Was bringen Sanktionen gegen Iran und Russland?

Der Iran weiß es, China weiß es und die US-Regierung weiß es offenbar auch: Trotz bestehender Sanktionen gegen die Ölwirtschaft der Islamischen Republik wird Öl aus dem Iran in Rekordhöhe ins Reich der Mitte verschifft.

"Wenn man der chinesischen Regierung glaubt, importiert das Land kein Öl aus dem Iran. Null. Kein einziges Barrel. Stattdessen importiert es viel malaysisches Rohöl. So viel, dass das Land nach offiziellen chinesischen Zolldaten mehr als doppelt so viel malaysisches Öl kauft, wie Malaysia tatsächlich produziert", beschreibt der Rohstoff-Spezialist Javier Blas den Etikettenschwindel im Nachrichtenportal Bloomberg.

Mit einem einfachen Trick, so Blas, wird aus iranischem Rohöl malaysisches. Laut Ölhändlern sei das "der einfachste und billigste Weg, die US-Sanktionen zu umgehen". Und so wurde aus Malaysia im vergangenen Jahr Chinas viertgrößter ausländischer Öllieferant, hinter Saudi-Arabien, Russland und dem Irak.

Als Dreh- und Angelpunkt für die Umgehung von Sanktionen nutzt der Iran seit vielen Jahren die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Über Dubai kommen häufig die Waren in die Islamische Republik, die auf langen Verbotslisten der USA oder der Europäischen Union stehen. Dazu werden verbotene Öllieferungen über die Emirate eingefädelt und abgewickelt.

VAE Dubai Skyline
Finanzplatz Dubai: Auf der grauen Liste der Financial Action Task Force wegen Problemen bei Geldwäsche und Terrorfinanzierung null Imaginechina/Tuchong/imago images

Ganz gleich, ob es um Ersatzteile für Fahrzeuge oder Flugzeuge geht: Längst hat der Iran seine Lieferketten so modifiziert, dass man über Handels- und Finanzplätze wie Dubai alles beschaffen kann, wofür es im Iran eine Nachfrage gibt. Das ist zwar teurer als der direkte Import. Aber die westlichen Sanktionen, vor allem die der USA, werden so seit vielen Jahren umgangen.

Umschlagplatz Zentralasien

Auch Russland verfügt über solche Umschlagplätze für sanktionierte Güter. Auch hier gibt es kaum ein Produkt, das nicht über ein Drittland beschafft werden kann: Etwa Ersatzteile für deutsche Luxus-Autos oder elektronische Bauteile, die zur Steuerung von Waffen gebraucht werden. Eine Schlüsselrolle spielen dabei frühere Sowjetrepubliken in Zentralasien. Moskaus Vorteil dabei: Die Russische Föderation ist mit Ländern wie Kasachstan oder Kirgisistan in einer Zollunion verbunden, in der der grenzüberschreitende Warenverkehr ein Kinderspiel ist.

So gelangen sanktionierte Produkte aus dem Westen, die nach den Sanktionen tabu für Russland sind, nahezu ungehindert über internationale Grenzen. Kontrolle? Fast unmöglich. Allein die Grenze zwischen der Russischen Föderation und Kasachstan ist rund 7500 Kilometer lang. Auch Armenien ist so ein Beispiel: Um knapp 1000 Prozent legte der Verkauf deutscher Autos und Autoteile im vergangenen Jahr zu.

Seit der Verhängung des mittlerweile 13. Sanktionspakets der EU gegen Moskau am 22. Februar 2024 ist Russland weltweit das Land, das mit den meisten Sanktionen belegt ist. Das belegen Zahlen von Castellum.AI, einer privatwirtschaftlichen Compliance-Plattform aus den USA. Und trotzdem führt Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter und die russische Wirtschaft ist alles andere als zusammengebrochen.

Gerade erst hat die russische Regierung ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 2,3 auf 2,8 Prozent angehoben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht sogar von einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 3,2 Prozent aus. Die Begründung ist für westliche Sanktions-Befürworter ernüchternd: Hohe Staatsausgaben und Investitionen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine sowie - trotz westlicher Sanktionen - hohe Einnahmen aus dem Ölexport würden Russlands Wirtschaft antreiben, so der der IWF.

Kasachstan Almaty | Filiale der russischen Alfabank
Starke Präsenz in Zentralasien: Filiale der sanktionierten russischen Alfabank in Kasachstannull Anatoly Weisskopf/DW

Noch nie so viele Sanktionen verhängt

Der Iran war bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine das am stärksten sanktionierte Land der Welt - bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine. Danach wurden von den USA und der EU immer neue Sanktionsrunden beschlossen. Mittlerweile unterliegt Russland mehr als 5000 verschiedenen gezielten Sanktionen, mehr als der Iran, Venezuela, Myanmar und Kuba zusammen.

Die Sanktionen, die als Reaktion auf Putins Angriffskrieg verhängt wurden, richten sich gegen Politiker und Beamte (einschließlich Putin selbst), Oligarchen, Großunternehmen, Finanzinstitute und den militärisch-industriellen Komplex, listet Castellum.AI auf. Ergänzt werden sie durch weitreichende Sanktionen im Finanzbereich, die den Zugang russischer Banken zu den internationalen Finanzmärkten einschränken - etwa durch den Ausschluss vom System für den internationalen Zahlungsverkehr Swift. Außerdem verwehren die Zwangsmaßnahmen der russischen Zentralbank den Zugriff auf Währungsreserven und Goldbestände, die sich in den G7-Ländern befinden.

Der Haken daran ist, dass nur die Sanktionen, die vom UN-Sicherheitsrat verhängt werden, auch völkerrechtlich bindend sind. Und dass es eben eine ganze Reihe von Staaten wie Indien, Brasilien oder China gibt, die sich diesen Sanktionen nicht anschließen.

Kaum eine Alternative

Warum also immer neue Sanktionen verhängen, wenn ihr Ziel, das Verhalten von Staaten zu ändern, nicht erreicht werden kann? "Wir leben im Zeitalter der Sanktionen. Wenn keine Sanktionen verhängt werden würden, wäre das schon fast wie eine unausgesprochene Unterstützung. Oder als ob man auf diesen völkerrechtswidrigen Angriff gar nicht antworten würde", sagt Christian von Soest, Sanktions-Experte vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) im Interview mit der DW.

Für den Autor des Buches Sanktionen: Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver?, das vor einem Jahr erschienen ist, haben zwar die Sanktionen nicht zu einer Änderung des Verhaltens Russlands oder des Iran geführt. Doch die USA und die EU sind dabei, ihre Maßnahmen nachzuschärfen. So bereiten die USA nach einem  Bericht des Wall Street Journal Sanktionen gegen eine Reihe von chinesischen Banken vor, um sie vom weltweiten Finanzsystem auszuschließen. Die Behörden wollen so Pekings Finanzhilfen für die russische Rüstungsproduktion unterbinden, berichtet die US-Finanzzeitung unter Berufung auf "mit der Angelegenheit vertraute Personen".

Auch die EU hat sich neu formiert, um ihre Sanktionen besser durchzusetzen. So gibt es seit Januar 2023 mit dem Top-Diplomaten David O'Sullivan einen EU-Sanktionsbeauftragten. "Seine Aufgabe ist es zum Beispiel auch, in die Post-Sowjetstaaten in der Nachbarschaft von Russland zu reisen und die Regierungen dort zu überzeugen, die Sanktionen stärker durchzusetzen", erklärt Christian von Soest.

"Es gibt jetzt auch eine sogenannte No Russia Clause, mit der man Exporteure dazu zwingen will, nachzuweisen, dass die gelieferten Güter, Maschinen, Fahrzeuge, Autoteile, eben nicht nach Russland weitergehen. Eine solche Endverbleibs-Klausel kennen wir aus dem Kriegswaffenkontrollgesetz", fügt der Sanktions-Experte hinzu.

Auch im Fall der Vereinigten Arabischen Emirate steigt der Druck: "Die VAE sind zu einem Zufluchtsort für die Umgehung iranischer und russischer Sanktionen geworden", konstatiert die US-Denkfabrik Atlantic Council. Deshalb hat die Financial Action Task Force (FATF), ein internationales Koordinierungsgremium, das von den G7, der EU und der Industriestaatenorganisation OECD zur Bekämpfung von Geldwäsche gegründet wurde, die VAE auf die so genannte graue Liste gesetzt. Auf dieser Liste landen Länder, in denen die FATF-Ermittler ein erhöhtes Risiko für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sehen.

"Man hat das generelle Problem erkannt, dass es Ausweichmöglichkeiten sowohl für Russland, aber auch für den Iran gibt, die Sanktionen zu umgehen", sagt Christian von Soest. Jetzt müsse man sehen, was die verschiedenen Maßnahmen bringen.

Kann sich der Iran einen Krieg mit Israel leisten?

Bald Hilfsgüter für Gaza über provisorischen Hafen

Die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ist weiterhin katastrophal. Die USA haben vor Wochen den Bau eines temporären Hafens angekündigt. Bald könnte die Anlage fertig sein, denn das US-Militär habe mit den Arbeiten begonnen und sei mit Schiffen im Einsatz, teilte Pentagon-Sprecher Pat Ryder mit.

Die US-Regierung rechnet damit, dass die provisorische Hafenanlage im Norden des Gazastreifens Anfang Mai einsatzfähig sein wird. Gleichzeitig machte das US-Verteidigungsministerium Pentagon deutlich, dass die Anlage so angelegt sei, dass keine US-Soldaten den Gazastreifen betreten werden. Israels Armee teilte mit, sie werde bei der Logistik und Sicherheit der amerikanischen Initiative Unterstützung leisten, zu der auch der Bau eines schwimmenden Piers gehöre.

Pentagon-Sprecher Pat Ryder bei einem Pressebriefing (Archivbild)
Pentagon-Sprecher Snyder: "Das US-Militär hat mit den Arbeiten begonnen" (Archivbild)null Kevin Wolf/AP Photo/picture alliance

Der Hafenbereich südwestlich von Gaza-Stadt werde bereits ausgebaut, berichten die Medien unter Hinweis auf Satellitenbilder. In dem Hafengebiet sollen Lieferungen offenbar nochmals kontrolliert und an Hilfsorganisationen zur Weiterverteilung übergeben werden.

Bis 150 LKW-Ladungen täglich

Ein US-Regierungsvertreter nannte Details dazu, wie die temporäre Hafenanlage funktionieren soll. Man gehe davon aus, dass anfangs täglich bis zu 90 Lastwagen mit Hilfslieferungen beladen werden könnten. Sobald die Anlage volle Betriebsfähigkeit erreicht habe, könnten es bis zu 150 sein, sagte er. Israelische Marineschiffe und die israelische Luftwaffe würden zum Schutz der Operation beitragen. Unterstützt werde das Projekt von rund tausend US-Soldaten, so der Regierungsvertreter.

Die Lieferungen würden zunächst über Zypern erfolgen - ermöglicht durch das US-Militär und eine Koalition aus Partnern und Verbündeten, hieß es. Humanitäre Hilfe kommt demnach auf dem Luft- oder Seeweg nach Zypern. Dort werde sie überprüft und für die Lieferung vorbereitet.

Handelsschiffe sollen dann Hilfsgüter zu der schwimmenden Anlage vor Gaza bringen. Dabei handelt es sich laut Pentagon-Angaben um eine Art Plattform, die mehrere Kilometer von der Küste des Gazastreifens entfernt liege. Auf dieser Plattform würden die Lieferungen in kleinere Schiffe umgeladen, so der US-Regierungsvertreter.

US-Armee baut schwimmende Anlegestelle vor der Küste von Bowen in Australien (29.07.2023)
Bau einer schwimmenden Anlegestelle der US-Armee (2023 bei einem Einsatz vor Australien)null Sgt. Ashunteia' Smith/U.S. Army/Getty Images

Von dort aus sollen die Güter mit den kleineren Schiffen, die mit Lastern beladen sind, zu einem provisorischen schwimmenden Landungssteg am Gazastreifen gebracht werden. Dieser sei mehrere hundert Meter lang und ende am Strand des Gazastreifens, hieß es weiter. Hier sei eine "dritte Partei" beteiligt, um sicherzustellen, dass keine US-Streitkräfte den Gazastreifen selbst betreten würden, hieß es. Die Terrororganisation Hamas, die im Gazastreifen herrscht, hatte laut israelischen Medien mitgeteilt, dass sie sich jeder ausländischen Militärpräsenz im Zusammenhang mit dem Hafenprojekt widersetzen werde.

Warnungen vor einer Hungersnot

Die US-Regierung warnte noch einmal eindringlich vor einer drohenden Hungersnot. "Die humanitäre Lage in Gaza ist unglaublich schlimm", sagte eine Vertreterin der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID). Fast 30 Prozent der Kinder im Norden des Gazastreifens zeigten Anzeichen schwerer Unterernährung.

