Filmen in der Schule
Die meisten Jugendlichen gehen sehr gern ins Kino. Aber wie entsteht ein Film? Worauf muss man achten? Manche Schule in Deutschland bietet Arbeitsgemeinschaften an, um Schüler an das Filmemachen heranzuführen.
„Du bist dran. / Ja. Achtung! Kamera läuft und bitte!“
Der Regisseur, der hier den Darstellern die Kommandos gibt, ist in diese Rolle geschlüpft. Denn eigentlich ist er Schüler der fünften Klasse. Wie jedes richtige Filmteam wollen auch die Schülerinnen und Schüler der Video-Arbeitsgemeinschaft des Gymnasiums in Kempfenhausen am Starnberger See einen möglichst professionellen, spannenden Film drehen. Dieser soll – so ihr Wunsch – natürlich später Preise und möglichst viele Zuschauer gewinnen. Aber was hat die Schüler und Schülerinnen dazu gebracht, sich für die Arbeitsgemeinschaft, kurz AG, zu melden?
„Wahnsinnig gern ins Kino gehen wir eigentlich alle. Früher schaute man halt sich ‘nen Film einfach so an, und dann irgendwann macht man sich Gedanken drüber: ‚Ach, schau mal, total guter Schnitt oder die Musik passt super dazu.‘ Oder man denkt sich so: ‚Ah, okay, so ‘ne Szene könnte man auch mal einbauen.‘ Man denkt halt dann irgendwie immer so selber mit, was man da machen könnte oder was man verbessern könnte oder was schlecht ist. / Und vor allem wird man sich halt klar, wie ewig lang das gedauert hat und [sich denkt]: ‚Oh Gott, dafür hätt’ ich jetzt ‘ne Woche gebraucht, um das zu drehen.‘“
Alle Schüler und Schülerinnen der AG haben eins gemeinsam: Sie gehen sehr, sehr gern – wahnsinnig gern – ins Kino. Und wenn sie sich einen Film anschauen, denken sie drüber nach, sie denken mit, wie es die Schülerin sagt, was sie selbst anders machen würden. Sie überlegen, welche Kurzhandlung, welche Szene, sie in den Film mit aufnehmen oder einbauen würden. Geachtet wird aber auch darauf, ob ein Film gut geschnitten ist. Für einen guten Schnitt ist unter anderem notwendig, die Spielszenen so aufeinanderfolgen zu lassen, dass es dem Betrachter nicht langweilig wird. Wichtig ist auch eine zur Handlung passende Musik. Die AG mit den größeren Schülern zwischen 14 und 17 Jahren hatte neben ihrem Kurzfilmprojekt vor allem ein Ziel vor Augen: ein Workshop in Hollywood während der Sommerferien:
„Wir werden halt in das Ganze eingeweiht, also wie das da funktioniert, was der Ablauf ist also in den Studios dort, und dürfen an einem Tag auch selber ‘nen Kurzfilm oder ‘n Werbespot oder irgendwas drehen.“
Bevor es nach Hollywood gehen sollte, wurden die AG-Mitglieder informiert, worauf zu achten ist. Sie wurden in das Ganze eingeweiht – wie in ein Geheimnis. Hollywood ist natürlich der Traum eines jeden Filmemachers. Als sogenannte Filmkompetenzlehrer mit einer besonderen Ausbildung betreuen Christian und sein Kollege Markus die Schüler in den Arbeitsgemeinschaften. Diese finden meist am Nachmittag nach dem Schulunterricht statt. Die Teilnahme ist in der Regel freiwillig. Zu Beginn müssen die Lehrer – wie Markus sagt – alle erst einmal auf den Boden der Tatsachen zurückholen:
„Die kommen hier an und meinen, jetzt drehen wir ‘nen 90-Minuten-Spielfilm. Und wenn wir dann sagen: ‚Na ja, wenn wir fünf Minuten hinkriegen im Jahr, ist das schon viel.‘ Dann schau’n sie erstmal enttäuscht, und wir sind grad so jetzt mit Drehen [fertig] und ‘n Vierteljahr brauch’n wir fürs Schneiden auf jeden Fall, so dass wir in einem Schuljahr einen Fünf-Minüter mit einer Gruppe schaffen. Mehr ist eigentlich nicht drin.“
Die Schüler und Schülerinnen gehen davon aus, dass sie in dem Schuljahr einen kompletten Spielfilm von 90 Minuten fertigstellen können. Wenn die Lehrer ihnen mitteilen, dass das Drehen und das Schneiden viel Zeit kosten und sie in einem Schuljahr gerade mal einen Film von fünf Minuten Länge schaffen, einen Fünf-Minüter, sieht man ihnen am Gesicht an, was sie fühlen: Sie gucken, sie schauen enttäuscht. Christian erklärt, warum ein längerer Film nicht drin, nicht zu schaffen ist:
„Film ist halt wirklich ‘n hochkomplexes Medium, und dem müssen wir auch gerecht werden, und wir versuchen, den Film für die Schüler begreifbar zu machen, in kleine Einzelportionen und Einzelteile zu zerlegen, und versuchen immer, in diesen Einzelteilen zu arbeiten, das heißt am Ton, am Bild, an der Gestaltung der Geschichte, und natürlich dann weiterhin noch, dass wir auch den Film in eine vernünftige Form bringen.“
Ein Film ist – wie Christian sagt – hochkomplex. „Hoch“ ist hier in Verbindung mit dem Adjektiv „komplex“ nicht als Größenangabe zu sehen, sondern ist als bloße Verstärkung des Adjektivs gemeint. Der Film ist also „sehr kompliziert“. Denn es gibt viele Dinge zu berücksichtigen: Die Geschichte muss in sich logisch sein, Bilder, Ton und Musik müssen zusammenpassen und schließlich muss alles zu einem fertigen Produkt zusammengeführt werden. Die beiden Filmkompetenzlehrer versuchen, ihren Schülern das verständlich, begreifbar zu machen, indem sie jeden Bestandteil einzeln behandeln, ihn – wie Christian sagt – wie ein Fleischstück in Einzelportionen zerlegen. Und was ist für die Schüler das Schwierigste?
