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Grilletta, Broiler und Co: Gerichte in der DDR

Die DDR existiert schon lange nicht mehr. Doch das, was gekocht und gegessen wurde, schon. Wer das auch im passenden Ambiente erleben möchte, kann etwa das Restaurant Volkskammer in Berlin besuchen.

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Die innerdeutsche Grenze zwischen DDR und BRD wurde geöffnet. Knapp ein Jahr später war Deutschland wiedervereinigt, die Deutsche Demokratische Republik nach etwas mehr als 40-jährigem Bestehen Geschichte. Seitdem ist viel Zeit ins Land gezogen, eine neue Generation herangewachsen, die nur noch aus Erzählungen weiß, wie das Leben in der DDR war – und vielleicht auch, was dort früher auf den Tisch kam. Und das unterschied sich von dem, was es auf der anderen Seite der Grenze gab. Wer heutzutage wissen möchte, wie der Osten von Deutschland so schmeckte, kann entweder selbst den Kochlöffel schwingen – Rezeptsammlungen und Kochbücher machen es möglich – oder in eins der Restaurants gehen, in denen DDR-Küchenklassiker auf den Tisch kommen.

Ein solches Restaurant befindet sich zum Beispiel in der Straße der Pariser Kommune 18B im Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg: die Volkskammer, benannt nach dem früheren DDR-Parlament. 2010 wurde es eröffnet. Das Ambiente versetzt die Gäste zurück in die DDR der 1970er- und 1980er-Jahre – angefangen beim Mobiliar über Bilder, Bücher und Originaldokumente bis hin zur Speisekarte. Besitzer Aurick Günther, selbst ausgebildeter Koch, ist noch in der DDR aufgewachsen und bietet Gerichte an, die damals beliebt waren. Dazu gehört beispielsweise das Jägerschnitzel. Die DDR-Variante unterscheidet sich allerdings deutlich vom Original. Denn, so erklärt Aurick Günther:

„In der DDR-Küche da musste man sich natürlich auch ein bisschen was einfallen lassen. Und zum Beispiel beim Jägerschnitzel – da wo eigentlich ’n Kalbsschnitzel schon was Hochwertigeres [war], aber bei uns war es eher das Schwein – gab’s auch nicht so oft –, da hat sich die ein oder andere Hausfrau so was dann einfallen lassen mit Jagdwurst.“

Eigentlich besteht das Jägerschnitzel aus einer Scheibe gebratenem Kalbs- oder Schweinefleisch und wird serviert mit einer Pilz-Tomaten- oder Pilz-Rahmsoße. Da in der DDR Lebensmittel aber rationiert waren, waren nicht immer alle verfügbar. Gab es zum Beispiel mal Fleisch zu kaufen, mussten DDR-Bürgerinnen und -Bürger oft in langen Schlangen vor dem Laden warten, sind aber vielleicht am Ende doch leer ausgegangen. Deshalb war häufig selbst bei einfachen Speisen Kreativität gefragt. Im Fall des Jägerschnitzels musste dann zum Beispiel eine Jagdwurst als Fleischersatz herhalten, eine Wurst, bestehend aus grob zerkleinertem Fleisch, verfeinert mit Senf und Knoblauch, die meist als Brotaufschnitt gegessen wird. Für die ostdeutsche Jägerschnitzel-Variante wird eine dicke Wurstscheibe in Mehl, Ei und Paniermehl gewendet und in Butterschmalz gebraten bis sie goldbraun ist. Auch bei der Soße hält sich Aurick Günther an das DDR-Originalrezept:

„In Butter schwenke ich Zwiebeln an, dann kommen geschälte Tomaten mit dazu, Ketchup, und ich persönlich nehme auch noch ein bisschen Gurkensaft dazu.“

Die Butter wird in einer Pfanne erwärmt, die Zwiebeln angeschwenkt. Dafür bewegt man die Pfanne leicht hin und her. Dann kommen noch Tomaten und Ketchup dazu und die persönliche Note Günthers: der süßlich-saure Saft eingelegter Gewürzgurken. Zuletzt wird das Ganze püriert. Fertig ist die sogenannte „rote Soße“. Auch für das Ragout fin gab es eine DDR-Variante, das „helle Würzfleisch“. Es besteht aus magerem, gekochtem und in feine Würfel geschnittenem Geflügel- oder Schweinefleisch. Dieses wird mariniert mit Weißwein, Worcestersoße, Zitrone, weißem Pfeffer und Salz, dann mit einer hellen Soße vermischt, in feuerfeste Förmchen gefüllt und mit Käse überbacken.

