Manuskript

Bei den Wetterfröschen 

Meteorologen sind nicht nur in Deutschland wichtige Leute. Ihre Wetterberichte und Prognosen haben für viele eine große Bedeutung – egal, ob sie zu Land, zu Wasser oder in der Luft unterwegs sind.


Ist mit einer neuen Kaltfront zu rechnen? Wird es schneien, regnen oder stürmen? Können wir am Wochenende grillen? Solche Fragen kennen auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Deutschen Wetterdienstes DWD im hessischen Offenbach am Main. 1952 wurde die Institution gegründet, als sich die Wetterdienste der westlichen Besatzungsmächte, also der Amerikaner, Briten und Franzosen, zusammenschlossen. Der Landeswetterdienst der sowjetischen Besatzungszone wurde zum Meteorologischen Dienst der DDR. Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurden auch die beiden Wetterdienste 1990 vereint. In Deutschland teilen sich öffentliche und private Wetterdienste den Markt. In Offenbach sitzen die Meteorologen in einem Großraumbüro zusammen. Einer von ihnen ist Jens Hoffmann. Wie beginnt er seinen Bürotag?

„Dann fange ich einfach morgens an und gucke mir als allererstes mal die Ist-Situation an. Mich interessiert nicht am Anfang, wie wird’s übermorgen, sondern ich muss jetzt erst mal checken, was ist denn eigentlich aktuell da, ja. Und da hab’ ich verschiedene Möglichkeiten: Ich kann mir die aktuellen Beobachtungen hier anschauen, aber auch noch Wetterkarten, die per Hand gezeichnet sind, aktuelle Analysen, ja. Und ausgehend von dem versuche ich dann, mithilfe dieser Vorhersagen in die Zukunft zu schauen.“

Jens Hoffmann schaut sich auf seinem Computerbildschirm die momentane Wetterlage, die Ist-Situation, an und analysiert sie. Sehr wichtig für eine vollständige Analyse sind allerdings auch Wetterkarten, die manuell erstellt werden. Grundlage dafür sind Millionen von Messergebnissen, die täglich beim Deutschen Wetterdienst eingehen. Wetterstationen überall im Land vermelden Niederschläge, Luftdruck, Temperatur, Windgeschwindigkeit, Bewölkung und vieles mehr. Außerdem bekommen die Offenbacher Daten von Beobachtungsstationen auf dem Meer, sogenannten Wetterbojen, von Wetterballons in der Atmosphäre und natürlich von den Partnerorganisationen aus dem Ausland. Erst nachdem sich Jens Hoffmann einen grundlegenden Überblick verschafft hat, kann er sich daran machen, die Wetterprognosen für die nächsten Tage zu analysieren. Auf dem Bildschirm sieht er die Umrisse Deutschlands weiß auf schwarz und außerdem jede Menge Punkte, Striche und Sternchen und noch andere Symbole:

„Ein Großteil von Deutschland hat entweder diese blauen oder diese weißen Kreise. Das heißt, Norddeutschland, Westdeutschland, aber auch große Teile der Mitte sind trocken, ad eins, bewölkt, oder es scheint die Sonne. Also, es ist so ‘ne Teils-teils-Verteilung.“

Was für Laien wie eine Geheimschrift aussieht, ist für Meteorologen ihre Arbeitssprache. So stehen blaue Kreise für bedeckten, bewölkten Himmel, weiße für wolkenloses Wetter. Im Norden und Westen Deutschlands regnet oder schneit es derzeit nicht. Es ist trocken. Jens Hoffmann beginnt mit einer Aufzählung, beendet sie aber nicht. Kennzeichnend für eine Aufzählung ist die Präposition „ad“. „Ad eins“ bedeutet wörtlich übersetzt „zu Punkt eins“. Auf der Wetterkarte sieht Jens Hoffmann aber auch im Südosten Deutschlands kleine grüne Dreiecke oder lilafarbene Sternchen. Die Dreiecke stehen für Regen, die Sternchen für Schnee. Was sagt dem Fachmann das jetzt?