Die USA hatten bereits Anfang März angekündigt, das US-Militär wolle angesichts der humanitären Notlage in dem Küstengebiet einen temporären Hafen errichten, um Lebensmittel, Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet zu bringen. An der Planung und Einrichtung wird bereits seit einigen Wochen gearbeitet. Zuletzt gab es aber auch immer wieder Sicherheitsbedenken.

Die schlechte Versorgung im Gazastreifen ist eine Folge des israelischen Anti-Terroreinsatzes in dem palästinensischen Küstenstreifen am Mittelmeer. Die israelische Armee regiert damit auf den Überfall von Terroristen der Palästinenserorganisation Hamas Anfang Oktober auf Ortschaften und ein Popfestival im Süden Israels.

AR/kle (dpa, kna)

Spannungen zwischen Israel und Iran: Wird Syrien zum permanenten Schlachtfeld?

Gerade eine Woche lag der mutmaßliche israelische Angriff auf den iranischen Botschaftskomplex in Damaskus zurück, da ging der syrische Diktator Baschar al-Assad demonstrativ zur Tagesordnung über. In Begleitung seiner Frau und seiner Familie zeigte er sich zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan in der Öffentlichkeit, nahm an den Gebeten teil und spazierte durch die Straßen der Stadt.

Offenbar störte es ihn nicht, dass ein ausländischer Staat nur wenige Tage zuvor mehrere hochrangige Generäle in der syrischen Hauptstadt getötet hatte. Doch der Spaziergang, wie auch die scheinbare Gleichgültigkeit, waren kalkuliert, sagt Haid Haid, Nahost-Experte der Londoner Denkfabrik Chatham House.

"Der Fototermin mit Assad war kein Zufall. Er ist Teil einer umfassenderen Kampagne, die zeigen soll, dass die Geschäfte wie gewohnt weiterlaufen", so Haid während einer Chatham House-Veranstaltung zu Syrien zu Beginn dieser Woche. "Offenbar wollte man damit zu verstehen geben, dass Syrien sich nicht an Vergeltungsmaßnahmen für den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat beteiligen wird und Syrien nicht der Hauptschauplatz dieses Konflikts sein wird."

Das aber sei nicht überraschend, so Haid. Seit Beginn des Krieges in Gaza habe sich Assad - anders als andere iranische Verbündete - weitgehend zurückgehalten.

Dafür gibt es mehrere Gründe. So wäre das syrische Militär aufgrund des lang andauernden syrischen Bürgerkriegs ohnehin zu keiner Reaktion auf Angriffe fähig. Zudem liegt die Wirtschaft  des Landes in Trümmern, und Zurückhaltung in Bezug auf Gaza könnte dem Regime außenpolitisch von Nutzen sein.

Irans Transitroute durch Syrien

Das syrische Regime verfolgt diese Linie ungeachtet des Umstands, dass Israel seit über einem Jahrzehnt Ziele in Syrien angreift. Im Jahr 2012 intervenierte die Regierung Irans im syrischen Bürgerkrieg und half dem Regime in Damaskus, die syrischen Oppositionskräfte zu besiegen. Syrien zeigt sich erkenntlich und bot Iran einen Landkorridor für den Transport von Ausrüstung und Kämpfern in Richtung Libanon an.

Dort hat die Hisbollah ihren Sitz, die mächtigste der militärischen Stellvertreterorganisationen, die der Iran in der Region unterhält. Sie ist längst auch in Syrien präsent. Wie der Iran betrachtet auch die Hisbollah Israel und die USA als Feinde.

Seit geraumer Zeit versetzt die wachsende iranische Präsenz in Syrien Israels Militär in Unruhe. Man ist besorgt über iranische Truppen und Infrastruktur nahe der eigenen Grenze. Darum hat Israel regelmäßig solche Ziele in Syrien ins Visier genommen.

"Israels primäres Interesse in Syrien ist es, dort eine strategische iranische Militärpräsenz in zu verhindern", heißt es in einem Aufsatz der International Crisis Group, einer westlichen Nichtregierungsorganisation (NGO). Israel habe daher "mehr als 100 Angriffe auf Konvois und Lagerhäuser durchgeführt, die die Nachschublinien der Hisbollah in Syrien versorgen." Ab Ende 2017 habe das Tempo der israelischen Angriffe zugenommen, so die Crisis Group. Beobachtern zufolge finden die israelischen Angriffe fast wöchentlich statt.

"Iran will Konflikt mit Israel nicht eskalieren lassen"

Gründe der syrischen Zurückhaltung

Die syrische Regierung hat immer noch mit den Nachwirkungen des langjährigen Bürgerkriegs zu kämpfen und ist vornehmlich mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt. Wenn sie überhaupt einmal auf mutmaßlich israelische Angriffe reagierte, dann meist mit Raketen, die Analysten zufolge meist als Blindgänger endeten. Ohnehin hat Israel selten syrische Einrichtungen, sondern meist gezielt iranische Objekte beschossen.

Seitdem die militante, von den USA, der EU und anderen Staaten als terroristische Vereinigung eingestufte Hamas am 7. Oktober Israel angriff, hat die Zahl der israelischen Angriffe auf Syrien jedoch zugenommen. Hatte Israel es bislang oft vermieden, iranische oder Hisbollah-Agenten dort zu töten, habe sich diese Taktik nun geändert, schrieb Chatham House-Experte Haid in einem Kommentar Anfang April. 

Ende März äußerte sich auch der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant zu Plänen, die Taktik gegenüber der libanesischen Hisbollah auszuweiten. "Wir werden überall dort angreifen, wo die Organisation operiert, in Beirut, Damaskus und an weiter entfernten Orten", sagte Gallant in israelischen Medien.

Diese neue Strategie gipfelte in dem mutmaßlich israelischen Bombenangriff auf den iranischen Botschaftskomplex in Damaskus am 1. April. Dieser führte zum ersten direkten iranischen Raketen- und Flugkörperangriff auf Israel und einem begrenzten israelischen Gegenangriff.

Eine weitere Eskalation wollten offenbar beide Seiten vermeiden. Allerdings dürften sich indirekte Angriffe von und auf iranische Verbündete fortsetzen, meinen Experten. 

Israel hat in Syrien Flughäfen, Häfen, Forschungseinrichtungen und Produktionsstätten für chemische Waffen ins Visier genommen. Im Bild: der Flughafen von Aleppo
Israel hat in Syrien bereits Flughäfen, Forschungseinrichtungen und Produktionsstätten für chemische Waffen ins Visier genommen. Im Bild: der Flughafen Alepponull Stringer/Xinhua/imago images

Weitere Angriffe auf Ziele in Syrien nicht ausgeschlossen

"In politischen Kreisen ist man der Ansicht, dass Angriffe in Syrien mit geringen Kosten verbunden sind", sagt Dareen Khalifa, Analystin bei der International Crisis Group. Dies liege auch daran, dass Syrien in der Regel auf solche Angriffe nicht reagiere.

Darum dürfte Syrien auch in Zukunft ein Ausgangspunkt für Angriffe der vom Iran unterstützten Stellvertreter im Land sein. Aus demselben Grunde werde auch Israel seine Angriffe auf iranische Einrichtungen in Syrien fortsetzen. Dies könne - wie schon bisher - immer wieder auf weitere Länder übergreifen, warnt Khalifa. "Wir beobachten eine schrittweise Eskalation in der Region."

Insgesamt verlaufe der Konflikt nach dem Muster "Wie du mir, so ich dir", so Khalifa. Wie leicht die Situation jedoch außer Kontrolle geraten könne, habe der Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus mitsamt seinen Folgen bereits gezeigt. 

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Iran kurz vor der Atombombe?

Israels Wirtschaft auf dem Weg der Besserung

Obwohl Israels Regierung die statistischen Daten für das erste Quartal 2224 noch nicht veröffentlicht hat, gibt es Grund zur Erleichterung: Die jüngsten Daten vom Arbeitsmarkt, die die Zentrale Statistikbehörde gemeldet hat und die Informationen, die die Bank of Israel zu Kreditkartentransaktionen bekannt gegeben hat, legen die Annahme nahe, dass sich die Wirtschaft des Landes vom Schock des 7. Oktober und den darauf folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen erholt.

Im vierten Quartal 2023 war die Wirtschaftsleistung nach den Terrorattacken der Hamas deutlich eingebrochen - sie sank um 5,2 Prozent im Vergleich zum dritten Quartal. Das war zum großen Teil der Belastung des Arbeitsmarktes geschuldet, als 300.000 Reservisten einberufen worden waren.

Benjamin Bental, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Haifa, sagt, der Arbeitsmarkt erhole sich gerade vom Schock, dass viele Arbeiter und Kleinunternehmer der Wirtschaft so plötzlich verloren gegangen waren. "Der Arbeitsmarkt stabilisiert sich tatsächlich recht schnell", sagte er der DW. "Er liegt noch nicht wieder auf dem Vorkriegsniveau, aber die Arbeitslosenquote liegt gegenwärtig einen Prozentpunkt unter der vom September 2023."

Die Rückkehr vieler Reservisten von der Truppe hätte die Arbeitsmarktlage entspannt, und gleichzeitig legten die Kreditkartendaten den Schluss nahe, dass der Optimismus der Verbraucher nach dem großen Einbruch im Herbst 2023 zurückkehre.

Arbeiter auf einer Baustelle des nationalen Trinkwasser-Transport-Programms
Infrastruktur-Programme laufen trotz des Krieges weiter - wie bei diesem Trinkwasser-Transport-Programmnull RONEN ZVULUN/REUTERS

Palästinenser fehlen auf israelischen Baustellen

Dennoch, so Bental, litten einige Sektoren noch immer schwer unter dem Mangel an Arbeitskräften, allen voran das Baugewerbe. Vor allem, weil diese Branche in starkem Maße von palästinensischen Arbeitern abhing. Diese waren aus der besetzten Westbank zur Arbeit nach Israel gekommen - das ist wegen der verschärften Sicherheitsmaßnahmen nun nicht mehr möglich.

Ungefähr 75.000 Palästinenser waren täglich zwischen der Westbank und den Baustellen in Israel gependelt. Ihr Fehlen hat die Bautätigkeit fast zum Erliegen gebracht: Der Wohnungsbau brach zum Ende 2023 um 95 Prozent ein. Die Branche hat sich etwas erholt, weil sie tausende Arbeiter aus Indien, Sri Lanka und Usbekistan verpflichtete, um ihre Bauvorhaben beenden zu können. Das ganze Bild werde aber erst sichtbar, wenn alle Daten zum ersten Quartal vorliegen.

Der Krieg und das israelische Haushaltsdefizit

Der Krieg hatte die Regierung gezwungen, die Staatsausgaben dramatisch zu steigern - hauptsächlich für Verteidigungszwecke, aber auch für Wiederaufbaumaßnahmen nach den Terroranschlägen und Neubauten für zehntausende Israelis, die aus dem Norden und dem Süden des Landes hatten fliehen müssen.

Im vergangenen Monat hat Israel einen berichtigten Haushalt für dieses Jahr bekannt gegeben, der 584 Milliarden Schekel, das entspricht rund 144 Milliarden Euro, umfasst. Dabei wurde ein Staatsdefizit von 6,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in 2024 vorhergesagt - ursprünglich hatte man 2,25 Prozent erwartet.

Benjamin Bental sagt indes, das sei deutlich untertrieben und ein Defizit von acht Prozent sei weit wahrscheinlicher. "Das erscheint mehr oder weniger realistisch. Vorausgesetzt", fügt er mit Blick auf die Spannungen mit dem Iran hinzu, "dass es keine weitere Belastung der Sicherheitssituation gibt."

Nachthimmel über Nordisrael - Israel schießt iranische Raketen ab
Israel schießt iranische Raketen ab - dieser Konflikt stellt eine weiter Bedrohung für Israels Wirtschaft darnull Ayal Margolin/JINI/XinHua/picture alliance

Der Staatshaushalt steht ganz offensichtlich unter Druck. Die Regierung plant, etwa 56 Milliarden Euro mehr an Schulden aufzunehmen und die Steuern zu erhöhen. Das, so die Regierenden, könnte das Land leisten: "Die ökonomischen Voraussetzungen sind gegeben, sagte Yali Rothenberg, Chef-Rechnungsprüfer im Finanzministerium, der Financial Times vor Veröffentlichung des Nachtragshaushalts. "Schauen Sie auf den High-Tech-Sektor, auf die Infrastrukturmaßnahmen und auf den privaten Konsum, dann sehen Sie: Das gibt die Wirtschaft her."

Wird Israels Verteidigung zu teuer?

Vor den Oktober-Attacken der Hamas war die israelische Wirtschaft in guter Verfassung. "Die Wirtschaft lief bemerkenswert gut", so Bental. "Die Inflation sank und die fiskalische Lage war völlig unter Kontrolle." Er weist darauf hin, dass Israel vor dem Überfall ein Wachstum von 3,5 Prozent anpeilte und dass das Land trotz der Erschütterungen im letzten Quartal 2023 ein Wachstum von zwei Prozent erreichen konnte.

