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Islamfeindlichkeit in Deutschland weit verbreitet

Wie groß sind die Ressentiments gegen die 5,5 Millionen Muslime in Deutschland? Das hat das Bundesinnenministerium untersuchen lassen. Nach drei Jahren liegt der Abschlussbericht vor.

Schild mit durchgestrichener Moschee, dahinter eine Deutschland-Flagge (Quelle: Caroline Seidel/picture alliance/dpa)

Eine feindliche Haltung gegenüber Muslimen ist in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft verbreitet und alltägliche Realität. Jeder Zweite in Deutschland stimmt islamfeindlichen Aussagen zu. Zu diesem Ergebnis kommt der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) in seinem Abschlussbericht „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“. Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau 2020 hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den neunköpfigen Expertenrat ernannt und mit der Studie beauftragt.

Drei Fragestellungen standen im Zentrum: Was ist Muslimfeindlichkeit genau? Wie wirkt sie sich auf unterschiedliche Bereiche im Leben und Alltag aus? Was muss getan werden, um Muslimfeindlichkeit in Deutschland zu begegnen? Auf mehr als 400 Seiten zeichnen die neun Verfasser ein gesellschaftliches Lagebild auf der Grundlage von wissenschaftlichen Studien, der polizeilichen Kriminalstatistik und der Dokumentation von muslimfeindlichen Fällen durch Antidiskriminierungsstellen, Beratungsstellen und NGOs.

Diskriminierung bis hin zu Gewalt

Der UEM definiert Muslimfeindlichkeit als „die Zuschreibung pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften gegenüber Musliminnen und Muslimen und als muslimisch wahrgenommenen Menschen“. Dadurch werde „bewusst oder unbewusst eine Fremdheit oder sogar Feindlichkeit“ konstruiert, die zu vielschichtigen gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozessen, bis hin zu Gewaltanwendung führe.

2017 wurden explizit islamfeindliche Straftaten erstmals in der polizeilichen Kriminalstatistik gesondert erfasst. Für das Jahr wurden 1.075 Fälle von Beleidigung, Volksverhetzung und Bedrohung, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung verzeichnet. Die Fallzahlen schwanken seitdem zwischen mehr als 700 und mehr als 1000 Fällen. Der überwiegende Teil wird als Straftaten aus rechtsextremer Motivlage eingeordnet.

Ein Frau in Wintermantel und mit Kopftuch steht in der Tür eines Gebäudes, dessen Fassade und Fenster mit schwarzer Farbe besprüht sind. (Quelle: Jan Woitas/dpa/picture alliance)
Farbanschlag auf eine Moschee in Leipzig im April 2017null Jan Woitas/dpa/picture alliance

Das Kopftuch als negatives Symbol

Muslimfeindlichkeit beginne nicht erst, wo Moscheen verwüstet werden, sagt Anja Middelbeck-Varwick, Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Mitglied des UEM. „Es ist ein strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem.“

Muslimen werde eine mangelnde Integrationsfähigkeit unterstellt sowie die Neigung, sich bewusst abzugrenzen und Kontakte zu Andersgläubigen zu meiden. Muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, berichteten, dass sie als nicht selbstbestimmt wahrgenommen und in der Öffentlichkeit häufig angefeindet würden. Muslimischen Männer wiederum wird laut Bericht pauschal eine Affinität zu Gewalt, Extremismus und patriarchalen Wertvorstellungen unterstellt.

Besonders problematisch sei die Gleichsetzung von muslimischer Frömmigkeit mit Fundamentalismus, die mit massiver Ablehnung religiöser Ausdrucksweisen von Muslimen einhergehe. Es gebe sogar die Bereitschaft, Einschränkungen des Grundrechts der Religionsfreiheit für Muslime zu befürworten und ihnen das Recht auf gleiche Teilhabe abzusprechen.

