Asyl im Kloster
Für Flüchtlinge, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, ist das Kirchenasyl oft die letzte Chance. Denn Menschen, die in Kirchen flüchten, stehen unter besonderem Schutz. Harman aus dem Irak ist einer dieser Flüchtlinge. Er lebt mit seinem Bruder in einem Kloster. Dort bekommt er Essen, eine Unterkunft und Deutschunterricht. Die Frauen im Kloster versuchen, ihn zu schützen. Aber das ist heute nicht mehr so einfach, denn die Gesetze sind strenger geworden.
SPRECHER:
Wenn Schwester Geraldine zur Arbeit ruft, ist Harman zur Stelle. Heute wartet auf den jungen Iraker Gartenarbeit. Die tägliche Beschäftigung im Klosterhof hilft ihm, die Angst vor einer Abschiebung zu vergessen. Denn eigentlich müsste der Angehörige der jesidischen Minderheit zurück nach Rumänien, weil er dort die EU betreten hatte. So verlangen es die EU-Abkommen. Doch dort soll er von der Polizei misshandelt worden sein.
HARMAN:
Ich wünschte, ich könnte das Klostergelände als freier Mensch verlassen, ohne fürchten zu müssen, dass mich dann sofort die Polizei festnimmt und mich wieder zurückschickt.
SPRECHER:
Doch hinter den Mauern des Dominikanerinnenklosters sind Harman und die fünf anderen Kirchenasyl-Flüchtlinge sicher – vorerst jedenfalls. Hier bekommen sie von den Schwestern nicht nur Essen und Unterkunft, sondern auch jeden Nachmittag Deutschunterricht.
SCHWESTER:
Und?
HARMAN:
Zehn vor drei.
SCHWESTER:
Ja.
SPRECHER:
Früher bekamen abgelehnte Asylbewerber, die sich wie Harman danach in eine Kirche flüchteten, fast immer die Chance einer zweiten Anhörung. Doch das scheint vorbei. Das zuständige Bundesamt lehnt neuerdings fast alle Anträge ab. Die Verschärfung des Kirchenasyls stellt die Klostergemeinschaft vor zusätzliche Probleme. Schwester Geraldine weiß oft nicht, wie lange die Schützlinge bei ihr bleiben müssen. Und sie muss manchmal Hilfe suchende Flüchtlinge abweisen.
SCHWESTER GERALDINE:
Das ist ... als die Asylsuchenden auch selber hierherkamen – am Boden zerstört – und vor mir lagen, weinten. Und wenn ich dann sagen musste: „Wir haben keinen Platz, wir haben schon so viele und das geht nicht mehr“, da habe ich gedacht: Mein Gott, das ist die Hölle, das hältst du nicht immer aus.
SPRECHER:
Im fernen Berlin stößt so viel christliche Nächstenliebe bei Innenpolitikern auf Skepsis. Man werde das Kirchenasyl respektieren und niemanden mit Polizeigewalt herausholen. Aber rechtsfreie Räume würden nicht toleriert.
THORSTEN FREI (CDU, Abgeordneter Deutscher Bundestag):
Auch im Kirchenasyl kann es nur das zusätzliche Recht einer Überprüfung geben. Dass man automatisch dem Anliegen der Kirchengemeinden recht gibt, ist doch ’ne völlig falsche Vorstellung. Das wäre in einem Rechtsstaat absolut nicht akzeptabel.
SPRECHER:
Und das setzt Schwester Geraldine unter Druck. Sie sucht den Kontakt zu anderen der landesweit rund 450 Gemeinden mit Kirchenasyl. Gemeinsam wollen sie sich dagegen wehren, dass ein Flüchtling neuerdings mindestens 18 Monate in den Kirchenräumen leben muss, wenn die Ausweisung verhindert werden soll. Denn erst dann ist die Frist zur Abschiebung in einen anderen EU-Staat für Flüchtlinge abgelaufen.
SCHWESTER GERALDINE:
Wenn die diesen Brief erhalten – also: „Ihre Frist hat sich auf 18 Monate verlängert“ – die meisten fallen in ein Loch. Es ist auch schon mal so, dass jemand gesagt hat: „Ich hau ab, ich such mir ein anderes Land.“ Manche haben wirklich erst mal ’ne längere Depression, wirklich.
STEPHAN REICHEL (Hilfsorganisation „Matteo – Kirche und Asyl“):
Ich selber finde es sehr bedauerlich, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat derzeit sehr viel Kirchenasyle machen müssen. Aber auch der Rechtsstaat ist nicht unfehlbar. Mir hat neulich ein hoher Richter selber gesagt: „Wir brauchen Kirchenasyl, weil wir Richter sind auch nicht unfehlbar und da gibt’s ein gewisses humanitäres Korrektiv.“
SPRECHER:
Während sein jüngerer Bruder Asylschutz bekommen hat und in der nächsten Kleinstadt zur Schule gehen kann, muss Harman im Kloster weiter warten. Wenn er mit seinen Eltern und Geschwistern im Irak spricht, dann macht er sich ständig Sorgen. Vor fünf Jahren wurden rund 7000 Frauen und Kinder von der Terrorgruppe IS im Irak versklavt. Viele seiner jesidischen Verwandten wurden getötet.
HARMAN:
Mein Onkel auch. Und jetzt kann ich nicht zurückgehen nach Irak.
SPRECHER:
Schwester Geraldine will standhaft bleiben. Für sie ist klar: Harman und ihre anderen Schützlinge dürfen so lange im Kloster bleiben, bis sich eine Lösung gefunden hat.
SCHWESTER GERALDINE:
Der Leitspruch da: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, das ist ... Wir sagen immer, wir leben nach den Werten des Evangeliums und das ist dann eigentlich nur in die Praxis umgesetzt.
SPRECHER:
Harman ist kein Christ, aber in die Klosterkapelle zieht es ihn immer wieder. Aus Dankbarkeit. Und Bewunderung. Denn er weiß: Ohne den festen Glauben der Ordensschwestern wäre er vermutlich nicht mehr in Deutschland.