Manuskript

Herbstliche Impressionen

Das Laub raschelt unter den Füßen, Kinder lassen Drachen steigen, Erntedankfeste werden gefeiert, manchmal grüßt der Altweibersommer noch mal. Der Herbst könnte so schön sein, wenn der Winter nicht wäre.


„Wenn Blätter von den Bäumen stürzen, / die Tage täglich sich verkürzen, / wenn Amsel, Drossel, Fink und Meisen / die Koffer packen und verreisen, / wenn all die Maden, Motten, Mücken, / die wir versäumten zu zerdrücken, / von selber sterben – so glaubt mir: / es steht der Winter vor der Tür! / Ich lass ihn stehen! Ich spiel ihm einen Possen! / Ich hab die Tür verriegelt und gut abgeschlossen! / Er kann nicht rein! Ich hab ihn angeschmiert! / Nun steht der Winter vor der Tür – / und friert!“

Der deutsche Humorist, Dichter und Schauspieler Heinz Erhardt drückt in seinem Gedicht das aus, was viele Menschen fühlen, wenn der Herbst gekommen ist: Trauer darüber, dass es nun abends früher dunkel wird, die Tage sich verkürzen, und der Winter naht, vor der Tür steht. Ein Zeichen dafür sind auch die Singvögel, die ihre Koffer packen und verreisen, sich auf den Weg machen in Länder, wo es wärmer ist. Lästige Insekten wie Maden, Motten und Mücken, die einen im Sommer geplagt haben, sterben jetzt ganz von selbst. Im Gedicht kann man den Winter mit einem Trick täuschen, ihn anschmieren oder ihm einen Possen spielen, Unfug mit ihm treiben, aber in der Realität geht das leider nicht.

Denn auf der Nordhalbkugel der Erde beginnt der kalendarische Herbst am 22. oder 23. September und endet offiziell am 21. oder 22. Dezember. Welche Impressionen Menschen mit der Jahreszeit verbinden, erfährt man unter anderem bei einer Straßenumfrage:

„Der Herbst ist für mich ein einziger Farbenrausch. / Man sagt ja so: ‚Der goldene Herbst’, also die Farben, das Gelbe, das Orange, das Rote, die Farben der Blätter verändern sich. Wenn ich mir was nicht durch die Lappen gehen lasse, dann ist das so ’n schöner Herbstspazier[gang]. / Ja, der Sommer ist vorbei, die Energie lässt nach, es wird früher dunkel. Und man hat so ’n Schachmattgefühl dann irgendwie. Schön wär’ am Herbst, wenn wir noch ’n netten Altweibersommer kriegen würden.“

Die schönen, gelb-orange gefärbten Blätter, die im milden, herbstlichen Sonnenschein wie Gold schimmern, haben dem „goldenen Herbst“ seinen Namen gegeben. Schnell geraten Spaziergänger* dann in einen Farbrausch, einen Zustand großen Glücksgefühls, den sie beim Anblick dieses Farbenmeers empfinden. Einen solchen Anblick sollte man sich auf keinen Fall durch die Lappen gehen, entgehen, lassen. Doch es gibt auch die Kehrseite des Herbsts: Regen und Stürme. Bei einem so trüben Wetter lässt die Energie nach, man fühlt sich müde, schlapp oder sogar komplett energielos, schachmatt. Manchmal gibt es allerdings noch einen Altweibersommer, eine Schönwetterperiode im Herbst. Gerade dann macht natürlich nicht nur ein Waldspaziergang besonders viel Freude, sondern auch der Besuch von Festen, die speziell im Herbst stattfinden. Dazu gehören Erntedankfeste oder Weinfeste:

„Erntedankfest ist bei uns im Dorf der Höhepunkt im Herbst. Da stellen wir schon so Einiges auf die Beine. Und das Größte ist wirklich, wenn dann die Freiwillige Feuerwehr zum Tanz aufspielt. / Also, ich war schon mal bei ’ner Weinlese dabei. Das ist echte Knochenarbeit, aber irgendwie muss man sich dann immer erst mal die Sporen verdienen. Vorher kann man auch den Wein nicht genießen.“

Zum Erntedank wird überall im Land viel auf die Beine gestellt, veranstaltet. Mancherorts organisiert beispielsweise die örtliche Freiwillige Feuerwehr, eine Brandlösch-Truppe hauptsächlich ehrenamtlich tätiger Männer und Frauen, Tanzveranstaltungen. Durch die Dörfer fahren bunt geschmückte Traktoren, die „Erntekronen“ transportieren. Dafür wird traditionell aus Getreide oder Weinreben eine Krone geflochten. An Straßenrändern stehen Tische oder Schubkarren, auf denen kunstvoll Feldfrüchte, Getreide und Obst präsentiert werden. Weithin sichtbar sind große Stroh- oder Heupuppen mit einem Willkommensgruß. Die Kirchen feiern Erntedank mit Prozessionen, bei denen Menschen Obst und Gemüse in die Gotteshäuser bringen.

Vor allem in den Weinanbaugebieten Deutschlands finden allerorten Weinfeste statt. Der Wein, der dort getrunken wird, ist jedoch Produkt harter Knochenarbeit, körperlich anstrengender Arbeit. Die Weinreben müssen von Hand geerntet werden. Wer selbst mal bei einer Weinlese dabei war, weiß, dass er sich danach seine Sporen verdient, sich durch eine besondere Leistung ausgezeichnet hat.

Der Herbst ist auch eine Jahreszeit, in der vor allem Kinder auf ihre Kosten kommen:

„Im Herbst kann man Drachen steigen lassen und dann kann man auch Kastanien sammeln und daraus Tiere basteln. / Und es ist voll cool, wenn überall Blätter liegen und das so raschelt, wenn man dann reinspringt. / Ja, und an Halloween, da verkleiden wir uns und ziehen von Haus zu Haus. Und das macht auch vollen Spaß.“

Kinder haben Freude daran, sowohl selbstgebastelte als auch gekaufte Papier- oder Plastikdrachen in die Luft steigen zu lassen, denn im Herbst ist es oft sehr windig. Oder sie sammeln die braunen Früchte der Kastanienbäume und basteln aus ihnen mit Streichhölzern Figuren und kleine Menschen. Und am 31. Oktober steht im Kalender vieler Familien Halloween, ein Fest, das ursprünglich aus Irland stammt und inzwischen auch in Deutschland viele Anhänger hat. Mit gruseligen Masken und bösen Fratzen von Hexen und Geistern verkleidet ziehen vor allem Kinder von Haus zu Haus und verlangen dort „Süßes“, weil es sonst „Saures gibt“. Wer ihnen keine Süßigkeiten gibt, muss damit rechnen, dass ihm ein Streich gespielt wird. Und was wäre der Herbst ohne Kürbisse, die nicht nur zu leckeren Gerichten verarbeitet werden, sondern auch ausgehöhlt und mit Gesichtern versehen als Kerzenhalter auf Tischen und in Fenstern stehen.

Viel älter als Halloween ist hierzulande allerdings der Brauch, am 11. November, dem Martinstag, mit Laternen durch die Straßen zu ziehen und Lieder zu singen – zur Erinnerung an jenen Bischof, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Kalendarisch ist der Herbst zwar noch nicht zu Ende, aber die meisten fühlen sich im November schon wie im Winter.

„Laterne, Laterne, / Sonne, Mond und Sterne. / Brenne auf mein Licht, / Brenne auf mein Licht, / Aber nur meine liebe Laterne nicht …“

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