Bental sagt, es gebe in den Straßen der großen Städte wie Tel Aviv und Haifa nur wenig Hinweise auf eine Kriegswirtschaft oder Anzeichen von Kürzungen oder Mangel. Hier zeige sich, dass die Erfahrungen aus vorherigen Kriegen und Krisen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft das Handeln der aktuellen Regierung beeinflusst.

Bental ist allerdings wegen der außergewöhnlichen Ausgaben für die Verteidigung besorgt. Während des Yom Kippur Krieges 1973 hatte der Staat die Verteidigungsausgaben dramatisch erhöht, bis zu einem "total untragbaren" Level von 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Gemeinsam mit der Ölkrise und einer allgemeinen Weltwirtschaftskrise habe der Konflikt zu einem "wirklichen ökonomischen Desaster" für Israel geführt. Das hatte zu einer sehr hohen Inflation und einer wirtschaftlichen Stagnation für beinahe zehn Jahre geführt.

Militärkolonne auf den Golan-Höhen - Szene aus dem Yom Kippur Krieg
Drei Wochen im Oktober 1973: Der Yom Kippur Krieg hatte die israelische Wirtschaft auf Jahre hinaus ruiniert null Keystone Press Agency/ZUMAPRESS/picture alliance

Wenn nur die Kämpfe endeten

Bental zufolge hatte die Zweite Intifada der Palästinenser in der Zeit zwischen 2000 und 2005 mehr Ähnlichkeiten mit dem gegenwärtigen Konflikt, weil damals wie heute mehr Zivilisten involviert waren. "Man kann daraus etwas lernen über die Schäden, die aus einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung und einem Verlust des persönlichen Sicherheitsgefühls während dieser Periode entstehen", sagt Bental. "Es gibt Schätzungen, dass während dieser Jahre des Konfliktes das israelische BIP deshalb etwa zehn Prozent verloren hat."

Als weiteres Beispiel nennt er den Konflikt mit der Hisbollah und dem Libanon 2006 - ein Konflikt der zeige, wie schnell sich die Wirtschaft erholen könne, wenn die Kämpfe aufhören. Bantal: "Wir reden von einer Situation, in der für etwa einen Monat im Norden Israels nichts mehr funktionierte. Aber wenn man sich die Daten anschaut und nach Spuren dieser Episode sucht, stellt man fest, dass da gar nichts zu sehen ist. Das ist wirklich erstaunlich. Die Wirtschaft hatte sich im Nullkommanichts wieder normalisiert."

Bental hofft, dass das auch diesmal der Fall sein wird, sobald der aktuelle Konflikt beendet ist. Im Moment wiesen einige Zeichen der Erholung in genau diese Richtung.

Dieser Beitrag ist aus dem Englischen adaptiert.

Amnesty zieht dunkle Bilanz bei Menschenrechten

In dramatischen Worten beklagt Amnesty International (ai) die Lage der Menschenrechte weltweit und spricht von einem historischen Einschnitt. Dafür macht die Organisation in ihrem am Mittwoch (24.4.2024) vorgelegten Jahresbericht den Umgang der internationalen Politik mit der Eskalation im Nahen Osten und deren fehlendes Engagement zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung verantwortlich.

Die Bundesregierung dürfe keine Waffen an Israel und andere Konfliktparteien liefern, mahnte Julia Duchrow, die Generalsekretärin von ai Deutschland, bei der Vorstellung des Berichts. Ausdrücklich kritisierte sie den Kurs der deutschen Außenministerin. Annalena Baerbock betreibe entgegen eigener Aussagen keine menschenrechtsbasierte Außenpolitik und messe im Israel-Gaza-Konflikt "mit zweierlei Maß".

Kritik an "Doppelmoral" der Europäer im Nahen Osten

Im Bericht heißt es, für Menschen weltweit symbolisierten die "Ereignisse" im Gazastreifen "ein Versagen der Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg für die Einhaltung des Universalitätsprinzips und die Achtung unserer gemeinsamen Menschlichkeit sorgen und das Versprechen 'Nie wieder‘ durchsetzen sollten". Dabei nennt ai neben israelischen Behörden und den USA "einige europäische" Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Führungsriege. Aus deren Verhalten spreche "Doppelmoral".

Terrorangriff der Hamas auf Israel | Kibbutz Beeri
Dutzende Tote im Kibbutz Beeri - Opfer des Hamas-Terrors am 7. Oktober 2023null JACK GUEZ/AFP

Mit Blick auf den Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 spricht Amnesty von "schrecklichen Verbrechen". Dabei hatten Akteure der militanten islamistischen Hamas, die von den USA, der EU und einer Reihe weiterer Staaten als terroristisch eingestuft wird, etwa 1200 Menschen getötet und rund 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Amnesty verwendet nach Aussage von Julia Duchrow weder für die Hamas noch für andere Organisationen die Bezeichnung "Terror-Gruppe". Dieser Begriff sei völkerrechtlich nicht definiert.

Nach dem 7. Oktober habe Israel mit "Vergeltungsmaßnahmen" geantwortet, "die einer Kollektivbestrafung gleichkamen". Zivilpersonen und zivile Infrastruktur seien "vorsätzlich und unterschiedslos beschossen" worden, so die Anschuldigung. Die israelische Seite stelle die Angriffe so dar, "als wären sie mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang. In Wirklichkeit verstießen sie gegen den Kern dieser Normen."

Gaza: Brot für die hungernde Bevölkerung

Für Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen sei die aktuelle Lage "sogar schlimmer" als die "Nakba" im Jahr 1948. Mit diesem arabischen Begriff für "Katastrophe" bezeichnen Palästinenser die Staatsgründung Israels, die damals nachfolgende kriegerische Auseinandersetzung und die Flucht und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung.

Amnesty, 1961 gegründet, wird seit gut zwei Jahren massiv von israelischer Seite und von jüdischen Organisationen kritisiert, weil es in einem Bericht Israel "Apartheid" vorgeworfen hatte. Israel wies den Vorwurf empört zurück und warf ai wiederholt vor, Antisemitismus zu fördern und den Konflikt einseitig zu betrachten.

Amnesty drängt seit längerem auf ein Ende der israelischen Besatzung der Palästinensergebiete einschließlich Ost-Jerusalems. Zugleich fordert die Organisation derzeit die Freilassung aller Geiseln durch die Hamas und andere palästinensische Gruppen und wirft der Hamas Kriegsverbrechen vor.

Welt macht "Zeitreise" in Jahre ohne Menschenrechte 

Amnesty-Generalsekretärin Agnes Callamard spricht in dem Bericht davon, die Welt habe gleichsam "eine Zeitreise gemacht" zurück in jene Jahre vor 1948, in der es keine als allgemeingültig festgeschriebenen Menschenrechte gegeben habe. "Ethische und rechtliche Grundfeste" seien im Jahr 2023 erschüttert worden, so die Französin Callamard. Das untergrabe in zahlreichen Ländern die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, die Gleichstellung der Geschlechter und die sexuellen und reproduktiven Rechte.

Agnes Callamard Amnesty International
Agnes Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty Internationalnull Michel Euler/AP/picture alliance

Auch die russische Aggression gegen die Ukraine und chinesische Verstöße gegen das Völkerrecht werden in dem Bericht zum Thema. So sei der russische Angriff auf die Ukraine "durchgehend von Kriegsverbrechen gekennzeichnet". Konkret nennt ai die Folter und Misshandlung von Kriegsgefangenen, Attacken auf bewohnte Gebiete, Infrastruktur für zivile Energie und Getreideexporte sowie die vorsätzliche Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Juni 2023, die "enorme Umweltschäden" zur Folge gehabt habe. Als weiteres Beispiel für die weitgehende Missachtung des humanitären Völkerrechts nennt ai den Krieg im Sudan, in dem beide Seiten Verstöße begingen.

Autoritäre Systeme auf dem Vormarsch, Frauenrechte unter Druck

Weiter beklagt Amnesty wachsenden Druck auf Menschen, die sich für wirtschaftliche und soziale Rechte einsetzten. Das gelte beispielsweise für Großbritannien, Ungarn und Indien. So würden Akteure, die sich für den Klimaschutz engagierten und den Ausbau fossiler Brennstoffe kritisierten, als "‘Terrorist*innen‘ gebrandmarkt". Im Nahen Osten führe Kritik an der jeweiligen Wirtschaftspolitik zu willkürlichem Gewahrsam. Insgesamt beklagt ai in dem Bericht ein weltweites Erstarken autoritärer Systeme. Immer weniger Menschen lebten in einer Demokratie als Gesellschaftsform, heißt es.

Ein Polizeifahrzeug der sog. Moralpolizei mit mehreren Einsatzkräften.
Jagd auf Frauen ohne Kopftuch - die sogenannte Moralpolizei im Irannull Tabnak

Mit Blick auf Rechte von Frauen beklagt Amnesty weitere Einschränkungen in Afghanistan und dem Iran. Der Iran setze auch Gesichtserkennungs-Software gegen Frauen ein, die sich nicht verschleierten. Zudem sprach ai von negativen Entwicklungen in den USA und Polen bei der gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen. So seien in 15 US-Bundesstaaten Abtreibungen ganz verboten oder nur in absoluten Ausnahmefällen zugelassen. Mit Besorgnis verweist der Bericht auch auf die mehr als 60 Länder weltweit, in denen LGBTQ-Menschen in ihren Rechten eingeschränkt seien und kriminalisiert würden.

Weiter thematisiert Amnesty die Gefahren neuer Technologien und der "künstlichen Intelligenz" (KI). Man bewege sich "immer schneller" auf eine Zukunft hin, die von Konzernen und unregulierter KI "beherrscht wird". Mit Blick auf neue Technologien beklagt Amnesty "Verstöße durch Tech-Giganten", die "für kommende Zeiten nichts Gutes erahnen" ließen. 

Ausdrücklich beklagt ai den Anstieg von Juden- und Muslimfeindlichkeit im Netz. Die alarmierende Verbreitung von Hetze im Internet und anderen schädlichen Inhalten gegen palästinensische und jüdische Gemeinschaften habe auch in Europa und den USA zu einem "deutlichen Anstieg muslimfeindlicher und antisemitischer Hassverbrechen" geführt.

Der aktuelle ai-Jahresbericht umfasst 417 Seiten und erörtert die Lage der Menschenrechte in gut 150 Ländern.

 

Irak und Türkei: Wille zum Neustart - aber kein Durchbruch

An seinen Vorstellungen für eine bessere Zusammenarbeit ließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan während seines Besuchs in Bagdad keinen Zweifel. Der Irak solle gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei (PKK) vorgehen, forderte er. Der Irak müsse "von allen Formen des Terrorismus befreit werden", erklärte Erdogan laut Agenturberichten bei einem Treffen mit dem irakischen Präsidenten Abdul Latif Raschid. 

Zudem unterzeichnete Erdogan mit Iraks Regierungschef Mohammed al-Sudani ein Rahmenabkommen zur Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Energie und Wirtschaft. Dazu gehört etwa ein rund 16 Milliarden Euro teures Straßen- und Eisenbahnprojekt. Außerdem sollen die derzeit ruhenden Ölexporte aus dem Irak in die Türkei wieder aufgenommen werden. Durch Projekte dieser Art wollten beide Länder "eine dauerhafte Kooperation in allen Bereichen aufbauen", sagte der irakische Premier beim ersten Besuch eines türkischen Spitzenpolitikers seit 2011.

Mit Blick auf die bislang eher angespannten Beziehungen beider Länder sei das Treffen ein deutlicher Schritt nach vorn, sagt Lucas Lamberty, Landesdirektor der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bagdad. Es habe bereits im Vorfeld verschiedene Besuche türkischer Politiker in Bagdad gegeben. "Dass der Besuch von Präsident Erdogan nun überhaupt stattgefunden hat, ist an sich schon ein Erfolg." Sicher müsse man abwarten, inwiefern die nun unterzeichneten Beschlüsse auch umgesetzt würden. "Aber der gute Wille ist da", so Lamberty zur DW.

Die Beziehungen beider Staaten waren in der Vergangenheit in mehrfacher Hinsicht angespannt. Während des Krieges in Syrien etwa unterstützte die Türkei die gegen Machthaber Baschar al-Assad kämpfenden Aufständischen. Die Regierung in Bagdad hingegen stand eher dem Assad-Regime nahe - nicht zuletzt unter dem Einfluss Russlands und vor allem des Iran. Dieser unterstützt mehrere Milizen im Irak, allen voran die sogenannten Kataib Hisbollah. 

 Präsident Erdogan (r.) und Premier al-Sudani im Dialog auf dem Flughafen von Bagdad
Im Dialog: der türkische Präsident Erdogan (r.) und Iraks Premier al-Sudaninull Turkish Presidency/Murat Cetinmuhurdar/Handout/Anadolu/picture alliance

Gemeinsamer Kampf gegen die PKK?

Einer der aus türkischer Sicht wichtigsten Punkte ist der Kampf gegen die in der Türkei, Europa und den USA als Terrororganisation gelisteten PKK in Iraks Autonomer Region Kurdistan. Im Jahr 2019 hatte die Türkei Militäroperationen in der Autonomen Region Kurdistan gegen die PKK begonnen. 

