Integration: mehr Licht als Schatten
Der aktuelle Integrationsbericht der Bundesregierung zeigt: Trotz Hürden macht die Integration von Menschen mit Einwanderungsgeschichte Fortschritte. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt gibt es positive Entwicklungen.
Kaum ist Assad gestürzt, kann es einigen Politikern in Deutschland nicht schnell genug mit der Abschiebung von Geflüchteten aus Syrien gehen. Das passt zu einer Debatte über Migration, die oft geprägt ist von Angst und Ressentiments und bei der es vor allem darum geht, möglichst lautstark eine Begrenzung der Migration zu fordern.
Welche Bedeutung Zuwanderung jedoch für Deutschland hat und welche Chancen sie bietet, zeigt der 14. Integrationsbericht der Bundesregierung, den die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD) am 11. Dezember in Berlin vorgestellt hat. Der Bericht wurde vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) erstellt. Er zeigt ein Gesamtbild der Einwanderungsgesellschaft anhand von 60 Indikatoren in 14 Themenfeldern. Dazu zählen unter anderem Demografie, Bildung, Arbeit, Wohnen, politische und gesellschaftliche Teilhabe und Gesundheit. Laut Alabali-Radovan belegt der Bericht: „In allen Lebensbereichen gelingt Integration besser.“
Insgesamt lebten 2023 in Deutschland 21,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte – rund ein Viertel der Bevölkerung. Die Zahl der Einbürgerungen hat 2023 mit rund 200.000 einen Höchststand erreicht. Erwartet wird eine weitere Steigerung, da es seit Mitte dieses Jahres grundsätzlich möglich ist, neben dem deutschen weitere Pässe zu behalten.
Positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
Ein Schwerpunkt des Berichts ist das Thema Arbeit. So beträgt etwa der Anteil der Erwerbstätigen unter den Menschen mit Einwanderungsgeschichte rund 69 Prozent, bei den Menschen ohne liegt er bei 81 Prozent. Die Erwerbstätigenquoten stiegen zwischen 2005 und 2023 bei allen Personen mit Einwanderungsgeschichte (15 bis 64 Jahre), besonders stark bei denjenigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (von etwa 35 Prozent im Jahr 2005 auf 60 Prozent im Jahr 2023). Der Zuwachs bei der Beschäftigung in Deutschland gehe seit einigen Jahren zu 100 Prozent auf Menschen ohne deutschen Pass zurück, so Alabali-Radovan.
Zwei Drittel der Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit üben demnach eine qualifizierte Tätigkeit aus. 1,3 Millionen Personen arbeiteten oder starteten eine Ausbildung in einem sogenannten Engpassberuf, etwa im Beton- und Stahlbau, als Bus- und Straßenbahnfahrer oder in der Pflege. Großes Potenzial bestehe weiterhin bei der Integration von eingewanderten und geflüchteten Frauen in den Arbeitsmarkt. Eine Hauptschwierigkeit sei hier die Kinderbetreuung, insbesondere die fehlende Anzahl von Integrationskursen mit Kinderbetreuung.
Herausforderung Bildung
Alabali-Radovan wies darauf hin, dass viele Strukturen, Institutionen und Behörden noch nicht „auf unsere vielfältige Gesellschaft“ ausgerichtet seien, vor allem im Bildungsbereich. Die Beauftragte forderte für Kitas ein sogenanntes Startchancen-Programm, wie es bereits zur Förderung von besonders benachteiligten Schulen existiert.
Insgesamt sieht sie jedoch auch im Bildungsbereich positive Entwicklungen. So stieg die Quote der unter dreijährigen Kinder mit Einwanderungsgeschichte, die eine Kita besuchen, seit 2009 von 10,5 Prozent auf 22,3 Prozent; in der Schule haben Kinder von Eingewanderten seit 2006 bei den Kenntnissen deutlich zugelegt, und von den 18- bis 24-jährigen Eingewanderten besuchten 2023 fast doppelt so viele eine Hoch- oder Fachhochschule wie noch 2005 (19,3 statt 10,7 Prozent). Der Anteil der Eingewanderten mit akademischem Abschluss verdoppelte sich ebenfalls fast (24,8 statt 13,1 Prozent). Allerdings verließen zuletzt wieder etwas mehr Kinder mit Einwanderungsgeschichte die Schule ohne Abschluss, 2022 waren es 12,4 Prozent. Ein Grund hierfür sei der Zuzug geflüchteter Jugendlicher.
Rassismus und Gewalt
Zum Thema Kriminalität und Gewalt hält der Bericht fest, dass im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung Ausländer häufiger Täter und Opfer von Straftaten seien. Das liege unter anderem daran, dass Menschen ohne deutschen Pass oftmals jung und männlich seien, häufiger in Großstädten lebten und im Schnitt stärker von sozialen Risikofaktoren betroffen seien.
Besonders auffällig: Laut Bericht haben sich von Hass geleitete Gewalttaten gegen Menschen mit Einwanderungsgeschichte zwischen 2005 und 2023 verdreifacht, auf 1591 Fälle. Dem Bericht zufolge hat jeder fünfte Eingewanderte und jeder Vierte unter ihren Nachkommen persönliche Rassismuserfahrungen.
Diskussion versachlichen
Alabali-Radovan betonte, dass Rassismus und aufgeheizte öffentliche Debatten über Migration das Ankommen von Zugewanderten in Deutschland und die Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte behindern würden. Einen Tag nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad über Rückführungen nach Syrien zu diskutieren, sei „absolut unangebracht“, sagte die Staatsministerin. In Deutschland leben laut Alabali-Radovan 222.610 erwerbstätige Syrer. Hinzu kommen den Angaben zufolge rund 65.000 syrische Minijobber. Viele Syrerinnen und Syrer arbeiteten in systemrelevanten Berufen, unter ihnen 5000 Mediziner.
DeZIM-Direktor Frank Kalter äußerte die Hoffnung, dass die im Bericht enthaltenen Daten und Fakten dazu beitragen, die Debatte über Integration zu versachlichen: „Integration wird oft vereinfacht diskutiert, die Realität ist aber komplex.“ Der Bericht zeige, dass Fortschritte und Hürden parallel existierten.
ip/io (mit KNA, dpa, epd)