Deutsch lernen, politisch korrekt
Richtet ein Autor sein Vorwort an alle „Leser“ oder besser an alle „Leserinnen und Leser“, „LeserInnen“ oder „Leser_innen“? Kann sich eine Assistentenstelle an einer Universität an „behinderte Studierende“ richten oder sollte man besser von „Studierenden mit Behinderung“ sprechen? Darf ein altes deutschsprachiges Kinderbuch in seiner neuen Ausgabe das Wort „Neger“ enthalten? Schon seit Jahrhunderten gibt es im deutschsprachigen Raum Diskussionen darüber, wie man über bestimmte Gruppen von Menschen sprechen sollte. Und seitdem der Begriff der „Political Correctness“ Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland kam, wird verstärkt darüber diskutiert, wie man sprachliche Diskriminierungen vermeiden kann, ohne dabei unverständlich zu werden oder sich gar lächerlich zu machen.
Sprachlosigkeit bei Muttersprachlern
Diese Diskurse fanden anfangs vor allem in bildungsnahen Milieus statt, verbreiteten sich dann in Medienberichten und hinterlassen inzwischen auch deutliche Spuren in der Alltagskommunikation. „Wenn hellhäutige Muttersprachler über Menschen mit dunklerer Hautfarbe sprechen möchten, stocken sie in der Regel kurz, um dann pantomimisch Anführungsstriche darzustellen oder distanzierende Ausdrücke wie ‚ich sag jetzt mal schwarz‘ zu verwenden“, meint die Germanistin Corinna Lucan, die sich an der Uni Münster mit dem Thema beschäftigt.
Auch im Gespräch über Menschen, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland gekommen sind, fehlen den Muttersprachlern oft die Worte: „Ausländer“ sind viele nicht, denn sie haben oft einen deutschen Pass. Als „Migranten“ oder „Zuwanderer“ kann man sie auch nicht bezeichnen, denn sie sind meist in Deutschland geboren. Und auch der Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ ist inzwischen umstritten, weil er sperrig ist, weil auf die Jahrhunderte gesehen letztlich jeder eine Migrationsgeschichte hat und weil die Bezeichnung inzwischen vor allem mit Problemgruppen assoziiert wird.
Grammatisch oder politisch korrekt?
Einerseits handelt es sich bei der Frage der „politisch korrekten“ Benennungen also um ein schwieriges Thema, das selbst so manchen Muttersprachler um den passenden Ausdruck ringen lässt. Andererseits zeigt dies aber auch, wie gesellschaftlich relevant solche Fragen sind und dass jeder Deutschlernende ohnehin früher oder später mit ihnen konfrontiert werden wird.
Dennoch, so scheint es, spielt die Frage nach einem nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch im Deutsch-als-Fremdsprache (DaF)-Unterricht bisher noch fast keine Rolle: Während die grammatische Korrektheit gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert ist, wird die politische Korrektheit von vielen als Eingriff in die Meinungsfreiheit verstanden. Das erklärt zum Teil, warum die Diskussionen um einen „politisch korrekten“ Sprachgebrauch bisher auch nur zögerlich Eingang in Wörterbücher und Lehrwerke finden. „In Dudens ‚Deutschem Universalwörterbuch‘ werden seit der 6. Auflage aus dem Jahr 2006 immerhin Begriffe wie ‚Neger‘ oder ‚Negerkuss‘, ‚Zigeuner‘ oder ‚Zigeunerschnitzel‘, ‚Ausländer‘ oder ‚Asylant‘ als problematisch gekennzeichnet“, sagt Sabine Elsner-Petri, die sich in ihrer Dissertation mit dem Thema beschäftigt hat. Doch es würden meist nur Bezeichnungen aufgegriffen, die in der mediengeführten Debatte eine zentrale Rolle spielen – während beispielsweise Wörter aus den Themenbereichen Alter oder Behinderung kaum in den Fokus geraten.
