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Glücklich werden ohne Glücksratgeber

Gibt es eine passende Anleitung, wie man glücklich wird? Glaubt man der Zahl der Ratgeber, lautet die Antwort: Ja. Der Psychologe und Buchautor Manfred Lütz sieht das anders.

Wer den Begriff „Glück“ in eine Internetsuchmaschine eingibt, bekommt nicht nur das Wort selbst, sondern noch zahlreiche zusammengesetzte Begriffe angezeigt wie beispielsweise „Glückskind“, „Glücksbringer“, „Glückshormone“ und „Glücksklee“. Auch der „Glücksatlas“ gehört dazu. Das ist eine von einem Forschungsinstitut im Auftrag der Deutschen Post erstellte statistische Landkarte, wo in Deutschland die glücklichsten Menschen leben. Wer wissen will, wo weltweit die glücklichsten Menschen leben, sollte den einmal jährlich veröffentlichten „World Happiness Report“ der Vereinten Nationen lesen.

Ein Staat in der Welt hat das Glücklichsein sogar in der Verfassung verankert: das Himalaya-Königreich Bhutan. Bereits in den 1970er Jahren erklärte der damalige König, dass das „Bruttonationalglück“ wichtiger sei als das „Bruttoinlandsprodukt“, dass also nicht das Wirtschaftswachstum im Mittelpunkt der Politik stehen sollte, sondern die Zufriedenheit des Volkes.

Aber kann man individuelles Glück wirklich messen? Nimmt man die Zahl der Ratgeber zum Glücklichwerden, die auch in Deutschland jährlich veröffentlicht werden, scheinen sehr viele Menschen noch Nachhilfe zu brauchen, weil sie unglücklich sind. Der deutsche Psychologe und Bestsellerautor Dr. Manfred Lütz steht der ganzen Ratgeberliteratur kritisch gegenüber. Mit seinem 2015 veröffentlichten Buch „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Eine Psychologie des Gelingens“ wollte er eine Art Anti-Glücksratgeber schaffen. Sein Beweggrund, sagt er, war folgender:

„Wenn man der Menschheit sozusagen suggeriert, ich habe jetzt den ultimativen Weg zum Glück, dann bringe ich alle Menschen, die mir das abnehmen, in eine abhängige Situation. Und das ist keine gute Voraussetzung, um glücklich zu werden. Das heißt, ich versuche in meinem Buch, wie Sokrates das gemacht hat, auf Augenhöhe Menschen zu begegnen. Der ist auf den Marktplatz gegangen, hat mit den Leuten geredet und gesagt: ‚Erkenne dich selbst!‘ Er hat versucht, mit ihnen zu reden, so dass sie zu ihrem eigenen Weg finden.“

Ratgeber stellen für Manfred Lütz keine gute Wahl dar. Denn damit lasse man jemanden glauben, man suggeriere jemandem, dass man als Autorin, als Autor wisse, was der einzig wahre, der ultimative, Weg ist, um glücklich zu werden. Wer einem das dann glaube, abnehme, laufe Gefahr, sich von dieser Person abhängig zu machen. Diese nimmt die Position eines Gurus ein, eines geistigen Führers und Idols. Manfred Lütz findet den Weg, den der griechische Philosoph Sokrates beschritt, besser: Menschen in ihrem Bestreben zu unterstützen, erst einmal selbst herauszufinden, wer sie sind und was sie wollen. Manfred Lütz ist davon überzeugt, dass der Boom der Ratgeberliteratur in Deutschland darauf zurückzuführen ist, dass viele Menschen verunsichert sind und sich eine neue Orientierung suchen. Sich aber von Ratgebern abhängig zu machen, führt nach Ansicht von Manfred Lütz nicht zum Glück:

„Der Soziologe Ulrich Beck hat mal gesagt: ‚Die Ratgeber-Literatur schlägt eine Schneise der Verwüstung durch Deutschland.‘ Man fühlt sich ja gar nicht mehr für sich selbst kompetent. Gehen Sie mal in den Buchhandel. Da sehen Sie diese ganzen Ratgeber-Regale. Da haben Sie den Eindruck: ‚Das muss ich erst mal alles lesen, dann kann ich mit dem Leben anfangen.‘ Dann sind sie aber in Rente. Es hat keinen Zweck, sich irgendeinem Glücksguru anzuhängen.“

