Auf der Suche nach dem perfekten Weihnachtsbaum
In der Adventszeit steht eine von vielen wichtigen Entscheidungen an: der Kauf des Weihnachtsbaums. Manche Familie will sich selbst einen schlagen – was nicht selten zu Diskussionen über den perfekten Baum führt.
Ein Weihnachten ohne Christbaum – für die meisten Deutschen undenkbar. Eine Tanne zum Fest, das muss sein. Die Zahlen belegen das. So stieg der Absatz von Weihnachtsbäumen laut statistischen Angaben seit Beginn der 2000er-Jahre kontinuierlich an, lag 2019 bei rund 29,8 Millionen. Selbst die Corona-Pandemie sorgte nur für einen geringen Umsatzknick. Etwa 90 Prozent der Bäume stammen aus Deutschland, der Rest aus anderen europäischen Staaten, besonders aus Dänemark. Vor allem in drei Bundesländern – Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein – werden die Bäume auf Plantagen extra gezüchtet. Für Landwirtinnen und Landwirte sind sie eine wichtige Einkommensquelle. Was in dieser kurzen Hochsaison von November bis zum 24. Dezember verdient wird, muss weitgehend fürs ganze Jahr reichen. Die meisten Bäume gehen an Großabnehmer und Zwischenhändler, die sie dann weiterverkaufen. Doch nicht jeder möchte so einen Baum, sondern fährt direkt dahin, wo die Bäume wachsen, um sich einen selbst zu schlagen.
So wie Claudia, Oliver und die Kinder Phil und Hannes, eine Familie aus dem Sauerland, einer Mittelgebirgsregion im Westen Deutschlands. Sie fährt zum Hof der Familie Becker-Gödde, um sich eine Tanne für die Weihnachtszeit auszusuchen, die allen gefällt. Kein leichtes Unterfangen. Denn der Weihnachtsbaumforst ist 140 Hektar, ungefähr 200 Fußballfelder, groß. Die Auswahl fällt entsprechend schwer. Vor allem weil die Vorstellungen ein bisschen auseinandergehen:
„Claudia? So ’nen großen nehmen wir nicht. / Nein. / Gut … / Er darf ruhig ’n bisschen krumm sein, er muss jetzt nicht ganz gerade sein, und ich mag das, wenn er unten ziemlich breit ist, wenn er ’n bisschen ausladend ist unten. Dass man schön was dranhängen kann zum Schmücken. Nicht so ein schmaler langer, sondern lieber so ’n bisschen breiter. “
Während Claudia das äußere Erscheinungsbild wichtig ist, denkt ihr Mann Oliver zunächst mal ganz praktisch:
„Aber man muss ihn auch transportieren können. Also, wenn wir den mitnehmen, den müssen wir aufs Auto machen, den kriegen wir nicht rein. Ich meine, gut, wir können natürlich zwei Bäume draus machen.“
In den Gepäckraum würde dieser Baum mit seinen 1,50 Metern nicht passen. Er müsste auf einen Dachgepäckträger. Und ihn in der Mitte teilen, wäre auch nicht so das Wahre. Daher gilt: weitersuchen!
„Was ist denn mit dem, der steht da so schön? … / Nein da fehlt doch rechts ganz viel. / Ja, aber dann kannst du ihn gut an die Wand stellen. / Nein. Wir können ja mal hier so schräg reingehen. / Er wäre doch zumindest gerade …“
Doch Olivers Einwand zählt nicht. Die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen geht weiter. Während rund um die Familie ein Baum nach dem nächsten fällt, suchen Claudia, Oliver und die Kinder weiter. Familien, die sich Zeit lassen, sind natürlich nicht so gern gesehen. Denn im sauerländischen Massenbetrieb schlagen Forstarbeiter die allermeisten Bäume im Sekundentakt. Und das seit Anfang November tagein, tagaus. Wie viele Bäume es in der Saison genau sind, bleibt Betriebsgeheimnis. Insgesamt liegt deren Zahl aber deutlich im fünfstelligen Bereich. Auf Wilhelm Becker-Göddes Schreibtisch landen Aufträge aus ganz Europa. Sein Ziel ist es, möglichst viele Bäume in bester und optisch ansprechender Qualität anbieten zu können. Und zwar so viele, dass seine Familie vom kurzen Weihnachtsgeschäft das ganze Jahr leben kann.