Die Türkei argumentiert, nur durch die Präsenz ihrer Armee im Irak ließe sich die PKK von der Grenze fernzuhalten. Aus Sicht des Irak stellt dies jedoch eine nicht hinnehmbare Verletzung seiner territorialen Integrität dar. Doch im März dieses Jahres hatte die irakische Regierung dann überraschend der langjährigen türkischen Forderung nach einem Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) entsprochen. Wenige Tage vor dem Treffen hatte das türkische Verteidigungsministerium erklärt, seine Operationen im Norden des Nachbarlandes ausweiten zu wollen.

Vier Kämpferinnen der PKK / YPG in der Autonomen Region Kurdistan
Im Visier der türkischen Armee: Kämpferinnen der PKK im Nordiraknull Yann Renoult/Wostok Press/Maxppp/dpa/picture alliance

"Aufgrund des Autonomiestatus der Region Kurdistan-Irak, in der ein Großteil der Basen der PKK liegt, hat die Angelegenheit auch eine inner-irakische Dimension",  sagt Lucas Lamberty. "Die Regierung in Bagdad hat natürlich einige Schritte unternommen, etwa die PKK zur verbotenen Organisation erklärt. Wie sie der Türkei noch weiter entgegenkommen kann, bleibt jedoch abzuwarten." Grundsätzlich gehe es dem Irak vor allem darum, die eigene Souveränität zu stärken und zu schützen. 

Auf türkischer Seite hingegen sieht man in Erdogans Besuch bereits einen wichtigen Schritt in Richtung eines gemeinsamen Kampfes gegen die PKK. Bilgay Duman vom Zentrum für Nahost-Forschung (ORSAM) in Ankara, im DW-Gespräch: "Dieser Schritt gehört zu den größten Errungenschaften der Vereinbarungen." 

Iraks vergessene Kinder - Die Schrottsammler von Mossul

Streitpunkt Wasserressourcen 

Immerhin eine Annäherung hat es bei einem der größten Streitpunkte gegeben, der Aufteilung der Wasserressourcen.  Nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels leidet der Irak in den vergangenen Jahren zunehmend an Wassermangel. Flossen durch die Flüsse des Landes zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch 1350 Kubikmeter pro Sekunde, hat sich die Menge inzwischen auf gerade 149 Kubikmeter reduziert. Besonders betroffen sind die Zuflüsse zu den großen Strömen Euphrat, Tigris und Diyala. Für den Rückgang mitverantwortlich ist auch die Türkei. Sie hat an Flüssen Tigris und Euphrat mehrere Staudämme errichtet. 

Nun wollen der Irak und die Türkei die gemeinsame Wassernutzung aus den Flüssen Euphrat und Tigris mit einem neuen Abkommen besser regeln. In einer für die Dauer von zehn Jahren unterzeichneten Vereinbarung geht es neben besserem Wasser-Management auch um Entwicklungsprojekte und einen besseren Austausch bei Bewässerungssystemen.

"Grundsätzlich sei die Vereinbarung zu begrüßen, sagt Irak-Experte Lamberty von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Die Gespräche haben zwar noch keine endgültige Lösung gebracht. Aber durch die Beschlüsse wurde nun ein Prozess angestoßen, mit dem die Herausforderungen angegangen werden können."

Angesichts der komplexen Ausgangslage stelle das Treffen für beide Seiten einen Erfolg dar, meint der türkische Experte Bilgay Duman. "Die Priorität der Türkei ist der Kampf gegen die PKK. Die Priorität des Irak ist die Wasserfrage. Nun sind sich beide Seiten in diesen beiden Punkten einig, und wir können auch diese Projekte als gemeinsamen Gewinn betrachten."

Doch eine Lösung der chronischen Wasserknappheit sei damit aus irakischer Sicht noch längst nicht geschafft - darauf verweist der Bagdader Politologe Ihsan Al-Shammari. Womöglich sei Iraks Regierung einfach zu schwach, um der Türkei gegenüber eigene Interessen durchzusetzen, so Al-Shammari zur DW.

Redaktionelle Mitarbeit: Elmas Topcu, Alla Ahmed

Dezember 2011: Letzte US-Kampftruppen verlassen Irak

 

Sanktionieren die USA erstmals eine Militäreinheit Israels?

Laut Medienberichten will US-Außenminister Antony Blinken in den kommenden Tagen Sanktionen gegen ein Bataillon der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) ankündigen. Der Einheit "Netzah Yehuda" (Judäa für immer) werden Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Palästinensern im von Israel besetzten Westjordanland vorgeworfen.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur AP wurde auf US-Seite gegen fünf Militäreinheiten wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen ermittelt. Die Sanktionen richten sich jedoch nur gegen diese eine. Die Beschränkungen sehen zwei Punkte vor: Zum einen darf keine US-Militärhilfe an "Netzah Yehuda" fließen. Zum anderen soll die Teilnahme an Ausbildungen, die von den USA finanziert werden, eingeschränkt werden. Die israelische Regierung hat bereits angekündigt, sich gegen die Sanktionen zu wehren.

Wer steckt hinter "Netzah Yehuda"?

Das Bataillon "Netzah Yehuda" wurde Ende der 1990er Jahre als religiöse Spezialeinheit gegründet, um auch ultraorthodoxen Juden (Haredim) den Militärdienst zu ermöglichen. Sie erhalten zum Beispiel Zeit für Gebete oder religiöse Studien, das Essen ist koscher und der Umgang mit Soldatinnen ist eingeschränkt. Das Bataillon ist Teil der Infanterie-Brigade Kfir. Ihm gehören nach eigenen Angaben etwa 1000 Soldaten an. Es ist innerhalb der ultraorthodoxen Gemeinschaft, die eine Pflicht zum Militärdienst weitgehend ablehnt, umstritten.

Viele der Soldaten sind freiwillig im Dienst, denn bislang sind Haredim vom Militärdienst befreit. Wer bis zu einem gewissen Alter eine Yeshiva besucht hat, also eine religiöse Schule, kann nicht eingezogen werden. Doch immer mehr Politiker fordern eine Änderung dieser Regel. Schon 1998 wurde diese Praxis von Israels Oberstem Gericht als diskriminierend bewertet. Seit dem Beginn des Kriegs gegen die von Israel, der EU, den USA und anderen Staaten als terroristisch eingestufte  Hamas im Gazastreifen im Herbst 2023 haben sich tausende Haredim freiwillig zum Dienst gemeldet.

Ultraorthodoxe Soldaten der Netza Yehuda bei einem Gebet
Das Bataillon hat sich auf Haredim eingestellt: Ultraorthodoxe Soldaten der Netzah Yehuda bei einem Gebet (Archivbild) null Menahem Kanaha/AFP/Getty Images

Sammelbecken für radikale Siedler?

Sowohl ultraorthodoxe als auch national-religiöse Israelis sind Teil der Einheit. Unter ihnen sind auch radikale Siedler aus dem besetzten Westjordanland, die den Parteien der rechtsextremen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir nahe stehen. Im Laufe der Zeit haben sich laut der US-amerikanischen Nachrichtenwebseite Axios auch immer mehr Anhänger der "Hilltop Youth" dem Bataillon angeschlossen. Als "Hilltop Youth" werden junge radikale und teilweise gewalttätige Jugendliche der Siedlerbewegung bezeichnet. Die "Hilltop Youth" wurde wegen ihrer Angriffe auf Palästinenser erst vergangene Woche mit EU-Sanktionen belegt.

Das Bataillon war ursprünglich im besetzten Westjordanland stationiert. Ende 2022 wurde es nach Nordisrael verlegt. Mittlerweile ist "Netzah Yehuda" auch am Krieg im Gazastreifen beteiligt.

Was wird dem Bataillon konkret vorgeworfen?

Das Bataillon wird laut "Times of Israel" mit Rechtsextremismus und Gewalt gegen Palästinenser in Verbindung gebracht. Die US-Regierung ist laut der Nachrichtenwebseite Axios bereits 2022 auf das Bataillon aufmerksam geworden, nachdem es zu gewalttätigen Vorfällen gegen palästinensische Zivilisten gekommen sei.

Mitglieder des Bataillons sollen einen fast 80 Jahre alten Mann stundenlang geknebelt und gefesselt haben. Der palästinensische US-Bürger starb wenige Stunden später an einem stressbedingten Herzinfarkt, vermutlich ausgelöst durch diesen Vorfall, wie die "Washington Post" und weitere Medien berichteten. Die IDF verurteilte die Tat damals als "moralisches Versagen". Es sei eine schlechte Entscheidung der Verantwortlichen gewesen. Zwei Offiziere wurden ihres Postens enthoben, ein dritter gerügt. Eine strafrechtliche Verfolgung gab es jedoch nicht. 

Der Fall erregte besonders aufgrund der doppelten Staatsbürgerschaft und des hohen Alters des Mannes Aufmerksamkeit - und weil das US-Außenministerium eine Untersuchung anforderte. Menschenrechtsverteidiger nennen jedoch weitere Fälle von Misshandlung und Folter von Palästinensern.

Wie reagiert Israel?

Die israelische Regierung reagierte empört auf entsprechende Sanktions-Berichte. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu postete in der Nacht zum Sonntag auf der Plattform X, ehemals Twitter: "Gegen die israelische Armee dürfen keine Sanktionen verhängt werden!" Seine Regierung werde mit allen Mitteln gegen die Maßnahmen vorgehen. Er schrieb weiter: "In einer Zeit, in der unsere Soldaten die Monster des Terrors bekämpfen, ist die Absicht, eine Einheit der IDF (Israel Defense Forces) mit Sanktionen zu belegen, der Gipfel der Absurdität und ein moralischer Tiefpunkt."

US-Außenminister Blinken und der israelische Ministerpräsident Netanjahu geben sich die Hand
US-Außenminister Blinken und der israelische Ministerpräsident Netanjahu: "Moralischer Tiefpunkt"?null GPO/Anadolu/picture alliance

Die IDF erklärten, dass ihnen keine Sanktionen gegen eine ihrer Einheiten bekannt seien und fügten hinzu: "Wenn eine Entscheidung in dieser Angelegenheit getroffen wird, wird sie überprüft werden."

Gibt es weitere Sanktionen der USA ?

Sanktionen gegen die israelische Armee sind neu. Dennoch haben die USA bereits Sanktionen gegen Israel ausgesprochen. Erst vor kurzem verhängten sie Strafmaßnahmen gegen extremistische Siedler sowie gegen Ben-Zion Gopstein. Er gilt als Vertrauter des rechtsextremen Ministers für Nationale Sicherheit, Ben-Gvir. Außerdem setzten die USA zwei Organisationen auf ihre Sanktionsliste, die bereits sanktionierte extremistische Siedler finanziell unterstützen. Vermögenswerte in den USA werden blockiert. Außerdem sind US-Bürgern oder Menschen, die sich in den Vereinigten Staaten aufhalten, Geschäfte mit sanktionierten Organisationen und Einzelpersonen untersagt.

Iran dementiert Angriff aus dem Ausland

"Es scheint, dass die amerikanischen Medien von einem israelischen Angriff auf den Iran geträumt haben", schrieb Hossein Dalirian, der Sprecher der iranischen Raumfahrtbehörde am Freitagmorgen (19.04.24)  auf seinem Twitter-Account. Die iranischen Luftabwehrsysteme hätten an diesem Morgen drei kleine Flugkörper abgeschossen. Nirgendwo auf der Welt würde man das als Angriff bezeichnen.

Kurz zuvor haben die US-Sender CNN und CBS News unter Berufung auf einen hochrangigen US-Regierungsvertreter berichtet, dass Israel einen Militärschlag im Iran durchgeführt habe. Das israelische Militär habe den Angriff als Vergeltungfür den Drohnen- und Raketenbeschuss Teherans am vergangenen Wochenende ausgeführt, berichtete die "Washington Post" unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten israelischen Regierungsbeamten.

Alles ruhig in Isfahan?

In der Nähe eines großen Militärflugplatzes nahe der zentraliranischen Stadt Isfahan sollen drei Explosionen zu hören gewesen sein, berichteten iranische Staatsmedien. In Isfahan befinden sich verschiedene militärische Stützpunkte, aber auch Teile der iranischen Nuklearanlagen.

In Fernsehinterviews betonten die iranischen Behörden, dass ihre Luftabwehr drei Drohnen abgefangen habe. Berichte über einen Raketenangriff gab es nicht. Die Drohnen sollen Mini-Quadcopter gewesen sein. Ähnliche Flugobjekte mit vier Rotoren hatten im Februar 2022 einen Luftwaffenstützpunkt im Westen des Irans angegriffen. Dabei waren zahlreiche Drohnen der iranischen Luftwaffe zerstört worden. Auch damals soll Israel hinter dem Angriff gesteckt haben. 

Blick auf die Urananreicherungsanlage
(Archiv) Nuklearanlage nahe der zentraliranischen Stadt Isfahannull epa/dpa/picture alliance

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) meldete am Freitag in Wien, dass keine Atomanlagen im Iran beschädigt worden seien.

