Eine Nähnadel mit rotem Faden auf weißem Stoff

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Seidene, unsichtbare und rote - viele Fäden ziehen sich durch die deutsche Sprache. Außerdem ist der Faden ein Raummaß für Holz. Wem das zu fade klingt – schnell rein in die Sprachbar. Um den Faden nicht zu verlieren.

Der Faden, kaum zu sehen, und doch wichtig. Wo er naht, naht Hilfe. Zum Beispiel beim Nähen klaffender Wunden. Hält zusammen, was zusammen gehört. Und alles ist wie neu, wenn dann der Arzt die Fäden zieht.

Unsichtbare Fäden

Wer zieht außerdem noch Fäden? Der Libero im Fußball. Keine richtigen Fäden, was würde das für eine Stolperei geben. Sondern unsichtbare. Der Libero bestimmt, wohin seine Mitspieler laufen, er ist der Ballverteiler, der Marionettenspieler, in dessen Hand, bzw. auf dessen Fuß die Fäden zusammenlaufen, unsichtbar.

Auch der Mafiaboss zieht seine Fäden möglichst unsichtbar im Hintergrund. Er macht sich die Finger nicht schmutzig. Und manchen, der fröhlich pfeifend durch die Gassen läuft, hat vielleicht schon ein Mordbube im Visier, hat ihn ins Fadenkreuz seines Gewehrs genommen. Das Leben des pfeifenden Gesellen hängt da nur noch am seidenen Faden – die Frage ist, trifft der Attentäter oder nicht?

Im Fadenkreuz der Parze

Schon in der Antike gab es Fadenabschneider, sie waren allerdings weiblich und hießen Parzen – drei römischen Göttinnen, die das Schicksal der Menschen bestimmten und zur gegebenen Zeit den Lebensfaden abschnitten. Der Humorist Wilhelm Busch gönnte sich vor 100 Jahren auf die finsterste Parze einen fröhlichen Reim: „In der Wolke sitzt die schwarze / Parze mit der Nasenwarze / und sie zwickt und schneidet, schnapp!! Knopp sein Lebensbändel ab.“

Die Zeit der Parzen ist vorbei. Wollen nun die ehrenwerten Paten deren Platz für sich beanspruchen, nur weil wir ja eh alle irgendwann einmal- schnapp? Wer so argumentiert, Herr Mafioso, argumentiert äußerst fadenscheinig. Mag der Anzug aus noch so feinem Zwirn sein. Das Knäuel des organisierten Verbrechens mögen andere entwirren. Zurück zum Faden. Denn der zieht sich wie ein roter Faden durch die heutige Sprachbar.

Dem Tauwerk geht der Faden durch

Wie aber und wieso zieht sich ausgerechnet ein roter Faden irgendwo durch? Der rote Faden als ein »leitender, verbindender Grundgedanke« geht auf den Roman »Die Wahlverwandtschaften« zurück. Johann Wolfgang von Goethe vergleicht darin die Idee der Wahlverwandtschaft mit dem Faden im Tauwerk der englischen Marine. Dieses Tau sei –Zitat- »dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen.“

Ziehen wir unter Goethe einen Strich, und fügen Strich und Faden zusammen. Auf Strich und Faden prüfte ursprünglich der Weber den fertigen Stoff. Er prüfte Webart (Strich) und Material (Faden). Doch was ist daraus geworden? Nach Strich und Faden wird betrogen, nach Strich und Faden wird verprügelt. Mag sein, dass seinerzeit dem Weber so manches Mal der Geduldsfaden riss, da beißt die Maus keinen Faden ab – aber betrügen, prügeln?

Die hungrige Maus

Wie aber kommt die Maus in eine Redensart mit dem Faden? Wenn früher auf den Bauernhöfen der Frühling begann, sollten die typischen Winterarbeiten beendet sein. Dazu gehörte das Fertigen und Ausbessern der Kleidung. Kein loser Faden sollte den Mäusen zur Freude unverarbeitet und lose herumhängen. Lieber noch schnell mit ihm eine Kohlroulade geschnürt, in den Bräter, auf den Teller. Und dazu noch einen guten Rotwein – einen leckeren, keinen faden.


Fragen zum Text

Wer waren die Parzen?

  1. drei römischen Göttinnen, die das Schicksal der Menschen bestimmten und zur gegebenen Zeit den Lebensfaden abschnitten
  2. urzeitliche Panzerfische, die mit ihrem starken Gebiss sogar einen Hai in zwei Teile teilen konnte
  3. drei griechische Sagenhelden, die gemeinsam gegen die Götter der Unterwelt kämpften

Wie überprüften die Weber den fertigen Stoff?

  1. auf Herz und Nieren
  2. auf Strich und Faden
  3. auf Wolle und Garn

Da beißt die Maus keinen…

  1. Stock ab.
  2. Käse ab.
  3. Faden ab.

Arbeitsauftrag

Woher stammt der sprichwörtliche rote Faden, der sich durch eine Sache zieht? Wählen Sie eine der drei Antworten und begründen Sie Ihre Entscheidung.

a) Der rote Faden ist eine volkstümlichere Fassung einer Kernaussage des Marxismus, nämlich des Satzes: "Die Geschichte ist eine Geschichte von Kämpf zwischen den Klassen". Der rote Faden ist in diesem Sinne das Blut der Ausgebeuteten, der Unterdrückten, das sich durch die ganze Sache, nämlich die Geschichte, zieht.

b) Der rote Faden war eine besondere Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Taue der königlichen Flotte waren so geflochten, dass ein roter Faden sich deutlich hindurchzog. Ihn herauszuwinden, ohne das ganze Tauwerk aufzulösen, war unmöglich.

Goethe bezieht sich auf diese Besonderheit in seinen "Wahlverwandtschaften", um das Tagebuch Ottilies zu charakterisieren.

c) Sven Arne Faden (1870-1902), ein norwegischer Artist, der auf den Jahrmärkten Westeuropas als Schlangenmensch großes Aufsehen erregte, hat das Sinnbild der roten Fadens geprägt. Er konnte sich durch engste Öffnungen hindurchzwängen. Neben außerordentlicher Atemtechnik und Wendigkeit, kam ihm sein seltener Wuchs bei seiner Arbeit zustatten: Der "rote Faden" - so wurde er wegen seiner Haarfarbe genannt, soll bei einer Größe von 2Meter 12 bloß 60 Kilogramm gewogen haben. Er verstarb bei einer seiner Vorstellungen in einem Fabrikschlot im belgischen Lüttich.