem reinen Kreuzbandriss ohne Beteiligung weiterer Bänder, Knochen oder der Menisken dauert es in der Regel sechs bis neun Monate, bevor man wieder wettbewerbsfähig ist. Normalerweise spricht auch nichts dagegen, nach einem ausgeheilten Kreuzbandriss wieder Sport zu trieben.

Bei entsprechender Physiotherapie kann man etwa sechs Wochen nach der OP auf einem Fahrrad-Ergometer trainieren oder schwimmen gehen. Sportarten ohne plötzliche Richtungswechsel und große Krafteinwirkung durch Sprünge und Landungen wie Laufen, Schwimmen und Radfahren sind nach einem halben Jahr wieder möglich. Bei Mannschaftssportarten wie Fußball und Basketball, auch bei Tennis oder Ski alpin dauert es normalerweise zwei bis drei Monate länger bis zum Comeback. Oft spielt auch die psychische Komponente eine große Rolle. Es braucht mitunter Zeit, bevor die Patienten ihrem geheilten Knie wieder vertrauen.

Physiotherapie am Knie mit Bandage: weißgekleidete Person unterstützt Beinbewegungen eines Liegenden auf einer Pritsche
Nach einem Kreuzbandriss wird mit Hilfe von Physiotherapie die Beweglichkeit im Knie wieder hergestelltnull Andriy Popov/PantherMedia/IMAGO

Trotzdem gab es schon Sportler, die schneller wieder fit waren. Ein prominentes Beispiel ist Ex-Fußball-Nationalspieler Sami Khedira, bei dem Mitte November 2013 das Kreuzband riss und der Anfang Mai 2014 wieder auf dem Platz stand. Kurz danach gewann er mit Real Madrid die Champions League und wurde anschließend mit Deutschland Weltmeister.

Funktioniert Leistungssport auch ohne Kreuzband?

Im Schwimmen, Laufen, Radsport oder anderen Sportarten mit geringerer Belastung der Knie ist das sicherlich möglich, bei Sportarten mit hoher Knie-Belastung allerdings eher nicht zu empfehlen - wie einige Bespiele zeigen: US-Skirennfahrerin Lindsey Vonn verzichtete nach einem schweren Sturz im Winter 2013/2014 auf eine Kreuzband-Operation, um die Olympischen Spiele in Sotschi nicht zu verpassen. Sie musste ihren Olympia-Traum einige Wochen später wegen starker Schmerzen und anhaltender Knieschwellung aufgeben, die Saison vorzeitig beenden und sich operieren lassen.

Fußballstar Zlatan Ibrahimovic spielte 2022 ein halbes Jahr lang mit gerissenem Kreuzband weiter und gewann mit der AC Mailand die italienische Meisterschaft. Allerdings konnte er kaum trainieren und, wenn überhaupt, jeweils nur ein paar Minuten mitspielen. "Sechs Monate lang habe ich wegen der Schmerzen kaum geschlafen. Ich habe noch nie so sehr auf und neben dem Spielfeld gelitten", schrieb der Schwede auf Instagram, bevor er sich nach der Saison einer Operation unterziehen musste.

Skirennfahrerin Joana Hählen bei einem Skirennen
Außergewöhnlich: Skirennfahrerin Joana Hählen fehlen beide vorderen Kreuzbändernull Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Deutschlands ehemaliger Fußball-Nationaltorhüter Toni Schumacher zog sich 1972 - noch vor seiner Profikarriere - als 18-Jähriger einen Kreuzbandriss zu, entschied sich aber gegen eine Operation. Seine gesamte Laufbahn (1973 bis 1996) spielte er mit "Wackelknie", bezahlte diese Entscheidung allerdings mit schweren Folgeschäden und Schmerzen, die seine Lebensqualität nach der Karriere deutlich einschränkten.

Sehr ungewöhnlich ist der Fall Joana Hählen: Die Skirennläuferin aus der Schweiz brach Ende Januar 2024 die Weltcup-Abfahrt in Cortina d'Ampezzo mit starken Knieschmerzen ab und wurde mit Verdacht auf Kreuzbandriss in die Klinik gebracht. Dort stellten die Ärzte fest, dass ihr rechtes vorderes Kreuzband tatsächlich nicht mehr intakt war. Wie Untersuchungen zeigten, war es aber bereits zwei Jahre zuvor bei einem Sturz gerissen. Damals war man nur von einem Anriss ausgegangen. Im linken Knie Hählens fehlt das vordere Kreuzband sogar schon seit über sechs Jahren. Sie hatte es sich 2017 gerissen, aber auf eine OP verzichtet. "Es ist sicher viel Arbeit mit Physiotherapie und Knieübungen", sagt Hählen. "Aber ich kann es gut mit meiner Muskelkraft und meiner Größe kompensieren."

FC Bayern: Ralf Rangnick als Antwort auf die Trainerfrage?

"Wir wollen einen Trainer haben, der ein Stück weit Bayern München längerfristig begleitet", so formuliert es Max Eberl. Der Sportvorstand des FC Bayern sondiert gemeinsam mit Sportdirektor Christoph Freund den Trainermarkt. "Wir wollen eine Kontinuität aufbauen. Das ist ein entscheidender Fakt, um erfolgreich zu sein", so Eberl.

Nach den Absagen von Leverkusens Meistercoach Xabi Alonso und Bundestrainer Julian Nagelsmann ist nun Ralf Rangnick der Wunschkandidat. Er muss im Grunde nur noch "Ja" sagen und einen Vertrag unterschreiben. Aktuell bereitet sich Rangnick als Nationaltrainer Österreichs auf die Teilnahme an der Fußball-EM in seinem Heimatland Deutschland (14. Juni bis 14. Juli) vor. Doch auch ein Job beim Rekordmeister sollte ihn reizen, zumal es für den 65-Jährigen gegen Ende seiner Karriere wohl die einmalige Gelegenheit sein dürfte, das Traineramt in München zu bekommen.

System-Innovator und Fußball-Professor

Rangnick hat den deutschen Fußball in den vergangenen 25 Jahren als Trainer, Manager und Funktionär verändert wie kaum ein anderer. Ende der 1990er Jahre trat er als Trainer erstmals ins Licht der Öffentlichkeit, als er mit dem SSV Ulm erfolgreich in der 2. Bundesliga spielte und dort dank seines neuartigen Spielsystems Erfolg hatte: eine Viererkette in der Abwehr und ein konsequentes Pressing der gesamten Mannschaft Richtung Ball.

Ralf Rangnick als Trainer des SSV Ulm 1846 sitzt vor Blatt mit taktischen Anweisungen
Nickelbrille, Taktiktafel und den vollen Durchblick, wie das System funktioniert: "Fußball-Professor" Ralf Rangnick beim SSV Ulm null Herbert Rudel/Pressefoto Rudel/picture alliance

Rangnick war ein echter Fußball-Nerd mit dem Hang zum Perfektionismus, aber ohne eigene Erfahrung als Fußballprofi. Seine Detailversessenheit und die akribische, fast wissenschaftliche Herangehensweise brachten ihm den Spitznamen "Fußball-Professor" ein. Manifestiert wurde dieser "Ehrentitel" durch einen Fernsehauftritt Rangnicks im Dezember 1998. Der junge Trainer mit Nickelbrille, damals mit Ulm überraschend Tabellenführer der 2. Bundesliga, verschob an der Taktiktafel Spieler und Gegner und erklärte sein System innerhalb von wenigen Minuten für jeden verständlich.

Dabei war "Fußball-Professor" oft auch abwertend gemeint. Viele der etablierten Trainer, Funktionäre und Experten - meist ehemalige Topspieler - störten sich daran, dass ein völlig Unbekannter, noch dazu ein studierter Lehrer, der selbst nie Profi war, daherkam und ihnen erklärte, wie es besser geht.

Meist erfolgreich, dann Abschied in Unfrieden

Der Erfolg gab Rangnick jedoch recht: Zwar trat er in Ulm zurück, kurz bevor der Bundesliga-Aufstieg geschafft war. Er etablierte sich aber anschließend beim VfB Stuttgart (1999-2001), bei Hannover 96 (2001-2004) und Schalke 04 (2004-2005) in der Fußball-Bundesliga. Überall hatte er im Rahmen der Möglichkeiten Erfolg. Überall eckte er jedoch auch an: mit seiner Art, seinen Ideen und dem Anspruch, im sportlichen Bereich eine möglichst weitreichende Entscheidungshoheit zu besitzen. Alle Engagements endeten vorzeitig mit Rangnicks Entlassung.

Schalkes Trainer Ralf Rangnick beim Autokorso in Gelsenkirchen mit DFB-Pokal
Seinen bislang einzigen großen Titel als Trainer gewann Ralf Rangnick 2011 im DFB-Pokal mit dem FC Schalkenull Volker Essler/SvenSimon/picture alliance

Im Sommer 2006 überraschte Rangnick damit, dass er bei der TSG Hoffenheim anheuerte, einem Drittligisten. Das war zwar ein sportlicher Rückschritt, bot Rangnick aber die Möglichkeit, im Grunde alles nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Der Klub wurde von Mäzen Dietmar Hopp großzügig finanziell unterstützt. Zweimal in Folge gelang der Aufstieg, nach der ersten Halbserie als Bundesliga-Neuling feierte die TSG sogar die Herbstmeisterschaft vor den Bayern. Rangnick blieb viereinhalb Jahre in Hoffenheim, ging dann Anfang 2011 aber vorzeitig - wegen Meinungsverschiedenheiten mit Hopp, dem einflussreichsten Mann im Verein.

Burnout auf Schalke als Türöffner bei Red Bull

Seine Rückkehr zum FC Schalke im März 2011, drei Monate nach seinem Abschied aus Hoffenheim, verlief mit dem Erreichen des Halbfinals in der Champions League und dem Sieg im DFB-Pokal sportlich erfolgreich, endete aber bereits nach einem halben Jahr wieder. Der Grund: Rangnick konnte nicht mehr. Wegen Burnouts trat Rangnick ohne Vorankündigung zurück. "Ich habe keine Kraft mehr, euch das zu geben, was ihr von mir als Trainer braucht", sagte er damals den Spielern. "Die Entscheidung ist mir unheimlich schwergefallen, doch ich brauche eine Pause."

Dieser Schritt sollte Rangnicks weitere Karriere nachhaltig beeinflussen. Wer weiß, ob er ein gutes Jahr später überhaupt bei Red Bull gelandet wäre, hätte er zuvor auf Schalke weitergemacht. Von 2012 bis 2020 arbeitete Rangnick bei Red Bull, zunächst als Sportdirektor bei Red Bull Salzburg, dann ab 2015 als Cheftrainer und Sportdirektor von RB Leipzig. 2019 übernahm er die Aufgabe als Head of Sport and Development Soccer und war damit für alle Red-Bull-Fußballklubs zuständig.

Fußballtrainer Ralf Rangnick schaut ernst
Gedanken darüber, wie viel Tradition ein Verein hat, machte sich Rangnick nie - er wollte die besten Bedingungennull Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Wie zuvor in Hoffenheim sah Rangnick die Möglichkeiten, die der RB-Kosmos bot und nicht die negativen Seiten, die Traditionalisten über die neureichen Klubs die Nase rümpfen ließen. RB Leipzig wurde dank ihm zu einem Bundesliga-Spitzenteam, das sich seit seinem Bundesliga-Aufstieg im Jahr 2016 bislang nur einmal am Ende der Saison nicht für die Champions League qualifizieren konnte.

Rangnicks Ruf war auch international gut: Bei der AC Mailand wollte man ihn 2020 als Cheftrainer und Sportdirektor verpflichten. Nach langen Verhandlungen scheiterte der Deal allerdings. Stattdessen wurde Rangnick im Dezember 2021 für den Rest der Saison Trainer beim kriselnden englischen Topklub Manchester United. Danach sollte er den Verein weiter beraten und gleichzeitig als Nationaltrainer Österreichs arbeiten. Doch aus der Beratertätigkeit Rangnicks wurde dann doch nichts. Mal wieder war ein Streit um die Kompetenzen Schuld. Diesmal mit seinem Nachfolger als United-Trainer Erik ten Hag.

Rangnick: "Kann ich etwas bewirken?"

Beim FC Bayern kennen sie die Vergangenheit Rangnicks. Sie wissen, dass sie sich mit ihm einen Mann ins Haus holen, der angeknackste Systeme wieder ins Lot bringen und aus dem Kurs geratene Mannschaften wieder erfolgreich machen kann - wenn man ihn auf seine Art und Weise arbeiten lässt. Der aber auch schnell unzufrieden wird, wenn er das nicht darf.

Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick bei der Hymne untergehalt mit seinen Assistenten Lars Kornetka und Peter Perchtold
Seine Assistenten Lars Kornetka (l.) und Peter Perchtold (r.) würde Ralf Rangnick (2.v.l.) wohl nach München mitbringennull Ulrich Hufnagel/picture alliance

"Kann ich etwas bewirken? Besteht die Chance, eine Mannschaft zu entwickeln und erfolgreich zu sein? Das treibt mich an”, sagte Rangnick in dieser Woche gegenüber dem österreichischen Fußballportal "90minuten.at" über ein mögliches Engagement in München. Laut Medieninformationen haben Max Eberl und Christoph Freund ihm diese Möglichkeiten weitestgehend eingeräumt haben. Allerdings soll das letzte Wort bei Transferentscheidungen nicht alleine bei Rangnick liegen.

Jetzt könnte alles ganz schnell gehen. Zum einen möchte Rangnicks jetziger Arbeitgeber, der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB), innerhalb der kommenden zwei Wochen Klarheit. Zum anderen läuft auch den Bayern die Zeit davon. Sollte mit Rangnick nach Alonso und Nagelsmann auch Wunschtrainer Nummer drei absagen, würde es wohl noch schwieriger, einen weiteren geeigneten Kandidaten zu finden. Außerdem müsste dieser dann davon überzeugt werden, den Posten bei einem angeschlagenen Spitzenklub zu übernehmen, der seinen Trainern zuletzt nicht gerade gutgetan hat. Und dann würde der neue Coach auch noch mit dem Makel starten, für den Posten nur die vierte Wahl gewesen zu sein.

Kreuzbandriss: Frauen hormonell und genetisch im Nachteil

DW: Frau Wilke, früher bedeutete ein Kreuzbandriss im Profisport nicht selten das Karriereende. Heute ist das nicht mehr so. Sind Kreuzbandrisse heutzutage weniger schlimm als früher?

Christiane Wilke: Die Behandlungsstrategien haben sich verbessert. Vor 20 Jahren wurde nach einem Kreuzbandriss eine offene Operation durchgeführt und das ganze Knie dabei eröffnet. Damit waren ganz andere Strukturen betroffen und alleine die postoperativen Folgen viel eklatanter, als es heutzutage mit minimalinvasiven Operationsverfahren der Fall ist. Auch die Therapie und das Training in der Regeneration laufen besser und sind ganz anders aufgebaut als früher.

Es gibt also keinen Grund, warum ein Profisportler nach einem Kreuzbandriss nicht in den Profisport zurückkehren sollte.

Es kann immer individuelle Gründe geben und es gibt ja meistens auch nicht nur den selektiven Kreuzbandriss, sondern oft sind es komplexere Verletzungen, bei denen neben dem Kreuzband auch andere Bänder, die Menisken oder Knochen beschädigt sein können. Da muss man natürlich individuell entscheiden, aber grundsätzlich steht nach einem Kreuzbandriss einer Rückkehr in den Sport überhaupt nichts im Wege.

Es gibt genug Sportlerinnen und Sportler, die nach einem Kreuzbandriss komplett auf ihr voriges Leistungsniveau zurückkommen. Ein aktuelles Beispiel ist Fußball-Nationalspieler Florian Wirtz von Bayer Leverkusen, der mit einem Kreuzbandriss fast ein Jahr lang ausgefallen ist.

Generell gilt: Frauen erleiden leichter einen Kreuzbandriss als Männer. Warum ist das so?

Ein Grund dafür liegt in der Anatomie. Frauen haben von Natur aus ein breiteres Becken als Männer und neigen daher zu einer X-Bein-Stellung, die einen Kreuzbandriss begünstigt. Ein zweiter Grund ist, dass Frauen in der Regel nicht eine so hohe Muskelkraft entwickeln können wie Männer. Sie haben also bei gleicher Krafteinwirkung auf das Kreuzband unter Umständen nicht die gleichen muskulären Voraussetzungen, das Kniegelenk stabilisieren zu können. Und drittens ist das Bindegewebe bei Frauen nicht so stabil wie bei Männern. Das hat genetische und hormonelle Gründe. Dadurch reißt so ein Band bei einer Frau schneller als beim Mann.

Immer mehr ins Zentrum der Forschung rückt der weibliche Zyklus. Welchen Einfluss hat er auf das Kreuzbandriss-Risiko?

In der zweiten Hälfte des Zyklus bereitet sich der Körper auf eine Empfängnis und damit auf eine Schwangerschaft vor. Der Progesteronspiegel steigt an. [Anm.d.Red.: Progesteron ist ein Sexualhormon, das bei Frauen u.a. das Wachstum der Gebärmutterschleimhaut anregt.] Dadurch werden Bindegewebe und Bänder weicher. Man versucht gerade, das genauer zu erforschen. Es ist aber unglaublich schwierig, valide Aussagen zu treffen. Der Progesteronspiegel kann nämlich durch andere körpereigene Hormone, durch die Einnahme hormonhaltiger Medikamente, zum Beispiel der Pille, aber auch durch Stress oder die Ernährung beeinflusst werden. Man tastet sich heran.

Fußball-Nationalspielerin Giulia Gwinn liegt während des Länderspiels Deutschland - Irland im September 2020 verletzt am Boden.
Fußball-Nationalspielerin Giulia Gwinn hat sich bereits zweimal das Kreuzband gerissennull Anke Waelischmiller/SVEN SIMON/picture alliance

Es gibt aber die Beobachtung, dass in bestimmten Zyklusphasen häufiger Verletzungen an den Bändern vorkommen. Man beobachtet auch bei jungen Sportlerinnen, dass wirklich ernsthafte und schwerwiegende Kreuzband- oder sonstige Bandverletzungen erst ab dem 14. oder 15. Lebensjahr auftreten. Vielleicht weil dann Pubertät und Zyklus einsetzen und die hormonellen Unterschiede zum männlichen Geschlecht deutlicher werden.

Gleichzeitig steigt in diesem Alter aber auch die Beanspruchung, weil in den meisten Sportarten dann eher eine leistungsorientierte Förderung stattfindet. Diesen Fragen wird in Studien zurzeit nachgegangen, um zu gucken, ob man daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen kann.

Gibt es - unabhängig vom Geschlecht - Maßnahmen, mit denen man einem Kreuzbandriss vorbeugen kann?

Definitiv durch gezieltes Stabilisationstraining. Leider kommt in vielen Sportarten das Athletiktraining zu kurz. Selbst wenn drei- bis viermal in der Woche trainiert wird, stehen immer sportartspezifische Inhalte im Fokus. Bei Mannschaftssportarten sind das zum Beispiel Technik, Taktik und Spielzüge. Ich finde das nicht richtig. Ab einem Alter von 13, 14 oder 15 Jahren sollte ein Athletiktraining mit Stabilisationsübungen für Hüfte, Rumpf, Oberkörper und untere Extremitäten, das dann auch noch spezifisch auf eine bestimmte Verletzungsprophylaxe hinarbeitet, verbindlich in das Mannschaftstraining eingebaut werden.

Das ist auch in professionell orientierten Vereinen oder Verbandsfördergruppen meist nicht der Fall. Da gibt es deutlich Luft nach oben. Meiner Meinung nach gehört die Bedeutung des Athletiktrainings von Anfang an in jede Trainerausbildung, egal in welcher Sportart.

Zwei Frauen trainieren im Fitnessstudio Stabilisationsübungen.
Stabilisationsübungen stärken die Muskulatur - das schützt gegen Überbelastung der Gelenke und Verletzungennull Addictive Stock/Shotshop/picture alliance

Was wäre ihr Vorschlag, wie man diese Übungen schon bei Heranwachsenden in das tägliche oder wöchentliche Training einbauen könnte?

Ich würde sagen, wenn Kinder anderthalb oder zwei Stunden lang Training haben, sollte am Anfang eine Viertelstunde oder 20 Minuten lang Athletiktraining gemacht werden. Das werden die nicht toll finden, aber es sollte dazugehören.

Ab einem gewissen Zeitpunkt und einer gewissen Leistungsklasse und je nach Sportart bekommen Jugendliche ja auch Hausaufgaben, was Ausdauertraining angeht. Dass man beispielsweise pro Woche zweimal fünf Kilometer laufen soll, oder ähnliches. Für Stabilisationsübungen könnte man das genauso handhaben, aber das ist noch nicht so im Bewusstsein. Ein paar Minuten alle zwei Tage, das wäre schon gut.

Dr. Christiane Wilke ist Sport-Wissenschaftlerin. Sie forscht und lehrt an der Deutschen Sporthochschule Köln in den Bereichen Gesundheit in Prävention und Therapie sowie Rehabilitation und Gesundheitsmanagement.

Mount Everest: Klettersaison mit neuen Regeln und vielen Fragezeichen

Nicht umsonst nennen die Bergsteigerinnen und Bergsteiger am Mount Everest die heikle Passage "Ballsaal des Todes". Einem Damoklesschwert gleich bedroht von der westlichen Flanke ein mächtiger Hängegletscher die Route durch den Khumbu-Eisbruch. Vor zehn Jahren, am 18. April 2014, löste sich von dort eine Eislawine. 16 nepalesische Bergsteiger, die Material für die kommerziellen Expeditionen in die Hochlager tragen sollten, kamen bei dem Unglück ums Leben. Seitdem versuchen die "Icefall Doctors" - eine Gruppe von Sherpas, die auf den Eisbruch spezialisiert sind -, die Aufstiegsroute so weit wie möglich von der Westflanke entfernt zu legen. In diesem Frühjahr zwang sie jedoch der Klimawandel in den Ballsaal des Todes.

Es gab einfach keine Alternative. Zwei Versuche, einen weniger risikoreichen Weg zu finden, waren gescheitert. Der schneearme Winter in Nepal hatte in dem Eislabyrinth zu instabilen Eistürmen und Schneebrücken geführt. Außerdem hatten sich so breite Gletscherspalten gebildet, dass sie nicht mit Leitern überquert werden konnten. 

Jahr für Jahr richten die Icefall Doctors die Route durch den gefährlichen Eisbruch ein, sichern sie mit Seilen und halten sie während der Klettersaison bis Ende Mai instand. Erst wenn die Route bis hinauf nach Lager 2 auf 6400 Metern fertiggestellt ist, können die kommerziellen Teams aufsteigen. Die Zeit drängte. Rund zehn Tage später als ursprünglich geplant meldeten die acht Sherpas endlich Vollzug. Die Icefall Doctors warnten jedoch davor, dass es mindestens fünf gefährliche Stellen gebe, die man möglichst schnell passieren sollte. Das erinnert an Russisch Roulette.  

"Berg gewinnt an Dynamik"

Im vergangenen Winter waren sogar zwei über 5800 Meter hohe Pässe im Everest-Gebiet komplett schneefrei. Das sei "besorgniserregend", sagt der nepalesische Glaziologe Tenzing Chogyal Sherpa. "Die Daten zeigen, dass die Zahl der Schneetage, die Schneemenge und die Schneebedeckung abnehmen. Es gibt einen negativen Trend. Diese 'nackten‘ Pässe und Berge veranschaulichen, was gerade passiert." Die Gletscher schmelzen immer schneller, werden dünner und kürzer. Es bilden sich immer größere Gletscherseen, deren natürliche Dämme zu bersten drohen. Das geschah in dieser Woche am Achttausender Manaslu. Die anschließende Flutwelle richtete nur Sachschäden an. Glück gehabt.

Infografik Karte die 14 Achttausender.

Auch im Tal zu Füßen des Everest bilden sich immer mehr Tümpel aus Schmelzwasser. Bis hinauf zum Gipfel auf 8849 Metern sind Schnee und Eis auf dem Rückzug. Die Folge: erhöhte Steinschlaggefahr. Auch das Lawinenrisiko steigt, weil es immer wärmer wird. "Viele Menschen verlieren ihr Leben durch Lawinenabgänge. Der Berg gewinnt immer mehr an Dynamik", warnt Glaziologe Sherpa.

20 Prozent weniger Permits

"Die momentanen Schwierigkeiten am Khumbu-Eisbruch, um zu den höheren Camps zu gelangen, könnten einen Einfluss auf die gesamte Saison haben und womöglich Vorboten eines großen Unheils am Everest sein", fürchtet Norrdine Nouar. Der deutsche Bergsteiger aus dem Allgäu hat gerade - ohne Flaschensauerstoff - die 8091 Meter hohen Annapurna im Westen Nepals bestiegen, seinen zweiten Achttausender. Jetzt will er sich am höchsten Berg der Erde ohne Atemmaske versuchen. "Ich hoffe sehr, dass wir den letztjährigen traurigen Rekord an Toten am Everest nicht erneut brechen", sagt der 36-Jährige gegenüber dem Blog "Abenteuer Berg". Im Frühjahr 2023 waren am Mount Everest 18 Menschen - sechs Nepalesen und zwölf Kunden kommerzieller Teams - ums Leben gekommen, so viele wie noch nie zuvor in einer Saison. Die nepalesische Regierung hatte jedoch auch noch niemals so viele "Permits", Besteigungsgenehmigungen, für den Everest ausgestellt: 478. In diesem Jahr liegt die Zahl der Permits im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt 2023 gut 20 Prozent niedriger.

