Nachrichten für Lehrkräfte

KI: Der Elefant im Klassenzimmer

Künstliche Intelligenz beeinflusst bereits heute das Lehren und Lernen von Sprachen. Auf der IDK 2023 in Winterthur suchten Vertreter der globalen DaF/DaZ-Szene nach Wegen für einen sinnvollen Umgang mit ihr.

Ein Hörsaal mit Teilnehmenden der Internationalen Delegiertenkonferenz (IDK) des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbands (IDV) (Quelle: DW)

Schon lange steht der Elefant mitten im Klassenzimmer. Gut sichtbar für alle – doch geredet wurde bisher kaum über ihn, konstatiert Alice Delorme Benites, Professorin für Mensch-Maschine-Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Mit ihrem Vortrag über Funktionsweise, Potenziale und Gefahren von Künstlicher Intelligenz (KI) im Fremdsprachenunterricht eröffnete die Wissenschaftlerin die diesjährige Internationale Delegiertenkonferenz (IDK) des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbands (IDV) im schweizerischen Winterthur.

Der beschriebene Elefant hat mittlerweile viele Namen, einer seiner ersten war DeepL. Das KI-basierte maschinelle Übersetzungstool des 2016 gegründeten Onlinedienstes wird von vielen Lehrkräften und Lernenden bereits regelmäßig im Kontext von Spracherwerb und -lehre genutzt, wie die Professorin aus Befragungen weiß. Mittlerweile sind weitere KI-basierte Tools hinzugekommen, zu denen seit November 2022 auch ChatGPT gehört. „Wenn wir aber nicht darüber reden, dann können die Lernenden nicht das Beste aus den Tools machen. Und: Dann reden die Schlagzeilen an unserer Stelle“, so die Professorin.

KI-Kompetenz als Lernziel

Häufig würden Mythen zum Thema KI und Unterricht verbreitet und Ängste geschürt. Daher sei es für Lehrkräfte zentral, sich sachlich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zumindest grob zu verstehen, wie KI-Anwendungen funktionieren – und somit auch zu erkennen, wo ihre Probleme, Potenziale und Grenzen liegen. Um auch den Lernenden grundlegende Kompetenzen im Umgang mit KI zu vermitteln, hält Delorme Benites es zudem für sinnvoll, Artificial Intelligence (AI) Literacy als festes Lernziel zu etablieren.

Portrait Alice Delorme Benites (Quelle: ZHAW)
Alice Delorme Benites: Artificial Intelligence Literacy sollte als festes Lernziel etabliert werdennull ZHAW

Auch Thomas Strasser, Hochschulprofessor für Fremdsprachendidaktik und technologieunterstütztes Lehren und Lernen an der Pädagogischen Hochschule in Wien, ermutigte während der Konferenz dazu, eine eigene, reflektierte und kritische Haltung zu KI zu entwickeln. Denn die Verwendung von KI werfe auch viele unbequeme Fragen auf – etwa in Bezug auf Chancengleichheit, ökologische Nachhaltigkeit und Datenschutz. Komplett ignorieren lassen sich Digitalität und KI jedoch nicht, so Strasser. Er plädiert für einen „minimalinvasiven" Einsatz von KI: „Es geht nicht immer um die App-Feuerwerke, sondern eher darum, lieber ein einfaches KI-Tool längerfristig überlegt mit den Sprachlernenden einzusetzen.“

Ergänzung, kein Ersatz

Zur fachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema KI gab es während der IDK, die vom 14. bis 17. August an der ZHAW in Winterthur tagte, ausgiebig Gelegenheit: Unter dem Motto „Mensch und Maschine beim Deutschlehren und -lernen: ein Wechselverhältnis“ beschäftigten sich die Teilnehmenden aus 60 Ländern drei Tage lang mit der Zukunft von Fremdsprachenerwerb und -lehre. In den Plenarvorträgen, Gesprächen und Workshops der Konferenz wurden neue Entwicklungen im Bereich des digitalen Lehrens und Lernens sowie Erkenntnisse aus dem Einsatz Künstlicher Intelligenz und anderer digitaler Instrumente im Klassenzimmer vorgestellt und diskutiert. Einige KI-Tools konnten auch direkt ausprobiert werden.

Dabei wurden viele Fragen aufgeworfen: Wann ist der Einsatz von KI im Fremdsprachenunterricht überhaupt sinnvoll? Welche neuen Kompetenzen benötigen Lehrkräfte und Lernende, wenn sie mit KI-basierten Anwendungen arbeiten? Und welche Kompetenzen müssen in Zukunft vielleicht sogar wieder neu erlernt werden, weil sie aufgrund des Einsatzes von KI verlernt wurden?

Eine fertige Roadmap konnten die Teilnehmenden am Ende nicht mit nach Hause nehmen – sie wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen. In einem war man sich jedoch einig: dass KI die Lehrkraft und Didaktik nicht ersetzen, sondern höchstens ein ergänzendes Tool innerhalb der Didaktik sein kann. Und dass es eine offene und lösungsorientierte Herangehensweise an das Thema KI im Fremdsprachenunterricht braucht, gepaart mit der Einführung von AI-Literacy-Lernzielen auf Lernenden- und Lehrendenseite.

io/ip