Manche Menschen meinen, Ratgeber könnten es ihnen abnehmen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – eine nicht ungefährliche Entwicklung. Nach Ansicht des deutschen Soziologen Ulrich Beck schlagen Ratgeber eine Schneise der Verwüstung. Er benutzt damit ein Bild aus der Natur. Ein starker Orkan „schlägt“ beispielsweise „eine Schneise der Verwüstung“ in ein Waldgebiet, wenn sehr viele Bäume entwurzelt werden. Nur: Wenn Ratgeber keine Lösung sind, um sein Glück zu finden, was dann? Für Manfred Lütz gibt es sieben Milliarden unterschiedliche Wege zum Glück – also für jeden Menschen einen eigenen. Viel Geld zu haben und reich zu sein, gehört für ihn aber nicht dazu, sondern etwas anderes:

„Wenn man tatsächlich denken würde, mit viel Geld wird man glücklich, dann müssten wir ja eine glückliche Gesellschaft sein. Aber man hat mal Umfragen in verschiedenen Ländern der Welt gemacht, und dabei kam raus, die glücklichsten Menschen leben in Bangladesch. Das ist eines der ärmsten Länder der Welt. Möglicherweise hat Glück mit was ganz anderem zu tun: mit dem Gefühl, in einer selbstverständlich sinnvollen Welt zu leben, in einer Familie, in einer Heimat, in einer Religionsgemeinschaft – und einen Sinn im Leben zu sehen. Ich glaube, man kann nur glücklich sein, wenn man irgendwie auch einen Sinn im Leben sieht.“

Die Suche nach dem Sinn des Lebens dürfte für die meisten Menschen aber genauso schwer sein, wie die Suche nach dem Glück. Besonders in Lebenskrisen wie Krankheit oder Tod stellt sich die Frage nach dem Lebenssinn. Einer buddhistischen Weisheit zufolge „werden wir geboren, um zu sterben, besitzen wir Dinge, um sie zu verlieren, begegnen wir Menschen, um sie zu verlassen“. Für Manfred Lütz stellt sich in diesem Zusammenhang eine weitere Frage:

„Wie geht man mit Schuld um, ja? Der Pilot der Germanwings-Maschine: War der schuldig, war der nicht schuldig? Er hatte offensichtlich eine schwere Depression. Wie geht man mit Leid um? Jehuda Bacon, einer der letzten Auschwitz-Überlebenden, der sagt: ‚Man kann im Leid glücklich sein.‘ Und wenn so jemand das sagt, dann ist das ja durchaus glaubwürdig.“

Der Pilot der Fluggesellschaft Germanwings, der am 24. März 2015 bewusst das Flugzeug mit 150 Insassen gegen einen Berg in den französischen Alpen steuerte, handelte in voller Absicht. Er war unglücklich, sah keinen Sinn mehr im Leben. Nur ist sein Handeln deshalb entschuldbar? Wie sollen Angehörige – auch die des Piloten – mit dem Leid, das er verursachte, umgehen? Leid wird in Verbindung gebracht mit Sinnlosigkeit, der Frage nach dem Warum. Manfred Lütz betrachtet das von philosophischer Seite:

„Der Philosoph Carl Jaspers hat gesagt: Die Grenzsituationen menschlicher Existenz sind unvermeidlich, Leid, Schuld, Kampf – also Auseinandersetzung – und Tod sind unvermeidlich. Und wenn man zeigen könnte, wie man in diesen Situationen glücklich sein kann, dann kann man unvermeidlich glücklich werden, das ist ja logisch.“

Eine schwierige Aufgabe. Mancher sucht Halt in Weisheiten, mancher bei „Glücksgurus“ oder in Ratgebern. Was empfiehlt Manfred Lütz denn, um ein glücklicher Mensch zu werden? Die Antwort fällt philosophisch aus:

„Man [ist] nicht glücklich, wenn man dauernd über Glück nachdenkt. Also Platon hat mal gesagt: ‚Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit.‘ Und wer dauernd über Glück redet, ist wahrscheinlich unglücklich.“

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