Basislager auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest.
Basislager auf der tibetischen Nordseite des Mount Everestnull Xiao Mi/dpa/picture alliance

Das kann, muss aber nicht auf ein nachlassendes Interesse am Everest hindeuten. Zum einen könnte es daran liegen, dass sich viele Everest-Kandidatinnen und Kandidaten inzwischen daheim in Hypoxie-Zelten vorakklimatisieren und deshalb später anreisen. Zum anderen dürfte auch eine Rolle spielen, dass der höchste Berg der Erde erstmals seit vier Jahren auch wieder von der tibetischen Nordseite aus bestiegen werden kann. Wegen der Corona-Pandemie hatten die chinesischen Behörden die Berge Tibets für ausländische Expeditionen gesperrt. Noch warten die Teams, die in diesem Frühjahr von Norden aus den Everest besteigen wollen, auf ihre Einreisegenehmigungen nach Tibet. Dem Vernehmen nach soll die Grenze erst am 7. Mai geöffnet werden. Die Everest-Saison auf der Nordseite endet am 1. Juni. Die chinesischen Behörden haben die Zahl der Permits auf 300 gedeckelt. Aufstiege ohne Flaschensauerstoff sind ab einer Höhe von 7000 Metern untersagt.

Tracking-Chips und Kotbeutel

Auch auf der nepalesischen Südseite gibt es neue Vorschriften. So müssen alle Bergsteigerinnen und Bergsteiger elektronische Tracking-Chips in ihren Daunenjacken eingenäht haben. Sie sollen die Suche erleichtern, sollte jemand am Berg vermisst werden. Das System hat sich bei Lawinensuchen in den Alpen bewährt. Experten bezweifeln allerdings, dass damit auch im Gipfelbereich des Mount Everest die Sicherheit erhöht werden kann. Bei Eislawinen, so Lukas Furtenbach, Chef des österreichischen Expeditionsanbieters Furtenbach Adventures, reduziere sich die Reichweite des Systems erheblich. "Besser wäre, die Guides [Bergführer - Anm. d. Red.] würden ihre Kunden nicht alleine lassen", sagt Furtenbach. "Dann wäre das Problem gelöst."

Pflicht ist in diesem Jahr erstmals auch, "Poo bags" auf den Berg mitzunehmen, zu benutzen und wieder herunterzubringen. Die speziell für den Outdoor-Bereich entwickelten Kotbeutel sind dicht verschließbar. Ihre Innenseite ist mit einer Mischung aus Geliermitteln, Enzymen und geruchsneutralisierenden Substanzen beschichtet. Diese sorgen dafür, dass die Fäkalien gebunden und der Gestank reduziert wird. Die nepalesische Umweltschutzorganisation Sagarmatha Pollution Control Committee (SPCC), die für das Management des Everest-Basislagers zuständig ist und auch die Icefall Doctors beschäftigt, soll dafür sorgen, dass die Regel eingehalten wird. Das SPCC schätzt, dass zwischen Lager 1 auf 6100 Metern und Lager 4 am Südsattel auf knapp 8000 Metern insgesamt rund drei Tonnen Exkremente liegen - die Hälfte davon am Südsattel, dem letzten Lager vor dem Gipfel des Mount Everest. Da die Schneeauflage zunehmend schwindet, stinkt es dort buchstäblich zum Himmel. Der Südsattel läuft Gefahr, zum "Ballsaal des Kots" zu werden.

Vertuschter Dopingskandal in Chinas Schwimmsport?

Ein möglicher weiterer großer Dopingskandal erschüttert den Weltsport, weniger als 100 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris (26. Juli bis 11. August).

Was ist geschehen?

Nach Recherchen der ARD-Dopingredaktion und der US-Zeitung "New York Times" wurden bei einem Schwimmwettkampf im Januar 2021 in Shijiazhuang, der Hauptstadt der nordchinesischen Provinz Hebei, 23 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet. Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA stufte das Ergebnis jedoch nicht als konkreten Verdachtsfall ein, die Aktiven durften weiter starten. Begründung: Es habe sich um niedrige Konzentrationen und schwankende Werte gehandelt, so die CHINADA. Die chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer seien Opfer einer "Massenkontamination" in der Küche des Teamhotels geworden, so die offizielle Erklärung der CHINADA.

Die ARD-Dopingredaktion ließ die chinesische Version in einem Experiment in einem deutschen wissenschaftlichen Fachlabor nachstellen und überprüfen. Ergebnis: Es hätte so sein können, ist aber extrem unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sei, dass die Aktiven die Dopingsubstanz bereits Wochen vorher eingenommen hätten.

Um welche Schwimmerinnen und Schwimmer geht es?

Die 23 betroffenen Aktiven gehörten zum Schwimm-Nationalkader Chinas, einige von ihnen zählen inzwischen zur Weltelite. Drei von ihnen gewannen 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio Gold: Zhang Yufei wurde sogar Doppel-Olympiasiegerin (200 Meter Schmetterling, 4x200-Meter-Freistilstaffel), Wang Shun gewann Einzelgold (200 Meter Lagen der Männer), Yang Junxuan Staffel-Gold (4x200-Meter-Freistilstaffel der Frauen). Ebenfalls betroffen war Qin Haiyang, Vierfach-Weltmeister 2023.

Chinas Schwimmer Qin Haiyang feiert seinen Sieg über 200 Meter Brust bei der WM in Fukuoka, indem er mit den Armen ins Wasser schlägt.
Qin Haiyang wurde nach seinen vier WM-Titeln von Fukuoka zum "Weltschwimmer des Jahres 2023" gekürtnull Zhang Xiaoyu/Xinhua News Agency/picture alliance

Drei der positiv getesteten Aktiven waren zum Zeitpunkt der Dopingkontrolle in Shijiazhuang noch minderjährig, zwei von ihnen - damals 15 Jahre alt - wurden später Staffelweltmeisterinnen: Wang Yichun (2023) und Yu Yiting (2024).

Um welches Dopingmittel handelt es sich?

Trimetazidin ist ein Wirkstoff, der in Medikamenten gegen die Herzkrankheit Angina Pectoris verwendet wird. Die Substanz sorgt dafür, dass die Muskeln besser mit Energie und Sauerstoff versorgt werden, sie begünstigt zudem den Muskelaufbau. Trimetazidin ist bei der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA seit 2014 als verbotene Substanz gelistet. Sie wird als Dopingsubstanz vor allem in Ausdauer- und Kraftsportarten genutzt.

2014 wurde der damalige chinesische Schwimmstar Sun Yang, Doppe-Olympiasieger von London 2012, positiv auf Trimetazidin getestet und drei Monate gesperrt. Auch im Dopingskandal um die damals erst 15 Jahre alte russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking ging es um diesen Wirkstoff. Der Internationale Sportgerichtshof CAS sperrte Walijewa 2024 rückwirkend für vier Jahre. Russland verlor deswegen die Goldmedaille im Team-Wettbewerb, weil die junge Eiskunstläuferin damals zur siegreichen Mannschaft gehört hatte.

Hat die WADA den Fall vertuscht?

Normalerweise werden Athletinnen und Athleten, die unter Dopingverdacht stehen, umgehend suspendiert, bis die Vorwürfe geklärt sind. Im aktuellen Fall durften die chinesischen Aktiven jedoch weiterhin an Wettkämpfen teilnehmen. Die WADA erklärte, sie sei im Juni 2021 von der CHINADA über den Vorgang informiert worden und habe ihn mehrere Wochen lang "sorgfältig überprüft". Wegen der Corona-Pandemie habe sie dies nicht vor Ort tun können. Am Ende, so die WADA, habe man die Theorie der Kontamination im Teamhotel nicht widerlegen können und konstatiert, "dass sie mit den analytischen Daten in der Akte vereinbar war". Den Athletinnen und Athleten habe "keine Schuld oder Fahrlässigkeit" angelastet werden können.

Die WADA sah zunächst keine ausreichenden Beweise, um neue Ermittlungen einzuleiten. Sie behielt sich wegen der so wörtlich "irreführenden Informationen" rechtliche Schritte gegen die beteiligten Medien vor.

Inzwischen aber hat der Weltdoping-Agentur einen unabhängigen Staatsanwalt eingeschaltet, um ihren Umgang mit den Vorfällen untersuchen zu lassen. Darüber hinaus kündigte die globale Aufsichtsbehörde an, ein "Compliance-Team" nach China zu entsenden, um "den aktuellen Stand des Anti-Doping-Programms des Landes" zu bewerten. Ein Schuldeingeständnis ist das freilich nicht. 

"Wir weisen die falschen Anschuldigungen weiterhin zurück und freuen uns, dass wir diese Fragen in die Hände eines erfahrenen, angesehenen und unabhängigen Staatsanwalts legen können", sagte WADA-Präsident Witold Banka in einer Erklärung. Der ehemalige Schweizer Staatsanwalt Eric Cottier soll die Vorfälle untersuchen und dazu "vollen und uneingeschränkten" Zugang zu allen Akten und Dokumenten zu dem Fall erhalten.

Wie reagiert die Sportwelt?

Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, spricht in der ARD-Dokumentation von "schockierenden Enthüllungen" und einem "Messer im Rücken aller sauberen Athleten". Er wirft der WADA und der CHINADA vor, die positiven Tests unter den Teppich gekehrt zu haben. Nach seiner Meinung hätten die Aktiven zumindest vorläufig suspendiert werden müssen.

Das sehen die Athletenvertretungen "Global Athlete" und "Fair Sport" genauso und fordern eine rasche Aufklärung. Wenn die Vorwürfe zuträfen, handele es sich um "ein weiteres katastrophales Versagen des globalen Anti-Doping-Systems und unterstreicht die Notwendigkeit, die WADA-Struktur aufzulösen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Organisationen.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, in der deutschen Regierung zuständig für den Sport, sieht die WADA in der Pflicht. "Wenige Monate vor den Olympischen Spielen muss der im Raum stehende Verdacht des Wegschauens oder gar Vertuschens schnellstens umfassend aufgeklärt werden", sagte die SPD-Politikerin. Christian Hansmann, Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimmverbands (DSV), sprach von "beunruhigenden" Nachrichten aus China und forderte "gegebenenfalls auch Konsequenzen - nur so kann die Integrität des Sports gewahrt werden".

Das chinesische Außenministerium wies den ARD-Bericht als "Fake News" zurück. Es habe "weder ein Verschulden noch Fahrlässigkeit" vorgelegen.

Was bedeutet der Fall für die Olympischen Spiele in Paris?

Solange sich die WADA weigert, neue Ermittlungen einzuleiten und damit einen begründeten Dopingverdacht einzugestehen, können alle 23 betroffenen chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer theoretisch bei den Spielen in Paris starten.

Chinas Schwimmern Zhang Yufei mit ihren vier Olympia-Medaillen von Tokio
Zhang Yufei könnte, Stand jetzt, ihre Titel von Tokio verteidigen - wenn sie sich für Paris qualifiziertnull Xu Chang/Xinhua News Agency/picture alliance

Noch bis zum kommenden Samstag (27. April) laufen in der Stadt Shenzhen im Südosten des Landes die chinesischen Schwimm-Meisterschaften. Dabei werden nicht nur die nationalen Titel vergeben, sondern auch die Olympia-Tickets für Paris.

Fünfter deutscher Champions-League-Startplatz in Reichweite

Der frisch gebackene deutsche Fußball-Meister Bayer Leverkusen hat das Halbfinale der Europa League erreicht und damit dazu beigetragen, dass Deutschland einen großen Schritt auf dem Weg zum fünften Startplatz in der Champions League machen konnte. Nach dem 2:0-Erfolg im Hinspiel reichte das 1:1 der Werkself beim englischen Klub West Ham United, um in die Runde der besten Vier einzuziehen. Damit festigte die Bundesliga im UEFA-Ranking der laufenden Saison den zweiten Platz und konnte den Vorsprung auf England sogar noch etwas vergrößern.

Deutschland hat 17,929 Punkte auf dem Konto und noch die drei Teams Bayern München, Borussia Dortmund und eben Bayer 04 im Europapokalrennen: Bayern und der BVB in der Champions League, Leverkusen in der Europa-League. Italien liegt vorn mit 19,429 Zählern, hinter der Bundesliga auf dem dritten Platz steht England mit 17,375 Punkten.

Bundesliga gegen Premier League

Im Duell mit der Premier League sind die deutschen Klubs im Vorteil, denn mit Aston Villa in der Conference League ist nur noch ein englischer Verein im Titelrennen. In der Champions League schieden Manchester City gegen Real Madrid und der FC Arsenal gegen den FC Bayern im Viertelfinale aus. Der FC Liverpool scheiterte in der Europa League an Atalanta Bergamo, und West Ham United zog jetzt gegen den deutschen Meister den Kürzeren.

