Ein Leben als Zirkusdirektor
Mit dem Circus Roncalli schuf er einen Zirkus der besonderen Art: Bernhard Paul. Seit der ersten Vorstellung im Jahr 1976 hat sich aber manches geändert, denn auch ein Zirkusdirektor muss mit der Zeit gehen.
Es riecht ein bisschen nach dem Sägemehl der Manege, und es duftet nach Popcorn, Zuckerwatte und selbstgemachten Bonbons. Das ist Tradition im Circus Roncalli – genauso wie das Roncalli Royal Orchestra, das die Zuschauerinnen und Zuschauer vor und während der Vorstellungen musikalisch begleitet. 1975 wurde der Circus Roncalli von den beiden Österreichern Bernhard Paul und André Heller gegründet. Kurze Zeit später trennten sich beide im Streit. Ab 1980 führte Bernhard Paul den Zirkus alleine weiter, tatkräftig unterstützt von seiner Ehefrau Eliana Larible-Paul, die selbst aus einer italienischen Zirkusdynastie stammt, und einem großen Team. Mit dem Circus Roncalli verwirklichte Bernhard Paul einen Kindheitstraum, erzählt er:
„Ich hab als Fünf-, Sechsjähriger einen Wanderzirkus in Österreich gesehen, der schön war, mit guten Clowns und damals war’n noch Holzwagen. Und es war das Schlüsselerlebnis für mich. Und in meinem Kopf hat sich dieser Zirkus meiner Kindheit immer mehr verklärt und verklärt und wurde immer schöner und wurde irgendwann blattvergoldet und, und, und.“
Als kleiner Junge sah Bernhard Paul in seiner Geburtsstadt, dem österreichischen Wilhelmsburg, einen Zirkus, der dort gastierte, auftrat. Es war ein Wanderzirkus, der mit Holzwagen und spaßigen Clowns von einer Stadt in die nächste zog. Er war so fasziniert davon, dass ihn dieses Erlebnis nicht mehr losließ: Es war ein Schlüsselerlebnis. Als Paul älter wurde, verklärte sich dieses Erlebnis, es wurde in seiner Erinnerung immer schöner und schöner. Und zuletzt war es im übertragenen Sinn blattvergoldet, wie mit einer dünnen Goldschicht überzogen. Für die Realisierung seines Traums von einem eigenen Zirkus gab Bernhard Paul Mitte der 1970er Jahre eine gut bezahlte Stelle als künstlerischer Leiter in einer Werbeagentur auf. Die Holzwagen kaufte er vom Zirkus Williams und lackierte sie um. Die erste Vorstellung fand am 18. Mai 1976 auf der Bonner Hofgartenwiese statt. Und auch bei dieser Vorstellung durfte – genau wie bei allen weiteren Vorstellungen – etwas nicht fehlen, das er aus seiner Kindheit kannte:
„Für mich begann die Zirkusvorstellung, wenn die Clowns reinkamen und endete, wenn sie wieder rausgingen. Und ich wollt auch wieder gute Clowns. Und wenn man keine findet, dann muss man welche machen und so. Ja, ich hab ein Trio bilden wollen und hab nur zwei gefunden. Und dann war die Zeit zu kurz, also musste ich rein.“
Als Direktor eines Zirkus hat man ja sehr viel zu tun. So viel, dass man dem Wunsch, selbst als Clown in die Manege zu gehen, eigentlich nicht nachkommen kann. Doch eine innere Stimme flüsterte Bernhard Paul immer wieder zu: „Mach mit.“ Schließlich nahm ihm der Zeitdruck die Entscheidung ab: Er ergänzte das Duo und spielte fortan den Clown Zippo, den gemütlichen, drolligen Clown, der nicht in die moderne Zeit passen will. Mit dem Programm „Die Reise zum Regenbogen“ wurde der Zirkus in den 1980er Jahren über Nacht berühmt. Legendäre Nummern wie der Pantomime Pic, der in eine Seifenblase stieg, der Froschmensch John AK oder die akrobatischen Goldmenschen stammen aus dieser Zeit. Seit damals hat sich beim Circus Roncalli allerdings manches geändert, musste sich ändern. Doch bei aller Veränderung war Bernhard Paul eines sehr wichtig:
