Manuskript

Die größte Krippe der Welt

Im bayrischen Städtchen Plößberg gibt es eine ganz besondere Tradition: Viele Menschen hier fertigen selbst Krippen an. Doch sie stehen nicht bei ihnen zu Hause: In der Weihnachtszeit wird eine große gemeinsame Krippe mit mehr als 8000 handgeschnitzten Figuren aufgebaut. Manche Teile stammen aus dem 18. Jahrhundert.

RUTH GERL (Hobby-Schnitzerin):
Ja, der schönste Moment am Hobby ist, wenn ein Stückchen oder eine Figur fertig ist und sie so gelungen ist, wie ich sie mir vorgestellt habe. Und ich kann sie dann in die Krippe reinstellen und da ist dann was Neues drin.

SPRECHER:
Mehr als 8.000 Figuren, alle handgeschnitzt – so viele wie in wahrscheinlich keiner anderen Weihnachtskrippe der Welt. Im bayerischen Plößberg lassen sie die Weihnachtsgeschichte lebendig werden. Familien aus dem ganzen Ort stellen dafür ihre Sammlungen zur Verfügung. Manche Teile wurden schon im 18. Jahrhundert geschnitzt. Hubert Haubner hatte die Idee, aus den einzelnen Hauskrippen eine gemeinsame Krippe zu bauen.

HUBERT HAUBNER (Krippenwart in Plößberg):
Wir haben hier eine Krippentradition, die reicht 250 Jahre zurück. Und jetzt, ja, haben wir gesagt, die Hauskrippen sind wunderschön, zu Hause nützen sie aber nichts. Wir wollen jetzt diese Familienschätze (wollen) wir zeigen.

SPRECHER:
Plößberg in der Oberpfalz. Hier im Norden Bayerns, nahe der tschechischen Grenze, macht sich ein ganzer Ort an die Arbeit. Die Mission: die Tradition des Krippenschnitzens zu wahren. Was früher die Glasofenbauer in den ertragsarmen Wintermonaten geschnitzt haben, wird seit 1970 alle fünf Jahre im Kultursaal der Gemeinde gezeigt. Die Geburt Jesu ist die zentrale Szene jeder Weihnachtskrippe. Erstmals entstanden sind die figürlichen Darstellungen der Bibelszenen vermutlich im 13. Jahrhundert in Italien, um denjenigen die Bibel näher zu bringen, die nicht lesen konnten.

HUBERT HAUBNER:
Wenn man hier in Plößberg geboren ist, dann kommt man irgendwo mit diesem Brauchtum in Berührung. Und dann gibt es ungeheuer viele Geschichten. Da schreibt der Soldat, der in Gefangenschaft ist, zurück: „Liebes Weib, uns geht es elend, und es geht euch sicher auch nicht gut, aber verkaufe meine Krippe nicht.“ Und das zeigt eigentlich, wie die Region, wie die Menschen hier mit diesem Brauchtum, mit diesen Krippen verbunden sind.

SPRECHER:
Geschnitzt wird auch heute noch in Plößberg. Ruth Gerl hat schon mehr als 500 Krippenfiguren gefertigt – und immer wieder einen Holzblock in ein kleines Stück Weihnachtstradition verwandelt. Rund acht Stunden braucht sie für eine Figur.

RUTH GERL:
In der Winterzeit ist es (eine) schöne Ablenkung, schöne Beschäftigung, entspannend. Und es gehört einfach dazu in Plößberg, dass man schnitzt. Also, viele schnitzen halt. Und für uns gehört es halt schon von der Familie her dazu.

SPRECHER:
Für ihren Vater war die Holzschnitzerei gleichzeitig auch der Beruf. Von ihm hat sie mehrere Hundert Figuren und die Werkstatt übernommen. Schließlich konnte sie auch ihren Ehemann mit ihrem Hobby begeistern.

HARALD GERL (Finanzbeamter und Hobby-Krippenbauer):
Das Faszinierende ist, dass es viele Plößberger Einwohner, Bewohner gibt, die also selber noch eine Hauskrippe haben, so, denke ich mal, so zwischen 30 und 40. Und das ist schon immer bei uns Tradition, und wir wollen das natürlich beibehalten und auch für die Zukunft weiter vorantreiben, damit es nicht stehen bleibt und nicht einschläft.

SPRECHER:
Die Plößberger Krippenschau spiegelt auch aktuelle Themen wider: Wölfe, die in der Oberpfalz wieder heimisch werden, die Fußball-Weltmeisterschaft und die Corona-Impfung, wie sie die Gesellschaft wie einen Holzscheit spaltet.

HUBERT HAUBNER:
Das ist wie zehn Weihnachten auf einmal, wenn man das alles zusammengefügt sieht und wie sich das harmoniert und ja, die Leute auch begeistert sind, auch wenn sie erst eher skeptisch waren. Aber das ist eine Freude. Man kann es… man kann es mit Worten nicht beschreiben.

SPRECHER:
Nach der Weihnachtszeit ist vor der Weihnachtszeit. Dann wandern die Krippenfiguren zurück in die Keller und auf die Dachböden der Plößberger Familien, um im nächsten Jahr die Weihnachtsgeschichte aufs Neue lebendig werden zu lassen.