Der Einsatz moderner Technologien im "Schattenkrieg" zwischen dem Iran und Israel ist nichts Neues. Im November 2020 wurde der iranische Kernphysiker Mohsen Fachrisadeh nahe Teheran von einem ferngesteuerten Killerroboter getötet. Medienberichten zufolge saß der Schütze, der den Abschussbefehl gab, 1.000 Meilen vom Tatort entfernt.

Als Vergeltung für einen Raketenangriff auf das iranische Botschaftsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus hatte der Iran Israel am 14. April mit Hunderten Drohnen und Raketen angegriffen. Nach israelischen Angaben wurden fast alle von Iran gestarteten Drohnen und Raketen abgewehrt.

Was tatsächlich in Isfahan geschehen ist, ist noch nicht klar. Alles sei ruhig, behauptete das staatliche Fernsehen, das Kamerateams nach draußen schickte und ruhige Videoaufnahmen aus der Stadt zeigte.

Screenshot aus dem TV mit Blick auf einen Kreisverkehr in Isfahan
​​Nach Berichten des staatlichen Fernsehen sei alles ruhig in Isfahannull IRANIAN STATE TV (IRIB)/AFP

Darauf sind leere Straßen zu sehen. Die Menschen gehen im Park spazieren an diesem einzigen freien Tag in der Woche. Der Verkehr wurde als normal bezeichnet. Auch der Flugbetrieb soll nach kurzer Unterbrechung wieder aufgenommen worden sein.

Zensur in sozialen Netzwerken

Im Netz findet man kaum Fotos von Bürgerjournalisten aus Isfahan. Seit Anfang der Woche geht der Geheimdienst der Revolutionsgarde gegen jede Person vor, die sich kritisch zur Israel-Politik der Islamischen Republik äußert. Viele Zivilisten im Iran haben Angst vor einem möglichen Krieg mit Israel. In privaten Gesprächen betonen viele, dass sie kein Verständnis für die feindliche Israel-Politik der Regierung hätten.

Am vergangenen Sonntag (14.04.24) veröffentlichte der Geheimdienst der Revolutionsgarde direkt nach dem Angriff auf Israel eine Mitteilung in staatlichen Medien. Er forderte alle Einwohner auf, "jede Solidaritätsbekundung mit Israel in den sozialen Netzwerken" schnellstmöglich zu melden.

In den letzten Tagen berichteten zahlreiche Aktivisten und Journalisten, dass sie von anonymen Personen angerufen, gewarnt oder sogar bedroht worden seien, damit sie die "Gefühle der Nation" im Netz nicht verletzten und keine Kritik an der Israel-Politik äußerten. Das Land befinde sich in einem Informationskrieg, hieß es von den Anrufern. 

Kann sich der Iran einen Krieg mit Israel leisten?

Faktencheck: Dubai, Überflutung und Cloud Seeding

Land unter - nicht nur in Dubai: An manchen Orten im Südosten der arabischen Halbinsel hat es innerhalb eines Tages mehr geregnet als sonst in einem ganzen Jahr. Die Folgen: Straßen stehen unter Wasser, der Flughafen von Dubai ist überflutet, und Dächer brechen unter dem Druck der Wassermassen ein.

Doch nicht nur die größte Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), sondern auch andere Teile der Region, namentlich das Nachbarland Oman, haben epochale Regenfälle erlebt. Neben Sachschäden sind mindestens 20 Todesopfer zu beklagen.

Während die Betroffenen unter den Folgen des Unwetters leiden, quellen die Sozialen Medien über von Theorien, wie es zu der Katastrophe kommen konnte.

Behauptung: "Wolkenimpfen geht schief", schreibt ein User auf X, ehemals Twitter. Ein Instagram-Kanal stellt außerdem die Frage, ob Wolkenimpfen, im Englischen Cloud Seeding, die Überschwemmungen in Dubai ausgelöst oder verstärkt haben könnte. Viele Nutzer beantworten die Frage mit "Ja".

DW Faktencheck: Falsch.

Cloud Seeding ist eine Methode, um mit künstlichen Instrumenten Regen auszulösen. Dabei versprühen Flugzeuge bestimmte Salze, die sich nicht in Wasser lösen. Die Feuchtigkeit der Wolken kondensiert dann an den Salzpartikeln und fällt als Regen zu Boden. Die Methode wird in vielen Teilen der Welt eingesetzt, teils um Niederschlag zu erzeugen, aber zum Beispiel auch mit dem Ziel, um Hagelschlag zu verhindern.

Tiktok-User-Umfrage: Ist Cloud Seeding an der Überflutung in Dubai schuld? 69% von 22.100 Antworten lauten: "Es ist wegen dem Vloud Seeding"
Zwei Drittel von 22.100 Abstimmenden in dieser Tiktok-Umfrage geben an, dass sie die Überschwemmungen dem Wolkenimpfen zuschreibennull Tiktok

Auf Satellitenbildern ist zu sehen, dass sich in den vergangenen Tagen über dem Südosten der arabischen Halbinsel und dem Süden des Iran ein Sturm mit massiven Regenwolken gebildet hatte. Durch die Wolkenbildung war die Voraussetzung zum Cloud Seeding also gegeben.

"Regenernte" in den Vereinigten Arabischen Emiraten

Das National Center of Meteorology (NCM) der VAE in der Hauptstadt Abu Dhabi erforscht das Wolkenimpfen seit den späten 1990er Jahren. Der Wüstenstaat nutzt die Methode, um die Niederschlagsmenge und damit die Menge des verfügbaren Süßwassers zu erhöhen.

Zunächst hatte "Bloomberg" berichet, dass Wolkenimpfungen durch das NCM die Regenfälle verstärkt hätten. Offizielle Stellen der VAE haben jedoch dementiert, zu Wochenbeginn überhaupt solche Maßnahmen durchgeführt zu haben. DW Factchecking hat beim NCM nachgefragt, bis zur Veröffentlichung dieses Artikels jedoch keine Antwort erhalten.

Cloud Seeding

Geantwortet hat hingegen ein Forscherteam der deutschen Universität Hohenheim, das ein gemeinsames Forschungsprojekt mit dem NCM durchführt. Über etwaige Wolkenimpfungen Anfang der Woche lägen ihm keine Informationen vor, schreibt der Meteorologe Oliver Branch.

Allerdings sei es völlig unrealistisch, eine solche Niederschlagsmenge durch Cloud Seeding zu bewirken: "Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Cloud-Seeding-Aktivitäten und den Überschwemmungen in Dubai geht gegen Null." Viele Medien zitieren andere Experten mit ähnlichen Einschätzungen - auch "Bloomberg"

Globale Erwärmung verstärkt extreme Wetterlagen

Behauptung: "Die Effekte von globaler Erwärmung und Klimawandel sind alarmierend und werden keine Stadt verschonen", heißt es auf einem Account. Ein anderer Account wird noch deutlicher: "DIES ist der menschengemachte #Klimawandel."

DW Faktencheck: Unbelegt.

Viele Klimaforscher sehen durchaus Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Starkregen: "Häufig spielt die globale Klimaerwärmung bei extremen Wetterereignissen tatsächlich eine Rolle, aber ihr Einfluss wird teilweise pauschal angenommen oder überbetont", sagte die Klimatologin Friederike Otto vom Imperial College in London der DW bereits vor einiger Zeit. Zu den Ereignissen in Dubai sagte sie der Nachrichtenagentur AFP, die Stürme seien "höchstwahrscheinlich" durch die globale Erwärmung verschlimmert worden.

In einem Post auf X wird ein Tiktok-Video verlinkt, das die heftigen Regenfälle in Dubai zeigt
"Dubai ist nicht dafür gemacht, so heftigen Regenfällen zu widerstehen", heißt es in dem Post auf X, der ein Tiktok-Video verlinktnull X

Die Begründung hat einen einfachen physikalischen Hintergrund: Je wärmer die Luft ist, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. Deshalb regnet es in den Tropen stärker als in den gemäßigten Breiten, in denen Deutschland liegt. Regengüsse fallen in Mitteleuropa im Sommer auch deutlich heftiger aus als um die Jahreswende.

Deshalb ist unter vielen Klimaforschern Konsens, dass die Erderwärmung Extremwetterlagen zwar wahrscheinlicher macht und sie tendenziell extremer ausfallen. Sie betonen aber auch wie die Klimaforscherin Sjoukje Philip vom Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut (KNMI): "Extremwetter hat es immer gegeben, und wird es immer geben."

Ähnliche Falschbehauptungen tauchen übrigens immer wieder auf, wenn Starkregen zu Überschwemmungen führt - insbesondere, wenn dies in Regionen auftritt, in denen man eher Dürren als ausgiebige Niederschläge erwarten würde wie Kalifornien, Australien oder die Türkei.

Kann sich der Iran einen Krieg wirtschaftlich leisten?

Während die USA und die EU über neue Sanktionen gegen Teheran nachdenken, trumpft der Iran mit einer Erfolgsmeldung auf: Das Land hat mehr Öl als je zuvor in den letzten sechs Jahren exportiert. Und das trotz neuer US-Sanktionen, die 2018 der damalige Präsident Donald Trump in Kraft gesetzt hatte.

Irans Ölminister Javad Owji verkündete im März, dass die Ölexporte 2023 "mehr als 35 Milliarden Dollar" in die iranischen Kassen gespült hätten. Die "Feinde des Iran" wollten zwar seine Öl-Exporte stoppen, "aber heute können wir Öl überall hin exportieren, wo wir wollen, und das mit minimalen Rabatten", zitiert die Financial Times den Ölminister.

Die eingenommenen Dollar-Milliarden sind für das Land enorm wichtig, um innenpolitisch für sozialen Frieden zu sorgen. Denn ein großer Teil der Bevölkerung leidet unter den Folgen der internationalen Sanktionen: Sie haben zu einem Verfall der Landeswährung Rial geführt und die Inflation kräftig in die Höhe getrieben.

Die Inflation ist mit zuletzt rund 40 Prozent ohnehin hoch und jede Verschärfung der geopolitischen Spannungen drückt zusätzlich auf den Wert des Rial, erklärt Djavad Salehi-Isfahani, Wirtschafts-Professor an der US-Hochschule Virginia Tech, im Interview mit der DW.

Iran | Steigende Lebensmittelpreise
Die Menschen im Iran leiden seit Jahren unter starker Inflation und hohen Lebensmittelpreisen null Atta Kenare/AFP/Getty Images

Der Dollar habe in den letzten Wochen, als man mit einer Verschärfung des Konflikts mit Israel rechnete, um rund 15 Prozent an Wert gegenüber der iranischen Landeswährung zugelegt. Das habe dazu geführt, dass der Rial in den vergangenen Monaten ein Viertel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren hat, rechnet Isfahani vor. "Diese Abwertung des Wechselkurses schlägt sich sehr schnell in höheren Preisen nieder, weil der Iran viele Waren importiert." Außerdem hätten viele Waren, die man im Land selbst produziert, auch eine Importkomponente. "Ich denke daher, dass sich das Land aktuell auf eine höhere Inflation einstellen muss."

Lebensstandard auf dem Niveau von 2005

Weil sich der Iran nicht selbst mit Nahrungsmitteln versorgen kann, treiben der Wertverfall der Währung und die starke Inflation die ohnehin schon hohen Preise für Lebensmittel noch weiter oben. "Das wird sich stark auf das Wohlergehen der Armen auswirken, weil Nahrungsmittel etwa die Hälfte ihrer Ausgaben ausmachen", sagt der Experte für die Wirtschaft des Nahen Ostens.

Auch für die Mittelschicht habe sich die wirtschaftliche Lage in den letzten beiden Jahrzehnten spürbar verschlechtert. "Der Lebensstandard ist wegen der Sanktionen wieder auf dem Stand von vor 20 Jahren", so Isfahani. Die Wirtschaftsleistung liege dagegen "etwa auf demselben Niveau oder vielleicht ein paar Prozent höher". Trotzdem würde auch sie sehr empfindlich auf weitere Rückgänge reagieren.

Iran | Proteste gegen die wirtschaftspolitik der Regierung
Proteste gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung im Frühjahr 2022null Privat

Nach den Zahlen des Datendienstleisters Statista hat im Jahr 2022 die Landwirtschaft geschätzte 12,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Iran beigetragen: Die Industrie steuerte rund 40 Prozent und der Dienstleistungssektor etwa 47 Prozent bei.

Wirtschaftliche Situation steht und fällt mit Ölexporten

Dabei ist das Land extrem abhängig vom Rohöl-Export. Seit mehr als 90 Prozent des Öls nach China verschifft werden, laufen auch die Sanktionen des Westens immer mehr ins Leere. Umso mehr sorgen sich die Machthaber in Teheran, dass der Ölsektor als wichtigste Devisenquelle Ziel eines militärischen Vergeltungsschlags Israels werden könnte.

Kann sich der Iran einen Krieg mit Israel leisten?