Inzwischen hat sich die Familie aufgeteilt, um die Chance zu erhöhen, doch noch den perfekten Baum zu finden. Das Konzept scheint aufzugehen:
„Guckt mal, was ist denn mit dem da? / Ja, der ist schön. / Du hast ja noch gar nicht geguckt! / Doch der! / Wollen wir da mal versuchen hinzukommen? / Ja. / Der ist ’n bisschen größer als so 1,50, 1,60 – hatten wir ja eigentlich so gedacht, aber … / Da oben kann man noch was absägen. / Nein! Oben nicht, du kannst doch nicht die Spitze abmachen! / Ach so.“
Doch die Spitze ist krumm, was eher suboptimal ist. Die Baumspitze ist wichtig, natürlich eine gerade, weil sie häufig mit einem Engel oder Stern oben geschmückt wird. Weiter geht’s mit der Suche. Und da, endlich, steht er, der perfekte Baum. Claudia und die Kinder haben ihn entdeckt:
„Wir sind hier! Wir haben was gefunden! / Ja? Das ist schön. / Drei Leute sagen ‚Ja‘. Du musst es noch absegnen. / Welchen denn? / Hannes, zeig du mal Papa den Baum! / Der! Der ist schön. Fangen wir mal an mit Sägen, ne.“
Der ausgewählte Baum, eine Nordmann-Tanne, mit weichen Nadeln, die wenig stechen, hat auch beinahe die passende Länge! Mit der mitgebrachten Handsäge wird der Baum abgesägt. Das dauert zwar länger als mit der Motorsäge und erfordert mehr Kraft, aber gehört für viele zum traditionellen Weihnachtsbaumaussuchen dazu. Nun wird der Baum noch durch eine Maschine gezogen und in ein Netz gepackt, eingenetzt, und dann bezahlt. Nicht immer läuft die Suche nach dem passenden Baum so harmonisch ab wie bei dieser Familie, weiß Jutta Becker-Gödde:
„Der Mann kommt auch schon mal alleine, und dann heißt es: ‚Ja, nee, meine Frau hat aber gesagt …‘ Und dann ist die Frau dann halt es schuld … Ich sag: ‚Beim nächsten Mal können Sie ja die Frau mitbringen.“
Ein salomonischer Rat. Denn sonst wäre ein Ehekrach vorprogrammiert. Es kommt auch vor, dass manches Paar, manche Familie unverrichteter Dinge fährt und noch mal wiederkommt. Doch was passiert, wenn Claudia und Oliver plötzlich feststellen würden, dass sie einen noch schöneren Baum gesehen haben? Wilhelm Becker-Gödde wird da deutlich:
„Ja, der Baum ist ja jetzt gesägt. Für die Familie würde ich den natürlich gerne umtauschen, gar keine Frage. Aber ansonsten ist der gesägte Baum zumindest der gekaufte Baum und müsste dann auch bezahlt werden, ja.“
Manchmal macht Becker-Gödde eine Ausnahme, aber generell gilt: Ist ein Baum abgesägt, gilt er als gekauft. Umtausch ausgeschlossen. Und nun kann es kommen, das Weihnachtsfest für Claudia, Oliver, Phil und Hannes. Die Kinder können die Bescherung unterm Weihnachtsbaum kaum erwarten. Denn, so meint Phil:
„Dann ist eigentlich fast immer das Wohnzimmer dunkel, aber es ist dann trotzdem hell, weil dann halt die ganze Beleuchtung und der Schmuck am Weihnachtsbaum ganz hell ist.“
Na dann: Frohe Weihnachten unter dem selbst geschlagenen Christbaum! Und vielleicht wird dann auch das Lied gesungen, das jede und jeder aus der Kindheit noch kennt …