Nachrichten für Lehrkräfte

Einwanderung von Fachkräften: Was ändert sich?

Der Fachkräftemangel ist in Deutschland groß und der Arbeitsmarkt angespannt. Eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes soll dies nun ändern. Kritik gibt es jedoch weiterhin.

Ein Ausweis, auf dem das Wort Aufenthaltstitel steht (Quelle: Daniel Karmann/dpa/picture alliance)

Ob in der Pflege oder im Handwerk – Fachkräfte werden in Deutschland dringend gebraucht. Politik, Wirtschaft und Expertinnen und Experten sind sich einig: Die Lücke auf dem Arbeitsmarkt muss auch durch Zuwanderung geschlossen werden. Dabei soll das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz helfen, das am 18. November zunächst in Teilen in Kraft getreten ist und bis Juli 2024 komplett umgesetzt worden sein soll. Ziel ist es, qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern den Zuzug nach Deutschland zu erleichtern.


Blaue EU-Karte

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Blaue EU-Karte heute der häufigste Aufenthaltstitel im Bereich der befristeten Erwerbsmigration in Deutschland. Sie richtet sich an Akademikerinnen und Akademiker sowie Menschen mit besonderer beruflicher Erfahrung aus Nicht-EU-Ländern. Um sie zu erhalten, muss ein konkretes Arbeitsplatzangebot mit einem festgelegten jährlichen Mindestbruttogehalt vorliegen. Dies wurde im Zuge der aktuellen Gesetzesänderung nun gesenkt – für die meisten Berufe von 58.400 Euro auf 43.800 Euro. Für sogenannte Engpassberufe und Berufsanfängerinnen und -anfänger gilt ein Mindestgehalt von etwa 39.682 Euro. Vorher waren es noch 45.552 Euro. Zudem wurde die Liste der Engpassberufe erweitert. Sie soll zukünftig beispielsweise auch Führungskräfte am Bau und Lehrkräfte umfassen. Ziel ist, dass mehr Bewerber und Bewerberinnen als bisher über die Blaue Karte nach Deutschland einreisen können, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) mitteilt.

Bis November 2023 musste der in Deutschland aufgenommene Beruf noch eins zu eins mit der Berufsausbildung oder dem Studium übereinstimmen. Das wird nun gelockert: Ausgebildete Bäckerinnen und Bäcker können dann zum Beispiel ebenso in der Küche eines Gastrobetriebes arbeiten, Logistikfachkräfte in Büros eingesetzt werden. Das eröffne den Bewerberinnen und Bewerbern sowie den Betrieben neue Chancen, erklärt die BA. Bei reglementierten Berufen, also etwa bei Medizin- oder Rechtsberufen, gelten bereits Ausnahmen.

Neu ist außerdem: Wer als hochqualifizierte Fachkraft aus einem Nicht-EU-Land nach Deutschland kommt, soll künftig nicht nur den Ehepartner oder die Ehepartnerin sowie die eigenen Kinder mitbringen dürfen, sondern auch Eltern und Schwiegereltern. Voraussetzung für den Familiennachzug ist aber, dass der Lebensunterhalt für die Angehörigen gesichert ist. Sozialleistungen beantragen können die Angehörigen nicht.


Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft auch für Asylbewerber

Auch Asylbewerber und -bewerberinnen, die vor dem 29. März 2023 nach Deutschland gekommen sind und eine berufliche Qualifikation sowie ein Arbeitsplatzangebot haben, sollen – wenn sie ihr Asylverfahren durch Antragsrücknahme beenden – in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können. Bislang mussten sie dafür erst ausreisen und sich dann vom Ausland aus um ein Arbeitsvisum bemühen.


Punktesystem zur Arbeitssuche

Ab kommendem Jahr wird zudem die sogenannte Chancenkarte eingeführt. Damit können Menschen aus Nicht-EU-Ländern auf Basis eines Punktesystems auch ohne Arbeitsvertrag nach Deutschland einreisen, um sich eine Arbeit zu suchen – vorausgesetzt sie haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt gute Chancen. Zu den Auswahlkriterien gehören dabei zum Beispiel Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Wer insgesamt sechs Punkte erhält, bekommt die Chancenkarte und darf ein Jahr für die Arbeitssuche in Deutschland bleiben – sofern der Lebensunterhalt gesichert ist. Eine Verlängerung der Chancenkarte um bis zu weitere zwei Jahre ist unter engen Voraussetzungen möglich. Das neue Angebot soll es ab Sommer 2024 geben.


Kritik am reformierten Gesetz

Trotz der Neuerungen gibt es von verschiedenen Branchenverbänden Kritik: Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht im Gesetz zum Beispiel keine Lösung für das Fachkräfteproblem in der Pflege: „Einerseits, weil der Fachkräftemangel in den Pflegeberufen weltweit ein Problem ist, andererseits, weil die Rahmenbedingungen für Pflegefachpersonen in Deutschland nicht attraktiv sind“, sagt DBfK-Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper.

Auch der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, ist skeptisch: „Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie zu bewältigen ist, und wenn es an der Umsetzung hapert.“ Vor allem den kleinen und mittelständischen Betrieben fehle es an konkreten Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen bei der Suche und Rekrutierung handwerklich qualifizierter Fachkräfte im Ausland sowie bei der Integration vor Ort.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) findet, dass das Gesetz in die richtige Richtung geht. Vorstandsmitglied Anja Piel betont aber auch: „Wo es große Fachkräftelücken gibt, bestehen meist aber auch strukturelle Probleme wie schlechte Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen.“ Es gelte nun, vorhandene Potenziale besser auszuschöpfen.

Aktuell können Deutschlands Unternehmen rund 1,73 Millionen offene Stellen nicht besetzen, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seiner Quartalsabfrage. Allein bei der BA sind im Oktober 2023 748.665 unbesetzte Stellen gemeldet. Laut BA dauert es derzeit durchschnittlich 153 Tage, bis eine Stelle besetzt werden kann.


sts (mit dpa/AFP)/ip