Manuskript

Engel aus dem Erzgebirge

Elf weiße Pünktchen haben die Grünhainichener Weihnachtsengel auf ihren Flügeln – mit viel Liebe handgemalt. Dahinter steht ein Familienunternehmen aus dem Erzgebirge, 1915 von zwei Frauen gegründet.

SPRECHER:
Wer diesen Engeln ein Gesicht geben will, braucht jahrelange Erfahrung. 

INA KLUGE (Gesichtsmalerin):
Feingefühl, also man muss malen können, man muss mit der Farbe umgehen können, also generell ’ne ruhige Hand!

SPRECHER:
Sechs Wochen lang haben sechs unterschiedliche Gewerke an diesen Weihnachtsengeln gearbeitet. Als Grünhainichener Engel sind sie weltweit bekannt. Ihr könnt sie an den elf Punkten auf den Flügeln erkennen. Hergestellt werden sie seit mehr als 100 Jahren in Grünhainichen, einem kleinen Ort im Erzgebirge, anderthalb Stunden von Dresden entfernt. Aber was macht die Engel so besonders?

CLAUDIA BAER (Leiterin von Wendt & Kühn):
Also einerseits, dass sie vom Design her eben wirklich zeitlos sind. Und mit ihrer besonderen Anmutung, der Kindlichkeit und Unbekümmertheit haben sie offensichtlich die Leute erreicht, die Herzen der Menschen erreicht.

SPRECHER:
Rund 2500 Figuren sind bis heute im Hause Wendt & Kühn entstanden. Sorgsam gehütet wird der Musterschatz mit Modellen und technischen Zeichnungen. Walt Disney war früher ein Fan, das schwedische Königshaus gehört noch heute zu den Sammelnden. Die Nachfrage ist groß. Aber warum wird immer noch alles per Hand hergestellt?

LENA SABOTTA (Wendt & Kühn):
Also Handwerk ist seit Firmengründung das Mittel der Wahl, also es wird einfach hier in Handarbeit gefertigt. Und es könnte auch gar nicht anders gefertigt werden. Also, man kann mit Maschinen einiges machen, aber eben niemals diese Detailliebe und ja, auch diese Seele den Figuren mitgeben, das geht nur aus Menschenhand.

SPRECHER:
Warum die Weihnachtsengel auch eine Geschichte von starken Frauen und Emanzipation erzählen, dazu später mehr. Jeder Engel fängt mit einem Stück Holz an, von Bäumen aus der Region. Die Drechslerei ist das Herzstück, wo aus dem groben Holz filigrane Einzelteile für die Figuren gefertigt werden. Jede Engelfigur besteht aus vierzehn Elementen. Je nach Instrument, das die Engel in den Händen halten, und Ausführung auch mehr. Holzspielzeugmacher ist ein eigener Ausbildungsberuf.

JUNIA JEAN MAZANEC (Holzspielzeugmacherin):
Also man sieht wirklich bei uns das erste Mal, wie aus kleinen Einzelteilen eine ganze Figur entstehen kann. Und das ist eben das Eindrucksvolle und das Spannende dahinter. Weil man wirklich … Man sieht am Ende des Tages, was man geschafft hat.

SPRECHER:
Gegründet wird die Firma 1915 von zwei Frauen: Grete Wendt und Margarete Kühn, damals eine absolute Ausnahme. Später bestimmt Grete mit ihrer Schwägerin Olly die Geschicke der Firma – und das über mehrere Jahrzehnte. Erfunden werden die Engel 1923. Weltberühmt werden sie 1937 bei der Weltausstellung in Paris, wo sie mit Gold ausgezeichnet werden. Das Design der Engel hat sich im Laufe der 100 Jahre kaum verändert. Und dem Erzgebirge sind sie immer treu geblieben.

CLAUDIA BAER (Enkelin von Olly Wendt):
Also, es sind natürlich, man sagt so Tüftler, ne, und … die versucht haben, eben was Neues zu schaffen oder eben was Neues zu kreieren. Meiner Großtante, der wird auch nachgesagt, dass sie, wenn es jetzt irgendwie nachgemachte Produkte gegeben hat, dass sie dann immer gesagt hat: Ach, da fällt uns schon wieder was Neues ein. Also immer wieder Innovation, sozusagen durch neue Ideen, das ist schon hier auch  irgendwie beheimatet. Aber diese Verwurzelung, also diese Heimatverbundenheit, spiegelt sich natürlich auch ein Stück weit wider.

SPRECHER:
Das Familienunternehmen legt sehr viel Wert darauf, das Erbe und die Geschichte der Firma auch für die Nachwelt zu dokumentieren. Die Innovation von Grete Wendt: Durch einen neuartigen Holzzuschnitt wurden die Teile so verleimt, dass die Figuren sich zu bewegen scheinen, heute wie damals. Die zusammengesetzten Engel werden lackiert und dann von Hand bemalt.

INA KLUGE:
Das ist eigentlich sozusagen der letzte Arbeitsgang, in dem ich dann dem Engel das Leben einhauche, sprich, dass ich das Gesicht draufmale.

SPRECHER:
Und wieder ist ein Grünhainichener Engel unsterblich geworden.

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