Liverpool-Coach Jürgen Klopp (l.) gratuliert Atalanta-Trainer Gian Piero Gasperini zum Weiterkommen
Liverpool-Coach Jürgen Klopp (l.) gratuliert Atalanta-Trainer Gian Piero Gasperini zum Weiterkommennull Jonathan Moscrop/CSM via ZUMA Press/picture alliance

Somit fehlen München und Dortmund in der Champions League sowie Leverkusen in der Europa League nur noch insgesamt zwei Siege oder vier Unentschieden, um Platz zwei für die Bundesliga im UEFA-Ranking abzusichern. Bei einem Punkte-Gleichstand am Saisonende würde England den Platz aufgrund der Vorjahresergebnisse bekommen.

Reine Mathematik

Die Punkte errechnen sich wie folgt: Pro Sieg gibt es zwei Punkte, jedes Remis bringt einen Punkt, jedes Weiterkommen einen weiteren. Alle erspielten Ranglistenpunkte werden durch die Zahl der im Europapokal gestarteten Klubs eines Landes dividiert. Sieben deutsche Vereine waren in dieser Saison international startberechtigt, jeder erspielte Ranglistenpunkt entspricht also 0,143 Punkten. Bei der mit acht Teams gestarteten Premier League sind es 0,125 Punkte.

Die Teilnehmerzahl der Champions League wird zur kommenden Spielzeit von 32 auf 36 Vereine erhöht. Zwei der vier neuen Plätze werden an die Nationen mit dem besten Abschneiden in internationalen Wettbewerben dieser Saison vergeben. Borussia Dortmund würde aktuell als Bundesliga-Fünfter von einem fünften deutschen Startplatz profitieren.

Wunschvorstellung

Im besten Fall könnten in der kommenden Saison aber sogar sechs deutsche Klubs in der Königsklasse vertreten sein. Das wäre der Fall, wenn die Bundesliga im Ranking am Ende vor England liegt, der BVB die Champions League gewinnt und in der Meisterschaft maximal Fünfter wird. Denn als Titelverteidiger hätte Dortmund 2024/25 im höchsten europäischen Wettbewerb ein garantiertes Startrecht.

Die Champions-League-Trophäe mit dem Logo des FC Bayern im Hintergrund.
Wichtig für die Rangliste: Deutsche Erfolge im Europapokalnull Bernd Feil/M.i.S./IMAGO

Übrigens stellt Deutschland mit den Bayern, dem BVB und Bayer 04 erstmals seit 29 Jahren drei Halbfinalisten im Europapokal. In der Saison 1994/95 waren es ebenfalls diese drei Teams, die die Bundesliga international vertraten. Die Münchener spielten in der Champions League, Dortmund und Leverkusen im Europa-League-Vorgänger UEFA-Pokal. Den Titel holte damals keiner von ihnen, alle drei Klubs schieden im Halbfinale aus.

Das soll sich diesmal nicht wiederholen: Bayer 04 bekommt es nun mit der AS Rom zu tun. Die Bayern spielen gegen Real Madrid, Borussia Dortmund gegen Paris St. Germain.

ck/sn (dpa, sid)

Olympia-Goldprämie in der Leichtathletik: Fluch oder Segen?

Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics hat offenbar in ein Wespennetz gestochen. Weltweit wird über den Vorstoß des Verbands debattiert, Olympia-Goldprämien zu zahlen. World Athletics hatte in der vergangenen Woche angekündigt, für Siege in den 48 Leichtathletik-Wettbewerben der Olympischen Sommerspiele in Paris (26. Juli bis 11. August) je 50.000 US-Dollar (rund 46.800 Euro) auszuschütten. Bei den Spielen 2028 in Los Angeles soll es nach Angaben von World Athletics auch Prämien für Silber und Bronze geben. Es ist das erste Mal in der 128 Jahre alten Geschichte der Olympische Spiele der Neuzeit, dass ein Weltverband einer einzelnen Sportart Siegprämien für Olympiasiege auslobt.

"Ich halte es für wichtig, dass wir irgendwo anfangen und dafür sorgen, dass ein Teil der Einnahmen, die unsere Athleten bei den Olympischen Spielen generieren, direkt an diejenigen zurückfließt, die die Spiele zu dem weltweiten Spektakel machen, das es ist", sagte World-Athletics-Präsident Sebastian Coe. Der Olympiasieger im 1500-Meter-Lauf bei den Spielen 1980 und 1984 riskiert damit Streit - nicht nur mit dem Internationen Olympischen Komitee (IOC), sondern auch mit den Weltverbänden anderer Sportarten.

Sebastian Coe, Präsident von World Athletics, spricht während eines Meetings der Exekutive des Verbands in Monaco.
Sebastian Coe, Präsident von World Athletics, wird als möglicher Nachfolger von IOC-Chef Thomas Bach gehandeltnull Handout via World Athletics/REUTERS

So gab es bereits deutliche Kritik des Radsport-Weltverbands UCI. "Der olympische Geist besteht darin, die Einnahmen zu teilen und dafür zu sorgen, dass mehr Athleten weltweit antreten können", sagte UCI-Präsident David Lappartient. "Wir sollten nicht alles Geld auf die Spitzensportler konzentrieren, sondern das Geld verteilen."

Gefälle zwischen den Sportarten

Das IOC setzt auf ein Solidarmodell. 90 Prozent der Einnahmen aus Olympischen Spielen fließen an Organisationen der Olympischen Bewegung - in erster Linie an die Weltverbände der Sportarten und die Nationalen Olympischen Komitees. Mit den restlichen zehn Prozent bezahlt das IOC seine Verwaltung und das Olympische Museum in Lausanne.

Nach den Sommerspielen 2021 in Tokio verteilte das IOC rund 540 Millionen Dollar (505 Millionen Euro) an 28 Weltverbände. Am meisten strich World Athletics ein: fast 40 Millionen Dollar. Am unteren Ende der Liste landeten die Weltverbände für Taekwondo, Golf und Rugby mit jeweils knapp 13 Millionen Dollar. Es gibt also hier bereits ein finanzielles Gefälle zwischen den Sportarten.

Das 100-Meter-Rennen der Frauen bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio.
Der Leichtathletik-Weltverband erhielt nach den Spielen 2021 in Tokio den größten Batzen der IOC-Geldernull Dylan Martinez/REUTERS

Darauf wies auch Großbritanniens Ruderlegende Steven Redgrave hin, als er die Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbands scharf kritisierte. "Die meisten anderen Sportarten werden dem nicht folgen können. Sie [World Athletics - Anm. d. Red.] machen daraus einen Zweiklassen-Prozess. Das ist in meinen Augen die falsche Richtung", sagte der fünfmalige Olympiasieger der Zeitung "Daily Mail". Die Prämien, so Redgrave, seien eigentlich überflüssig. "Wenn man eine olympische Goldmedaille in einer Leichtathletik-Disziplin gewinnt, kann man damit beträchtliche finanzielle Gewinne erzielen."

World-Athletics-Vorstoß ohne Absprache

In eine ähnliche Richtung geht die Antwort des Tennis-Weltverbands ITF auf eine Anfrage der DW, ob auch er an Prämien für Olympiasieger denke. "Die Möglichkeit, um das Prestige einer olympischen Medaille zu kämpfen, war schon immer ein einzigartiger und besonderer Anreiz für die Spieler, an den [Olympischen] Spielen teilzunehmen", teilte die ITF mit. Der Tennisverband stellte klar, dass er sein Vorgehen, wenn überhaupt, nur in Absprache mit dem IOC und der ASOIF - dem Bündnis der bei Sommerspielen vertretenen Verbände - ändern würde. Der Basketball-Weltverband FIBA lehnte es gegenüber der DW ab, den Vorstoß von World Athletics zu kommentieren. Nur so viel: "Die FIBA plant nicht, [Olympia-] Preisgelder im Basketball einzuführen."

Offenbar wurden das IOC, die Weltverbände der Sportarten und auch die Nationalen Olympischen Komitees von der Initiative des Leichtathletik-Verbands und seines Präsidenten Coe überrascht. "Das ist eine Debatte, die wir führen können, aber wir müssen sie zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und gemeinsam führen", sagte Andy Anson, Chef der British Olympic Association, gegenüber dem TV-Sender "Sky Sports". "Sie [World Athletics] schaffen ein Problem, denn nun werden andere Sportarten sicherlich ins Visier genommen oder sogar von Athleten unter Druck gesetzt, die sagen: 'Was ist mit unserem Sport? Warum kann dieser Sport es machen und wir nicht?'"

Das jubelnde Team der deutschen Handballerinnen hinter einem großen Schild mit der Aufschrift Ticket to Paris.
Auch Deutschland Handballerinnen haben das Olympia-Ticket für Paris gelöstnull Marco Wolf/wolf-sportfoto/IMAGO

Die Interessenvertretung "Athleten Deutschland" begrüßte dagegen den Vorstoß von World Athletics. Es sei ein "Weckruf für das IOC und die anderen Weltverbände, die Athleten endlich an den durch sie generierten Einnahmen zu beteiligen", sagte Ex-Basketballer Johannes Herber, der Geschäftsführer der Organisation. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) reagierte gelassen. Es liege "in der Verantwortung des Leichtathletik-Weltverbands, wie er die Einnahmen, die er vom IOC erhält, verteilt", ließ die Dachorganisation des deutschen Sports wissen.

Sporthilfe-Prämie für Leichtathleten obendrauf

Der DOSB unterstütze die Prämienvergabe der Stiftung Deutsche Sporthilfe an Aktive, die bei Olympischen Spielen auf den Plätzen eins bis acht landeten. Die Sporthilfe, die über öffentliche Mittel, Spenden, Lotterieeinnahmen und Benefizveranstaltungen finanziert wird, fördert seit über 50 Jahren deutsche Sportlerinnen und Sportler. 2024 wird sie nach eigenen Angaben rund 23 Millionen Euro ausschütten, so viel wie noch nie zuvor. Für Gold in Paris gibt es 20.000, für Silber 15.000 und für Bronze 10.000 Euro. Platz acht wird immerhin noch mit 1500 Euro honoriert. Das gilt für alle Sportarten.

"Die Sporthilfe-Prämien gelten auch für die Leichtathletinnen und Leichtathleten - unabhängig davon, ob sie von Verbänden, privaten Sponsoren oder sonstigen Dritten für ihre Erfolge honoriert werden", teilt die Sporthilfe auf Anfrage der DW mit. Mit anderen Worten: Deutsche Leichtathletik-Gewinnerinnen und Gewinner von Paris 2024 könnten sich doppelt freuen. Sie würden nicht nur die 50.000 Dollar Gold-Prämie von World Athletics kassieren, sondern obendrauf auch noch die 20.000 Euro der Sporthilfe.

100 Tage vor Olympia in Paris: Vorfreude und Sorgen

Der Countdown läuft. In den Ruinen des 2600 Jahre alten Hera-Tempels im antiken Olympia im Südwesten Griechenlands wurde an diesem Dienstag (16. April) die Olympische Flamme für die Sommerspiele in Paris entzündet. 

Vom 26. Juli bis 11. August werden in der französischen Hauptstadt 10.500 Sportlerinnen und Sportler aus 206 Ländern in 32 Sportarten starten. An diesem Mittwoch (17. April) sind es noch genau 100 Tage bis zum Beginn der Olympischen Spiele in Paris.

Wie steht es um die Sicherheitsvorkehrungen?

Auch wenn die französischen Sicherheitsbehörden nach Regierungsangaben aktuell keine konkrete Terrorgefahr für die Olympischen Spiele sehen, werden die Sicherheitskräfte rund um das Sportgroßereignis vom 26. Juli bis 11. August höchst wachsam sein. Bis zu 45.000 Polizisten und Gendarmen werden täglich im Einsatz sein. Hinzu kommen 18.000 Soldaten und rund 20.000 private Sicherheitskräfte.

Außerdem werden mehr als 2000 ausländische Polizisten die Spiele bewachen, unter anderem auch Beamte der deutschen Bundespolizei. Nach dem Anschlag islamistischer Terroristen in Moskau Ende März mit mehr als 140 Toten war auch in Frankreich die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen worden.

Nahe dem Eiffelturm werden Zuschauertribünen für die Olympischen Spiele errichtet.
Nahe dem Eiffelturm werden Zuschauertribünen für die Olympischen Spiele errichtetnull Guillaume Baptiste/AFP/Getty Images

Bereits die Eröffnungsfeier wird eine riesige logistische Herausforderung für die Sicherheitskräfte: Rund 160 Boote sollen Athletinnen und Athleten über den Fluss Seine sechs Kilometer weit durch das Zentrum der Stadt fahren. Mehr als 300.000 Besucher werden dazu erwartet.

"Wir können das machen, und wir werden das machen", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Sollte sich eine akute terroristische Bedrohung ergeben, habe man jedoch alternative Pläne in der Schublade, so Macron, etwa eine Eröffnungsfeier im Stadion.

Wie ist die Olympia-Stimmung?

Die unsichere politische Weltlage - vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die Sorge vor einer weiteren Eskalation der Lage im Nahen Osten - trübt die Vorfreude auf die Olympischen Spiele. Dennoch erwartet Paris einen Ansturm von mehr als 15 Millionen Gästen. Rund 7,9 Millionen der fast zehn Millionen Eintrittskarten für die einzelnen Olympia-Veranstaltungen sind bereits verkauft.

