Mehrere Frauen und Männer in Anzügen sitzen in einem Besprechungsraum mit Laptops an einem Konferenztisch (Quelle: Zeljke Dangubic/Westend61/picture alliance)
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Wie sich die Anrede im Deutschen verändert

Immer seltener wird im Alltag gesiezt. Seit Jahrzehnten gibt es einen Trend zum weniger formalen „Du“, so ein Experte. Doch er ist sich sicher, dass das Duzen auch etwas suggerieren kann, was gar nicht da ist.

Wir leben in einer Kultur des Duzens: ob in den sozialen Netzwerken, am Arbeitsplatz oder im Radio. Das „Du“ ist mittlerweile fester Bestandteil der Alltagskommunikation – und sogar dort gang und gäbe, wo es früher nicht denkbar gewesen wäre, etwa beim Einkaufen oder in der Werbung. Für Knigge-Experte und Business-Etikette-Trainer Clemens Graf von Hoyos ist das die Folge einer Entwicklung, die bereits vor Jahrzehnten eingesetzt hat.

Die Abgrenzung zwischen dem „Du“ und dem „Sie“ ist kein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Sprache. Das hat eine Analyse des World Atlas of Language Structures (WALS) ergeben. Demnach wird zwar in mehr als der Hälfte der 207 untersuchten Sprachen keine Unterscheidung zwischen dem Duzen und Siezen getroffen. Zu diesen Sprachen zählt beispielsweise das Englische. Aber 49 Sprachen weisen, wie das Deutsche, eine Unterscheidung zwischen “Du” und “Sie” auf. Mehr als ein Dutzend Sprachen haben ein komplexeres Höflichkeitssystem.

Entwicklung der Anrede in Deutschland

Vor rund 200 Jahren habe man es noch möglichst vermieden, das Gegenüber überhaupt zu duzen oder zu siezen, sagt Hoyos, der seit knapp zehn Jahren Vorsitzender der Deutschen-Knigge-Gesellschaft ist. „Ich hoffe, Ihre Hochwohlgeboren haben gut geschlafen“, hieß es damals. Daraus wurde dann „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Herr Mustermann“ und schließlich „Ich hoffe, du hast gut geschlafen“. Drehe man diese Entwicklung weiter, könnte es sein, dass irgendwann – wie in der Jugendsprache schon üblich – gar nicht mehr mit Namen und Anrede gesprochen werde. Die Frage würde dann etwa lauten: „Jo, Diggi, gut geschlafen?“

Vor dem Hintergrund einer Sprache, die auch nichtbinäre Personen mitdenkt, – also diejenigen, die sich nicht den Kategorien von Mann und Frau zuordnen, – empfiehlt Hoyos, sich auf Vor- und Nachnamen der Personen zu beschränken, ohne dabei das Geschlecht zu nennen. Ein Beispiel wäre: „Guten Tag, Kim Mustermann“. So wird es auch bereits teilweise von öffentlichen Verwaltungen und Institutionen praktiziert.

Duzen als Ausdruck der Zusammengehörigkeit oder des Vertrauens?

Vor allem in der Unterhaltungsbranche wird das Duzen mit dem Wunsch nach Zusammengehörigkeit begründet. Seit Monaten geht etwa der Hörfunksender WDR 2 verstärkt dazu über, die Hörerinnen und Hörer zu duzen. Der Gedanke dahinter: das Community-Gefühl zu stärken und Menschen enger an den Sender zu binden, sagte eine Sprecherin dem Onlinemagazin DWDL.de.

Hoyos zufolge ist das Duzen für den einen eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe, für den anderen eine Grenzüberschreitung. Es brauche bei der Anrede immer auch Feingefühl, mahnt der Experte. Besonders am Arbeitsplatz dürfe man sich von einer Kultur des Duzens nicht täuschen lassen, betont er. Oft werde dadurch suggeriert, dass in einem Unternehmen besonders flache Hierarchien herrschten, obwohl das nicht der Fall sei: „Kultur fängt im Kopf an und ist keine Frage des Duzens oder des Krawatte-Tragens.“

rh/sts (mit KNA)