Als Synchronschwimmer im Profisport
Synchronschwimmen gilt traditionell als Sportart, die nur Frauen betreiben. Auch bei großen Wettbewerben wie den Olympischen Spielen waren bis vor Kurzem nur Teilnehmerinnen erlaubt. Frithjof Seidel aus Berlin hat jedoch dazu beigetragen, dass sich der Sport verändert: Als einziger Mann ist er Mitglied der deutschen Nationalmannschaft im Synchronschwimmen.
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Synchronschwimmen – eine Sportart, die für Eleganz und Grazie steht und jahrelang eine Frauendomäne war: Zum ersten Mal dürfen bei den Olympischen Spielen auch Männer antreten. Trotz Gold bei der Europameisterschaft konnte sich der deutsche Kader nicht qualifizieren. Der Berliner Frithjof Seidel ist der einzige Mann in der deutschen Nationalmannschaft. Wie fühlt sich das an?
FRITHJOF SEIDEL (Synchronschwimmer):
Ich fühl mich unfassbar wohl mit den Mädels. Die haben mich sehr gut aufgenommen. Ich hab so ’n bisschen die Große-Bruder-Rolle. Also, ich bin, glaube ich, mit drei oder vier Jahren Abstand der Älteste. Aber es ist schön, wir ergänzen uns schön und wir haben auch immer was zu lachen.
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Hier trainiert Frithjof mit dem Nationalkader für die Europameisterschaft in Belgrad. Bis zu acht Stunden verbringt er an einem solchen Tag mit seinen ausschließlich weiblichen Mitstreiterinnen im Wasser. Geübt werden akrobatische Elemente wie Hebefiguren. Die sind besonders anspruchsvoll.
FRITHJOF SEIDEL:
Die ganzen Jahre im Wasser habe ich gemerkt: Das ist ’n schönes Medium. Da fühle ich mich wohl drin, vor allem auch dieses Gefühl, komplett vom Wasser umgeben zu sein, gerade wenn man taucht. Das ist für mich auch ’n Gefühl der Freiheit.
SPRECHER:
Mit sechs Jahren lernt Frithjof schwimmen und startet zunächst mit dem Wasserspringen. Schon früh entdecken seine Eltern sein großes sportliches Talent. Mit zehn Jahren wechselt er auf ein Sportinternat in Berlin. Er nimmt an Jugendeuropameisterschaften teil, mit 18 an den ersten internationalen Wettkämpfen im Erwachsenenbereich. Über das Wasserspringen kommt er 2021 zum Synchronschwimmen. Frithjof lebt offen homosexuell. Mit 18 Jahren outet er sich und hat seinen ersten Freund. Ein schwuler Mann, der einen Frauensport ausübt: Steilvorlage für Vorurteile und Diskriminierung? Wie geht Frithjof damit um?
FRITHJOF SEIDEL:
Tatsächlich ist es schon so, dass man im ersten Moment denkt: Okay, Homosexualität und Leistungssport können ’n sensibles Thema sein. Ich sag mal: Sprüche gibt’s überall. Das tut dann im ersten Moment auch weh. Aber ich sag mal, wenn man das ’n paar Mal erlebt hat, dann steht man da drüber.
SPRECHER:
Neben dem Leistungssport befindet sich Frithjof im Master-Studium der Physikalischen Ingenieurwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Zwischen dem Synchronschwimmen und den Gesetzen der Physik erkennt Frithjof viele Parallelen.
FRITHJOF SEIDEL:
Die Physik findet ja schon immer auch ihren Platz im Sport. Im Synchronschwimmen hat es natürlich viel mit Auftrieb zu tun. Wir müssen uns ja immer hoch aus dem Wasser rausdrücken. Gerade auch wenn wir im Team schwimmen, dann machen wir die Hebungen.
SPRECHER:
In seiner Freizeit widmet sich Frithjof einem Hobby, das er vor ein paar Jahren für sich auf Instagram entdeckt hat: das Häkeln und Stricken. Dabei kann er sich entspannen und zur Ruhe kommen. Neben Socken, Schal und Handschuhen fertigt er am liebsten kleine Figuren an.
FRITHJOF SEIDEL:
Also, mir hilft es wirklich auch sehr in stressigen Phasen. Da nehme ich mir abends halt die halbe Stunde, Stunde und nehme mir dann mein Strick- und Häkelzeug. Was für andere Leute das Joggengehen ist, ist für mich das Stricken. Da kann man gut abschalten.
SPRECHER:
Zurück in die Schwimmhalle: Hier nimmt Frithjof mit seinem Berliner Heimatverein SC Wedding an der Deutschen Meisterschaft in Berlin teil. Insgesamt elf Teams treten gegeneinander an. Auch heute ist Frithjof wieder der einzige Mann im Team. Eine Kür in der Kategorie „Acrobatic Routine“ dauert rund drei Minuten. Je höher der Schwierigkeitsgrad, desto mehr Punkte kann man erreichen. Die Kür gelingt, nur ein paar kleine Patzer. Die Athletinnen vom SC Wedding sind froh darüber, dass Frithjof mittlerweile ein festes Teammitglied ist.
THORA GÖTTING UND THEA BAUWENS (Synchronschwimmerinnen):
Es war eigentlich normal, so wie vorher. Also, man hat keinen Unterschied gemerkt, ja. Also, wirklich nicht, es war … Er hat sich super integriert in unsere Mannschaft, wir hatten immer superviel Spaß mit ihm. Also, es macht wirklich Spaß. Er gehörte direkt zur Familie.
SPRECHER:
Am Ende wird es noch einmal spannend. Die Jury vergibt ihre Punkte und kommt zu dem Ergebnis: ein stolzer zweiter Platz für Frithjof und den SC Wedding.
FRITHJOF SEIDEL:
Ich sehe mich definitiv als Vorbild. Und ich finde, es ist ein Sport, der davon profitiert, wenn Männer und Frauen aufeinandertreffen. Insofern ist es eigentlich auch mein Traum, dass ich da Jungs und Männer dazu motivieren kann, dass sie es einfach mal ausprobieren.
SPRECHER:
Vorbild, Pionier und ein bisschen auch Hahn im Korb: Frithjof kämpft weiterhin für den Erfolg und für mehr Gleichberechtigung im Sport.