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Alles verstanden?

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Manuskript

Ob Wachsgießen mit der Familie zuhause oder die große Party mit Tanz und Büfett: Die meisten Menschen in Deutschland wollen das neue Jahr gebührend willkommen heißen. Dafür lässt man es auch wortwörtlich richtig krachen: Etwa 133 Millionen Euro wurden allein im Jahr 2019 für Feuerwerk ausgegeben – nur in Deutschland. Den Gedanken, den letzten Tag des Jahres zu einem ganz besonderen zu machen, haben viele Menschen. Punkt Mitternacht wird mit einem Glas Sekt auf das neue Jahr angestoßen. Meist ist das mit der Hoffnung verbunden, dass am nächsten Morgen ein grandioses neues Jahr beginnt und man all seine Neujahrsvorsätze in die Tat umsetzt. Ich gehöre auch zu diesen Menschen. Ich mag Silvester gerne, obwohl ich so ziemlich jedes Jahr das mache, was manch anderen in puren Stress versetzt: keine frühe Planung, sondern fast auf den letzten Drücker nur wenige Wochen vorher. Schnell werden noch ein paar Leute zusammengetrommelt, die ebenfalls wollen, dass der Abend ein richtig besonderes Ereignis wird. Doch es gibt auch die anderen, solche wie beispielsweise Sandra Stüber. Die Bloggerin ist keine große Freundin vom Silvester feiern. Denn, so erinnert sie sich:

„Dieser Wunsch danach, dass Silvester was ganz Besonderes sein muss und dass irgendwas Spezielles passieren muss, das ist etwas, was sehr großen Druck aufgebaut hat in der Vergangenheit. Und was dann dazu geführt hat, dass ich häufig zu Hause saß und völlig deprimiert war darüber, dass irgendwie nichts Besonderes passiert ist.“

An einen besonders frustrierenden Silvesterabend, an dem sie ziemlich deprimiert, traurig und mutlos war, kann sich Sandra Stüber noch gut erinnern:

„Ich war mal mit Freunden auf ’ner Party damals. Und das war in so ’nem großen Schwimmbad – ganz unübersichtlich. Und wir haben uns zwischenzeitlich immer wieder verloren. Und ich weiß, dass es dann relativ zügig ging, dass es plötzlich zwölf Uhr war. Ich hab an dem Abend eben nichts erlebt vom Gefühl her. Ich war ohne meine Familie, was mich total deprimiert hat, und stand draußen vor der Tür vor dieser großen Partyhalle und war, ja, einfach traurig.“

Sandra war zwar mit Freunden unterwegs, aber auf einer Party mit vielen unbekannten Leuten. Der Jahreswechsel kam ziemlich schnell, zügig, doch so richtig in euphorischer Stimmung war sie nicht. Dass sich Menschen in großen Gruppen einsam fühlen können, mag paradox klingen, ist es aber nicht, erklärt der Psychologe und Stress-Experte Louis Lewitan:

„Gerade weil so viele Leute da sind, fühlt man sich einsam. Auf der anderen Seite natürlich ist das vielleicht ein Ausdruck dessen, dass man nicht wirklich in Verbindung steht mit anderen. Das heißt also, dass man auch sich nicht verstanden oder abgeholt fühlt, oder dass man sich selbst im Wege steht und deswegen eine starke Emotion empfindet, wie eben Einsamkeit, sich verloren fühlen, sich nicht „connected“ fühlen. Das heißt, man wird auf sich selbst zurückgeworfen, was natürlich den Eindruck von Einsamkeit geradezu erhöht.“

Gerade auf einer großen Silvesterparty mit sehr vielen unbekannten Menschen tritt dieses Einsamkeitsgefühl auf. Man fühlt sich, so Lewitan, nicht abgeholt, nicht verstanden, nicht mit einbezogen. Man steht sich selbst im Weg, behindert sich selbst, weil man sich scheut, fremde Menschen anzusprechen. Man wird auf sich selbst zurückgeworfen, bleibt allein in einer großen Gruppe. Auch ich hatte schon fürchterliche Silvesterabende. Trotzdem habe ich jedes Jahr im Hinterkopf: „Aber es ist doch Silvester! Da kann man doch nicht nicht feiern.“ Diesen gesellschaftlichen Druck hat auch Sandra Stüber viele Jahre gespürt:

„Wenn man davon erzählt, dass man beispielsweise im Schlafanzug vor dem Fernseher gesessen hat oder, was ja für viele noch viel schlimmer ist, vor zwölf Uhr ins Bett gegangen ist und sich gar nichts draus gemacht hat, wird man zumindest ja mal eher kritisch beäugt. Und das ist schon was, was ich früher gespürt habe und wo ich das Gefühl hatte: ‚Wenn du müde bist vor zwölf Uhr und ins Bett gehst, das kannst du nicht bringen. Das musst du auf jeden Fall durchziehen‘.“

Den Jahreswechsel zu verschlafen: Das kann man nicht tun, kann es nicht bringen. Nur diejenigen, die ebenfalls Silvestermuffel sind, die haben Verständnis dafür. Alle anderen beäugen, betrachten, einen kritisch. Obwohl sie nicht wollte, blieb Sandra Stüber auf, zog die Sache durch. Der Wendepunkt in Sachen „Silvester-Stress“ kam für die Bloggerin vor ein paar Jahren, als sie genau das gemacht hat: nämlich nichts!

