Deutschland: Auf der Suche nach internationalen Fachkräften
In vielen Bereichen fehlen in Deutschland Fachkräfte, zum Beispiel in der Pflege, im Handwerk und im IT-Bereich. Doch um dauerhaft Fachkräfte aus dem EU-Ausland zu gewinnen, muss sich erst einiges ändern.
Deutschland gehen die Fachkräfte aus, das bekannteste Beispiel für diese Entwicklung ist wohl die Alten- und Krankenpflege. Aber auch in anderen Branchen gibt es immer größere Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen, etwa in sozialen Berufen, in der Bildung, im Handwerk, bei Metall- und Elektroberufen und im IT-Bereich.
Laut dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, einem Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums, konnten 2022 in Deutschland rein rechnerisch 632.488 offene Stellen nicht mit passend qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden. Diese sogenannte Fachkräftelücke ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden.
In der Politik weiß man seit Jahren, dass Deutschland deshalb verstärkt auf Fachkräfte aus dem Ausland setzen muss. Und dass das Land offener und attraktiver für Einwanderinnen und Einwanderer werden muss, unter anderem durch den Abbau bürokratischer Hürden.
Politik hofft auf schnelle Erfolge
Während zuvor trotzdem nicht viel geschah, will die Ampel-Koalition nun Tempo machen. Vor allem ein weiterentwickeltes Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Ländern außerhalb der Europäischen Union erleichtern. Über den Gesetzentwurf wird derzeit noch beraten.
Auch auf ein neues Staatsbürgerschaftsrecht hat sich die Bundesregierung in Grundzügen geeinigt. Einbürgerungen sollen demnach künftig nach fünf statt acht Jahren möglich sein, in manchen Fällen bereits nach drei Jahren. Dafür soll auch nicht mehr, wie bislang, die bisherige Staatsangehörigkeit aufgegeben werden müssen.
Priyanka Mane begrüßt, dass Politiker und Unternehmen sich beim Anwerben ausländischer Fachkräfte verbessern wollen. Mane kam 2016 selbst von Indien nach Deutschland, absolvierte in Nürnberg einen Master in Wirtschaftsinformatik und schaffte dann den Einstieg in die Arbeitswelt. Heute arbeitet sie als IT-Product-Managerin bei einem Autokonzern.
Doch Priyanka Manes Geschichte ist eher ein Einzelfall, ihren Erfolg verdankt sie vor allem dem eigenen Ehrgeiz. „Es gab damals kaum Informationen, etwa dass das Studium kostenlos ist, dass die Work-Life-Balance hier gut ist.“ Weil es für sie selbst so schwierig war, begann sie irgendwann, andere auf Social Media darüber zu informieren, welche Möglichkeiten es gibt, wie man die richtigen Websites findet, wie Bewerbungsprozesse in Deutschland funktionieren.
Jobbeschreibungen nur auf Deutsch
Der 29-Jährigen folgen mittlerweile über 160.000 Instagram-Nutzende, das Coaching von Einwanderungswilligen vor allem aus Indien, aber auch aus afrikanischen Ländern oder etwa den Philippinen ist zu ihrem Nebenberuf geworden.
Mane füllt eine Lücke, denn viele Informationensind für Menschen im Ausland nicht so leicht verfügbar: Etwa wie gefragt der eigene Beruf in Deutschland ist, wie die Bezahlung, wie ein Lebenslauf für deutsche Arbeitgeber konzipiert sein sollte oder welche Abschlüsse anerkannt werden.
Die Liste ist lang – und in einigen Bereichen könnten mit vergleichsweise wenig Aufwand große Verbesserungen erzielt werden. „Jobbeschreibungen im Internet sind oft nur in deutscher Sprache, selbst wenn die Arbeitssprache später dann eigentlich Englisch ist“, sagt Mane. Auch die essenzielle Frage, ob ein Unternehmen sich um ein Visum und um die Wohnungssuche kümmere, werde oft nicht eindeutig beantwortet.
