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Leichte Sprache: wichtig für Millionen Menschen

Schachtelsätze und komplizierte Wortwahl in Texten von Behörden, aus Medizin oder Politik: Es geht einfacher, sagen viele – und fordern mehr Leichte Sprache. Was genau ist das? Und wer profitiert von Leichter Sprache?

Eine Frau mit einem Buch des Duden-Verlags steht: Arbeitsbuch Leichte Sprache

Experten zufolge ist Leichte Sprache wichtig, sinnvoll und hilfreich für Millionen Menschen in Deutschland, die sonst oft an sprachlichen Barrieren scheitern. Zur Zielgruppe gehören Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenz, mit Lernschwierigkeiten oder geringen Deutschkenntnissen – und alle, die Probleme mit komplizierten Texten wie Behördenschreiben haben. Leichte Sprache gilt als Schlüssel für eine inklusive Kommunikation, ermöglicht Personen, die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben, Teilhabe und Selbstbestimmung, wie die Lebenshilfe NRW schildert. Noch sei sie zu wenig verbreitet, heißt es weiter: „Wir appellieren daher an Behörden und private Unternehmen, auf eine leicht verständliche Kommunikation für alle zu setzen.“

Dolmetscherin Anne Leichtfuß, eine der deutschlandweit wenigen Personen, die simultan in Leichte Sprache übersetzten kann, erläutert: „Leichte Sprache ist Sprache, die jeder versteht. Auch schwierige Dinge können in Leichter Sprache erklärt werden.“ Sie ist überzeugt: Eine Kommunikation in Leichter Sprache könne an vielen Stellen für alle Menschen nützlich sein. Es sei komplex, eine Steuererklärung zu machen oder einen Antrag auf Wohngeld zu stellen. „Wenn das vereinfacht werden könnte, würde es vielen Menschen Lebenszeit und Energie einsparen,“ so Anne Leichtfuß.

Keine Fremdwörter und kurze Sätze

Leichte Sprache ist kein geschützter Begriff. Das Netzwerk Leichte Sprache, ein Verein in Berlin, hat Empfehlungen vorgelegt. Auf Fremd- und Fachwörter oder lange Sätze solle verzichtet werden. Ein Beispiel: Statt „beruflicher Rehabilitation nach einem Unfall“ könne man auch schreiben: „nach einem Unfall einen neuen Beruf erlernen“.

Wichtig sei, dass man Menschen, die auf Leichte Sprache angewiesen seien, an der Prüfung von Texten auf ihre Verständlichkeit beteilige. Das Bundessozialministerium hat zusammen mit dem Netzwerk einen Ratgebererstellt. Immer mehr Institute, Behörden oder Ministerien bieten auch Infos in Leichter Sprache an.

Es gibt noch viel zu tun

„Bisher fehlt in Deutschland eine klare und verpflichtende Gesetzgebung zum Thema Leichte Sprache“, kritisiert Anne Leichtfuß. Laut Studien sei von etwa 14 Millionen Menschen in Deutschland auszugehen, die eine leichte oder einfache Sprache benötigten. Das Angebot sei noch zu gering und thematisch eingeschränkt. „Menschen aus der Zielgruppe haben in Deutschland nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf Leichte Sprache im Alltag – also beim Arztbesuch, auf dem Amt oder bei Nachrichten in den Medien.“

Anfragen an Anne Leichtfuß kommen etwa für Museumsführungen, Mitgliederversammlungen, Konferenzen oder auch für Webvideos oder Audioguides. Es werde vielfältiger, so Anne Leichtfuß. Im Bereich des zeitgleichen, mündlichen Übersetzens sei der Mangel an Simultandolmetschern für Leichte Sprache enorm. „Wir sind etwa zehn Personen bundesweit. Damit können wir natürlich nicht den gesamten bestehenden Bedarf bundesweit abdecken.“

Wie funktioniert Leichte Sprache?

Die Sätze sind kurz. In jedem Satz stecke nur eine Information, sagt Anne Leichtfuß. Komplizierte Wörter und Abkürzungen werden erklärt. Als Faustregel beschreibt die Kölner Sprachwissenschaftlerin Bettina Bock: „So einfach wie nötig und so verständlich wie möglich.“ Die Texte sollten von der Zielgruppe sofort erkannt werden, aber die Vereinfachung zugleich „so unauffällig wie möglich verfasst sein, damit sie kein Stigmatisierungspotenzial bieten“, unterstreicht die Forscherin vom Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Uni Köln. Also nicht zu viele Wiederholungen, nicht übertrieben vereinfacht. Auch aus der Zielgruppe selbst komme mitunter der kritische Hinweis auf „Kindersprache“. Es brauche Fingerspitzengefühl bei der Formulierung – wer Leichte Sprache nutze, wolle und dürfe nicht als „dumm“ markiert werden.

Die Befürchtung, der Reichtum der Sprache könne auf der Strecke bleiben, sei unbegründet, meint Anne Leichtfuß. Vom Inhalt gehe nichts verloren. Im Gegenteil. Es könne einiges hinzukommen: „Wenn man so fragt, dass alle Menschen die Frage verstehen können, dann bekommt man diversere, vielschichtigere Antworten.“ Zudem sei Leichte Sprache in der Regel als zusätzliches Angebot gedacht. Anne Leichtfuß hält Schulungen ab, in ihrem Leichte-Sprache-Prüfteam sind Menschen aus der Zielgruppe. Und sie unterstützt die Redaktion des Magazins „Ohrenkuss“ – alle Autoren und Autorinnen haben das Down-Syndrom.

Die Erstellung von Texten in Leichter Sprache ist anspruchsvoll

Leichte Sprache in schriftlicher Form könne man bei verschiedenen Anbietern lernen, das mündliche Dolmetschen aber nicht, bedauert  Anne Leichtfuß. Bettina Bock sieht einen legitimen Anspruch auf Leichte Sprache. Es gebe schon ein größeres Angebot von Texten und Materialien in Leichter Sprache, aber: „Es müsste noch mehr sein und vor allem müsste die Qualität oft besser sein“, mahnt die Expertin, die mehrere Bücher zum Thema verfasst hat. „Es gibt leider viele schlecht gemachte Texte.“ Sie stellt klar: „Leichte Sprache ist sehr anspruchsvoll, die Zielgruppe sehr heterogen. Je genauer man die Adressaten des Textes kennt, desto zielgerichteter und besser kann man in Leichter Sprache formulieren.“ Wenn ein Text in Leichter Sprache gut gemacht sei, könne sich eine Variante in Regelsprache erübrigen.

Es gebe in den letzten Jahren viele Forschungsprojekte zum Thema, Leichte Sprache sei stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt, beobachtet Bettina Bock. Aber: „Leichte Sprache ist auch zum Aufreger-Thema geworden: Vor allem in Social Media ist von Sprachverfall und Kulturverfall die Rede, wird auch polemisch gefragt, was aus dem Land der Dichter und Denker wird.“


dpa