"Ich bin mir sicher, dass sie sehr besorgt sind, weil ein Krieg, der die Infrastruktur für den Ölexport beschädigt, einen schweren Schlag für die Wirtschaft bedeuten würde", bringt es Isfahani auf den Punkt. Nach dem Schock der 2018 durch Trump verhängten Sanktionen habe der Iran mittlerweile wieder 80 Prozent seiner damaligen Exportmenge erreicht. Die meisten Experten führten das auf die Aufweichung der Sanktionen zurück, seit Joe Biden an der Macht ist, so Isfahani.

"Die iranische Wirtschaft ist in der Tat zum Teil durch die Zunahme der Ölexporte gewachsen. Nicht der gesamte Anstieg des BIP, der sich auf etwa fünf Prozent pro Jahr beläuft, was im Vergleich zu dem, was in der Region insgesamt nach der Covid-Pandemie passiert, nicht schlecht ist", erklärt Isfahani.

Allerdings habe sich das nicht in einem höheren Lebensstandard für die Bevölkerung niedergeschlagen, betont der Iran-Experte. Denn viele finanzielle Ressourcen seien in den Ausbau des Militärs und anderer Maßnahmen des Regimes geflossen.

Iran Bandar Abbas | Islamische Revolutionsgarde erhält neue Schnellboote und Schiffe
Die Islamischen Revolutionsgarden erhalten im Januar 2024 neue Ausrüstung in der Hafenstadt Bandar Abbasnull Sephanews/ZUMA Press/picture alliance

Korruption und Intransparenz

Viel Geld versickert ohnehin in den intransparenten Strukturen der schiitischen Machthaber in Teheran. Im Index von Transparency International, der die wahrgenommene Korruption misst, steht Iran auf Platz 149 von 180 Ländern. Deutschland rangiert dort auf Platz neun, die USA auf dem 24. Rang.

Besonders undurchsichtig ist die Rolle der Revolutionsgarden (eine Parallelarmee) und religiösen Stiftungen, die zentrale Teile der Wirtschaft kontrollieren. Sie zahlen keine Steuern, müssen keine Bilanzen vorlegen und sind vor allem dem politischen und religiösen Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei, unterstellt.

Für den Nahost-Experten Martin Beck von der University of Southern Denmark (SDU) ist die Wirtschaft des Iran geprägt durch "eine Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre, die eine mit hoher Korruption verbundene staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik befördert".

Niedrige Wirtschaftsleistung pro Kopf

Aber obwohl sich die Einnahmen aus dem Ölexport in den vergangenen Jahren zunehmend stabilisiert haben, ist der Iran alles andere als ein ökonomisches Schwergewicht. Obwohl seine Bevölkerung mit rund 88 Millionen fast zehnmal so groß ist wie die seines Erzfeindes Israel (neun Millionen), war seine Wirtschaftsleistung 2022 mit 413 Milliarden US-Dollar deutlich niedriger als die des jüdischen Staates mit 525 Milliarden US-Dollar.

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2022 im Iran mit geschätzten rund 4043 US-Dollar weit abgeschlagen hinter Israel (54.336 US-Dollar) und dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien mit rund 34.441 US-Dollar. Wie dramatisch der Absturz der Wirtschaftsleistung im Staat der Mullahs ist, macht der Vergleich zum Jahr 1990 deutlich: Damals lag das Bruttoinlandsprodukt laut Statista pro Kopf im Iran bei 10.660 US-Dollar, also mehr als doppelt so hoch. 

Arme Leute im Iran
2022 lebten 26 Millionen Menschen im Iran unter der Armutsgrenze (Angaben des Ministry of Cooperatives, Labour, and Social Welfare in Teheran) null ISNA

Wie sich die Wirtschaft des Landes weiter entwickelt, hängt vor allem davon ab, ob neue westliche Sanktionen die iranischen Ölexporte spürbar drosseln können.

Ölexporte sind entscheidend

Teheran ist es gelungen, in den ersten drei Monaten des Jahres durchschnittlich 1,56 Millionen Barrel (ein Barrel sind rund 159 Liter) Rohöl pro Tag zu verkaufen - und zwar fast alles nach China. Das war nach Informationen des Datenanbieters Vortexa der höchste Wert seit dem dritten Quartal 2018.

"Die Iraner beherrschen die Kunst, Sanktionen zu umgehen", wird Fernando Ferreira von der Rapidan Energy Group in den USA in der Financial Times zitiert. "Wenn die Biden-Regierung wirklich etwas bewirken will, muss sie den Fokus auf China verlagern."

Die USA sind zwar mittlerweile viel unabhängiger von Öl-Exporten aus dem Nahen Osten. Trotzdem würden höhere Ölpreise durch eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran auch die Weltmarkt-Preise - und damit die Inflation weiter in die Höhe treiben. Für US-Präsident Joe Biden wäre das in einem Wahljahr mehr als ungünstig und eine Steilvorlage für seinen Herausforderer Donald Trump.

Doch ganz gleich, ob es zu einer Verschärfung der Sanktionen kommt oder nicht. Wäre die iranische Wirtschaft aktuell bereit für eine mögliche militärische Eskalation mit Israel?

Die Antwort von Djavad Salehi-Isfahani ist deutlich: "Insgesamt ist sie nicht bereit für einen längeren militärischen Konflikt. Deshalb haben sie (die Machthaber in Teheran, Anm. d. Red.) sehr darauf geachtet, sich nicht zu sehr in den Gaza-Krieg einzumischen. Und der Angriff auf Israel war eher symbolisch als einer, der Schaden anrichten wollte."

"Iran will Konflikt mit Israel nicht eskalieren lassen"

 

G7 fordern Zurückhaltung von Israel

Immer wieder ziehen dunkle Regenwolken über die malerische Insel Capri im Golf von Neapel. Das azurblaue Meer ist ungewöhnlich aufgewühlt. Auf den Fähren, die die G7-Delegationen auf die Insel bringen, wird so mancher seekrank. Auch Ministerinnen sind davon nicht verschont. "Die Überfahrt zu diesem G7 Treffen war stürmisch. Das ist vielleicht auch ein Zeichen, wie stürmisch die globalen Zeiten gerade sind", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock gibt den Journalisten, die sie umringen, Interviews
Großes Medieninteresse: Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock spricht vor Journalistennull Gregorio Borgia/AP Photo/picture alliance

Der Nahe Osten und der russische Krieg gegen die Ukraine sind die zentralen Themen, bei denen es viele unbeantwortete Fragen und Unwägbarkeiten gibt. In den vergangenen Tagen haben viele Außenminister versucht, auf die Regierung in Israel Einfluss zu nehmen, um sie von einer starken militärischen Antwort auf den massiven Drohnenangriff aus dem Iran vom vergangenen Samstag abzuhalten. Der derzeitige G7-Vorsitzende, Italiens Außenminister Antonio Tajani, hat "stundenlang" mit seinem israelischen Kollegen Israel Katz telefoniert. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und der britische Ressortchef waren am Mittwoch noch schnell persönlich in Jerusalem vorstellig geworden 

Abwarten, wie Jerusalem entscheidet

Die Botschaft der G7 lautet: Israel hat mit Verbündeten den Angriff aus dem Iran vollständig abgewehrt. Das sei ein "defensiver Sieg" gewesen, so der US-Außenminister Anthony Blinken. Eine weitere Eskalation sei nicht nötig. "Jetzt müssen wir abwarten, wie der jüdische Staat reagieren wird. Ich hoffe, dass sich Zurückhaltung durchsetzt", meinte Italiens Ressortchef Tajani. Abwarten ist auch die Devise von Großbritanniens Außenminister David Cameron, der den Eindruck hat, dass die Entscheidungen im Kriegskabinetts Israels zu einem Schlag gegen den Iran gefallen sind. Er wisse nur noch nicht, in welchem Umfang und wann der stattfinden werde. 

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (l.) und US-Außenminister Blinken auf Capri
Können zumindest kurzzeitig auch mal lachen: Der EU-Außenbeauftragte Borrell (l.) und US-Außenminister Blinken im Gesprächnull Remo Casilli/AP Photo/picture alliance

Der Iran soll weiter isoliert werden, ist das einhellige Ziel der sieben führenden Demokratien und auch der Europäischen Union. Es soll weitere Sanktionen geben und möglichst einen Beschluss, die Revolutionsgarden, eine Art militärische Eliteeinheit des Iran, als Terrorgruppe zu ächten. Bislang haben diesen Schritt nur die USA getan. Die Europäer waren zurückhaltend, weil sie Kontakte zum iranischen Regime in den vergangenen Jahren nicht völlig unterbinden wollen. Schließlich hoffte man immer noch auf eine Wiederbelebung der Gespräche über eine Begrenzung der iranischen Atomrüstung. Doch diese Hoffnung ist wohl nun vorbei. 

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock machte sich dafür stark, dass die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU kommen. Einen entsprechenden Gerichtsbeschluss aus Deutschland habe man jetzt gefunden, so Baerbock. Denn rechtlich muss nachgewiesen sein, dass die Revolutionsgarden einen Terroranschlag in der EU unternommen haben oder unternehmen wollten, um sie auf die Terrorliste setzen zu können. Die israelische Regierung hatte die Ächtung der Revolutionsgarden und weitere Sanktionen gegen den Iran gefordert. 

Sanktionen gegen den Iran sollen Israel besänftigen

Die Hoffnung bei G7-Diplomaten ist nun, dass die Signale aus Capri und Brüssel ausreichen, um Israel von Zurückhaltung zu überzeugen. Natürlich sei der Angriff des Iran auf Israel auf Schärfste zu verurteilen, aber "beiden Seiten muss klar sein, dass sie sich am Rande eines Krieges in der gesamten Region befinden", mahnte erneut der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der ebenfalls an den G7-Sitzungen teilnimmt. 

Die Außenministerinnen und -minister spiegeln sich im blankgeputzen Boden
Ruhe bewahren, auch wenn die Welt Kopf steht. Die G7-Außenminister spiegeln sich beim Gruppenfoto im Boden.null Gregorio Borgia/AP Photo/picture alliance

Borrell mahnte seine Kolleginnen und Kollegen auch, über den Iran die Lage im Gazastreifen nicht zu vergessen: "Die humanitäre Katastrophe dort geht weiter. Die Hilfe ist nur in sehr kleinem Umfang gesteigert worden." Die US-Regierung gibt allerdings an, dass die Zahl der LKW, die Hilfsgüter in den Gazastreifen fahren, erheblich gestiegen sei, auf Drängen von US-Präsident Joe Biden. US-Medien berichten, dass es eine Art Vereinbarung zwischen Jerusalem und Washington geben soll: Israel hält sich mit einer Antwort auf den Iran zurück, wenn die USA ihre Opposition gegen eine israelische Bodenoffensive in Rafah im Gazastreifen aufgeben. Seit dem Angriff der vom Iran gestützten Terrorgruppe Hamas aus Israel am 7. Oktober geht die israelische Armee massiv gegen Hamas-Kämpfer im Gazastreifen vor. Mehr als 30.000 Menschen wurden getötet. Die Bevölkerung von fast zwei Millionen Menschen steht nach Einschätzung der Vereinten Nationen am Rande einer Hungersnot. 

Mehr Luftverteidigung für die Ukraine

Das zweite große Thema der G7-Runde in Italien ist der russische Krieg gegen die Ukraine. Der ukrainische Außenminister Dymitro Kuleba wirbt, bittet, ja fleht in Capri noch einmal um mehr Luftverteidigungswaffen von den westlichen Verbündeten für sein Land. "Hier sitzen die Länder, die das möglich machen können", sagte Kuleba nach einem Treffen mit Gastgeber Antonio Tajani. Die G7 sollte nun weltweit alle Kapazitäten zur Luftverteidigung moblisieren und in die Ukraine liefern. Deutschland hat ein zusätzliches Patriot-System zugesagt. Die übrigen Staaten prüfen ihre Bestände. 

Blick auf das Kapitol in Washington
Im Kapitol in Washington wird der US-Kongress über die Freigabe der Ukraine-Hilfen entscheidennull Imago Images/Zuma Press/A. Samperio

Hoffnungsvolle Signale konnte Außenminister Anthony Blinken aus den USA mitbringen. Der Kongress könnte nach monatelanger Blockade durch die oppositionellen Republikaner am Wochenende 60 Milliarden Dollar an Militär- und Finanzhilfe freigeben. Trotzdem wird mehr Hilfe aus Europa und vom G7-Mitglied Japan nötig sein, meinte Ettore Greco vom Italienischen Institut für Außenpolitik, einer Denkfabrik in Rom. "Hier wird die G7 sicherlich etwas in Gang setzen können, um der Ukraine zu helfen, wenn man die Schwierigkeiten in anderen Bereichen und das Ausbleiben von amerikanischen Zusagen betrachtet." NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nimmt ebenfalls am G7-Treffen teil. Am Freitag tagt in Brüssel auf Drängen der Ukraine der gemeinsame NATO-Ukraine-Rat. "In den nächsten Tagen müssen endlich konkrete Beschlüsse fallen", forderte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Wir müssen schneller werden."

Drohende Eskalation mit dem Iran: Wie stark ist Israel?