Die Infrastruktur der französischen Hauptstadt wird an ihre Grenzen geraten. Clement Beaune, bis zur Regierungsumbildung im Januar 2024 französischer Verkehrsminister, bezeichnete die Pläne, den Verkehr zu organisieren, im vergangenen Herbst als "hardcore". Tatsächlich wird es zahlreiche Sicherheitsabsperrungen und Umleitungen geben, besonders rund um den Eiffelturm und die Place de la Concorde im Zentrum der Stadt. Einige Metro-Stationen bleiben geschlossen.

Zudem sind die Tickets für die U-Bahn in der Zeit der Spiele doppelt so teuer wie normal - was die Olympia-Begeisterung der Einheimischen nicht steigern dürfte. In einer Umfrage bezeichneten kürzlich 44 Prozent der Pariserinnen und Pariser die Olympischen Spiele als "schlechte Sache".

Wie groß wird das deutsche Team in Paris sein?

Die Zeit der Olympia-Qualifikationen endet offiziell erst am 23. Juni. So hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) einen Olympiastart unter anderem noch vom Abschneiden bei der Europameisterschaft in Rom (7. bis 12. Juni) abhängig gemacht.

Bis zum 8. Juli muss der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die Aktiven gemeldet haben, die in Paris starten werden. Der DOSB rechnet mit mehr als 400 deutschen Athletinnen und Athleten. Damit würde das deutsche "Team D" in Paris erneut zu den größten Mannschaften zählen.

Einzug des deutschen Teams bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2021 in Tokio.
Der DOSB hofft in Paris auf mehr Medaillen deutscher Sportlerinnen und Sportler als in Tokio null Dylan Martinez/Getty Images

Bei den Spielen in Tokio 2021 waren 415 Deutsche dabei. Sie kehrten mit zehnmal Gold, elfmal Silber und 16-mal Bronze zurück. Es war die schlechteste Medaillenausbeute seit der Wiedervereinigung 1990. Der DOSB hofft auf eine bessere Bilanz in Paris. "Ich glaube, dass das Team D eine gute Rolle spielen wird und die ein oder andere Überraschung möglich ist", sagt der deutsche Chef de Mission, Olaf Tabor.

Wie ist der Stand in Sachen Olympiateilnahme Aktiver aus Russland und Belarus? 

Im vergangenen Dezember hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Weg für einen Start von Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus freigemacht - mit Einschränkungen. Sie dürfen nur unter neutraler Flagge in Paris dabei sein. Mannschaften sind nicht zugelassen.

Die Nationalhymnen Russlands und Belarus' werden nicht gespielt, ebenso sind nationale Symbole und Fahnen untersagt. Von der Eröffnungsfeier sind die Aktiven beider Länder ausgeschlossen. Außerdem dürfen sie keine Verbindung zur Armee und den Sicherheitsorganen haben und nicht aktiv ihre Unterstützung für den Krieg in der Ukraine gezeigt haben.

Nach Angaben des IOC haben sich bislang erst zwölf russische und fünf belarussische Aktive für Paris qualifiziert, die Zahlen könnten noch auf 36 (Russland) und 22 (Belarus) steigen. In Tokio 2021 waren noch 330 Russen und 104 Belarussen gestartet. In einem offenen Brief an das IOC forderte die Ukraine in der vergangenen Woche einmal mehr den kompletten Olympia-Ausschluss Russlands und Belarus‘.

Wie steht das IOC und sein deutscher Präsident Thomas Bach 100 Tage vor den Spielen da?

"Ja, es ist möglich, hart gegeneinander zu wetteifern und gleichzeitig friedlich miteinander unter einem Dach zu leben," sagte Thomas Bach im antiken Olympia, als das Olympische Feuer für die Spiele in Paris entzündet wurde. Bach wird nicht müde, den völkerverbindenden Effekt des Sports zu betonen - auch mit Blick auf die Spiele in diesem Sommer. Dabei durchlebt er selbst aktuell unruhige Zeiten.

IOC-Präsident Thomas Bach spricht bei einer Sitzung der IOC-Exekutive, im Hintergrund die Olympische Fahne mit den fünf Ringen.
Hängt Thomas Bach noch vier weitere Jahre als IOC-Präsident an? null Laurent Gillieron/dpa/KEYSTONE/picture alliance

Wegen der IOC-Entscheidungen zu Russland und Belarus wird Bach von unterschiedlichen Seiten angefeindet. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums warf dem IOC-Chef "Rassismus und Neonazismus" vor. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte hingegen, das IOC habe dem Kreml "grünes Licht gegeben, Olympia Waffe zu benutzen". Und die Gesellschaft für bedrohte Völker, eine Nichtregierungsorganisation aus Deutschland, bezeichnete Bach als "lernunfähigen Dinosaurier".

Das IOC stellt sich vor seinen Präsidenten und weist die Kritik an ihm zurück. Bachs Amtszeit endet eigentlich 2025, die Sommerspiele in Paris wären damit seine letzten als IOC-Chef. Einige IOC-Mitglieder haben vorgeschlagen, die Statuten zu ändern, damit Bach vier weitere Jahre IOC-Präsident bleiben kann. Der 70-Jährige will nach eigenen Worten erst nach den Spielen in Paris darüber entscheiden.

Bayer 04 Leverkusen - der Meister mit dem Imageproblem

"Ich und die meisten anderen sehen uns nicht als Pillen- oder Plastikklub, sondern wir sind hundertprozentig ein Traditionsverein", sagte Fernando Carro fast schon trotzig in einem Interview des Internet-Streamingdienstes DAZN. Der Spanier ist seit Mitte 2018 Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Carro verwies darauf, dass der Verein in diesem Sommer bereits seinen 120. Geburtstag feiert. Bayer 04 blickt damit auf eine längere Geschichte zurück als einige andere Klubs der höchsten deutschen Spielklasse, die sich die Tradition groß auf die Fahne schreiben, wie Borussia Dortmund (gegründet 1909) oder der rheinische Erzrivale 1. FC Köln (1948).

Nach einer Unterschriftensammlung von Mitarbeitern des Unternehmens war am 1. Juli 1904 der "Turn- und Spielverein der Farbenfabriken, vormals Friedrich Bayer & Co in Leverkusen" ins Leben gerufen worden. Drei Jahre später hatte der Betriebssportverein auch eine Fußballmannschaft. Das Stadion der Leverkusener steht seit 1958 in einer Flussaue am Stadtrand. 2009 wurde es erweitert und zu einem Multifunktionskomplex umgebaut - mit Hotel und Tagungsräumen. Die BayArena fasst 30.210 Zuschauer.

Mannschaft mit hohem Marktwert

Von 1949 an gab es im Bayer-Team auch Vertragsspieler. Sie erhielten Prämien fürs Fußballspielen. Von Profis konnte damals jedoch noch nicht die Rede sein. Noch in der zweite Hälfte der 1970er Jahre arbeiteten die Fußballer der Mannschaft drei bis viermal pro Woche vormittags im Bayer-Werk. Zu dieser Zeit hatte die für die Leverkusener übliche Bezeichnung Werkself noch einen realen Hintergrund.

Heute muss keiner der Bayer-Profis mehr Zeit in anderen Abteilungen des Unternehmens verbringen. Das Team ist seit langem Aushängeschild und Werbeträger des weltweit operierenden Chemie- und Pharmakonzerns. Der Marktwert der Mannschaft von Erfolgstrainer Xabi Alonso wird aktuell mit knapp 600 Millionen Euro veranschlagt. Allein der erst 20 Jahre alte deutsche Nationalspieler Florian Wirtz wird auf 110 Millionen Euro geschätzt. Höher als die Mannschaft der Leverkusener ist in Deutschland nur der Kader des FC Bayern München bewertet: mit rund 930 Millionen Euro.

Der Brasilianer Lucio jubelt 2002 mit seinen Leverkusener Teamkollegen Ze Roberto und Michael Ballack über einen Treffer.
Auch die Brasilianer Lucio (2.v.r.) und Ze Roberto (l.) spielten einst für Bayer 04null Ulmer/IMAGO

Bayer 04 ist der Bundesliga-Verein mit dem derzeit höchsten Anteil internationaler Spieler. 78 Prozent der Profis haben ihre Wurzeln in anderen Staaten. In den zurückliegenden Jahrzehnten galt der Klub als Sprungbrett vor allem für brasilianische Fußballtalente. So begannen die Europa-Karrieren der Weltmeister Jorginho (1989 bis 1992), Paulo Sergio (1993 bis 1997) und Lucio (2001 bis 2004) in Leverkusen.

100-prozentige Tochter des Bayer-Konzerns

Die Bayer AG gehört zu den zehn größten nicht-staatlichen Sportsponsoren des Landes - sowohl im Spitzensport als auch im Breitensport und im Parasport. Der Konzern verweist auf rund 70 Medaillen von Bayer-Sportlerinnen und -Sportlern bei Olympischen Spielen, 90 bei Paralympics und über 200 bei Weltmeisterschaften. Der TSV Bayer 04 Leverkusen ist der erfolgreichste deutsche Leichtathletikverein. Und doch bezeichnet der Konzern die Fußball-Abteilung als "Flaggschiff" der Bayer-Top-Mannschaften. Schließlich ist Fußball Deutschlands Sportart Nummer eins.

Das Werksgelände des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer in Leverkus
Das Werksgelände des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer in Leverkusennull Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Wie viel Geld genau die Bayer AG jährlich in den Verein pumpt, wird nicht veröffentlicht. In Medienberichten taucht immer wieder die Summe 25 Millionen Euro auf, bestätigt ist sie jedoch nicht. Seit 1999 sind die Profimannschaften der Männer und Frauen in der "Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH" ausgelagert. Rund 300 Menschen arbeiten für diese Kapitalgesellschaft. Die Bayer AG hält alle Anteile daran: sechs Prozent direkt und die restlichen 94 Prozent über ein Tochterunternehmen. Aufgrund dieser Konstruktion ist der Konzern nicht verpflichtet, Jahresabschlüsse der Fußball-Abteilung zu veröffentlichen. Vertraglich ist geregelt, dass die wirtschaftliche Bilanz ausgeglichen ist: Wenn die Fußball-GmbH Gewinne macht, führt sie diese an Bayer ab. Schreibt sie rote Zahlen, gleicht der Konzern die Verluste aus.

50+1-Regel gilt für Bayer 04 nicht

Dass die Bayer AG alle Anteile an Bayer 04 Leverkusen halten darf, ist eine Ausnahme von der im deutschen Fußball eigentlich geltenden 50+1-Regel. Diese soll verhindern, dass Großinvestoren die Vereine beherrschen. Die Klubs erhalten nur dann eine Spiel-Lizenz, wenn bei Versammlungen der "Mutterverein" über "50 Prozent der Stimmenanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmenanteils" verfügt. Das bedeutet: Auch wenn ein Investor die finanzielle Kontrolle übernimmt, darf er nicht über die Mehrheit der Stimmen verfügen, damit er von den Vereinsmitgliedern noch überstimmt werden kann. Ausnahmen gelten nur für die traditionellen Werksmannschaften Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg. Die Wolfsburger, deutscher Meister 2009, waren aus einem Betriebssportteam des Automobilkonzerns Volkswagen hervorgegangen.

Die Fan-Kurve des VfB Stuttgart präsentiert ein Fahnenmeer hinter einem Transparent auf dem steht "50+1 muss bleiben".
Für die organisierte Fanszene in Deutschland unabdingbar: Die 50+1-Regel muss bleibennull Bernd Feil/MIS/IMAGO

Die Sonderrolle der Leverkusener dürfte einer der Hauptgründe dafür sein, dass Bayer 04 - zumindest bislang - nicht unter den beliebtesten deutschen Fußball-Klubs auftaucht. So lag Leverkusen bei einer Umfrage im vergangenen Dezember trotz überragender Leistungen nur auf Platz zwölf. Es bleibe bei Bayer 04 ein "Geschmäckle", antwortete das Fanbündnis "Unsere Kurve" auf die Frage, wie die Fanszene dazu stehe, dass ausgerechnet ein Werksklub den Serienmeister FC  Bayern ablöse.

Doch die Vorbehalte gegen Bayer 04 scheinen zu bröckeln. In dieser Saison knackte der Klub die Marke von 50.000 Mitgliedern. Im Vergleich zu den mehr als 300.000 Mitgliedern des Rekordmeisters FC Bayern erscheint die Zahl niedrig. Der Eindruck relativiert sich aber, wenn man bedenkt, dass in der Stadt Leverkusen nur rund 170.000 Menschen leben.

