Ein Model spielt mit den Geschlechterrollen
Felix Nieder ist heute ein großer Name in der deutschen Modeszene. Wenn er bei einer Modenschau auftritt, zeigt er nicht nur Männermode. Für das weitgereiste Model gibt es keine geschlechterbezogenen Grenzen – weder beruflich noch privat. Mit dieser Einstellung hat er es weit gebracht. Doch der Weg zu diesem selbstbestimmten Leben war lang und schwierig.
SPRECHER:
Ein Mann, der Frauenkleidung präsentiert: Für Felix Nieder ist das selbstverständlich. Wie hier auf der Berliner Fashion Week wird er von vielen Designern als Model gebucht. Er sieht sich selbst als genderfluid.
FELIX NIEDER (Model):
Genderfluid bedeutet, wie ein Fisch durch die Geschlechter schwimmen. Ich sag immer, ich hab keine Grenzen. Ich nehm‘, was mir gefällt: männlich, weiblich. Ich trage, was ich möchte, eben auch Frauenkleidung.
SPRECHER:
Dieses Selbstbewusstsein und den Erfolg hat er sich hart erkämpft. Vom Mobbing-Opfer zu einem der erfolgreichsten Männer-Models Deutschlands – wie hat er das geschafft? Als Kind spielt Felix lieber mit Puppen. Die Jungs in seiner Klasse machen sich lustig über ihn. Mit zwölf wird ihm klar, dass er schwul ist. Aus Angst vor noch mehr Ablehnung steht er nicht dazu und spielt sich und seinem Umfeld vor, heterosexuell zu sein – mehr als zehn Jahre lang.
FELIX NIEDER:
Ich hab immer wieder mein Leben durchgespielt, hab mich mit 20 gesehen, mit 30 gesehen, hab immer wieder gesehen, wie ich von der Gesellschaft diskriminiert werde, und irgendwann hab ich gesagt: Ich glaub, ich hab ’ne Idee. Ich werd jetzt mein Schauspiel spielen ab jetzt, werd mir ’ne Maske aufsetzen, versuchen, mit tiefer Stimme zu reden, versuchen, mich den Jungs anzuschließen, vielleicht auch mal Fußball zu spielen und einfach mal zu versuchen, ein heteronormatives Leben mitzuspielen.
SPRECHER:
Über sein Doppelleben hat Felix Nieder ein Buch geschrieben. Titel: Als mein schwules Ich starb. Darin verarbeitet er seine persönliche Lebensgeschichte. Inzwischen steht er zu seiner Homosexualität. Erst mit 23 Jahren hat er sich geoutet, zuerst bei seiner Mutter. Ein sehr emotionaler Moment in seinem Leben.
FELIX NIEDER:
Ich kann mich erinnern, ich brauchte ganz viel Nähe. Und ich hab zu Mama gesagt: Obwohl ich 23 Jahre bin, darf ich einmal mich auf deinen Schoß setzen? Ich hab jetzt grad den Mut. Mama, ich stehe auf Männer. Und in dem Moment hat Mama angefangen zu weinen. Und dann hat sie gesagt: Ich wein‘, weil ich Angst habe, dass du ein Leben lang diskriminiert wirst.
SPRECHER:
Nach dem Abitur studiert Felix Jurain Hamburg. Als er als Model entdeckt wird, unterbricht er sein Studium, zieht in die USA, nach Los Angeles, und sammelt erste Erfahrungen vor der Kamera. 2022 wird ihm eine große Ehre zuteil: Bei einer Show des polnisch-deutschen Modedesigners Dawid Tomaszewski präsentiert er als Closing Modeleinen Brautrock und setzt ein starkesZeichen für Toleranz– ein Wendepunkt für seine Karriere.
FELIX NIEDER:
Dawid gehört zu den Top-5-Designern hier in Deutschland, und dadurch ist natürlich ein ganz großer Name hinter mir, der gesagt hat: Ja, ich glaube an Felix und auch an seine Idee, dass er auch Röcke tragen kann, dass er feminin auf dem Laufsteg sein kann, und das hat er supportet, und dadurch haben – wie ’n Domino-Effekt – ganz viele Designer sich dann angeschlossen.
SPRECHER:
Seitdem kann sich Felix vor Aufträgen kaum mehr retten. Er wird als Model für Männer, Frauen- und genderfluide Mode gebucht, und auch privat bedient er sich gern am gesamten Spektrum. Gegen Diskriminierung setzt sich Felix auch politisch ein. Homosexualität ist zwar in Deutschland seit 1994 nicht mehr strafbar, Vorurteile gibt es trotzdem noch. Dass niemand aufgrund seiner Sexualität benachteiligt werden darf, steht so explizit nicht im deutschen Grundgesetz.
FELIX NIEDER:
Ich möchte, dass alle gleichberechtigt sind in unserem Land, sowohl die Sexualität als auch die Identität. Und vor allen Dingen möchte ich, dass das im Land so bleibt, dass egal welche Regierung an die Macht kommt, dass das nicht geändert werden kann.
SPRECHER:
Um dies zu erreichen, trifft er sich heute im Bundestag mit der Politikerin Ricarda Lang. Sie ist Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, die aktuell ein Teil der deutschen Regierungskoalition ist. Sie befürwortet das Anliegenvon Felix. Morgens im Bundestag, abends auf dem Catwalk. Heute läuft Felix bei der Fashion Show des Berliner Labels Damur. Der aus Taiwan stammende Modedesigner Damur Huang hat schon öfter mit Felix zusammengearbeitet.
DAMUR HUANG (Modedesigner):
Felix ist definitiv ein absolut professionelles Model. Er sieht sehr gut aus, und ich finde, dass er auch sehr gut zu unserer Marke passt, die für Unisexmode und LGBTQ+-Rechte steht. Und wenn ich ein passendes Outfit habe, buche ich ihn immer gerne.
SPRECHER:
Asiatisch inspirierte Unisex-Mode, die sowohl Mann als auch Frau tragen kann – wie für Felix gemacht.
FELIX NIEDER:
Ich möchte jungen Menschen auf ‘n Weg geben, dass sie so sein sollen, wie sie sind. Man sieht es bei mir: Ich geh auf den Laufsteg auch mit Frauenkleidung. Ich sag, es gibt für mich keine Grenzen, weil ich möchte so sein, wie ich bin. Und das gilt für alle Jugendlichen, alle Kinder da draußen: Seid mutig und geht da raus! Denn das ist das Einzige, was zählt: Liebt euch selbst!
SPRECHER:
Felix Nieder hat nach seinem Outing zu sich gefunden und macht als genderfluides Model Karriere. Irgendwann will er sein Jura-Studium beenden und vielleicht sogar in die Politik gehen.