„Das größte Kunststück ist bei so was, sich zu verändern, aber trotzdem sich selbst treu zu bleiben. Die Leute wollen Roncalli, aber wenn ich das jetzt genauso weitermachen würde, würden sie sagen: ‚Ach, immer dasselbe.‘ Ich muss mich also verändern, muss aber erkennbar noch immer das sein. Das heißt, das hat mit den Zutaten zu tun. Das heißt, man braucht Jongleure und Akrobaten und Kunstreiter. Man braucht poetische Momente, man braucht Emotionen, man braucht Farben und Farbharmonie. Ein Schuss Exotik und ‘n bisserl von dem und von dem. Und das ist Roncalli.“
Eine besondere Herausforderung, ein Kunststück, war es, mit der Zeit zu gehen, sich den Wünschen des Publikums anzupassen, aber sich dabei selbst treu zu bleiben, also das, was den Circus Roncalli einzigartig macht, beizubehalten. Der Zirkus musste erkennbar sein, jeder sollte wissen, dass hier das geboten wird, was es nirgendwo anders gibt. Und das ist eine Mischung aus traditionellem Zirkus mit Akrobaten oder Jongleuren – Artisten, die Kunststücke mit Reifen oder Bällen aufführen – sowie ruhigen poetischen Momenten. Dazu kommt noch ein bisschen, ein Schuss, Exotik, etwas Außergewöhnliches, wie Frauen mit Punkfrisuren, die Kunststücke aufführen. Nur gefährlich wird es beim Circus Roncalli nicht. Die Artisten vollführen keinen Salto Mortale, einen besonders gefährlichen Sprung in der Artistik, der tödlich enden kann. Stattdessen mag er etwas anderes, sagt Bernhard Paul:
„Ich bevorzuge den ‚Salto Vitale‘, den ‚Sprung ins Leben‘. Also wir sind jetzt nicht ein Sensations-Nervenkitzel-Todesnähe-Programm-Zirkus. So was gibt’s ja auch. Also, ich hab’s lieber, wenn die Leute hinschauen, als dass sie wegschauen.“
Das, was seinen Zirkus nicht ausmacht, zählt Bernhard Paul in einem einzigen langen Kompositum auf: Sensations-Nervenkitzel-Todesnähe-Programm. Nervenkitzel ist das Gefühl, das bei gefährlichen Zirkusnummern entsteht, die etwas Außergewöhnliches, Sensationelles, sind und möglicherweise tödlich enden können. Spannung sowie Geschwindigkeit, neudeutsch „Speed“, bringt der Zirkusdirektor inzwischen auf andere Art und Weise ins Programm: Die verschiedenen Nummern, die einzelnen Programmbestandteile, wechseln sich viel schneller ab als früher. Das hat seinen Grund, erklärt Bernhard Paul:
„Diese Speedgeschichte hat angefangen mit den Musikvideos von MTV. Die schnellen Schnitte. Das hat natürlich die jungen Menschen geformt, dass die schneller empfinden. Das heißt, ich brauch’ für dieselbe Zeit Programm mehr Nummern wie damals, weil die ganz einfach länger waren. Also, ich muss für jeden was haben in kürzester Zeit – wie so ein opulenter Werbespot aus dem Paradies. Zack!, Zack zack! muss das passieren, Bumm! Und wie die wilde Jagd wieder weg. Und dann kommt ein einzelner Clown und macht Seifenblasen. Das ist kalt-warm.“
Wie bei einem Werbespot im Fernsehen, der viele Bestandteile enthält, opulent ist, muss auch das Programm des Circus Roncalli daherkommen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erfahren bei den Vorstellungen ein „Wechselbad der Gefühle“. Bernhard Paul spricht von kalt und warm. Nur manchmal steht der Zirkusdirektor noch selbst als Clown auf der Bühne. Das Management des gesamten Unternehmens lässt ihm kaum Zeit dafür. Mittlerweile betreibt das Team um Bernhard Paul unter anderen auch noch historische Weihnachtsmärkte oder Theaterproduktionen mit Zirkus und klassischer Musik. Denn vom Zirkus alleine kann man nicht leben. Zirkusse in Deutschland erhalten – anders als in Großbritannien, Frankreich und Italien – keine staatliche finanzielle Unterstützung. Und sie müssen, wie jeder andere Betrieb auch, Gewerbesteuern zahlen. Eine Art Vermächtnis soll das Zirkusmuseum sein, in dem alles ausgestellt wird, was Bernhard Paul über die Jahrzehnte rund um das Thema Zirkus und Varieté an Gegenständen, Kostümen, Fotos und mehr zusammengetragen hat. Und dass sein Kindheitstraum weitergeführt wird, dafür sorgt die nächste Generation: die drei Kinder Vivian, Adrian und Lili.