Gestiefelt und gespornt

Funktionsbekleidung, modisches Accessoire, Symbol für Unterwerfung und Trinkgefäß. Unter den Schuhen ist der Stiefel das schillerndste Exemplar und eine wahre Fundgrube für Bedeutungen und Redewendungen.

Ein Schuh, der den ganzen Fuß und einen Teil des Beines bedeckt, heißt es schlicht im Wörterbuch. Klingt erst mal harmlos, oder? Doch Stiefel gibt es viele: vom Winterstiefel über den Wander- und Gummistiefel, den Reitstiefel oder die elegante Stiefelette bis zum Nikolausstiefel. Den stellen die Kinder am Vorabend des sechsten Dezember vor die Tür, damit er mit Süßigkeiten gefüllt werde. Für den Soldaten ist der Stiefel ebenso wichtig wie für den Cowboy. Und der Mount Everest wäre ohne Stiefel niemals bezwungen worden.

Der Stiefel: ein Sommerschuh?

Es ist aber schon merkwürdig, wie Worte ihre Bedeutung erhalten. Vermutlich stammt das Wort Stiefel vom altfranzösischen estival ab. Das wiederum geht zurück auf aestas, lateinisch für Sommer. Demnach wäre der Stiefel ein Schuh für den Sommer.

Ein kleines Mädchen springt mit Gummistiefeln in eine Pfütze
Auch im Sommer kann Regenwetter an der Tagesordnung sein: Dann sind Gummistiefel gefragtnull Fotolia/gyso4ka

So unsicher diese Wortherkunft scheint, belegt ist, dass die Benediktinermönche des Mittelalters, die ja im Wesentlichen Sandalen tragen mussten, im Sommer zur Gartenarbeit und auf Reisen Schuhe mit hohem Schaft tragen durften. Darüber hinaus waren Stiefel im Mittelalter nicht sehr verbreitet. Sie waren teuer und den Adeligen vorbehalten.

Im Gleichschritt Marsch

Der Stiefel war also zunächst das Schuhwerk feiner Leute. Das macht sich auch der gestiefelte Kater aus dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm zunutze. Mit einem Paar von Stiefeln ausgestattet, ergaunert dieser Kater für seinen Herrn, einen armen Müllerburschen, Ländereien, Schloss und schließlich die Königstochter. Erst als Schuhwerk der Soldaten wurde der Stiefel schließlich populär.

Nicht umsonst steht der Stiefel in diversen Sprichworten und Redensarten als Symbol für Macht. Wer die größten Stiefel anhat, übernimmt die Führung. Wer hingegen unter dem Stiefel steht, der wird beherrscht, muss gehorchen. Werjemandem die Stiefel putzt, ist jemand, der für eine Person Dienste leistet. So wie früher ein Knecht seinem militärischen Vorgesetzten die Stiefel ausziehen und sie reinigen musste. Das wird nur noch übertroffen vom Stiefellecken, der höchsten Form der Unterwerfung.

Marschierende Soldaten
Klassische Stiefelträger: Soldaten im Einsatznull picture-alliance/dpa/J. Wolf

Der Stiefel: nicht nur bei Reitern beliebt

Die umgangssprachliche Redewendung gestiefelt und gespornt kommt aus der Reitersprache. Der Sporn ist ein am Reitstiefel befestigtes gebogenes Metallstück mit einem Rädchen oder einem spitzen Stift. Der Reiter hat die Möglichkeit, seinem Pferd die Sporen zu geben, damit es sich in Bewegung setzt – auch wenn es mal nicht will. Wer gestiefelt und gespornt in der Tür steht, ist bereit zum Aufbruch – zum Beispiel für eine Reise, einen Kinoabend oder Ähnliches.

Gehen wir mal davon aus, dass dies mit Freude geschieht. Andernfalls würde man durch die Landschaft stiefeln und seine Langeweile ausdrücken. Trotz Kritik an diesem Verhalten, würde man dennoch seinen Stiefel durchziehen, stur bleiben, einfach immer weitermachen und weder rechts noch links schauen. Geschützt von seinen – im übertragenen Sinne – schweren Stiefeln kümmert man sich nicht darum, was die anderen sagen.

Stiefel mit Sporen an einem Steigbügel
Mit Sporen kann man sein Pferd antreibennull Imago/L. Reimann

Von Stink- und Trinkstiefeln

Dass Stiefel stinken können, wenn sie nass oder verschwitzt sind, ist bekannt. Doch der Begriff Stinkstiefel für einen griesgrämigen Zeitgenossen, der nichts als schlechte Laune verbreitet, geht eher auf eine Art Vorsilbe zurück, wie sie auch in „stinkfaul“ oder „stinkreich“ vorkommt. Der Stinkstiefel ist eng verwandt mit dem Kotzbrocken oder seiner harmlosen Variante, der Spaßbremse.

Vielleicht fährt sich unser Stinkstiefel mit seinem Auto einen ziemlichen Stiefel zusammen, hat also einen schlechten Fahrstil. Möglicherweise sind das aber auch zwei Paar Stiefel und das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Den Stiefel als Trinkgefäß gibt es hingegen wirklich. Seit dem 16. Jahrhundert werden Gläser hergestellt, die in der Form eines Stiefels bis zu fünf Liter fassen können.

Kloster Wechselburg Horst Köhler mit Bierstiefel
Selbst der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler trank sein Bier schon aus dem Stiefelnull picture-alliance/dpa/W. Kumm

Stiefel muss sterben

Solche Stiefel eignen sich vor allem für Trinkrituale, wie sie bis heute in Studentenverbindungen üblich sind. Aus dem Stiefel wird Bier getrunken, auch wenn es zahlreiche Legenden gibt, in denen jemand wettet, einen mit Wein gefüllten Stiefel austrinken zu können.

Je nachdem, wie hoch der Alkoholpegel dann ist, mag jemand dieses Lied singen: „Stiefel muss sterben / ist noch so jung, jung, jung / Stiefel muss sterben / ist noch so jung / Wenn das der Absatz wüsst / dass Stiefel sterben müsst / Stiefel muss sterben / ist noch so jung.“

Michael Stifel zog seinen Stiefel durch

Hier geht es eigentlich nicht um einen Stiefel, sondern um einen Mann. Und der hieß Michael Stifel, war Mathematiker und ein Zeitgenosse Martin Luthers. Das Besondere an ihm: Er hatte prophezeit, dass die Welt am 19. Oktober 1533 um acht Uhr untergehen würde. Die Bauern seines Dorfes gingen nicht mehr auf die Felder, gaben all ihr Geld aus und warteten auf den großen Tag.

Michael Stifel, deutscher Theologe, Mathematiker und Reformator.
Stiefel muss sterben ...null public domain

Und dann: passierte nichts! Michael Stifel musste ins Gefängnis und die Studenten sangen das Spottlied auf ihn. Das Ende vom Lied: Michael Stifel wurde nach vier Wochen freigelassen, durfte wieder predigen, verfasste noch im hohen Alter bedeutende Werke der Mathematik und starb erst mit 81 Jahren. Er hatte seinen Stiefel durchgezogen – auf seine Art …




Arbeitsauftrag
Auch über andere Schuhe gibt es Sprichwörter. Sammelt zehn Redewendungen, in denen Schuhwerk jeder Art vorkommt und bildet damit Sätze.