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Lesen und Schreiben im digitalen Zeitalter

Mit der Erfindung der Computermaus wurde ein Grundstein für das Zusammenwirken von Mensch und Computer gelegt. Heute können intelligente Maschinen für uns Texte lesen, zusammenfassen und schreiben. Das hat Folgen.

Drei Kinder mit Smartphones sitzen nebeneinander (Quelle: Adam Haglund/Image Source/picture alliance)

Vor 100 Jahren wurde im US-amerikanischen Portland der Computertechniker und Erfinder Douglas C. Engelbart (1925-2013) geboren. Heute ist der Elektroingenieur fast vergessen. Dabei hat Engelbart in den 1960er-Jahren einen Grundstein für die digitale Gesellschaft gelegt, als er den „X-Y-Positionsindikator für Bildschirmsysteme“ erfand – oder kurz gesagt: die Computermaus. Mit seiner Erfindung war der US-Amerikaner seiner Zeit voraus. Er erkannte schon damals, als das World Wide Web noch Zukunftsmusik war, dass Computer viel mehr sein können als riesige Rechenmaschinen.

Replika der ersten Computermaus von Douglas Engelbart (Quelle: Christoph Dernbach/dpa/picture alliance)
So sah die erste Computermaus aus. Als Douglas Engelbart sich bei ihrem Anblick an das kleine Nagetier erinnert fühlte, war ihr Name geboren.null Christoph Dernbach/dpa/picture alliance

Für den Sprachforscher Henning Lobin war Engelbart ein wahrer „Techno-Visionär“. „Engelbart ist der Großvater der Entwicklung, die von damals zu uns heute geführt hat“, so der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. „Er hat als Erster vorausgesehen, was für uns heute selbstverständlich ist: die kontinuierliche Interaktion mit einem Computer, heute natürlich oft in Gestalt eines Smartphones oder eines Tablets.“ Das habe es zuvor noch nicht gegeben, denn die Großrechner der 1960er-Jahre arbeiteten ohne Kontakt zur Außenwelt: „Die Kommunikation mit ihnen erfolgte über eine Art Fernschreiber. Engelbart hat uns als ‚Benutzer‘ im heutigen Sinne erfunden“, so der Experte.

Portrait Douglas Engelbart
„Techno-Visionär“ und Computermaus-Erfinder Douglas Engelbart null Sri International/dpa/picture alliance

Mittlerweile sind viele Menschen daran gewöhnt, dass sie bei alltäglichen Aufgaben die Hilfe von intelligenten Maschinen in Anspruch nehmen können. So auch bei der Sprachnutzung: Computerprogramme können Menschen Texte nicht nur vorlesen, sondern auch zusammenfassen und schreiben. Auf diese Weise wird immer weniger selbst gelesen, analysiert und geschrieben.

Digitale Spaltung der Gesellschaft verhindern

Henning Lobin ist sich sicher, dass an der Beherrschung der Kulturtechniken des Lesens und Schreibens auch weiterhin kein Weg vorbeiführen wird. Denn Argumentationen, Erklärungen, Beschreibungen komplexer oder abstrakter Sachverhalte könnten nur im Medium der Sprache vorgenommen werden. Die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen beim Schreiben und Lesen unterstützen lassen, könnte jedoch zur Folge haben, dass immer weniger Menschen die Fähigkeit erwerben, komplexe Texte zu lesen: „Das Grundproblem ist, dass die Fähigkeit des Lesens komplexer Texte über Jahre hinweg sehr, sehr viel Übung und Anstrengung erfordert. Meine Sorge ist, dass dies immer weniger Menschen auf sich nehmen.“

Am Ende könnte Lobin zufolge eine Gesellschaft stehen, in der sehr viele Menschen nur noch mit Unterstützung intelligenter Assistenten kognitiv anspruchsvolle Aufgaben konventionell erledigen könnten. Nur einige wenige würden dann weiter davon unabhängig sein und aus eigener Kraft heraus Neues schaffen. „Das wäre eine neue Variante der digitalen Spaltung der Gesellschaft, die wir nicht eintreten lassen dürfen.“

 

io/ist (mit epd)