Defizite auch in der Politik

Die Studie befasst sich auch mit den deutschen Parteien. Im Bundestag trete die rechte AfD „mit einem manifesten muslimfeindlichen Programm“ auf. Bei der CDU/CSU lasse sich „eine latente Muslimfeindlichkeit“ erkennen, der Islam werde nicht konsequent als Teil der deutschen Nation beziehungsweise Kultur anerkannt. Allen anderen Parteien wird attestiert, den institutionellen Rassismus nicht konsequent zu bekämpfen. Ausgenommen sei die Partei Die Linke.

Nancy Faeser steht an einem Rednerpult. Im Hintergrund ist eine blaue Wand zu sehen, auf der das Logo der Deutschen Islamkonferenz abgebildet ist. (Quelle: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser 2022 bei der Deutschen Islamkonferenznull Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist der Abschlussbericht zur Muslimfeindlichkeit ein „bitterer Befund“. Es sei sehr wichtig, Ausgrenzung und Diskriminierung sichtbar zu machen und Bewusstsein zu schaffen. Von den rund 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens seien eine Mehrheit deutsche Staatsangehörige. „Wenn wir also über Muslim- oder Islamfeindlichkeit sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie keine abstrakte Gruppe, sondern konkret unsere Kolleginnen, Nachbarn, Schulkameraden und Freundinnen trifft“, so Faeser.

Zahlreiche Empfehlungen

Alle Menschen in Deutschland müssten die gleichen Chancen und Rechte haben. „Muslimisches Leben gehört selbstverständlich zu Deutschland.“ Es gelte nun, „sich ernsthaft mit den Empfehlungen des Berichtes auseinanderzusetzen und entschlossen gegen Muslimfeindlichkeit vorzugehen“.

Junge und ältere Menschen sitzen in einer Moschee auf dem Teppichboden (Quelle: Fabien Sommer/dpa/picture alliance)
Tag der offenen Moschee: Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind Interessierte jährlich am 3. Oktober eingeladen, den Islam besser kennenzulernennull Fabien Sommer/dpa/picture alliance

Die Experten halten zahlreiche Empfehlungen bereit. Zunächst die, dass sich alle Menschen und Organisationen im Land, die nicht unmittelbar diskriminiert werden, solidarisch verhalten. Sie regen die Ernennung eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit an und die Einberufung eines Sachverständigenrats. Zudem müssten Beschwerde-, Melde- und Dokumentationsstellen auf- und ausgebaut werden.

Schulbücher überarbeiten

Die Bundesregierung soll eine Strategie zur Förderung der Teilhabe von Menschen „mit muslimischen Identitätsbezügen“ in allen staatlichen Einrichtungen erarbeiten – mit bindenden Zielvorgaben, Öffentlichkeitsarbeit und gezielten Kampagnen. Für Lehrer, Erzieher und Polizisten, aber auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Justiz, Verwaltungen, Medienhäusern und Kultureinrichtungen müsse es Fort- und Weiterbildungen geben.

In den Schulen müsse die Auseinandersetzung mit Muslimfeindlichkeit verpflichtend werden. Die Kulturministerkonferenz, also die für Bildung zuständigen Landesminister, fordern die Experten zu einer „fächerübergreifenden Überarbeitung der Lehrpläne und Schulbücher“ auf, um muslimfeindliche Inhalte zu entfernen.

Muslime: In deutschen Filmen negativ behaftet

Defizite sieht der UEM sogar in Bereichen, die allgemein als besonders tolerant gelten, darunter die Kultur. Die Analyse der Islamdarstellung im deutschsprachigen Film zeige in knapp 90 Prozent der untersuchten Filme einen thematischen Negativbezug. „Im Mittelpunkt stehen Geschichten über Terroranschläge, Radikalisierung, Kriege und Frauenunterdrückung.“ Die Vielfalt muslimischer Lebensentwürfe und -geschichten bleibe weitestgehend unsichtbar.

Mit dem Abschlussbericht des Expertengremiums soll sich als Nächstes die Deutsche Islamkonferenz beschäftigten, aus deren Mitteln die Arbeit des UEM finanziert wurde. Im Herbst ist eine Fachkonferenz geplant.

Sabine Kinkartz