Mit dem ersten deutschen Meistertitel der Vereinsgeschichte hat Bayer 04 Leverkusen einen sportlichen Meilenstein geschafft. Geht es nach Klubchef Carro, ist die Reise damit aber noch lange nicht zu Ende. Erfolgstrainer Alonso bleibt dem Klub erhalten, wahrscheinlich ebenso Ausnahmespieler Florian Wirtz. "Alles, was wir in den letzten Jahren an Potenzial gesehen und erkannt haben, wollen wir in der Zukunft ausschöpfen", sagte der Geschäftsführer. "Alles mit einem Ziel: sportlich so erfolgreich wie möglich zu sein."

Bayer-04-Trainer Xabi Alonso: Der Bessermacher am Ziel

Die erste Meisterschaft in der Vereinsgeschichte von Bayer 04 Leverkusen sichergestellt, das Ticket für das DFB-Pokalfinale gelöst, vor dem Sprung ins Halbfinale der Europa League, bisher keine einzige Niederlage: Xabi Alonsos erste komplette Saison als Trainer einer ersten Mannschaft hätte kaum besser laufen können. Als der Spanier im Oktober 2022 zu den Leverkusenern stieß, stand der Bundesligist in der Abstiegszone. Als Trainer konnte Alonso damals lediglich auf die Erfahrung von insgesamt vier Jahren als Junioren-Coach bei Real Madrid und dann als Trainer der zweiten Mannschaft von Real Sociedad verweisen. Anderthalb Jahre später gilt der 42-Jährige als einer der besten Trainer der Welt.

Baske mit deutscher Note

Alonsos Spielerkarriere begann bei Real Sociedad San Sebastian, einem Verein aus dem Baskenland. Dort verbrachte Alonso den größten Teil seiner Jugend. Sein Vater, Periko Alonso, war als Spieler dreimal spanischer Meister - zweimal mit Real Sociedad, einmal mit dem FC Barcelona. Auch Xabi Alonsos älterer Bruder Mikel spielte für den Klub aus San Sebastian.

Xabis Spielintelligenz und Ruhe, sein außergewöhnliches Passspiel und sein taktisches Gespür weckten bald das Interesse europäischer Spitzenklubs. Der Mittelfeldstratege spielte für den FC Liverpool (2004 bis 2009), Real Madrid (2009 bis 2014) und den deutschen Rekordmeister FC Bayern München (2014 bis 2017). "Ich bin Baske, ganz und gar Baske, aber jetzt mit großem deutschen Einfluss", sagte Alonso zu Beginn dieser Saison der britischen Zeitung "The Guardian".

Der Analytiker

Obwohl Alonso etwa die Hälfte seiner Karriere außerhalb Spaniens verbrachte, waren es zwei spanische Trainer, die wohl den größten Einfluss auf ihn hatten. Sowohl Rafael Benitez in Liverpool als auch Pep Guardiola in seiner Zeit als Bayern-Trainer sahen bereits im Spieler Alonso den kommenden Topcoach. "Er war clever und analysierte. Wenn man normalerweise einem Spieler etwas erklärt, muss man es meist wiederholen. Xabi war einer, der schnell lernte", sagte Benitez, unter dem Alonso 2005 den ersten seiner beiden Champions-League-Titel gewann. Den zweiten bejubelte er 2014 mit Real Madrid. Mit der spanischen Nationalmannschaft wurde Alonso 2010 Weltmeister und zweimal in Folge Europameister (2008 und 2012).

"Er war einer der besten Mittelfeldspieler, die ich jemals gesehen habe. Ich war so froh, ihn in München dabei zu haben", erinnerte sich Guardiola. "Er versteht das Spiel und bringt auch die dafür nötige Neugier mit. Er wusste ganz genau, was wir tun mussten, um unsere Spiele zu gewinnen."

Ballbesitz und Pragmatismus

Seine analytischen Fähigkeiten stellt Alonso nun auch als Trainer unter Beweis. Der Spanier legt sehr großen Wert auf den Ballbesitz seiner Mannschaft. So hat Leverkusen in dieser Saison in der Bundesliga von allen Teams die meisten Pässe gespielt und sie auch an den Mann gebracht. Bayer 04 baut das Spiel häufig schnell durch die Mitte auf. Bei Kontern werden die flinken Außenverteidiger mit eingebunden.

Doch Alonso ist auch in der Lage, seine Taktik an den Gegner anzupassen - wie beim wichtigen 3:0-Sieg gegen den FC Bayern im Februar. Er verzichtete in der Startelf auf den rechten Außenverteidiger Jeremie Frimpong, den offensiven Mittelfeldspieler Jonas Hofmann und den tschechischen Stürmer Patrik Schick, um seine Mannschaft kompakter aufzustellen, ohne dabei an Tempo zu verlieren. Alonsos Wechsel überraschten die Bayern. Sie hatten zwar mehr Ballbesitz, brachten in den 90 Minuten aber nur einen einzigen Torschuss zustande.

Leverkusens Trainer Alonso applaudiert während des Bundesliga.Spiels gegen den FC Bayern im Februar.
Alonsos Taktik gegen die Bayern ging hundertprozentig aufnull Hirnschal/osnapix/IMAGO

"Ich denke, wir haben das Spiel gut kontrolliert. Wir haben im richtigen Moment gepresst oder auch gewartet. Für mich war es defensiv eine hervorragende Leistung", freute sich Alonso nach dem Spitzenspiel, das Leverkusens Status als Titelanwärter untermauerte.

Entschlossen und nahbar

Frimpong kam im Spiel gegen die Bayern erst nach gut einer Stunde von der Bank und erzielte in der Nachspielzeit den Treffer zum 3:0-Endstand. Die Chemie zwischen den Spielern und dem nach außen eher ruhigen, aber dennoch leidenschaftlichen und entschlossenen Alonso stimmt. "Alle Spieler haben ihm vertraut, was unsere Spielweise angeht", sagte Frimpong in dieser Woche gegenüber TNT Sports. "Man kann das auch auf dem Platz sehen - an unserer Spielfreude und daran, dass wir immer als geschlossenes Team auftreten. Er [Alonso - Anm. d. Red.] ist der Boss, aber auch einfach ein netter Kerl."

Bayern-Trainer Carlo Ancelotti und sein Spieler Xabi Alonso umarmen sich nach Ende eines Bundesligaspiels im Jahr 2017.
Alonso hat nach eigener Aussage viel von seinem Ex-Trainer Carlo Ancelotti (r.) gelerntnull Peter Kneffel/picture alliance/dpa

In dieser Hinsicht hat sich Alonso nach eigenen Worten ein Beispiel an seinem früheren Trainer Carlo Ancelotti genommen, unter dem er mit Real Madrid Champions-League-Sieger und mit den Bayern deutscher Meister wurde. "Carlo Ancelotti ist ein Meister in Sachen Menschenführung", sagte Alonso. "Er versteht es vorzüglich, Spieler zu überzeugen und gleichzeitig ein gutes Verhältnis zu ihnen zu haben."

Alonso bleibt

Zeitweise sah es nach einem Abschied Alonsos aus Leverkusen nach dem Ende der Saison aus. Es wurde spekuliert, dass der von vielen Klubs umworbene Trainer als Nachfolger von Thomas Tuchel den FC Bayern übernehmen oder aber beim FC Liverpool in die großen Fußstapfen von Jürgen Klopp treten würde. Doch Alonso winkte ab. "Es fühlt sich richtig an. Ich bin hier am richtigen Ort. Ich bleibe bei Bayer 04", sagte der Leverkusener Erfolgstrainer Ende März. "Mein Job ist definitiv noch nicht beendet, und wir haben noch einiges vor."

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und nach dem 29. Spieltag aktualisiert.

Wie Bayer Leverkusen deutscher Fußball-Meister wurde

Bereits fünf Spieltage vor Saisonschluss steht Bayer 04 Leverkusen als deutscher Fußballmeister fest. Nach dem klaren und ungefährdeten 5:0 (1:0)-Erfolg gegen Werder Bremen an diesem Sonntag (14. April) hat die Mannschaft von Trainer Xabi Alonso 16 Punkte Vorsprung vor dem FC Bayern München und dem VfB Stuttgart und kann nicht mehr vom ersten Platz verdrängt werden. Damit beendet Leverkusen die Erfolgsserie des deutschen Rekordmeisters München, der elfmal in Serie den Titel geholt hatte. Für Leverkusen ist es die heiß ersehnte erste deutsche Meisterschaft der Klubgeschichte nach insgesamt fünf zweiten Plätzen. Bayer 04 hat den "Vizekusen"-Fluch abgelegt. Wir blicken auf die Gründe:

Die Entscheidung für Xabi Alonso als Bayer-Coach

Bayer 04 Leverkusen hat eine atemberaubende und nicht für möglich gehaltene Saison hingelegt. Als einziges Team ist die Werkself in der Spielzeit 2023/24 bislang ungeschlagen geblieben, wird damit souverän deutscher Meister und versetzt die Fußball-Welt in Erstaunen. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte sicherte sich der Klub den Titel. Der Ursprung dieser Erfolgsgeschichte liegt bereits in der Vorsaison. Damals legte Leverkusen mit Trainer Gerardo Seoane einen miserablen Start hin. Nach Platz drei zum Abschluss der Saison 2021/22 holte der Schweizer in den ersten acht Spielen nur fünf Punkte und wurde im Oktober 2022 entlassen.

Als Nachfolger holte Bayer 04 den Spanier Xabi Alonso. Eine mutige Entscheidung, denn der Weltmeister von 2010 hatte bis dahin als Trainer noch nie die erste Mannschaft eines Vereins betreut. Und der Verein lief zu diesem Zeitpunkt Gefahr, anderen deutschen Fußball-Schwergewichten wie Schalke, Hamburg und Hertha in die zweite Liga zu folgen.

Leverkusens Trainer Xabi Alonso gestikuliert während des Spiels gegen Werder Bremen
Trainer Xabi Alonso spielte einst bei den Bayern, als Trainer versetzte er seinem Ex-Klub entscheidende Nadelstichenull Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

"Das sollte man nicht als Experiment für Leverkusen sehen. Es geht nicht um Erfahrung, sondern um Qualität", betonte Sportdirektor Simon Rolfes bei der Präsentation des Spaniers als neuer Bayer-Trainer. "Es ist immer ein gewisses Risiko dabei, aber man muss sich immer verbessern. Ich bin absolut davon überzeugt, dass es klappen wird."

Und wie es geklappt hat. Nach durchwachsenen Ergebnissen in seinem ersten Monat begann sich Alonsos Stil durchzusetzen: Ballbesitzfußball, hohes Pressing, sehr offensiv ausgerichtete Außenverteidiger. Mit diesem System holte Leverkusen in der vergangenen Saison 46 Punkte aus den letzten 24 Spielen. Damit qualifizierte sich Bayer 04 noch für die Europa League. Und der Beweis war erbracht, dass Alonso, der ehemalige Mittelfeldspieler von Real Madrid, Liverpool und Bayern München, die richtige Wahl als Trainer war.

Die Zusammenstellung des Bayer-Kaders

Durch den Verkauf des Franzosen Moussa Diaby im Sommer 2023 an den Premier-League-Klub Aston Villa flossen 55 Millionen Euro in die Bayer-Kassen. Damit hatte Sportchef Rolfes die Möglichkeit, für diese Saison einen Kader nach den Vorstellungen Alonsos zusammenzustellen. Der nigerianische Stürmer Victor Boniface, der für 20,5 Millionen Euro verpflichtet wurde, sowie die erfahrenen Mittelfeldspieler Jonas Hofmann (10 Millionen Euro) und Granit Xhaka (15 Millionen Euro) waren entscheidend für Leverkusens Lauf. Boniface sorgte im Offensivspiel für Schwung und erzielte in den ersten fünf Spielen sechs Tore, ehe er sich verletzte. Xhaka sorgte für Stabilität im Mittelfeld, er kam bisher in jedem Spiel zum Einsatz. Hofmann absolvierte 27 von bisher 29 Ligaspielen. Der Offensivspieler, der zuvor sieben Jahre lang bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag gestanden hatte, wurde zum wichtigen Bindeglied zwischen Mittelfeld und Angriff.

Hinzu kam ein weiterer Glückgriff: Der ablösefreie Transfer Alex Grimaldos von Benfica Lissabon nach Leverkusen dürfte der beste Deal eines deutschen Vereins in dieser Saison sein. Der Spanier, im Bayer-Team ebenfalls ein Dauerbrenner, erzielte bereits neun Tore und bereitete elf Treffer vor. Gemeinsam mit dem Niederländer Jeremie Frimpong zog er das Spiel der Bayer-Elf in die Breite und sorgte damit für noch mehr  Durchschlagskraft. "Ich denke, es gehört zu meinen Stärken zu wissen, wo die Räume sind und wo ich Schaden anrichten kann", sagte Grimaldo. "Xabi [Alonso - Anm. d. Red.] gibt mir die nötige Freiheit dafür."

Die Verbesserung der Schlüsselspieler

Aber es waren nicht nur die neuen Spieler, die für den Leverkusener Durchmarsch in dieser Saison sorgten. Auch etablierte Spieler wie Frimpong, die deutschen Nationalspieler Jonathan Tah und Robert Andrich oder der argentinische zentrale Mittelfeldspieler Exequiel Palacios spielten - anders als unter früheren Trainern - auf konstant hohem Niveau. 