„Das Drehbuch ist so das Schlimmste eigentlich von allem. Wenn man das geschafft hat, dann ist es gar nicht mehr so schlimm. Oder auch so Dialoge zu schreiben, das haben wir dieses Jahr gar nicht gemacht, weil es uns dann einfach zu viel Zeit gekostet hätte.“
Für diesen Schüler ist das Drehbuch das Schwierigste. Es enthält unter anderem Angaben zu Zeit und Ort des Geschehens, Szenenbeschreibungen und Dialoge. Diese haben die Video-AG-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen in diesem Schuljahr nicht geschrieben, weil es zu lange gedauert hätte. Es hätte sie zu viel Zeit gekostet, Zeit, die woanders gefehlt hätte. Bei dem Kurzfilm, den die AG erstellt, ist Teamarbeit gefragt. Es wird diskutiert und gemeinsam besprochen und entschieden, welche Kamerafahrt man auswählt und was der nächste Schritt im Produktionsablauf sein wird. Die Gruppe ist klein. Sie besteht aus nur sieben Schülerinnen und Schülern. Gedreht wird – wenn es irgendwie geht – auf dem Schulgelände. Christian als Lehrer muss bei den Größeren oft nur mit guten Tipps zur Seite stehen, denn die Jugendlichen kennen sich im Thema „Film“ sehr gut aus:
„Film ist ja ein Leitmedium bei Jugendlichen. Man ist sich gar nicht so bewusst, wie viel die Jugendlichen eigentlich mit Filmen zu tun haben, denn es ist so, dass sie mit ihrem Kamerahandy zum Beispiel kleine Filme machen. Etliche von unseren Schülern sind auf YouTube präsent, haben dort sogar schon ‘n eigenen Account. Die Videokamera von der Mama oder vom Papa wird gerne benutzt. Und unser Auftrag ist es jetzt eigentlich, dass wir versuchen, mit den Schülern gestalterisch zu arbeiten, dass wir sagen, man kann auch Filme produzieren, die eine gewisse Story, eine Geschichte zur Grundlage haben, die bestimmten Regeln folgen, die aber auch wirklich einen, ja, qualitativen Anspruch haben und natürlich auch die inhaltlich sauberstrukturiert sind. Auch als Lehrer: Man kommt in ‘ne ganz andere Rolle hinein, denn wir vermitteln den Schülern etwas. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass wir von den Schülern sehr, sehr viel lernen – gerade wenn es darum geht, eine komplexe Video-Schnittsoftware zu beherrschen. Da kitzeln die Schüler zum Beispiel das Letzte aus der Software noch heraus. Da sind die Schüler dann manchmal sehr geschickt.“
Für Lehrer Christian steht eins fest: Beide Seiten profitieren von der AG. Die Lehrer können den Schülern beibringen, nicht nur einfach draufloszufilmen, sondern gestalterisch zu arbeiten, sich zu überlegen, wie man eine Geschichte aufbaut – und das in einer anspruchsvollen Weise. Und notwendig für einen qualitativ guten Film ist vor allem, Regeln und Strukturenzu beachten. Aber natürlich auch die technische Umsetzung. Und da haben die Schüler ihren Lehrern – so Christian – einiges voraus. Sie beherrschen zum Beispiel die für den Filmschnitt notwendige Software so gut, dass sie alles das, was mit ihr machbar ist, auch anwenden. Sie kitzeln – wie Christian umgangssprachlich sagt – das Letzte noch heraus, ein Ausdruck der üblicherweise für Menschen verwendet wird, die andere so lange an sensiblen Stellen wie den Fußsohlen oder dem Bauch streicheln, kitzeln, bis sie lachend „Stopp!“ rufen. Die Schüler und Schülerinnen der Video-AG hoffen, dass ihre Eigenproduktionen nicht nur auf YouTube, sondern auch bei einem der Schulfilmfestivals, die es mittlerweile in ganz Deutschland gibt, erfolgreich sind. Und wer weiß: Vielleicht geht es eines Tages für den einen oder die andere tatsächlich nach Hollywood.