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Große Koalition unter Kanzlerin Merkel

10. Oktober 2005

Nach Verhandlungen hinter verschlossenen Türen wurde nun eine Einigung erzielt: CDU-Chefin Angela Merkel soll neue Bundeskanzlerin werden. Union und SPD wollen in der kommenden Woche mit Koalitionsverhandlungen beginnen.

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Endlich am Ziel: Angela Merkel wird neue BundeskanzlerinBild: dpa - Bildfunk

Erste Bundeskanzlerin Deutschlands soll CDU-Chefin Angela Merkel an der Spitze einer großen Koalition werden: Diese Grundsatzeinigung ihrer Spitzenpolitiker billigten die wichtigsten Parteigremien von CDU, CSU und SPD am Montag (10.10.) in Berlin sowie in München. Sie machten damit den Weg für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen frei. Diese sollen Anfang nächster Woche beginnen und bis zum 12. November abgeschlossen sein. Den Vereinbarungen zufolge erhält die SPD insgesamt acht Ministerien, die Union neben dem Kanzleramt und Kanzleramtsminister sechs Ressorts.

Merkel, Schröder, Müntefering und Stoiber hatten in der Nacht zu Montag (10.10.) beraten und dabei auch die strittige Kanzlerschaft geklärt. Während die Vorstände von CDU und CSU das Ergebnis der Spitzengespräche einstimmig billigten, gab es bei der SPD zwei Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen. Zuvor hatten die Präsidien der Parteien zugestimmt.

Schröder zieht sich angeblich zurück

Den Unionsangaben zufolge erhält die CDU/CSU neben dem Wirtschaftsministerium die Ressorts Inneres, Verteidigung, Bildung und Forschung, Familie und Senioren sowie Verbraucherschutz und Agrar. Die SPD bekommt die Verantwortung für das Auswärtige Amt sowie die Ministerien für Finanzen, Arbeit, Gesundheit, Justiz, Verkehr, Entwicklung und Umwelt. Neuer Wirtschaftsminister soll CSU-Chef Edmund Stoiber werden. Das Ressort wird wie bislang die Zuständigkeit für Technologie umfassen. Außerdem soll es in der Europapolitik um Kompetenzen in der Industriepolitik erweitert werden. Der bisherige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wird nicht in ein Kabinett eintreten. Er kritisierte auch, dass die Ressorts Wirtschaft und Arbeit wieder getrennt werden.

Schröder hält sich bedeckt
Schröder hält sich bedecktBild: AP

Alle anderen Personalentscheidungen sind noch offen. Trotz massiven Drängens seiner Parteifreunde, das Amt des Vize-Kanzlers zu übernehmen, kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder im SPD-Vorstand nach Angaben von Teilnehmern seinen Rückzug aus der Regierung an. Es habe Stimmen im Vorstand gegeben, die eine Vizekanzlerschaft Schröders begrüßen würden. Schröder habe aber deutlich gemacht, dass er sich zu nichts zwingen lasse. "Das ist nicht meine Lebensplanung", wurde er von Teilnehmern der SPD-Vorstandssitzung zitiert

Personalkarussell dreht sich

SPD-Chef Franz Müntefering schloss einen Eintritt in eine Regierungsmannschaft nicht aus. Er war als möglicher Arbeitsminister und Vize-Kanzler im Gespräch. Für das Außenministerium wurde SPD-Kreisen zufolge der bisherige Verteidigungsminister Peter Struck genannt. Den Posten des Kanzleramtsministers könnte der bisherige Geschäftsführer der Union im Bundestag, Norbert Röttgen, übernehmen. CDU-Generalsekretär Volker Kauder könnte dann neuer Fraktionschef der Union werden. Den Bundestagspräsidenten stellt aber auf jeden Fall die Union. CDU-Bundesvorstandsmitglied Heinrich-Wilhelm Ronsöhr bestätigte, dass der bisherige Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert neuer Parlamentspräsident werden solle.

Vier Ziele der Verhandlungen

Union und SPD gehen nach den Worten von CDU-Chefin Angela Merkel mit vier inhaltlichen Zielen in die Verhandlungen über eine große Koalition. So sollten bis 2010 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf drei Prozent des Bruttosozialprodukts gesteigert werden, sagte Merkel am Montag in Berlin. Darüber hinaus hielten die Koalitionspartner betriebliche Bündnisse für Arbeit für "notwendig", doch solle deren Ausgestaltung mit den Sozialpartnern besprochen werden. Als dritten Punkt nannte Merkel eine Einkommenssteuerreform, bei der allerdings Sonn- und Feiertagszuschläge steuerfrei bleiben sollten. Zum Vierten sei eine Angleichung der Freibeträge für Erwachsene und Kinder sowie ein Elterngeld ins Visier genommen worden. Alles andere werde in den Verhandlungen geklärt, sagte die CDU-Vorsitzende. Auch über die Haushaltskonsolidierung sei noch kein Wort gesprochen worden.

"Koalition der neuen Möglichkeiten"

Die große Koalition müsse eine "Koalition der neuen Möglichkeiten" sein, die Sorge für die Schaffung neuer Arbeitsplätze trage, sagte Merkel. Union und SPD seien mit der gleichen Anzahl von Ministern am Kabinettstisch vertreten. Damit sei es nicht möglich, dass "der eine den anderen überstimmt", betonte Merkel. Die Verhandlungen mit der SPD würden sehr lange dauern. Den Verhandlungskommissionen von Union und SPD für die Bildung einer großen Koalition werden laut Merkel jeweils 15 Personen angehören.

Bei der Wahl zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands kann die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nicht mit den Stimmen der Liberalen rechnen. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, seine Partei sei mit der Einigung zwischen Union und SPD "ab heute Opposition" und nicht "das Reserverad der großen Koalition". Andere führende Vertreter des früheren Wunschpartners der Union gaben einer großen Koalition keine zwei Jahren.

Frankreich erfreut, Türkei wartet ab

Die europäischen Nachbarländer haben erleichtert und erfreut auf die Aussicht einer handlungsfähigen Koalitionsregierung in Deutschland reagiert. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gratulierte der möglichen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er begrüße, "dass sich die Parteien in Berlin auf eine starke und stabile Regierung geeinigt haben", sagte eine Sprecherin Barrosos. Deutschland sei "ein wichtiges Land für die Europäische Union", und Barroso freue sich, dass die Wartezeit vorüber sei.

Frankreichs Außenminister Philippe Douste-Blazy äußerte sich im Rundfunk "erfreut, dass Deutschland aus der Periode der Unsicherheit" herauskomme. Merkel werde als Bundeskanzlerin "dieselben Themen wie wir angehen müssen", sagte er und verwies vor allem auf das Problem der Arbeitslosigkeit.

Die Türkei erwartet auch unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) keine drastischen Veränderungen in den deutsch-türkischen Beziehungen. Merkel habe bereits mehrmals darauf verwiesen, dass sie sich in der Frage der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei an die Entscheidungen der EU halten werde, hieß es am Montag aus türkischen Regierungskreisen. Merkel und die CDU wandten sich bisher gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU und plädierten stattdessen für eine "privilegierte Partnerschaft" zwischen der EU und der Türkei. Dagegen unterstützte die SPD das türkische Beitrittsstreben. In Ankara hieß es dazu, Merkel werde in einer großen Koalition mit der SPD "nicht allein entscheiden" können. (ert)