Beim Steuerberater
Sprecher:
Benjamin Franklin erfand nicht nur den Blitzableiter, sondern produzierte auch selbst manch einen Zitat reifen Geistesblitz. So schrieb er 1789: "In this world nothing is certain but death and taxes." Im Deutschen wurde daraus: "Sterben und Steuern zahlen muss der Mensch überall." Daran lässt sich nicht rütteln. Doch bei der Steuer kann man sich wenigstens wehren, denn zum Glück gibt es da den so genannten Steuerberater – einen freiberuflich arbeitenden Finanzsachverständigen, der natürlich gegen Honorar dafür sorgt, dass der Staat einem nicht das letzte Hemd auszieht – will sagen, uns steuerlich nicht überlastet.
Sprecherin:
Der Beruf setzt ein Universitätsstudium voraus, steht Frauen und Männern gleichermaßen offen und nimmt an Attraktivität ständig zu. Die meisten haben ihre eigene Praxis. So auch unser heutiger Sprachzeuge. Er heißt Rolf Stratmann und wirkt in einer westdeutschen Großstadt. Stratmann studierte die Rechte und anschließend noch Betriebswirtschaft. Von dieser Doppelqualifikation profitieren zahlreiche Klienten.
Sprecher:
Er nimmt sich Zeit für seine Mandanten, die allerdings auch einiges mehr als bloß ein paar billige Steuertipps erwarten. Fragt sich nur, wozu sind Steuern eigentlich gut?
Rolf Stratmann:
"Steuern sind Abgaben an den Fiskus, die nicht Entgelt für eine Gegenleistung sind. Der Fiskus erfüllt eine Vielzahl von Aufgaben, für die ein Aufkommen gesichert sein muss. Hier ist es so, wie in einem Verein: die Steuern sind mehr oder weniger der Mitgliedsbeitrag für die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verband."
Sprecherin:
Gemeint ist der Staat, der in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsunternehmer Fiskus genannt wird. Die Staatskasse heißt die öffentliche Hand. Die Finanzämter bilden gleichsam deren Finger. Der Fiskus hat eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen. Dazu gehören beispielsweise der Straßenbau, das Bildungswesen, der Umweltschutz, alles Angelegenheiten der öffentlichen Hand, die Geld, viel Geld – manche sagen zu viel Geld – erfordern. Dennoch ist jedem Einsichtigen klar, dass es ohne Steuern nicht geht. Freilich hört man, dass inzwischen auch die Gutwilligen immer öfter an der Steuergerechtigkeit zweifeln. Was macht da der Steuerberater? Stellt er sich auf die Seite des Staates oder auf die seines Mandanten?
Rolf Stratmann:
"Wie die Anwälte sind wir mit Organe der Rechtspflege. Unsere Aufgabe ist es, dem Steuergesetz zur Wirksamkeit zu verhelfen. Das bedeutet, dass bei dem Steuerchaos, was wir augenblicklich vorfinden, unser Rat nicht nur erwünscht, sondern dringend erforderlich ist."
Sprecherin:
Das angesprochene Steuerchaos hat mehrere Gründe: die Steuergesetze sind vielfach zu kompliziert, die Finanzbeamten überfordert, die Bürger verunsichert, zumal dann, wenn sie sich keinen Steuerberater leisten können. Viele trifft der Steuerbescheid wie ein Blitz und häufig genug muss der Steuerberater den Blitzableiter spielen und den ersten Zorn seiner geladenen, das heißt wütenden, Mandanten auffangen. Es gibt heute nicht wenige Bürger – und es sind nicht immer die Dümmsten –, die gegen alle Vernunft eine Abschaffung zumindest der direkten Steuern fordern. Woran liegt das?
Rolf Stratmann:
"Nun, das hängt damit zusammen, dass Transparenz immer weniger vermittelt werden kann. Es muss also dem Bürger vermittelt werden, dass mit seinen Steuern sinnvoll, sparsam, effizient umgegangen wird. Wenn das nicht der Fall ist, ja, dann stellt sich ein Steuerfrust ein. Das ist das eine. Hinzu kommt, dass dann, wenn die Steuerbelastung aus der Sicht des Bürgers unangemessen wird, nicht nur der Frust, sondern auch die Steuerumgehungsmentalität zunimmt."