Israel hat nach übereinstimmenden US-Medienberichten den Iran als Reaktion auf dessen Angriff mit einem oder mehreren Flugkörpern beschossen. Iranische Staatsmedien weisen Berichte über Raketenangriffe zurück, melden aber drei Explosionen in der Nähe einer Armeebasis in Isfahan. Die Luftabwehr hätte dabei Drohnen zerstört, Schäden gebe es nicht. 

Kommt es nun zu einer ausgeweiteten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran? Falls ja: Wie wäre Israel darauf vorbereitet? Klar ist, dass Israel mit schwer kalkulierbaren Faktoren rechnen muss - darunter die Frage, ob sich Irans nicht-staatliche Verbündete an der Auseinandersetzung beteiligen. Der wichtigste Verbündete ist die iranisch finanzierte Hisbollah im Libanon. Auch die Huthi-Milizen im Jemen und einige schiiische Milizen im Irak könnten sich in einen bewaffneten Konflikt einschalten beziehungsweise vom Iran als militärische Unterstützer angeheuert werden. 

Auf die Gefahr eines solchen Mehrfronten-Krieges bereite sich Israel seit Langem vor, sagt Arye Sharuz Shalicar, einer der Sprecher der israelischen Armee. Dabei konzentriere man sich vor allem auf drei Aspekte: zunächst den Ausbau der Verteidigungssysteme, insbesondere von Luftabwehr-Systemen wie Iron Dome, Patriot, David's Sling (auch Magic Wand genannt) und des Arrow-Systems. Zugleich entwickele man kontinuierlich die offensiven Fähigkeiten weiter, so Shalicar im DW-Gespräch. "Bei einem Angriff darf man es nicht bei der Verteidigung belassen, sondern muss im Rahmen der Verteidigung in der Lage sein, offensiv zu handeln, gemäß dem Motto, Angriff ist die beste Verteidigung", sagt er. Und als dritte Maßnahme arbeite Israel an einem breiten regionalen und internationalen Bündnis. 

Teile einer iranischen Rakete, die Israel am Wochenende auf dem Militärstützpunkt Julis abgefangen hat
Teile einer iranischen Rakete, die Israel am Wochenende auf dem Militärstützpunkt Julis abgefangen hatnull Tsafrir Abayov/AP/picture alliance

Vergleichbare Stärke der Armeen

Im Hinblick auf die militärische Schlagkraft insgesamt liegen das israelische und das iranische Militär laut dem Global Firepower Index 2024 nicht allzu weit auseinander. In dem weltweiten Ranking befindet sich der Iran auf Rang 14, Israel folgt auf Platz 17. 

Der Index hat auch einen direkten Vergleich beider Streitkräfte veröffentlicht. Demnach ist der Iran Israel hinsichtlich der personellen Truppenstärke überlegen. Das Gleiche gilt auch für die Zahl der Panzer und bewaffneten Fahrzeuge.

Allerdings kommt es darauf angesichts der geographischen Lage nicht so stark an. Israel und der Iran sind durch andere Länder wie den Irak und Jordanien voneinander getrennt, die Entfernung Jerusalem-Teheran beträgt rund 1850 Kilometer. 

"Tatsächlich würde eine Auseinandersetzung nicht in Form eines klassischen Krieges stattfinden, sondern eher als eine Art Schlagabtausch über große Strecken", meint Fabian Hinz, Nahost-Experte am International Institute for Strategic Studies (IISS) in London. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen den beiden Staaten würde vor allem aus der Luft geführt. 

Scharfe Reaktionen auf iranischen Angriff auf Israel

Wichtige Rolle der Luftstreitkräfte

Gerade bei den Luftstreitkräften ist Israel dem Iran laut Global Firepower Index klar überlegen. Demnach hat Israel 241 Kampfjets, der Iran 181. Insgesamt verfügt die israelische Armee demnach über 612 Luftfahrzeuge, der Iran über 551. 

Jenseits der Zahlen komme es aber vor allem auf die Qualität der Militärflugzeuge an, so Hinz im DW-Gespräch. Flugzeuge spielten im Konfliktfall auf israelischer Seite eine sehr große, vielleicht sogar die entscheidende Rolle, so Hinz. Auf iranischer Seite spielten sie hingegen keine nennenswerte Rolle, da man die Flotte aufgrund von Sanktionen kaum mehr habe erneuern können. Der Iran habe zwar in den 1990er Jahren noch einige Flugzeuge kaufen können und wolle nun auch einige aus russischer Produktion erwerben. "Aber im Grunde weiß man, dass man mit der israelischen Luftwaffe nicht mithalten kann." Darum habe man sich in Teheran vor allem auf die Entwicklung von Flugabwehrraketen und Drohnen konzentriert.

Wie gut diese allerdings einen größeren israelischen Luftangriff abwehren könnten, sei fraglich. "Ich gehe davon aus, dass das nicht sonderlich erfolgreich wäre", so der Experte. "Einen ernstzunehmenden Schutzschild hat der Iran nicht."

Kein absoluter Schutz 

Allerdings habe der iranische Drohnen- und Raketenangriff gezeigt, wo Israel nachbessern müsse, sagt Alexander Grinberg, Iran-Experte beim Think Tank Jerusalem Institute for Strategy and Security. Er verweist auf die dabei eingesetzten Drohnen. Zwar sei es keine sonderlich große technische Herausforderung, diese abzuschießen, so Grinberg zur DW - im Grunde reiche dazu ein einfaches Maschinengewehr. "Aber es kommt eben auch auf die Zahl der Drohnen an. Am Sonntag hat sich gezeigt, dass man auch in der Lage sein muss, einen Angriff von sehr vielen Drohnen abzuwehren. Darauf muss Israel sich einstellen." Einen Teil der angreifenden Flugkörper hatten verbündete Staaten Israels vom Himmel geholt.

Bei dem iranischen Angriff habe sich gezeigt, dass es kein hermetisches, absolut dichtes System gebe, sagt auch Armeesprecher Shalicar. "Ob nun 300 oder 3000 Raketen abgeschossen werden, letztlich werden immer einige den Schutzschild durchdringen. Deswegen lag die Trefferquote am Wochenende nicht bei 100, sondern bei etwa 99 Prozent", so Shalicar. "Wir fangen zwar den Großteil ab, wissen aber, dass wir nie alle werden abfangen können. Umso mehr kommt es hier auf einen funktionierenden zivilen Heimatschutz, also ein Frühwarnsystem und Luftschutzbunker an."

Herausforderung Hisbollah

Eine militärische Herausforderung anderer Art wäre für Israel eine größere bewaffnete Auseinandersetzung mit der Hisbollah. Die oft als "Speerspitze des Iran" bezeichnete Hisbollah sei vermutlich die am stärksten bewaffnete nichtstaatliche Gruppe der Welt, heißt es in einer Studie des Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. Die EU stuft den militärischen Flügel der Hisbollah, der Israel immer wieder mit Raketen attackiert hat, als Terrororganisation ein.

Videoansprache des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah im April 2024
Die Hisbollah bedroht Israel aus dem Libanon: Videoansprache des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah im April 2024null Hassan Ammar/AP

Schätzungen über den Raketenbestand der Hisbollah schwanken zwischen 120.000 bis 200.000. Im Falle eines Krieges würde der Iran die Miliz rasch mit Nachschub versorgen, so die CSIS-Studie. Der Großteil des Arsenals bestehe aus ungelenkten Kurzstreckengeschossen. Die Miliz habe aber auch ihren Zugang zu Langstreckenraketen enorm verbessert. "Das heißt, dass ein Großteil Israels im Falle einer Eskalation des Konflikts von Hisbollah-Angriffen bedroht sein wird." Zudem könne die Gruppe auch von syrischem Territorium aus agieren.

Gegen Raketenangriffe aus dem Libanon könne Israel das System Iron Dome verwenden, sagt der Experte Fabian Hinz. "Generell sind die Abwehrsysteme jederzeit einsatzbereit, und sie funktionieren hervorragend. Das zentrale Problem scheint mir allerdings die Masse der Raketen zu sein."

 

Dieser Beitrag wurde am 17.04.2024 veröffentlicht. Zwei Tage später wurde der Beginn des Artikels um die aktuelle Entwicklung ergänzt.

 

"Iran will Konflikt mit Israel nicht eskalieren lassen"

Iran-Israel-Konflikt: Wer hat Einfluss auf Teheran?

Nach dem massiven Drohnenangriff aus dem Iran will Israel Vergeltung. "Sie müssen so nervös sein, wie sie uns nervös gemacht haben", sagte Ministerpräsident Netanjahu am Dienstag (16.04.24). Der Angriff werde mit Bedacht und nicht aus dem Bauch heraus erfolgen, so Netanjahu weiter.

Der Iran hatte in der Nacht zum Sonntag (14.04.24) erstmals von seinem Staatsgebiet aus Israel direkt angegriffen, als Vergeltung für einen Raketenangriff auf das iranische Botschaftsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Mehrere darunter hochrangige Mitglieder der Revolutionsgarden wurden getötet. Der Iran und seine Verbündeten machen Israel für den Angriff verantwortlich. Israel äußert sich dazu nicht.

Nach israelischen Angaben konnten fast alle der vom Iran gestarteten Drohnen, Raketen und Marschflugkörper abgewehrt werden. Nun warnt der Iran, dass "die geringste Aktion" Israels gegen "die Interessen Irans" eine "harte, umfassende und schmerzhafte Reaktion" zur Folge haben werde.

Die USA und die EU versuchen, mäßigend auf Israel Einfluss zu nehmen.

Wer aber hat Einfluss auf den Iran und könnte einer weiteren Eskalation nach einem möglichen Vergeltungsangriff aus Israel entgegenwirken?

Katar

Nach Angaben des iranischen Präsidialamtes telefonierte Irans Präsident Ebrahim Raisi am Dienstag (16.04.24) mit Katars Emir Tamim bin Hamad al-Thani. Der Iran und Katar unterhalten enge diplomatische Beziehungen. Besonders während der Katar-Krise waren sie sich nähergekommen. Zwischen 2017 und 2021 war Katar auf Betreiben Saudi-Arabiens in der arabischen Welt isoliert worden. Riad hatte Katar unter anderem vorgeworfen, terroristische Gruppen in der Region zu unterstützen. Der Iran und Katar unterstützen die Terrororganisation Hamas.

Mit Genehmigung der israelischen Regierung gehört Katar zu den wichtigsten Geldgebern für humanitäre Hilfe im Gazastreifen und gilt als wichtiger Vermittler zwischen Israel und der militanten Hamas. Unter der Vermittlung Katars hatten sich Israel und die Hamas im November 2023 auf eine kurze Waffenruhe und einen Gefangenenaustausch geeinigt.

Oman

Das Sultanat agiert unterhalb des Radars der Öffentlichkeit und spielt seit langem eine entscheidende Rolle als Vermittler zwischen dem Iran und den USA. 

Ohne den Oman wären die Einigungen bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm in den letzten zwei Dekaden nicht denkbar gewesen. Außerdem setzt sich das Land auf der arabischen Halbinsel für die Freilassung von amerikanischen und europäischen Gefangenen im Iran ein.

Die New York Times berichtet, dass die US-Regierung seit dem vergangenen Wochenende über das Sultanat Oman und über die Schweiz das Gespräch mit den iranischen Behörden gesucht haben soll. Die USA und der Iran haben keine diplomatischen Beziehungen. Die Kontaktaufnahme muss über Drittstaaten laufen.

Warum Iran und Israel Feinde sind

Saudi-Arabien

Saudi-Arabien, historisch der regionale Gegenspieler des Iran und enger Verbündeter der USA, ist ebenfalls daran interessiert, dass die Lage nicht weiter eskaliert, denn das Land lebt vom Ölexport, den ein sich ausweitender Krieg gefährden würde. 

Erst 2023 gelang die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran durch die Vermittlung Chinas. Beide Länder tauschten wieder Botschafter aus, setzten auf verstärkten Handel und diskutierten sogar über eine Verteidigungskooperation.

Allerdings kann Saudi-Arabien auch wegen der Geschichte keinen direkten Einfluss auf den Iran ausüben, es verlegt sich stattdessen auf eine indirekte Strategie: Der saudische Außenminister Faisal bin Farhan bin Abdullah schlägt China als Vermittler vor. Sein Land hege hohe Erwartungen und hoffe, dass China eine aktive und wichtige Rolle dabei spiele, die bedrohliche Lage im Nahen Osten wieder auf den Weg der Normalität zu bringen. Das sagte der saudischen Außenminister in einem Gespräch mit seinem Amtskollegen aus China.

China

Peking will nach eigenen Angaben eine weitere Eskalation im Nahen Osten verhindern. Das berichtet zumindest die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. China ist der wichtigste Handelspartner des Irans. Beide Länder kooperieren auch militärisch. In seinem Telefonat mit dem iranischen Amtskollegen rief Chinas Außenminister Wang Yi den Iran am Dienstag (16.04.24) zur Zurückhaltung auf. Außerdem versicherte Wang, dass China als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat den Raketenangriff auf das iranische Botschaftsgebäude in Damaskus verurteilt habe. Im UN-Gremium selbst konnte allerdings keine Einigung über eine Verurteilung erzielt werden.