Abschreckende Bürokratie
Das Visum ist ohnehin – neben dem Spracherwerb und der Anerkennung von Abschlüssen – eine der größten Hürden für Fachkräfte aus dem EU-Ausland. Der Prozess ist kompliziert und langwierig, was abschreckend sowohl für die Fachkräfte als auch für die Unternehmen sein kann.
Es gibt einige Projekte zur Fachkräftegewinnung in Deutschland, in deren Rahmen solche Aspekte deutlich vereinfacht sind. Eines davon ist „Handwerk bietet Zukunft“ (HabiZu): Das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt unterstützt Handwerksbetriebe bei der Rekrutierung von Arbeitnehmern aus Bosnien und Herzegowina.
Dabei soll es ausdrücklich nur um eine Einwanderung gehen, an deren Ende nicht eine Tätigkeit als Hilfskraft, sondern als Fachkraft steht. Im Rahmen von HabiZu werden für das sehr stark vom Fachkräftemangel betroffene Handwerk Erfahrungswerte gesammelt, die auch in das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz einfließen sollen.
Ralf Meier leitet das Projekt bei der durchführenden Entwicklungsorganisation „sequa“ und erklärt: „Sie haben in einem kleinen Handwerksbetrieb niemanden, der sich darum kümmern kann, in einem Drittstaat Kontakte aufzunehmen. So etwas ist natürlich für einen, sagen wir, Krankenhaus-Konzern viel einfacher.“
Wertvolle Starthilfe durch Integrationsbegleitende
„sequa“ begleitet im HabiZu-Projekt den kompletten Rekrutierungsprozess und arbeitet dafür mit der Arbeitsagentur in Bosnien und Herzegowina und mit der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland eng zusammen. Projektteilnehmenden wird noch in ihrem Heimatland ein Deutschkurs finanziert, es wird geprüft, zu welchem Anteil ihre Berufsausbildung auch in Deutschland anerkannt werden kann, und sie werden mit den Betrieben zusammengebracht.
Vor Ort in Deutschland stehen ihnen Integrationsbegleitende für Behördengänge, Wohnungssuche und vieles Weitere zur Seite. „Die Wohnungssuche etwa ist schon für Normalsterbliche schwierig“, veranschaulicht Meier. „Und für Leute, die aus dem Ausland kommen und am Anfang natürlich auch noch nicht viel verdienen, umso mehr.“
Allerdings werden mit dem baldigen Auslaufen des Pilotprojekts auch Vorzüge wie der bezahlte Deutschkurs oder die Integrationsbegleitenden wieder verschwinden. Am Ende werden wohl deutlich weniger Fachkräfte erfolgreich vermittelt werden als zu Projektbeginn im Jahr 2020 gedacht.
Meier sagt dazu: „Wir haben gelernt, dass die Fachkräfte-Einwanderung nicht so einfach funktioniert, wie viele sich das vorstellen mögen. Es sind zwar weltweit viele Menschen interessiert, eine gute Arbeit zu bekommen, und das vielleicht auch in Deutschland. Aber es gibt Schwierigkeiten an vielen Stellen, es sind oft erst mal Investitionen erforderlich.“
Auf der anderen Seite habe das Projekt wichtige Praxiserfahrungen für die Politik, für die Handwerksorganisationen und die Betriebe geliefert, auf denen man aufbauen könne. „Das Glas ist also gleichzeitig halb leer und halb voll, könnte man sagen“, so Meiers Fazit.
Ähnlich sieht es auch Priyanka Mane. Staatliche Pilotprojekte wie etwa „Hand in Hand“, das sich speziell an Menschen aus Brasilien, Indien und Vietnam richtet, seien toll – aber es müsse mehr davon geben, eine so geartete Förderung müsse flächendeckender sein. Und sie wiederholt ihren Appell an deutsche Firmen und den deutschen Staat: „Werben Sie auf Englisch um Fachkräfte, stellen sie Informationen auf Englisch zur Verfügung. Sonst erreichen Sie nie die Richtigen.“
Ines Eisele