Das galt auch für Florian Wirtz, das aktuell wohl größte Talent im deutschen Fußball. Als Alonso nach Leverkusen kam, kurierte der Nationalspieler noch seine Kreuzbandverletzung aus, die ihn auch die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2022 gekostet hatte. Nach seinem Comeback wurde der 20-Jährige unter Alonso noch besser. Beide schätzen einander.

Florian Wirtz bejubelt sein Tor zum 3:0 gegen Werder Bremen
Florian Wirtz traf gegen Werder Bremen gleich dreimalnull Federico Gambarini/dpa/picture alliance

"Ich spüre sein Vertrauen", sagte Wirtz über den spanischen Trainer. "Xabi gibt mir viele Freiheiten auf dem Platz und hat immer einen Tipp parat, wie ich mich verbessern kann." Alonso wollte seine Rolle bei der Entwicklung von Wirtz nicht zu hoch bewerten: "Er hat diese Kontrolle zwischen den Linien, kann auf kleinem Raum Außergewöhnliches machen. Es ist etwas, das man einfach hat, das man keinem beibringen kann." Wirtz stand bei allen Ligaspielen dieser Saison auf dem Platz, erzielte elf Treffer und gab elf Torvorlagen. Im Spiel gegen Werder Bremen, in dem Bayer 04 die Meisterschaft perfekt machte, gelang ihm sogar ein Dreierpack.

Kein Wunder, dass Europas Topklubs Schlange stehen, um Wirtz von den Leverkusenern loszueisen. Die Entscheidung seines Trainers Alonso, auch nach dem Meistertitel in Leverkusen zu bleiben, könnte Wirtz dazu bewegen, dem Ruf des Geldes zu widerstehen und mindestens eine weitere Saison für den Werksklub zu spielen.  

Erfolge gegen den FC Bayern

Wer in Deutschland Meister werden will, muss in der Lage sein, den FC Bayern München zu besiegen. In der Hinrunde rettete noch ein Elfmeter-Tor von Palacios in der Nachspielzeit den Leverkusenern einen Punkt in München. Der  3:0-Heimsieg gegen die Bayern in der Rückrunde war dagegen eine Machtdemonstration von Bayer 04. Auch die größten Skeptiker trauten nun den Leverkusenern zu, den Rekordmeister nach elf Titeln in Folge entthronen zu können.

Die Tatsache, dass Bayern-Leihgabe Josip Stanisic das Tor zum 1:0 erzielte, spiegelte die konfuse, zuweilen auch leicht arrogante Personalpolitik der Münchener wider. An jenem Tag wurden die harmlosen Bayern, die nur zu einem Torschuss kamen, von den Leverkusenern regelrecht zerlegte. Es war eine taktische Meisterleistung Alonsos. Der Bayer-Sieg gegen die einst übermächtigen Bayern wirkte wie eine Wachablösung.

Und immer wieder in der Nachspielzeit

Der Spottname Vizekusen haftete Bayer 04 nicht umsonst an. Bislang waren die Leverkusener geradezu prädestiniert dafür, auf der Zielgeraden die Nerven zu verlieren und selbst sicher geglaubte Titel noch zu verpassen. In dieser Saison jedoch gelang es der Elf von Trainer Alonso, den Fluch abzulegen. Der Gewinn der ersten deutschen Meisterschaft in der Vereinsgeschichte ist nicht der einzige Beleg dafür. Gerade in den Schlussphasen der Spiele bewiesen die Leverkusener diesmal große Nervenstärke: In 29 Ligaspielen erzielte die Werkself nach der 81. Minute sage und schreibe 24 Tore und verwandelte manche drohende Niederlage noch in ein Unentschieden oder sogar einen Sieg. Mit dem Meistertitel sollte der Spottname Vizekusen endgültig Geschichte sein.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Dreifache Mutter Almuth Schult gibt Comeback als Torhüterin

Acht Monate nach der Geburt ihres dritten Kindes steht Almuth Schult, die frühere Nummer eins im Tor der DFB-Frauen, vor ihrem Comeback. Zweitligist Hamburger SV teilte mit, die 33-Jährige werde ab sofort das Tor des HSV-Teams hüten. Ihr Vertrag gelte vorerst bis zum Saisonende.  

Almuth Schult ist die erste Spielerin weltweit, bei der eine neue FIFA-Regel greift. Sie soll Fußballerinnen nach dem Mutterschutz den Wiedereinstieg in den Sport erleichtern. Gemäß der Regel dürfen sich die Mütter auch außerhalb der eigentlich dafür vorgeschriebenen festen Zeiträume als Spielerinnen registrieren lassen - "in Abhängigkeit von ihrem vertraglichen Status". Da Schult vertraglich nicht mehr an ihren ehemaligen Verein Angel City FC gebunden ist, kann sie bereits in der laufenden Saison eingesetzt werden. 

Im Sommer 2022 hatte sich Schult nach neun Jahren beim deutschen Topklub VfL Wolfsburg dem Verein in Los Angeles angeschlossen. Allerdings hatte sie nur ein Spiel für die US-Amerikanerinnen bestritten. Zuletzt arbeitete Schult als TV-Expertin für die ARD. Nach der Geburt ihrer Zwillinge im Frühjahr 2020 hatte sie im August 2023 ihr drittes Kind zur Welt gebracht. 

Olympiasiegerin, Europameisterin, Welttorhüterin

"Ich spüre, welche ernsthaften Ambitionen der HSV hat, und freue mich, wieder ein Teil davon zu sein", sagte Schult zu ihrem Engagement bei dem Hamburger Traditionsverein. Damit kehrt die Torhüterin zu ihren sportlichen Wurzeln zurück. Mit 16 Jahren hatte sie beim HSV ihr Bundesliga-Debüt gegeben.

Insgesamt bestritt Schult 66 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. 2013 wurde sie mit den DFB-Frauen Europameisterin, 2016 Olympiasiegerin. 2014 wurde sie zur "Welttorhüterin des Jahres" gekürt.

Wegen der Geburt der Zwillinge und einiger Verletzungen hatte Schult nach der WM 2019 lange pausieren müssen. Für die Europameisterschaft 2022 wurde Merle Frohms zur neuen Nummer eins im deutschen Tor berufen. Schult wurde zwar ebenfalls nominiert, bei der EM aber nicht eingesetzt. Zum vorerst letzten Mal hatte sie im November 2022 bei DFB-Frauen zwischen den Pfosten gestanden, in der zweiten Halbzeit eines Testspiels gegen die USA. 

Paris 2024: Tischtennisstar Timo Boll vor siebter Olympiateilnahme

Der ewige Boll. Tischtennis-Bundestrainer Jörg Roßkopf hat den 43 Jahre alten Timo Boll für den Mannschaftswettbewerb der Olympischen Spiele in Paris (26. Juli bis 11. August) nominiert. Wenn das zuständige Gremium des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) Anfang Mai sein Okay gibt, wird Boll in der französischen Hauptstadt zum siebten Mal bei einem olympischen Turnier für Deutschland an den Start gehen.

Damit zöge der Tischtennisstar mit dem ehemaligen Springreiter Ludger Beerbaum und dem Ex-Sportschützen Ralf Schumann gleich, die als deutsche Rekordhalter ebenfalls auf insgesamt sieben Sommerspiele kamen. Wenn man auch die Olympischen Winterspiele mit einbezieht, steht Eisschnellläuferin Claudia Pechstein mit acht Teilnahmen an der Spitze der deutschen Rekordliste.

Nach Verletzung zurückgekämpft

Ein Einsatz in Paris wäre für Boll die Krönung eines kaum mehr für möglich gehaltenen Comebacks. Im vergangenen Jahr hatte der Routinier wegen einer komplizierten Schulterverletzung für mehrere Monate pausieren müssen. In der Weltrangliste war er auf Position 200 abgerutscht. Obwohl er im Februar auch die Team-Weltmeisterschaft in Südkorea wegen einer Augenentzündung verpasste, meldete Boll sich in diesem Jahr eindrucksvoll in der Weltspitze zurück. Unter anderem gewann er im Januar das internationale Turnier in Doha.

Inzwischen hat sich der Tischtennis-Oldie in der Weltrangliste wieder unter die Top 30 vorgearbeitet. Bestplatzierter Deutscher ist als Zehnter Europameister Dang Qiu, der mit Dimitrij Ovtcharov in Paris im Einzel starten soll. Ovtcharov hatte bei den Spielen 2021 in Tokio die Bronzemedaille gewonnen.

Dutzende internationaler Medaillen

"Der Aufwand ist inzwischen zwar sehr hoch, aber ich spüre, dass ich wieder auf ein anderes Level gekommen bin", sagte Timo Boll vor der Entscheidung von Bundestrainer Roßkopf. "Es ist ein gutes Gefühl, gegen die Jungen mithalten zu können."

Als Boll 1996 als Fünfzehnjähriger sein Debüt in der Tischtennis-Bundesliga gab, waren viele seiner heutigen Gegner noch gar nicht geboren. Zwei Jahre später gewann der junge Hesse den ersten seiner 13 deutschen Meistertitel im Einzel. 2002 wurde Boll erstmals Europameister, 2021 gewann er seinen achten EM-Einzeltitel, Boll ist Rekordeuropameister.

Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2016 in Rio trägt Timo Boll die deutsche Fahne ins Stadion.
Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2016 in Rio trug Timo Boll die deutsche Fahnenull Eibner/imago images

Bei Weltmeisterschaften gewann Boll zweimal Bronze: 2011 und 2021. Zudem sammelte er Dutzende internationaler Medaillen im Doppel und im Teamwettbewerb. So gewann er mit der deutschen Mannschaft je zweimal Silber (2008 und 2021)und Bronze (2012 und 2016) bei Olympischen Spielen sowie fünfmal Silber und einmal Bronze bei Weltmeisterschaften. Bei den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro hatte Timo Boll das deutsche Olympia-Team bei der Eröffnungsfeier als Fahnenträger ins Stadion geführt.  

Superstar in China

Mit 37 Jahren war Boll 2018 vorübergehend auch wieder Weltranglisten-Erster, der älteste aller Zeiten. Bereits 2003 und 2011 war der Deutsche für einige Monate in die Phalanx der dominierenden chinesischen Spieler eingebrochen. Boll hatte schon sehr früh in seiner Karriere seine Spielweise auf die wenigen Schwächen der Superstars aus dem Reich der Mitte eingestellt. Bis heute ist er für die Chinesen ein gefürchteter Gegner geblieben.

Ex-Doppelweltmeister Steffen Fetzner nannte Boll deswegen einmal scherzweise "Staatsfeind Nummer eins in China". Im tischtennisverrückten China ist der Linkshänder aus Deutschland ein Superstar, der auf der Straße erkannt wird. 2007 wurde er in China sogar zum "attraktivsten Mann der Welt" gewählt - vor dem damaligen Fußball-Superstar David Beckham.

Pleite in Heidenheim stellt beim FC Bayern vieles infrage

"Wir haben aufgehört, die Dinge mit der gleichen Konzentration und dem gleichen Fleiß zu machen, wie in der ersten Halbzeit", analysierte Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel nach der unerwarteten und bitteren Niederlage seiner Mannschaft bei Bundesliga-Aufsteiger und Außenseiter 1. FC Heidenheim. Das Städtchen nördlich von Ulm hat weniger Einwohner als in München ins Stadion passen. Dementsprechend war ein Sieg gegen den ambitionierten Underdog beim Rekordmeister fest eingeplant.

Doch die Münchener gaben in Heidenheim eine eigentlich komfortable 2:0-Führung innerhalb weniger Minuten aus der Hand und verloren das Spiel am Ende sogar mit 2:3. Nach dem 0:2 zu Hause gegen Borussia Dortmund am Osterwochenende war es die zweite Pleite in der Bundesliga in Folge, die sechste insgesamt in dieser Saison. In keiner ihrer zurückliegenden elf Meister-Spielzeiten hatten die Bayern mehr als fünfmal verloren.

Da Konkurrent und Tabellenführer Bayer 04 Leverkusen seine Spiele gewann, ist die Meisterschale wohl endgültig weg. Die Werkself mit Erfolgstrainer Xabi Alonso benötigt nur noch drei Punkte zum ersten Titel, und auch das nur, wenn die Münchener die restlichen sechs Spiele allesamt gewinnen sollten. Dann hätten sie 78 auf dem Konto. Leverkusen hat schon jetzt 76. Bereits am kommenden Wochenende könnten die Leverkusen die Meisterschaft unter Dach und Fach bringen.