„Ich bin dann einmal zuhause geblieben und war im Schlafanzug die ganze Zeit und hab gedacht: ‚Oh mein Gott, jetzt wird irgendwas Schlimmes passieren‘. Aber es ist nichts passiert. Und seitdem kann ich Silvester einfach sehr entspannt verbringen mit meinem Mann hier zuhause beispielsweise, ohne jetzt irgendwas ganz Spezielles zu machen. Also es ist dann immer sehr gemütlich mit leckerem Essen. Wir gucken, dass wir uns irgendwie vielleicht ’nen schönen Film beispielsweise raussuchen oder Spiele spielen, sodass der Abend insgesamt aber relativ offen ist und man machen kann, was man will.“

Trotz eines vorhandenen gesellschaftlichen Drucks, den Jahreswechsel feiern zu müssen, sollte sich jede und jeder bestimmte Fragen stellen, meint Psychologe Lewitan:

„‚Wie gehe ich mit diesem Druck um? Habe ich Angst, andere zu enttäuschen? Kann ich mich abgrenzen, ohne dass ich Schuldgefühle empfinde?‘ Es gibt keinen objektiven Zwang, feiern zu müssen. Das müssen wir doch erkennen können. Und wenn wir das erkennen, dann haben wir die Möglichkeit, eben uns frei zu fühlen und zu entscheiden. Wir haben nun mal diese Willensfreiheit – und davon sollten wir auch Gebrauch machen.“

Den Abend an sich nicht besonders zu gestalten, ist die eine Sache. Pünktlich zum Neujahrsfest meldet sich bei vielen Menschen jedoch auch der Wunsch, dass durch das neue Jahr wieder ein neues Kapitel beginnt: Vom einen auf den anderen Tag hat man also sowohl die Chance, etwas hinter sich zu lassen, als auch die, etwas Neues zu beginnen. Es ist Zeit für gute Vorsätze, was man im neuen Jahr alles ändern möchte. Häufig werden diese Neujahrsvorsätze schon nach wenigen Wochen über Bord geworfen. Dass sie sich dennoch hartnäckig halten, verblüfft in gewisser Weise auch den Psychologen:

„Denn es ist ja eine absurde Vorstellung, dass man sich selbst ‚rebooten‘ kann und auf eine ‚Reset‘-Taste drücken kann. Denn wir haben viele Gewohnheiten. Ein Mensch, selbst wenn er etwas erkennt durch Reflexion, ist definitiv nicht in der Lage, das Erkannte auch umzusetzen. Es bedarf eines, naja, heute sagt man Trainings oder einer gewissen Selbstdisziplin.“

Der Mensch ist kein Computer, den man neu startet, bootet, oder in seinen Ausgangszustand zurückversetzt, die Reset-Taste drückt. Der Wunsch, ab dem ersten Januar gewisse Dinge anders zu machen, klingt verlockend. Doch so einfach ist es eben nicht. Der Mensch ist nämlich vor allem eines: ein Gewohnheitstier. Bestimmte Verhaltensmuster lassen sich nicht von heute auf morgen abtrainieren. Um dem ganzen Silvester-Stress zu entgehen, hilft also nur eines: Gelassenheit! Bloggerin Sandra Stüber weiß jedenfalls, dass sie erst am 31. Dezember entscheiden wird, wie sie den Silvesterabend verbringen möchte. Ihr Tipp:

„Man muss versuchen sich davon freizumachen, indem man einfach mal nichts macht und irgendwie auf das hört, was man sich wirklich wünscht, also was man wirklich an diesem Tag machen möchte. Und letzten Endes ist am nächsten Morgen die Welt immer noch dieselbe, und es ist nicht wirklich etwas anderes passiert, außer dass es ’n neues Datum ist – was aber ja täglich passiert.“

Wer das alles nicht von heute auf morgen umsetzen kann, sollte sich keine Sorgen machen: Psychologe Louis Lewitan weiß, dass mit einem gewissen Alter auch die Gelassenheit einsetzt:

„Wenn man älter ist, wird man ruhiger und man weiß eher, dass sich der Silvesterabend wiederholt. Es wird nicht der einzige sein und das Leben hängt nicht von diesem einzigen Tag ab, von diesem einzigen Moment ab. Und ich glaube, dass jeder und jede von uns hat schon mal ein ganz schlimmes Erlebnis zu Silvester gehabt, und manche haben wunderschöne Erinnerungen. Und dann kann man das abgleichen und sich aufs nächste Jahr wieder freuen.“

In diesem Sinne also: Frohes neues Jahr! 

Was passt wo?

Viele Menschen in Deutschland feiern Silvester medium

Um den Jahreswechsel herum medium

Wer den Jahreswechsel nicht gerne feiert, medium

Wer den Abend nicht allein zuhause im Bett verbringen will, medium

Obwohl viele Menschen um einen herum sind, medium

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