Die Sprache der Politiker
Es gilt als Kunst: viel zu sagen, ohne viel zu sagen. Besonders in der Politik sind sie zuhause, die Floskeln, Worthülsen, wolkigen Phrasen. Um die Wahrheit wird herumgeredet – besonders gern vor und nach Wahlen.
Böse Zungen behaupten, in der Politik gäbe es immer viel zu versprechen und das Versprochene so zu formulieren, dass man immer noch das Gegenteil davon tun kann, ohne als Lügner entlarvt zu werden. Hieß es im Alten Testament noch „Deine Worte seien Ja-Ja oder Nein-Nein“, so gilt in der Mediendemokratie das „Sowohl-als-auch“. Denn man will die Menschen, vor allem die Wählerinnen und Wähler*, nicht vergraulen. Daher wird gern auf bewährte watteweiche Formulierungen, Worthülsen und höchst nichtssagende, wolkige Floskeln zurückgegriffen:
„Ich denke, wir müssen die Diskussion versachlichen. / Da müssen wir mal überlegen, da müssen wir mal gemeinsam nachdenken, da muss mal überlegt werden, in welche Richtung könnte es gehen.“
Eine andere Methode, dafür zu sorgen, dass kaum jemand versteht, was gesagt werden soll, ist eine Art Politikerfachsprache, eine Kauderwelsch-Parade abgehobener Sätze. Ein Beispiel:
„Und eine Zurückdrängung des zu hypertroph gewordenen Anteils kollektiver Systeme.“
Um diesen rhetorischen Eiertanz zu übersetzen, bedürfte es eigentlich eines schon erfahrenen Simultandolmetschers. Ausgedrückt werden sollte, dass das deutsche Sozialsystem zu teuer und ein Abbau der Sozialleistungen notwendig sei. Im Gegenzug solle jedermann wieder mehr für sich selbst sorgen. Weil das aber nicht direkt so formuliert werden kann, um den Wähler nicht zu verprellen, versteckt sich der Redner hinter einem aufgeblähten, von Fremdworten durchzogenen Stil, den nur Eingeweihte verstehen. „Hypertrophie“ beispielsweise kommt aus dem Griechischen und bezeichnet „übermäßige Vergrößerung“ oder „Wucherung“. Im speziellen Fall eben die übermäßige Ausweitung des sozialen Sicherungssystems, wie Rente, Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Krankenkasse. Kollektive Systeme sind eben diese genannten Bereiche.
Zur Hochform ihrer Rhetorik laufen Politiker regelmäßig bei Parteitagen, in Parlamentsreden oder vor und nach Wahlen auf. Parteitage beispielsweise sind immer auch Tage der großen Floskelparaden. Den Delegierten soll Kampf- und Handlungsbereitschaft demonstriert werden. In den seltensten Fällen geht es dabei sprachlich um einen konkreten Inhalt. Ein Beispiel:
„Die Entwicklung ist weit vorangeschritten. Aber, liebe Freunde, die Gesamtaufgabe ist noch lange nicht beendet. Wir müssen noch hart, konzentriert an diesen Aufgaben weiterarbeiten.“
Der Begriff „Entwicklung“ wuchert in der Sprache der Politik, weil er entlastet, wegschiebt. Mit dem Satz: „Die Entwicklung ist weit vorangeschritten“ soll das Gefühl erzeugt werden, es gehe beständig bergauf. Der Begriff bezeichnete ursprünglich mal das mechanische Auswickeln einer Schriftrolle oder eines Pakets. Heute bedeutet er fast gar nichts mehr – und deshalb alles. „Hart und konzentriert an einer Aufgabe arbeiten“ und die Größe der Aufgabe dabei mitbedenken: das ist eine Phrase, die Bescheidenheit ausdrückt, wo keine angebracht ist. Denn wir Wähler haben ja immer gehofft, dass sich unsere Politiker wenigstens anstrengen.
Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen nennt Wörter wie „Entwicklung“, „Struktur“, „Lage“, „Konzept“ und „Integration“ „Plastikwörter“, weil sie an die Plastik-Legosteine im Kinderzimmer erinnern. Sie passen alle zusammen, sind für alle Altersstufen geeignet – und vor allem lassen sie sich beliebig kombinieren. Diese Wörter haben den Anschein von Wissenschaftlichkeit und bringen andere zum Schweigen. Aber eigentlich geht es zu wie beim Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen: Wer den Mut hat, diese Plastikwörter zu durchschauen, der merkt, dass der Redner ja – so wie der Kaiser in dem Märchen – nackt ist, sprich: Er sagt nichts. Etwas anders verhält es sich mit einem auch bei Politikern beliebten Begriff, dem Signal:
„Damit wird zugleich deutlich gemacht, dass wir die Bildung dieses Regierungsteams nicht nur als ein Signal dafür verstehen, dass die SPD geschlossen und einig den Regierungswechsel anstrebt, sondern dass das Angebot an alle Bürgerinnen und Bürger auch die Integration verschiedener Erfahrungen, verschiedener Kenntnisse ermöglicht.“
Wer Bereitschaft, Zustimmung oder Ablehnung äußern möchte, bedient sich bevorzugt des Begriffs „Signal“. „Signal“ ist ein Zeichen, das etwas mitteilt. Man „sendet Signale aus“, statt wirklich zu sagen, was man will. Das Signal teilt mit, nicht man selbst.
Bei der Analyse der Politikersprache darf die Zeit vor und nach Wahlen nicht fehlen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Erhard Eppler bemerkte einmal: „Die Freiheit zu schweigen, ist Teil der Redefreiheit“ – eine Empfehlung, an die sich kein Politiker im Wahlkampf hält. Die Kandidaten der Parteien begeben sich in die Wortschlacht und versuchen, auf dem Feld der allgemeinen Geschwätzigkeit Punkte zu sammeln. Besonders augenfällig ist das am Wahlabend, der von den Fernsehanstalten mittlerweile so inszeniert wird, als ob es sich um Fußballweltmeisterschaftsspiele handelt. Es müssen Sieger und Verlierer präsentiert werden, Sieg und Niederlage schnell analysiert werden. Das kann kein Politiker leisten. Weil das aber kaum jemand zugibt, bemühen die Politprofis oft drei Strategien: den Wählern danken und „ihre Entscheidung respektieren“; die Niederlage in einen Sieg reden und einen Sieg, selbst wenn er nur minimal ist, als gutes Zeichen deuten:
„Und vor allem auch bei unseren Wählern hab ich mich zu bedanken. / Also wie müssen das Ergebnis und die Entscheidung der Wähler respektieren. Das tun wir auch. / Das ist ein Schlag ins Kontor. Die CDU erneut auf der Verliererstrecke und zwar saftig. / Beschönigen können wir hier überhaupt nichts. Wir haben fünf Prozentpunkte verloren, Plus-Minus, aber wir hatten anzusetzen bei einem ganz, ganz niedrigen Wert.“
Und wenn die letzte Wortschlacht geschlagen, die vorerst letzte Wahl entschieden ist, was dann? Es wird weiter geredet werden in unserer Republik. Unsere Politiker werden weiter „Signale setzen“, „hinter verschlossenen Türen“, „auf höchster Ebene“, „erste Gespräche in entspannter Atmosphäre“ führen und im Vorfeld von Koalitionsverhandlungen „unüberbrückbare Differenzen ausklammern“. Sie werden weiter in ihrer Sprache der inhaltsleeren Phrasen und nichtssagender, aber anspruchsvoll klingender Äußerungen sprechen, für die der Soziologe Niklas Lehman einen Kunstbegriff erfand: „Lingua Blablativa“.