Diskussionen über ratlosen Thomas Tuchel

Bei den Münchenern herrschte nach der Niederlage in Heidenheim aber nicht wegen der verlorenen Meisterschaft Alarmstimmung, sondern weil man sich Sorgen machen muss, ob Trainer und Mannschaft in der Lage sind, die restliche Saison überhaupt einigermaßen vernünftig über die Bühne zu bringen. Dass Tuchel danach in München keine Zukunft hat, ist bereits entschieden. Sein Abschied im Sommer steht fest. Darüber, ob er wirklich bis zum Saisonende weitermachen darf oder nicht sogar schon früher abgelöst wird, wurde nach der Heidenheim-Pleite heiß diskutiert.

"Thomas Tuchel erreicht die Mannschaft nicht mehr. Die Mannschaft braucht irgendwie einen neuen Impuls, und den kann Thomas Tuchel nicht mehr geben", sagte der frühere Bayern-Profi und deutsche Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus bei Sky. 

Bayern-Trainer Thomas Tuchel reibt sich bei der Pressekonferenz nach der Niederlage in Heidenheim ratlos die Stirn
Bayern-Trainer Thomas Tuchel kann zum wiederholten Male nicht erklären, warum seine Mannschaft verloren hatnull Tom Weller/dpa/picture alliance

"Natürlich ist niemand zufrieden mit der Situation", hatte Tuchel nach dem Spiel gesagt, aber auch eingeräumt: "Ich habe keine Erklärung dafür, wieso wir uns die Butter vom Brot nehmen lassen." Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Wochen und Monaten stand Tuchel vor den Mikrofonen der Journalisten und wusste nicht, warum sein Team verloren hatte. Auch diesmal schien er ratlos. "Keine Ahnung, keine Ahnung", sagte Tuchel. "Wir tun uns schwer, die Konzentration hochzuhalten, das war der nächste Beweis dafür."

"Es gibt komische Pressekonferenzen, es gibt komische Aussagen, es gibt komische Kritik von ihm", bemängelte Matthäus. "Deswegen könnte ich mir vorstellen, dass Bayern sogar in den nächsten 24, 48 Stunden reagiert, weil das geht nicht so weiter."

Jobgarantie von Eberl - vorerst

Davon wollte der neue "starke Mann" im Verein aber nichts wissen. Ein Trainerwechsel sei "definitiv nicht der Weg", sagte Bayerns Sportvorstand Max Eberl. "Bayern hat schon den Trainer entlassen, trotzdem steht man da, wo man steht. Es ist nicht immer nur ein Trainerproblem. Er geht auf jeden Fall in die nächsten Wochen." Dass diese Jobgarantie auch bis Saisonende gilt, wollte Eberl aber nicht bestätigen.

Die neuerliche Trainerdiskussion kommt ungelegen, denn der Klub hat noch Ziele - die Qualifikation für die Champions League über die Bundesliga und das Weiterkommen im Viertelfinale der Königsklasse in der laufenden Spielzeit. Der FC Bayern ist in der Bundesliga-Tabelle mit 60 Zählern Zweiter. Bei sieben Punkten Vorsprung auf den Fünften RB Leipzig sollte die Champions-League-Qualifikation wohl nur eine Formsache sein. Allerdings ist der VfB Stuttgart drauf und dran, die Bayern von Rang zwei zu verdrängen. Am Ende "nur" Dritter zu werden, wäre ein weiterer Tiefschlag für die Bayern.

Kein Favorit gegen Arsenal

Auch im anstehenden Viertelfinal-Hinspiel der Champions League steht der FCB am Dienstagabend vor einer schwierigen Aufgabe. Gegen den FC Arsenal, aktueller Tabellenführer der Premier League, sind die Münchener nicht der Favorit. Zumal auch Tuchel nach der Pleite bei der Generalprobe in Heidenheim nicht den Eindruck vermittelte, als hätte er einen Plan, wie man gegen die laufstarken und ballsicheren Engländer gewinnen könnte. Es sei "schwer zu beantworten", wie er jetzt einen positiven Impuls setzen wolle, gab der Trainer zu. "Wir setzen ihn schon. Aber wir setzen ihn morgen oder übermorgen, wir haben noch zwei Tage Zeit", meinte er.

Martin Ödegaard und Kai Havertz vom FC Arsenal beim Torjubel
Kapitän Martin Ödegaard (l.) und Kai Havertz (r.) sind zwei der Erfolgsgaranten beim FC Arsenalnull Frank Augstein/AP Photo/picture alliance

Die Saison 2023/2024 ist für den FC Bayern München schon eine Spielzeit zum Vergessen. Meister werden, das DFB-Pokal-Finale erreichen und um den Titel in der Champions League mitspielen - so lauten jedes Jahr die logischen Saisonziele des besten deutschen Fußballvereins.

Zwei davon haben sie bereits verpasst. Sollte es in Hin- und Rückspiel (9. und 17. April) der Königsklasse gegen Arsenal auch schiefgehen, wäre aus Münchener Sicht die Katastrophe perfekt.

Sturz-Risiko und Angst: Debatte über Sicherheit im Radsport

Es waren schwer zu ertragende Bilder bei der vierten Etappe der Baskenland-Rundfahrt: Minutenlang hatte Tour de France-Sieger Jonas Vingegaard regungslos am Straßenrand gelegen, bevor er von den Sanitätern versorgt und ins Krankenhaus gefahren wurde. Sein Team gab später bekannt, dass sich der Däne das Schlüsselbein und mehrere Rippen gebrochen und eine Lungenquetschung erlitten hat.

Nur wenige Meter von ihm entfernt lagen zwei seiner ärgsten Konkurrenten für die Ende Juni startende Tour de France. Der Belgier Remco Evenepoel hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Schlüsselbein, während Primoz Roglic aus Slowenien - ebenfalls ein Fahrer, der für die Top-Platzierungen der Tour infrage kommt - über den Asphalt humpelte und dann immerhin im Teamwagen die Unfallstelle verlassen konnte. 

Sekunden zuvor war der Eritreer Natnael Tesfatsion auf der Straße weggerutscht und hatte so einen Massensturz verursacht, in dem rund ein Dutzend weitere Fahrer involviert waren. 

Stürze häufen sich

Viele Radprofis nutzen die Baskenland-Rundfahrt, um sich für die großen Rundfahrten im Sommer vorzubereiten, die Tour de France (29. Juni bis 21. Juli) und vorher den Giro d'Italia (4. bis 26. Mai). Nun scheint fraglich, ob einige der Mitfavoriten überhaupt am wichtigsten Etappen-Rennen der Saison teilnehmen können.

Der Crash ist bereits der zweite schlimme Vorfall im Radsport innerhalb kürzester Zeit. Vor rund einer Woche bot sich beim Eintagesrennen "Quer durch Flandern" ein ähnliches Bild. Besonders schlimm erwischte es bei dem Massensturz den Belgier Wout Van Aert. Der neunmalige Tour-Etappensieger verlor bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über sein Rad und brach sich das Schlüsselbein und mehrere Rippen. 

Jonas Vingegaard vom Team Jumbo-Visma im Gelben Trikot stößt auf der letzten Etappe der Tour de France 2023 mit einem Glas Champagner mit Wout Van Aert im Grünen Trikot an
Jonas Vingegaard (l.) gewann 2022 und 2023 das Gelbe, Wout Van Aert (r.) 2022 das Grüne Trikot bei der Tour de Francenull THOMAS SAMSON/AFP

Abseits der Rennen ereignete sich am Mittwoch außerdem ein Trainingsunfall des deutschen Rennfahrers Lennard Kämna auf Teneriffa. Nach Angaben seines Rennstalls Bora-hansgrohe habe ihm ein entgegenkommendes Fahrzeug die Vorfahrt genommen. Kämna erlitt zahlreiche Verletzungen, befindet sich aber in stabilem Zustand. 

Suche nach Ursachen

Neben der Sicherheit der Fahrer stellt sich nun Frage nach den Gründen für die Häufung der Stürze. Als Ursache für den Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt führte der Spanier Mikel Bizkarra, der in der Gegend wohnt, in der es zum Crash kam, Straßenschäden als möglichen Auslöser an.

Der deutsche Radprofi Simon Geschke sah die Schuld dagegen eher bei den Fahrern: "Die waren einfach zu schnell", sagte der 38-Jährige, der für das Cofidis-Team an der Baskenland-Rundfahrt teilnimmt und nach der Saison seine Karriere beenden wird. "Die Straße war gut, es war trocken. Es war keine Kurve, die völlig überraschend kam."

"Es ist diese Wer-bremst-verliert-Mentalität", so Geschke weiter, der weiter hinten im Feld war und an den gestürzten Kollegen vorbeirollte. "Jeder wollte in die ersten Zehn in dieser Abfahrt rein. Und wenn dann keiner bremst, dann passiert so etwas."

Radrennfahrer Nils Politt von Bora-hansgrohe
Der deutsche Radrennfahrer Nils Politt sieht kein strukturelles Sicherheitsproblem im Radsportnull DAVID PINTENS/Belga/IMAGO

Dass vermehrt sehr junge Athleten direkt aus den Juniorenklassen in die WorldTour und kämen und sich dort risikoreich beweisen wollten, sah der deutsche Klassikerspezialist Nils Politt als eine mögliche Ursache ein erhöhtes Sturz-Risiko an. "Allgemein ist das Stresslevel deutlich höher", so Pollit gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). 

Während es früher normal war, dass bei einem Klassiker-Rennen von rund 200 Kilometern Renndistanz erst einmal einige Zeit lang gemütlich und im versammelten Feld gefahren wurde, gäbe es heutzutage kaum Ruhephasen. "Die Rennen werden immer schneller und immer früher eröffnet."

Allerdings sieht Politt kein strukturelles Sicherheitsproblem im Radsport, sondern stellt eher die Veränderungen am Equipment in den Vordergrund. "Wir werden immer schneller, weil das Material immer weiterentwickelt wird", sagte er. "Von Aero-Helmen oder Stoffen für das Trikot, die besser im Wind stehen, bis hin zu Laufrädern - alles wird schneller, alles wird besser."

Entschärfung von Schlüsselstelle bei Paris-Roubaix

Neben den Fahrern sind auch verschiedene Streckenabschnitte oder gar ganze Etappen in der Kritik. Der Sturz bei "Quer durch Flandern" ereignete sich in einer besonders schnellen Abfahrt, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit aus der prestigeträchtigen Flandern-Rundfahrt gestrichen worden war. Bei "Quer druch Flandern" blieb sie drin - mit schlimmen Folgen.

Fahrer bei Radrennen Paris-Roubaix 2023 auf langer Kopfsteinpflaster-Passage im Wald von Arenberg
In die Kopfsteinpflaster-Passage im Wald von Arenberg möchten die Fahrer am liebsten ganz vorne einfahren, um Stürzen zu entgehennull Jasper Jacobs/Belga/dpa/picture alliance

Auch die Organisatoren des Klassikers Paris-Roubaix, auch die "Hölle des Nordens" genannt, haben auf die schlimmen Stürze bereits reagiert. Wie die Veranstalter mitteilten, soll beim Rennen am Sonntag kurz vor der Einfahrt in die 2400 Meter lange Kopfsteinpflaster-Passage des berühmt-berüchtigten Waldes von Arenberg eine Schikane eingebaut werden, um das Fahrerfeld von 60 auf etwa 30 Stundenkilometer abzubremsen.

Allerdings kommt die Schikane bei vielen Profis gar nicht gut an. "Die Anfahrt in den Wald ist vielleicht der gefährlichste Moment der ganzen Saison. Ich fühle mich in diesem Moment auch nicht wirklich wohl im Peloton", sagte der Vorjahressieger in Roubaix, Mathieu van der Poel: "Aber ich denke, die Schikane wird es noch gefährlicher machen."

"Lassen Sie uns das Massaker beenden", formulierte es Thierry Gouvenou, Renndirektor von Paris-Roubaix, etwas martialisch. Der frühere Profi forderte in der französischen Sport-Tageszeitung "L'Équipe" eine Grundsatzdebatte: "Fangen wir an, über die Geschwindigkeitsprobleme nachzudenken." Es sei an der Zeit, sich Grenzen zu setzen.

Die Angst fährt mit

Trotz aller Verbesserungsvorschläge werden sich Stürze in Hochgeschwindigkeitssportarten jedoch wohl auch in Zukunft kaum vermeiden lassen. Jan Bakelants, ehemaliger Träger des Gelben Trikots bei der Tour de France, brachte noch eine weitere Möglichkeit seitens des Equipments ins Spiel. "Ich könnte mir eine Art Airbag vorstellen, den man sich wie beim Skifahren auf den Rücken schnallt", sagte er gegenüber dem belgischen Sender Sporza.

In einer Sportart, in der Ingenieure verzweifelt versuchen, überall Gewicht einzusparen, könnte dies jedoch schwer zu realisieren sein. Weil man nicht gewinnt, wenn man nicht bereit ist, bergab oder in einem engen Finale im rasenden Pulk volles Risiko zu gehen, fährt auch in Zukunft die Angst mit.

Oder wie der französische Radprofi Benoit Cosnefroy es ausdrückt: "Einen Radfahrer, der keine Angst hat, kenne ich nicht."