Sprecher:
Jeder Ausländer, der Deutsch lernt, begegnet in seinen Lehrbüchern irgendwann einmal dem Wort Donaudampfschifffahrtskapitän. Das Wort hat acht Silben und galt bis vor wenigen Sekunden als das längste in der überaus zusammensetzungsfreudigen deutschen Sprache. Diesen Rekord hat unser Gewährsmann soeben gebrochen mit dem Neunsilber Steuerumgehungsmentalität. Darüber hinaus bietet die Neuprägung ein klassisches Beispiel von Euphemismus. Als Euphemismen oder Hüllwörter bezeichnet man Sprachschöpfungen, die den eigentlich gemeinten Tatbestand geschickt verkleiden, eben verhüllen. Ein beliebtes Hüllwort ist das Adjektiv vollschlank für dick und nunmehr kommt auch noch die Steuerumgehungsmentalität hinzu.
Sprecherin:
Was deckt dieser Begriff nicht alles ab? Von der Steuerhinterziehung bis zur Steuerflucht lassen sich leicht 100 Verstöße gegen alle möglichen Paragrafen des Steuerrechts dahinter vermuten. In der Schattenzone unseres Hüllworts bewegt sich auch die weit verbreitete Neigung, Reise- und Bewirtungskosten – also die so genannten Spesen – für die Steuererklärung gefällig zu frisieren, will sagen in die Höhe zu treiben. Außer Spesen nichts gewesen reimt eine gängige deutsche Redensart. Unser Steuerberater klärt sie, macht sich seinen eigenen Vers darauf.
Rolf Stratmann:
"Außer Spesen nichts gewesen besagt, dass in vielen Fällen vom Spesenrecht etwas sehr großzügig Gebrauch gemacht wird. Der so genannte Spesenritter ist aus meiner Sicht derjenige, der die steuerlichen Möglichkeiten überzieht und vielleicht nur deswegen Kosten macht, weil er meint, sie steuerlich absetzen zu können."
Sprecher:
Der Spitzname Spesenritter wurde Mitte der 50er Jahre zunächst auf die motorisierten Handelsvertreter gemünzt, die wie einst die Ritter mit viel PS, also Pferdestärken, durch die Lande brausten, für zehn Mark aßen, aber 100 Mark aufschreiben ließen. Diesen Rechnungsbetrag verbuchten sie in ihrer Steuererklärung auf der Kosten-, also der Minusseite, und minderten so ihre Abgabenlast. Absetzen nennt man diese Operation im Steuerjargon. Nun ist im Deutschen das Verbum absetzen mehrdeutig. Man kann einen Manager, einen leitenden Beamten, absetzen, das heißt seines Postens entheben. Man kann aber auch ein altes Auto, alte Bücher, alte Kleider und so weiter absetzen, das heißt billig, aber noch halbwegs Gewinn bringend verkaufen. Von dieser Mehrdeutigkeit profitiert ein alt bewährter Steuerwitz, an den sich Rolf Stratmann erinnert.
Rolf Stratmann:
"Da kommt der Steuerpflichtige zum Finanzamt und hat also im Sinn, dass seine Frau, die im Geschäft mitarbeitet, sich für ihn auch Steuer entlastend auswirken sollte. Dann fragt er den Veranlagungsbeamten 'Können Sie mir denn nicht sagen, wie ich jetzt meine Frau absetzen kann?'."
Sprecherin:
Ein typischer Machowitz, der dem schwierigen Problem steuerlich absetzbarer Ausgaben keineswegs gerecht wird. Sprechen wir über etwas anderes. Etwa über das Strumpfgeld. Woher kommt der Begriff und was will er sagen?
Rolf Stratmann:
"Meines Wissens ist unter Strumpfgeld Geld zu verstehen, das geschichtlich gesehen in bäuerlichen Familien sehr häufig vorkam, nech wahr, das Geld, was die Bäuerin durch den Erlös von Eiern und Gemüse erzielte. Das stand ihr zu und das wurde im Strumpf unter der Bettdecke – oder wo auch immer – verwahrt. Strumpfgeld kann auch die kleine separate Haushaltskasse der gnädigen Frau sein. Es kann aber auch Schwarzgeld bedeuten."
Sprecher:
Grammatisch betrachtet ist Schwarzgeld ein schlichtes Kompositum, das aus dem Grundwort Geld und dem Bestimmungswort schwarz besteht. Dieses Bestimmungswort jedoch hat es in sich. Denn dem an sich wertfreien Farbadjektiv schwarz gelingt es in Wortzusammensetzungen immer wieder, das ursprünglich harmlose Grundwort als kriminell zu denunzieren. Schwarzfahrer beispielsweise benutzen öffentliche Verkehrsmittel ohne eine Fahrkarte zu lösen. Schwarzhörer schätzen zwar das Radio, hassen aber die Rundfunkgebühren. Schwarzarbeiter schließlich übernehmen gern jeden Job, aber stets nur ohne Steuerkarte. So kommen sie an Schwarzgeld – an eine Entlohnung, von der die Steuer nichts erfährt. Doch das sind Kleinigkeiten, kleine Fische wie man sagt. Denn eigentlich wissen nur Millionäre den Besitz von Schwarzgeld zu schätzen. So sah das der deutsche Satiriker Kurt Tucholsky. Was aber sagt unser Steuerberater dazu?