Vom Zeitungsartikel bis zur Stellenausschreibung – Materialien für den Unterricht
Lucan, deren DaF-Studierende Lehrwerke in Hinblick auf die Thematik untersucht haben, kommt zu einem ähnlichen Urteil: Es gebe Einheiten zu Höflichkeit und Sprachtabus und möglicherweise setze sich auch das eine oder andere Lehrwerk hier und da mit diskriminierendem Sprachgebrauch auseinander. Ein durchgängiges Prinzip sei das aber nicht: „Vielmehr habe ich den Eindruck, dass viele DaF-Lehrwerke noch Spuren von einem Nationalkulturkonzept aufweisen: Da geht es um den durchschnittlichen deutschen Muttersprachler, der nicht in die Verlegenheit gerät, ‚Zigeuner‘ oder ‚Neger‘ genannt zu werden.“
Dennoch gibt es eine Vielzahl an Materialien rund um den nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch, auf die DaF-Lehrer im Unterricht zurückgreifen können: Dazu zählen Medienberichte und andere authentische Texte wie Jobausschreibungen, in denen sogenannte gendergerechte Schreibweisen die Regel sind, aber auch Empfehlungen oder Leitfäden, die von Institutionen und Organisationen herausgegeben werden.
Nicht Wörter verbieten, sondern Sensoren entwickeln
Einerseits müssen DaF-Lehrkräfte ihre Kursteilnehmer natürlich mit sprachlichen Konventionen vertraut machen: „Es ist eines der pragmatischen Lernziele des DaF-Unterrichts, dass Lerner sich angemessen, das heißt ohne unangenehme Folgen, unter Muttersprachlern verhalten können“, meint Lucan. Gleichzeitig solle der Unterricht aber nicht allein auf eine Belehrung darüber hinauslaufen, welche Begriffe benutzt werden dürfen und welche nicht: Denn was heute noch als höflich wahrgenommen wird, kann morgen schon unangemessen wirken.
DaF-Lehrkräfte sollten ihre Lernenden also für das Thema sensibilisieren und ihnen Strategien an die Hand geben, mit denen sie im Kontext die Signale ihres Gegenübers erkennen und auf sie reagieren können: „Es geht nicht darum, dass die Lernenden alle Fettnäpfchen umschiffen können, sondern dass sie Regelverstöße und Grenzüberschreitungen wahrnehmen und mit Muttersprachlern darüber verhandeln können. Solche Strategien brauchen sie immer, wenn sie an die Grenzen ihrer Kompetenzen stoßen, auch wenn ihnen zum Beispiel die Wörter fehlen, wenn sie eine grammatische Konstruktion nicht durchschauen oder wenn sie merken, dass sie nicht verstanden werden“, meint Lucan.
Mut zum kreativen Umgang mit Sprache
Je nach Lernziel und Zusammensetzung der Gruppe bietet das Thema darüber hinaus auch Potential für einen reflektierenden und kreativen Umgang mit der deutschen Sprache: Man kann zum Beispiel einen Begriff wie „Behinderung“ unter die Lupe nehmen und sich die Frage stellen, ob Menschen behindert sind oder ob sie durch gesellschaftliche Kontexte behindert werden. Oder man kann Vergleiche zu den Muttersprachen und Herkunftsländern der Lerner anstellen – in Sprachen wie Finnisch oder Ungarisch zum Beispiel gibt es überhaupt kein sprachliches Geschlecht, das etwa durch Pronomen zum Ausdruck gebracht wird. Und Diskurse rund um den „politisch korrekten Sprachgebrauch“ kennt man auch in vielen anderen westlichen Ländern. Auf dieser Basis kann man sich dann gemeinsam mit den Lernenden durchaus auf die Suche nach sprachlichen Alternativen begeben. Ob die Lerner diese im wirklichen Leben verwenden möchten, das ist dann natürlich ihre Entscheidung.