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Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr

Sie war Pionierin auf dem Gebiet: die MH Hannover. Wer sich für den wissenschaftlichen Bereich interessiert, kann dort ein Jahr lang praktische Erfahrungen sammeln. Das FWJ leistet Entscheidungshilfe.

In Deutschland fehlt der Nachwuchs in den MINT-Berufen. Um mehr junge Leute für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu interessieren, startete die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) im Jahr 2011 auf Projektbasis ein „Freiwilliges Wissenschaftliches Jahr“, kurz FWJ. Später folgten andere Hochschulen wie zum Beispiel die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Allerdings gibt es das Angebot noch nicht in allen Bundesländern. Analog zum „Freiwilligen Sozialen Jahr“ soll Abiturientinnen und Abiturienten vor Beginn eines Studiums die Möglichkeit gegeben werden, sich in bestimmten Bereichen, die sie interessieren, ausprobieren zu können. Auch Corinna nahm das Angebot der MHH wahr und lernte viel Praktisches, etwa wie Blutproben aufgearbeitet werden. Sie erfuhr aber auch, was es bedeutet, selbstständig zu arbeiten:

„Also hauptsächlich koordiniere ich hier meine eigene Studie. Und Ziel der Studie ist es, anhand von Atemluftproben später Krankheiten diagnostizieren zu können, und da zu so ’ner Studie gehören halt viele Tätigkeiten. Man muss die Probanden erst mal rekrutieren. Wenn sie dann da sind, müssen verschiedene Voruntersuchungen gemacht werden, die wir teilweise übernehmen dürfen, und [wir] müssen hinterher die Akten anfertigen. Das ist so die Hauptaufgabe, die wir hier haben.“

Für ihre eigene Studie brauchte Corinna Probanden, Personen, die bereit waren, sich für Testversuche zur Verfügung zu stellen. Diese musste sie erst einmal anwerben, rekrutieren. Naturwissenschaften waren schon immer Corinnas Steckenpferd. Ihr Abitur machte sie in Physik, Mathe und Chemie. Doch nach der Schule brauchte sie eine Orientierungsphase. Sie wollte wissen, in welche Richtung es danach genau gehen sollte. Deshalb entschied sie sich für das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr. Ihre Zukunft nach Beendigung des einjährigen Praktikums sah sie dann klarer vor sich:

„Ich hab viele verschiedene Leute befragen können über ihren Beruf, was für Aufgaben dazugehören, wie man erst mal es schafft, den Beruf auszuüben, was alles dazugehört. Und ich weiß jetzt auf jeden Fall, dass ich in den Naturwissenschaften bleiben möchte.“

Das Interesse am Freiwilligen Wissenschaftlichen Jahr ist groß. Jedes Jahr bewerben sich hunderte Schulabsolventen aus dem gesamten Bundesgebiet um einen der 80 Plätze. An dem Projekt beteiligen sich neben der Medizinischen Hochschule und dem Fraunhofer Institut etwa auch die Tierärztliche Hochschule oder das Laser Zentrum in Hannover. Wer einen der begehrten Plätze erhält, verdient monatlich 400 Euro und ist sozial- und krankenversichert. Und wer beispielsweise Medizin studieren möchte, kann sichergehen, dass ihm das eine Jahr auf seine mögliche Wartezeit für einen Studienplatz angerechnet wird.

Das Jahr soll angehenden Studierenden aber auch einen Einblick in die Forschung und Wissenschaft geben, der so bisher nicht möglich war, und ihnen damit auch falsche Vorstellungen nehmen, sagt die Leiterin des Büros für die Freiwilligendienste der Medizinischen Hochschule Hannover, Nadine Dunker:

„Die Faszination für diese naturwissenschaftlichen Sachen oder Phänomene lassen sich dann halt auch manchmal schlecht vereinen mit den Vorstellungen, die man hat, wie man arbeiten möchte.“

Denn die Arbeit in der Forschung ist stressig. Das Privatleben kann gerade in den Zeiten, in denen Experimente und Versuche anstehen, zu kurz kommen. Das sollten die künftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen. Das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr soll aber nicht nur die Zahl der Studienabbrecher reduzieren, sondern auch gleichzeitig die Teilnehmer für die Wissenschaft begeistern und damit dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Doch nicht jeder, der das Jahr absolviert, entscheidet sich nach Nadine Dunkers Erfahrung am Ende auch für ein naturwissenschaftliches, forschungsorientiertes Studium:

„Ich denke, dass ist so fifty-fifty. Also, alle würden das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr weiterempfehlen. Die Hälfte sagt aber: ‚Also jetzt konnte ich feststellen, dass es nicht das ist, was ich machen möchte, und dafür war es halt gut, das herauszufinden, sonst hätte ich es studiert und hätte es erst hinterher herausgefunden. Und die anderen finden sich halt bestätigt in dem, was sie halt vorher machen wollten.“

Die Zahl derjenigen, die sich dann nach dem einen Jahr für oder gegen ein naturwissenschaftliches Studium entscheidet, hält sich die Waage. Es ist etwa Hälfte-Hälfte, fifty-fifty. Auch Janne hat das Jahr an der Medizinischen Hochschule genutzt, um sich auszuprobieren und zu orientieren. Sie hat sich gegen ein naturwissenschaftliches Studium entschieden und will erst einmal eine Ausbildung zur Diätassistentin machen, nicht ohne Grund, wie sie sagt:

„Ja, erst mal [hat man] diese Ausbildung als Grundlage und dann hat man auch immer so ’n sicheres Standbein. Hier in der Wissenschaft ist es halt gar nicht so. Also, es gibt immer befristete Verträge für zwei Jahre oder so, und man ist immer auf Gelder der Hochschule angewiesen – und die sind momentan ja auch nicht gerade schuldenfrei – und sonst halt auf Drittmittel. Und ja, es ist halt immer Konkurrenzdruck.“

Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet für Janne eine fehlende Sicherheit und dass sie mit anderen um die wenigen vorhandenen Forschungsplätze konkurrieren muss. Denn Hochschulen in Deutschland sind in der Regel davon abhängig, dass sie für Forschungsprojekte Geld erhalten, weil sie kaum eigene Finanzmittel haben. Gegebenenfalls sind das sogar Drittmittel, also Gelder, die Hochschulen oder andere öffentliche Einrichtungen zum Beispiel von Stiftungen oder aus der Wirtschaft erhalten. Wegen dieser unsicheren Situation suchte sich Janne ein sicheres Standbein, etwas, das ihr eine gesicherte Existenz ermöglicht. Und das war eben eine Ausbildung. Dass sie das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr absolviert hat, bereut Janne aber trotzdem nicht:

„Ich hab auf gar keinen Fall meine Zeit verschwendet und ich hab ja jetzt halt ’ne Orientierung, und ich freu mich jetzt auf das, was danach kommt und weiß, dass ich später nicht sagen werde: ‚Wär’ ich mal in die Forschung gegangen‘, weil ich jetzt ja weiß, wie es ist, und weiß, dass ich meine Entscheidungen auch begründen kann.“

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