Eine gelähmte Tänzerin lässt sich nicht aufhalten
Ein Schicksalsschlag brachte Sophie Hauenherms berufliche Planung durcheinander. Mitten in der Ausbildung zur Profitänzerin erlitt die junge Frau einen Nervenschaden. Eine Operation half nicht mehr, Sophie Hauenherm kann ihre Beine seitdem nicht mehr richtig bewegen. Doch anstatt aufzugeben, ist sie an der Erfahrung gewachsen und hat ihren Traum vom Tanzen trotzdem verwirklicht.
SPRECHER:
Wenn Sophie Hauenherm tanzt, gehören Hilfsmittel wie ihre Gehhilfen meist dazu. Seit 2017 ist sie hüftabwärts teilweise gelähmt. Doch das hält die 23-Jährige nicht davon ab, ihren Traum von einer Profikarriere als Tänzerin zu verfolgen.
SOPHIE HAUENHERM (Tänzerin):
Tanzen ist für mich was, das kommt ganz tief von innen. Das ist ’ne Leidenschaft, die ich lebe, und es ist ’ne Sprache, die ich sprechen kann, ohne dass ich Worte dafür brauche.
SPRECHER:
Diese Sprache spricht sie auf Bühnen in ganz Deutschland. Das war kein leichter Weg. Als Tänzerin musste sie sich neu erfinden. Im Alter von zwölf Jahren beginnt Sophie Hauenherm ihre Ausbildung an einer Tanzhochschule in Dresden. Sechs Jahre später entdecken Ärzte einen Abszess in ihrem Rückenmark. Sie wird notoperiert, aber es ist zu spät. Der Abszess hat einen Nervenschaden verursacht. Die Folge: eine inkomplette Querschnittslähmung – und die Frage: Wie geht es jetzt weiter?
SOPHIE HAUENHERM:
Zwei Wochen nach Eintritt der Lähmung hab’ ich das erste Tanz-Improvisations-Video gedreht. Und seitdem wusste ich eigentlich: Es hat sich nichts geändert. Man kann vielleicht meinen Körper verändern, aber man kann den Tanz nicht aus meiner Seele und aus meinem Herz rausschneiden.
SPRECHER:
Sie nimmt dieses Tanzvideo im Rollstuhl auf. Zum einen, um ihr Studium abschließen zu können, aber sie gelangt auch zu einer Erkenntnis.
SOPHIE HAUENHERM:
Ich hatte in dem Moment, als ich die Diagnose bekommen hab’, dieses ganz krasse Vermeidungsverhalten. Ich hab’ gesagt, für mich, für das Leben, was ich mir ausgesucht habe, kommt es nicht in Frage, dass ich nie wieder werde laufen können, geschweige denn nie wieder tanzen kann. Ich wollte die Kontrolle haben über mein Leben, über meinen Körper und über die Entscheidung, was ich aus meinem Leben mache.
SPRECHER:
Ihre Entschlossenheit zeigt sich sowohl auf als auch abseits der Bühne. Wenn Sophie Hauenherm nicht tanzt, verbringt sie gerne Zeit in der Natur in der Nähe ihres Zuhauses in Dresden. Sie verlässt sich auf ihre mentale Stärke und andere körperliche Fähigkeiten. Sie will sich auf keinen Fall durch ihre Behinderung definieren lassen.
SOPHIE HAUENHERM:
Behinderungen sind Eigenschaften – so wie ‘n Mensch klein ist und oben nicht an die Tasse rankommt. Oder so wie Menschen ’ne empfindliche Haut haben und eben Lichtschutzfaktor 50 brauchen und nicht 30. Und so war das bei mir auch. Ich musste einfach mit meinen neuen Eigenschaften lernen umzugehen.
SPRECHER:
Und das gelingt ihr auch als professionelle Tänzerin. Sophie Hauenherm arbeitet mit Choreographen zusammen, die inklusive Stücke entwickeln – für Tänzerinnen und Tänzer mit und ohne Handicap. Ihr Ziel: den freien Charakter des Tanzes zu vermitteln, unabhängig von körperlichen Einschränkungen.
SOPHIE HAUENHERM:
Mein Traum ist definitiv in Erfüllung gegangen. Es … ja! Ich hab‘ das Leben ‘ner Tänzerin, ich darf rumkommen, ich darf viele Städte sehen, ich darf immer wieder tolle Menschen kennenlernen, und somit lebe ich genau das Leben, was ich mir quasi gewünscht hab’ – nur ganz anders, als dass ich ’s mir vorgestellt habe, was es nicht schlechter macht.
SPRECHER:
„Balance“ heißt die Choreographie, die sie gerade einstudiert. In dem Stück geht es auch darum, im Leben immer wieder Halt zu finden. Sophie Hauenherm hat ihren Halt mit viel Ausdauer und Disziplin im Tanzen gefunden.