„Das markiert mir ein großes Niederschlagsgebiet, was dort derzeit tätig ist. Ich muss jetzt weiterverfolgen in den nächsten Stunden: Wie verschiebt sich das, ändert sich eventuell die Schneefallgrenze dabei? Geht das weiter runter, oder geht die Schneefallgrenze hoch? Und diese Informationen, die ich mit Hilfe von diesen Beobachtungen bekomme, setze ich dann am Nachmittag wieder um in einen aktualisierten Wetterbericht.“

Während es im Norden und im Westen Deutschlands weitgehend trocken ist, zeichnet sich im Süden ein – wie es in der Fachsprache heißt – Niederschlagsgebiet mit Regen und Schnee ab. Für Meteorologe Jens Hoffmann und seine Prognose ist es wichtig zu beobachten, wie sich die Schneefallgrenze verschiebt. Je kälter es ist, umso weiter schiebt sie sich ins Flachland runter. Wird es wärmer und der Schnee schmilzt im Flachland, verschiebt sie sich nach oben. Anhand aller Daten verfassen die Meteorologen mehrmals am Tag Wetterberichte – zum Beispiel für die Internetseite des Deutschen Wetterdienstes oder die Nachrichtenagenturen. Aber auch jeder Einzelne kann beim DWD gegen eine Gebühr seine ganz persönliche Vorhersage bekommen. So kann zum Beispiel der Skiliftbetreiber erfahren, ob es am Wochenende schneit oder ob er seine Schneekanonen anschalten muss, um künstlichen Schnee zu produzieren. Alle Wetterdaten werden in Offenbach in einen Großrechner eingespeist. Dieser Großrechner liefert dem Meteorologen auch schon eine fertige Vorhersage, die er aufgrund von physikalisch-mathematischen Rechenmodellen angefertigt hat. Hundertprozentig darauf verlassen kann sich der Meteorologe aber nicht:

„Ich muss also ständig vergleichen: ‚Wie ist der derzeitige Zustand des Wetters mit dem, was das Modell vorhergesagt hat? Passt das noch eins zu eins zusammen oder läuft da schon irgendwas aus dem Ruder? Oder eben auch, wenn mich speziell jemand fragt: ‚Wann kommt der Regen bei uns an?‘ Dass ich dann mich nicht nur eben auf das Modell verlasse und sage: ‚Ja, das Modell rechnet mir 18 Uhr aus‘, obwohl es schon erkennbar ist, dass das viel früher in Kiel oder in Berlin ankommt.“

Der erfahrene Meteorologe will sich auf das Computermodell nicht völlig verlassen. Er fragt sich, ob das, was der Computer ausgerechnet hat, mit seiner eigenen Prognose genau übereinstimmt, ob es eins zu eins zusammenpasst. Oder ob die Unterschiede schon so groß sind, dass die Prognose nicht mehr stimmt, dass da etwas aus dem Ruder läuft, unbeherrschbar wird. Menschliche Erfahrung und Rechenpräzision des Computers müssen zusammenspielen, damit eine möglichst genaue Vorhersage entsteht. Oft, erzählt Jens Hoffmann, ist er dabei der Optimistischere von beiden und zieht vom Computermodell schon mal ein bisschen Regen oder Wind ab. Er lässt seine Erfahrungen einfließen:

„Bei ‘ner Sturmlage zum Beispiel weiß man dann manchmal, dass das Modell häufig dort und dort übertreibt – auf den Bergen und an der Nordsee zum Beispiel oder so was, ja. Und dieses muss man dann versuchen, entsprechend in die Vorhersagen – wie auch immer sie geartet sind – einfließen zu lassen.“

Hat sich Jens Hoffmann für seine Interpretation der Daten entschieden, egal wie sie aussehen, wie sie geartet sind, schreibt er seinen Bericht und verschickt ihn an die Abonnenten. Und er hofft, dass sein Optimismus nicht dazu führt, dass allzu viele Grillpartys ins Wasser fallen. Wer sich darauf nicht verlassen will, kann ja nach einem kleinen Laubfrosch suchen. Früher wurden diese Laubfrösche in Einmachgläsern gehalten, weil sie als „Wetterfrösche“ galten – ein Begriff, der heutzutage in der Umgangssprache für Meteorologen verwendet wird. Saß der Frosch unten im Glas, gingen die Menschen davon aus, dass es regnet, saß er oben auf seiner Leiter, rechneten sie mit Sonnenschein.

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