Rolf Stratmann:
"Schwarzgeld ist für viele Mandanten auf Dauer auch etwas Bedrückendes, ja und ich glaube sagen zu können, dass in nicht wenigen Fällen die Mandanten nach einiger Zeit erleichtert wie aus der Beichte gehen, wenn sie von ihrem Steuerberater aufgeklärt worden sind über die Konsequenzen des Vorbeischleusens von Schwarzgeld am Vater Staat; oder aber über die Nicht-Deklaration von steuerpflichtigen Vorgängen."
Sprecher:
Vater Staat ist eine gängige Personifikation. Sie klingt liebevoll, hat aber heute einen durchweg sarkastischen Unterton. Kein Wunder, wenn man bedenkt, mit welchen Folterwerkzeugen dieser Vater seinen Bürgern auf den Leib rückt. Zum Beispiel mit der redensartlichen Steuerschraube. Was ist das eigentlich?
Rolf Stratmann:
"Die Steuerschraube ist die zunehmende Belastung des Bürgers mit Steuern, Abgaben oder sonstigen Belastungen seitens der öffentlichen Hand, und wenn diese Steuerschraube den Druck immer mehr verstärkt, dann versuchen immer mehr Bürger diesem Druck auszuweichen."
Sprecherin:
Nun ist es nicht immer der Fiskus, der dem Bürger etwas wegnimmt. Häufig schädigen sich die Steuerzahler auch selbst. So wenn sie keine Steuererklärung abgeben.
Rolf Stratmann:
"Wenn keine Steuererklärung abgegeben wird, dann bin ich ganz sicher, hat der Bürger keinen Rat eingeholt. Und da bin ich auch ganz sicher: da geht ihm in vielen Fällen etwas flöten."
Sprecher:
Wenn etwas flöten geht, dann geht einem etwas verloren. Die Redensart wirkt so musikalisch, dass man gleich an Beethovens Rondo "Die Wut über den verlorenen Groschen" denkt. Doch weit gefehlt: Frau Musica hat mit flöten gehen nichts zu tun. Hinter der Wendung steckt vielmehr das jiddisch-hebräische Wort Pleite – ein Synonym von Reinfall, Bankrott und Fiasko.
Sprecherin:
Was jenen Bürgern flöten geht, die ihre Steuererklärung einzureichen versäumen, ist die Steuerrückerstattung, das heißt der Betrag, der sich bei genauer Abrechnung zu Gunsten des Steuerzahlers ergibt. Freilich sind derlei Einbußen ein Klacks, ein Nichts gegenüber den Vermögensverlusten, die sich nicht selten aus anfallender Erbschaftssteuer ergeben.
Rolf Stratmann:
"Das ist diese Uralt-Geschichte, die da heißt, es soll vorkommen, dass Nachkommen mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen."
Sprecher:
Da serviert uns zum guten Schluss unser Steuerberater auch noch eine figura etymologica. So nennen die Sprachwissenschaftler ein Satzgebilde, in dem möglichst viele Wörter ein einziges Stammwort umspielen. Hier lautet das Stammwort kommen. Natürlich handelt es sich hier um einen – übrigens altbekannten – Wortwitz. In Wirklichkeit würde man schon aus stilistischen Gründen versuchen, eine solche Stammworthäufung zu vermeiden.
Musik:
Beethoven: Rondo a capriccio "Die Wut über den verlorenen Groschen"
Fragen zum Text
Die öffentliche Hand übernimmt …
1. die Reparatur des Wasserhahns in einem Mietshaus.
2. den Bau von Privatwegen.
3. die Pflege städtischer Parkanlagen.
Hat jemand Geld unterschlagen, dann …
1. setzt er sich ins Ausland ab.
2. gibt er die unterschlagene Summe in der Steuererklärung an.
3. geht ihm Einiges flöten.
Eine Steuererklärung sollte gemacht werden, um …
1. Vater Staat Geld zu schenken.
2. eventuell Geld vom Fiskus zurückzubekommen.
3. Erbschaftssteuer zu kassieren.
Arbeitsauftrag
Erklären Sie zunächst, was der Witz und die figura etymologica, die Herr Stratmann verwendet hat, bedeuten. Bilden Sie anschließend ähnliche Sätze mit anderen Wörtern, die ein Stammwort umspielen.
Autor: Franz Josef Michels
Redaktion: Beatrice Warken