So wie beim Würzfleisch gibt es unzählige Speisen, die nicht nur anders zubereitet wurden als im Westen, sondern auch anders hießen. Denn nach offizieller Weisung durfte nichts darauf hindeuten, dass der „imperialistische Westen“ irgendeinen – auch sprachlichen – Einfluss auf den Arbeiter- und Bauernstaat hatte. „Fast Food“, das ab den 1970er-Jahren auch in der DDR immer beliebter wurde, hieß „Versorgungslösung“. Die „Ketwurst“, zusammengesetzt aus den Wörtern „Ketchup“ und „Wurst“, war eigentlich eine Art Hotdog. Auch die „Krusta“ erinnerte kaum an ihr westliches Gegenstück, die Pizza. Und die „Grilletta“? Deren Geheimnis lüftet Aurick Günther:

„Früher war das halt ’n Brötchen mit ’ner Boulette da drinne. Und heute kann ich [es] vergleichen, wie mit so ’ner Barbecue-Soße, was dann noch mit drauf war. Und das ist alles an der Grilletta gewesen, das Geheimnis.“

Die „Grilletta“ war der Ersatz für den Hamburger und bestand aus einem runden oder ovalen Brötchen mit harter Kruste, einer Schrippe. Darin lag eine Boulette, ein flacher, gewürzter und gebratener Hackfleischkloß. Je nachdem, was gerade verfügbar war, kamen noch Salat, Gurken, Tomaten oder Käse dazu. Als Soße wurde eine süß-saure Mischung aus Ketchup und Senf verwendet, eine Art Barbecue-Soße. Eine richtige Barbecue-Soße enthält weitere Zutaten. Beliebt an den Imbissständen Ost-Berlins waren natürlich auch die echte Currywurst und der „Broiler“, das DDR-Grillhähnchen. Die eigentliche DDR-Küche war laut Aurick Günther – unabhängig von „Ketwurst“ und Co. – ziemlich bodenständig:

„Die DDR-Küche ist halt wirklich so eine einfache, bürgerliche, gut sättigende Küche gewesen. Und wir haben viel selber eingeweckt und viel selber gemacht für schlechte Zeiten.“

War der Lebensmittelmangel mal zu groß, konnte man auf Eingewecktes zurückgreifen, Lebensmittel, die in luftdicht verschlossenen Gläsern haltbar gemacht wurden. Auch die anderen sozialistischen Länder prägten die DDR-Küche. Es gab beispielsweise Letscho, Paprikagemüse aus Ungarn, oder Soljanka, ein russischer Eintopf aus Wurst- und Fleischresten. Eigentlich, so erzählt Aurick Günther, wollte er zu DDR-Zeiten das Land verlassen:

„Ich hatte einen Ausreiseantrag laufen, ja. Ich bin so mit dem einen oder anderen nicht klargekommen, und dann habe ich mich dann nach etlichen Jahren dazu entschlossen: ‚Ne, ich möchte frei sein und nicht aufgezwungen bekommen, was ich zu denken habe und was nicht‘. Aber so war es wirklich eine sehr, sehr schöne Zeit.“

Aurick Günther war 20, als die Berliner Mauer fiel, sein laufender, gestellter, Ausreiseantrag somit hinfällig. Trotz eines Lebens in einem autoritären Staat erinnert er sich auch gern an die Zeit damals zurück. Und daran will er seine Gäste ein bisschen teilhaben lassen. Deren Reaktionen sprechen für sich:

„Ich bin eigentlich aus dem Westen. Mal was anderes. Man ist ja zu Ostzeiten wenig hier nach dem [in den] Osten gekommen. / Man wird in die Zeit von Ostdeutschland zurückversetzt. / Gold-Broiler, was ich heute gegessen habe, das war beliebt, wo [als] wir jung waren. Wir sind oft nachts noch mal losgezogen zu der Broiler-Bar und haben uns da ein Hähnchen geholt. / Also ich glaub schon, dass ich mich daran erinnere, dass das früher so war. Auch die Stühle sind schön unbequem. Aber dafür ist die Küche einfach top.“

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