Schild mit der Aufschrift "Herzlich Willkommen"

Höflichkeit – ein schwieriges Thema

Wovon hängt es ab, ob wir eine Äußerung als höflich empfinden? Und wie lassen sich Fragen der sprachlichen Höflichkeit im DaF-Unterricht vermitteln? Seit einigen Jahren gewinnt das Thema in der Forschung an Bedeutung.

Du oder Sie? Hallo, Herr Meier oder Sehr geehrter Herr Prof. Dr.? Halt's Maul oder Könntest du mich bitte einen Moment in Ruhe lassen? Anredeformen, Begrüßungsfloskeln und Co sind nur der Gipfel des Eisbergs, wenn es darum geht, in bestimmten Gesprächssituationen die passenden Worte zu finden. Die steigende Anzahl an Medienberichten zeigt, dass das Thema Höflichkeit in der öffentlichen Debatte wieder an Bedeutung gewinnt. Und die Vielfalt an kürzlich erschienenen Knigge-Ratgebern in den Regalen der Buchhandlungen können als Hinweis darauf gedeutet werden, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die Probleme mit den landestypischen Konventionen haben.

Höflichkeit – viel mehr als Konventionen und Etikette

„Das Thema Höflichkeit, das einige Jahre lang als unkonventionell angesehen wurde, rückt in den letzten Jahren wieder in den Fokus. Diskutiert wird häufig, dass Jugendliche, Politiker oder Medienvertreter angeblich keine Höflichkeit mehr kennen", sagt Eva Neuland, Germanistik-Professorin an der Universität Wuppertal. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Professor Claus Ehrhardt von der Universität Urbino leitet sie die Internationale Fachkonferenz „Sprachliche Höflichkeit: Historische, aktuelle und künftige Perspektiven", die vom 29. September bis 1. Oktober 2016 an der Universität Wuppertal stattfindet.

Anders als in den öffentlichen Debatten geht es auf dieser wissenschaftlichen Tagung natürlich nicht darum, den Verfall der Höflichkeit und die fehlende Etikette in unserer Welt zu beklagen: „Wir interessieren uns nicht dafür, wie Menschen sprechen sollen. Stattdessen beschreiben wir, wie Menschen sprechen und welche Rolle die Höflichkeit dabei spielt: Kann man zum Beispiel überhaupt kommunizieren, ohne höflich zu sein?", erklärt Claus Ehrhardt. Neben sprachwissenschaftlichen Arbeiten erwarten die Wissenschaftler auf der Tagung auch soziokulturelle, kulturanalytische, historische und sprachphilosophische Beiträge.

Kommunizieren, ohne zu verletzen – nicht nur ein Thema der Linguistik

Die Teilnehmer der Tagung untersuchen Höflichkeit unter anderem in der Literatur, im Film, in Wörterbüchern, in der Jugendsprache, auf Twitter, in Amazon-Rezensionen, in Treppenhaustexten, in Schulsprechstunden oder in Geschäftsbriefen. Dabei zeigt sich, dass die Kommunikation auch in Sachen Höflichkeitsstandards einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist und dass pauschale Verhaltensanweisungen, die in Ratgebern häufig vermitteln werden, in realen Kommunikationssituationen meist nicht weiterhelfen: Wie ließe sich sonst beispielsweise erklären, dass die Regel „Erwachsene, die sich nicht kennen, siezen sich" in vielen Berliner Cafés nicht mehr zu gelten scheint und dass das „Sie" in manch einem Start-Up-Unternehmen völlig unpassend daherkommt?

Teilnehmer am Berliner Start-up-Event Berlin
Gesiezt wird hier wohl kaum noch: Teilnehmer am Berliner Start-up-Event Berlinnull Jason Reich


Noch komplexer wird das Thema, wenn man interkulturelle Unterschiede in den Blick nimmt: „In den 80er- und 90er-Jahren ging die Höflichkeitsforschung noch von einem universellen Höflichkeitsbegriff aus. Inzwischen weiß man, dass Höflichkeit zwar überall existiert, aber unterschiedlich ausgedrückt wird", sagt Eva Neuland. Und Claus Ehrhardt erläutert. „Das Englische ist natürlich nicht unhöflich, obwohl es keine Du-Sie-Unterscheidung gibt. Aber im Japanischen gibt es ein deutlich ausgeklügelteres System der Ansprachen als etwa im Deutschen oder Englischen. Und Komplimente sind in südeuropäischen Gesellschaften verbreiteter als etwa in Deutschland, weshalb Deutsche in Italien sich häufig geschmeichelt fühlen, während Italiener in Deutschland sich manchmal etwas vernachlässigt vorkommen."

Handlungskompetenz statt Verhaltensregeln

Diesen unterschiedlichen Realisierungsformen von sprachlicher Höflichkeit auf die Schliche zu kommen, ist eine große Herausforderung für Fremdsprachenlerner. Viele DaF-Lehrwerke führen typische Redemittel ein, also Hallo x, Guten Tag, Frau y, bitte, danke usw. Sie erläutern auch, wann geduzt bzw. gesiezt wird und vermitteln vielleicht sprachliche Formen wie Wollen wir uns duzen?, die zur Überleitung eingesetzt werden können. Darüber hinaus führen DaF-Lehrwerke den Einsatz von Modalverben, Konjunktiv II, Partikeln und der passenden Intonation ein, die bei der Formulierung höflicher Äußerungen eine wichtige Rolle spielen. Denn es macht einen Unterschied, ob ich schreie „Schließ das Fenster!" oder freundlich frage „Könntest du bitte das Fenster schließen?".

Darüber hinaus bieten viele DaF-Lehrwerke in Sachen Beziehungsarbeit allerdings noch ein großes Entwicklungspotential, meint Ulrike Simon, die am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Bari tätig ist und die Behandlung von Höflichkeit in DaF-Lehrwerken untersucht: „Der DaF-Unterricht muss dafür sensibilisieren, dass es in der Kommunikation nicht nur um den Informationsaustausch, sondern auch um die Gestaltung der Beziehung unter den Gesprächspartnern geht. Nur dann können Lernende die Kompetenz entwickeln, situations- und adressatengerecht mit der Sprache umzugehen." So hätten Analysen ergäben, dass Lehrwerke häufig aufzeigen, wie man sich nicht verhalten soll, satt Handlungsalternativen zu bieten

Ulrike Simon hat dazu in der Vergangenheit ein Modell für Germanistikstudierende im Ausland entwickelt, das DaF-Lehrkräften empfiehlt, die Lernenden zunächst theoretisch mit Begrifflichkeiten der Interkulturellen Kommunikation vertraut zu machen. Dieses Wissen sollen die Lernenden dann vor der Folie der eigenen Erfahrungswelt reflektieren. Anhand von Fallbeispielen werden  mögliche Konflikte beschrieben und analysiert. Auf dieser Basis können Studierende dann Handlungsalternativen entwickeln, Musterdialoge formulieren und situationsadäquates (Sprach-)Handeln in Rollenspielen ausprobieren.