 

Außenminister Wang Yi China und Faisal bin Farhan Saudi-Arabien
(Archiv) Chinas Außenminister Wang Yi China mit seinen Amtskollegen Faisal bin Farhan aus Saudi-Arabiennull Andy Wong/AP/picture alliance

"China möchte nicht, dass die Situation im Nahen Osten außer Kontrolle gerät. Das Land sieht sich bereits mit steigenden Transportkosten und einem drastischen Anstieg der Energieversorgungsrisiken konfrontiert", sagt James Dorsey, Politologe an der Nanyang Technological University in Singapur, der singapurischen Zeitung Zaobao. 

Allerdings fehlen China Kommunikationskanäle nach Tel Aviv, meint Dorsey. "Das Einzige, was China tun kann, ist ein Appell gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft an Israel, die Eskalation zu vermeiden und zurückhaltend zu reagieren."

Russland

Russland hat traditionell gute politische Beziehungen zu allen beteiligten Akteuren: zu Israel, den palästinensischen Gruppen, Saudi-Arabien und dem Iran. Für den Iran gilt Russland als enger Verbündeter. Unter den US-Sanktionen haben Teheran und Moskau ihre Zusammenarbeit weiter ausgebaut. Der Iran liefert Drohnen an die russische Armee, die gegen die Ukraine eingesetzt werden. 

Die zunehmende Spannung zwischen dem Iran und Israel lenkt die Aufmerksamkeit vom Krieg in der Ukraine ab. Ist Russland wirklich an einer Deeskalation im Nahen Osten interessiert? 

"Alles, was zum Anstieg der Energiepreise insbesondere zum höheren Ölpreis führt, ist zumindest kurzfristig und sogar mittelfristig für Russland von Vorteil", sagt David Sharp, israelischer Militärexperte im DW-Interview. "Aber wenn der Iran in einen großen Krieg verwickelt und ein Krieg gegen den Iran geführt würde, wäre rein theoretisch die Einschränkung der iranischen Waffenlieferungen an Russland möglich."

Moskau hat sowohl von Israel wie auch dem Iran Zurückhaltung gefordert. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, betonte am Montag (15.04.) im Gespräch mit dem Leiter des israelischen Nationalen Sicherheitsrates, Zachi Ha-Negbi, die Notwendigkeit der "Zurückhaltung auf allen Seiten des Konflikts im Nahen Osten, um eine Eskalation zu verhindern". Patruschew habe betont, dass Russland der Ansicht sei, die Meinungsverschiedenheiten sollten "ausschließlich mit politischen und diplomatischen Mitteln" beigelegt werden, wie Agenturen aus Russland berichteten. 

Die Türkei

Die Türkei unterstützt seit den ersten Tagen des Nahostkonfliktes die Haltung der Palästinenser. Letzte Woche kündigte Ankara sogar Wirtschaftssanktionen gegen Israel an. Auch die türkische Regierung fürchtet weitere Spannung und Gewalt zwischen dem Iran und Israel. Sie rief beide Parteien zur Zurückhaltung auf.

"Anders als die anderen Länder in der Region wie Katar, Oman und Saudi-Arabien hat die Türkei eine lange Landgrenze zum Iran", sagt Gülru Gezer, Diplomatin und Direktorin für Außenpolitik bei der Türkischen Forschungsstiftung für Wirtschaftspolitik (TEPAV). "Eine mögliche Instabilität im Nachbarland Iran könnte gravierende Folgen für die Türkei haben, vor allem bezüglich einer Migrationaus dem Iran. Das musste die Türkei leider mit den Kriegen in Syrien und im Irak erfahren."
 

EU will Sanktionen gegen Iran ausweiten

"Die Minister fordern alle Akteure in der Region auf, vom Abgrund zurückzutreten!" Mit diesen dramatischen Worten appellierte der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, nach der Sondersitzung der EU-Außenministerinnen und -minister per Videokonferenz an Iran und Israel. Borrell sagte, der beispiellose direkte Angriff des Iran auf Israel sei eine entscheidende Eskalation. Jetzt müsse es darum gehen, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Das politische Schachspiel mit Schlag und Gegenschlag müsse enden, sonst schlittere der Nahe Osten in einen vollen Krieg. Das könne niemand wollen. Die EU-Außenminister seien sich völlig einig, sagte der EU-Außenbeauftragte und legte nahe, dass man von Israel und Iran Zurückhaltung erwarte.

Berlin Abflug Außenministerin Baerbock nach Nahost
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock fliegt seit dem Hamas-Angriff im Oktober regelmäßig in den Nahen Ostennull Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Sanktionen gegen Iran ergänzen

Einige Ministerinnen, so auch die deutsche Außenamtschefin Annalena Baerbock, verlangten härtere Sanktionen gegen das theokratische Regime im Iran. Borrell sagte, es werde jetzt geprüft, bereits bestehende umfangreiche Sanktionen auszuweiten. So sollen Sanktionen gegen die iranische Drohnenproduktion, die bisher auf Lieferungen nach Russland gemünzt waren, auf die gesamte Nahost-Region ausgeweitet werden. Beschlüsse dazu sollen in der nächsten Woche fallen.

Andere Minister regten an, die iranischen Revolutionsgarden, eine Eliteeinheit der Armee, mit Sanktionen zu belegen. Der EU-Außenbeauftragte wies darauf hin, dass diese Sanktionen bereits seit vergangenem Jahr bestünden. Eine Listung der Revolutionsgarden als Terrorgruppe, ähnlich der Hamas, scheitert bislang an rechtlichen Hürden. Für eine formale Listung müsse eine konkrete Tat der Revolutionsgarden in einem Mitgliedsland der EU vorliegen. Bislang sei ein solcher Fall nicht gemeldet worden, so Borrell. Auch das wolle man noch einmal von den Juristen der EU-Kommission prüfen lassen.

"Iran will Konflikt mit Israel nicht eskalieren lassen"

"Gaza nicht vergessen"

Zuvor hatte Josep Borrell die Reise von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Israel gelobt. Sie werde dort vielleicht etwas beeinflussen können, so der spanische Politiker, weil Deutschland eine starke Bindung zu Israel habe. Borrell, der in Israel als zu nahe an den Palästinensern gesehen wird, betonte in Brüssel, die EU stehe fest an der Seite Israels, um Angriffe des Iran abzuwehren. "Aber die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen dürfen wir nicht vergessen", sagte der EU-Außenbeauftragte. Er wiederholte die gemeinsame Forderung der EU-Minister nach einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen, um israelische Geiseln aus den Händen der Hamas-Terroristen zu befreien und die Versorgung der Zivilbevölkerung zu ermöglichen.

Deutschland | Münchener Sicherheitskonferenz | Annalena Baerbock, Antonio Tajani und Melanie Joly
Die G7 übernimmt den diplomatischen Stafettenstab: Ministerin Baerbock, Gastgeber Tajani und Kanadas Ministerin Joy. Die übrigen Mitglieder sind die USA, Frankreich, Großbritannien und Japannull Thomas Trutschel/photothek/picture alliance

G7 beraten Nahost-Krise weiter

Am Mittwoch zieht die diplomatische Karawane auf die italienische Insel Capri im Golf von Neapel weiter. Dort treffen sich - wie schon lange geplant - die Außenministerinnen und Außenminister der sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten und auch der Vertreter der EU, Borrell. Auf der malerischen Urlauberinsel werden der Iran, Israel, die Hamas, die Lage im Gazastreifen und die Krisen im Nahen Osten ganz oben auf der Tagesordnung stehen, wie italienische Diplomaten erklärten. Eigentlich sollten der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die weitere Unterstützung für Kiew das Treffen dominieren.

Die G7 werden Teheran auffordern, weitere Angriffe auf Israel zu unterlassen. Auch das Atomwaffenprogramm des Iran wird von den G7 wieder kritisiert werden, wie schon in den vergangenen 20 Jahren bei jedem Treffen der führenden Industrienationen. Israel solle anerkennen, dass es den iranischen Angriff erfolgreich abwehren konnte und ein wie auch immer gearteter Vergeltungsschlag nicht notwendig sei. Diese Linie hatten schon die Staats- und Regierungschefs der G7 bei einer Videokonferenz am Wochenende vorgegeben.

Ukraine Präsident Wolodymyr Selenskyj in Charkiw
Der ukrainische Präsident Selenskyj bei einem Truppenbesuch Anfang Aprilnull Ukrainian Presidential Press Office/AP Photo/picture alliance

Mehr Hilfe für die Ukraine

Beim Thema Ukraine sollte US-Außenminister Anthony Blinken erklären, wie es seine Regierung schaffen könnte, die Blockade der Republikaner im amerikanischen Kongress zu überwinden. 60 Milliarden Euro an Militär- und Haushaltshilfen für die Ukraine können nicht ausgezahlt werden. Bis zum Ende der Woche soll es einen neuen Abstimmungsversuch im Abgeordnetenhaus geben. Die drei europäischen G7-Partner Frankreich, Großbritannien und Deutschland sowie Kanada und Japan könnten ankündigen, ob und wie sie ihre Ukrainehilfen aufstocken. Die japanische Außenministerin Kamikawa Yoko könnte nach Angaben von italienischen Diplomaten erklären, dass Japan mehr Raketen- und Marschflugkörper an die USA liefert. Die Amerikaner könnten dann ihrerseits Waffen aus US-Produktion an die ukrainische Armee weiterreichen. Diese indirekte Beteiligung Japans an der Versorgung der Ukraine sollte mit der Verfassung Japans in Einklang stehen, die direkte Lieferungen an Kriegsparteien untersagt.

Karte Infografik G7-Staaten DE

Ukraine verlangt Luftverteidigung wie in Israel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte noch einmal an die westlichen Partner appelliert, dringend benötigte Flugabwehr gegen russische Drohnen und Raketen bereitzustellen. Präsident Selenskyj sagte, dass die westlichen Verbündeten die Ukraine genauso verteidigen sollten wie sie Israel gegen iranische Angriffe verteidigt haben.

Der Gastgeber der G7, der italienische Außenminister Antonio Tajani, wies den Vergleich Selenskyjs zurück. "Die Situation in Israel ist völlig anders als in der Ukraine. Die jordanische Luftwaffe startete, weil iranische Drohnen und Raketen über ihrem Territorium flogen, die Amerikaner und Franzosen flogen ihre Flugzeuge, weil sie in der Region Stützpunkte haben", sagte Antonio Tajani der Nachrichtenagentur ANSA. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine sei man nicht Partei, sondern schütze die NATO-Ostgrenze. "Wir können nicht mehr tun, weil wir uns nicht im Krieg mit Russland befinden und keine Raketen und Drohnen gegen NATO-Länder abgefeuert werden", so der italienische Außenminister.

Jordanien: Kritik an Hilfe für Israel gegen Angriff aus Iran

Der iranische Angriff auf Israel war kaum beendet, da wurde in Jordanien bereits Kritik an der Reaktion der Regierung in Amman laut . Am Wochenende hatte der Iran mehr als 300 Drohnen und Raketen auf Israel abgefeuert, bei deren Abwehr auch Jordanien eine wichtige Rolle spielte. Unter anderem wehrte das Königreich auf Israel fliegende Geschosse ab. 

"Der jordanische König hat Raketen auf seine Bürger abstürzen lassen, um Israel zu schützen", hieß in einem weit verbreiteten Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X, dem früheren Twitter. Zu sehen ist ein Bild von Drohnenwrackteilen in der jordanischen Stadt Karak, unweit der Grenze zu Israel. Der in arabischer Sprache gehaltene Beitrag wurde inzwischen geändert. Die überarbeitete Form stellte die jordanische Regierung in einem weniger negativen Licht dar. Diese ist wie viele Regierungen in der Region bekannt dafür, Kritik an ihrer Politik zu unterdrücken.

Viele Falschmeldungen

"Jordanien folgt wie üblich dem Geld", sagte ein anderer Kommentator. "Es ist unverantwortlich, dass Jordanien Raketen über seinen eigenen Städten abschießt", heißt es in einem weiteren Beitrag.

Zudem kursierten im Netz zahlreiche Falschmeldungen über die Ereignisse vom Wochenende - so  etwa Beiträge, die den jordanischen König und seine Tochter, eine Pilotin, fälschlicherweise beschuldigten, sie hätten persönlich Lufteinsätze durchgeführt. Andere wiederum behaupteten, beim Absturz brennender Wrackteile seien jordanische Staatsbürger gestorben. Nach Angaben der jordanischen Regierung gab es jedoch keine Toten oder Verletzten. Trotz einiger Wrackteile gab die Regierung keinerlei entsprechende Meldungen heraus. Andere angebliche Wrackteile erwiesen sich als Teile von Öltankern, die einige Wochen zuvor in Brand geraten waren.

Kritik an arabischen Regierungen

Die Empörung äußerte sich nicht nur in Fehlinformationen und Gerüchten. Andere User prangerten die Politik der Regierungen Jordaniens und anderer arabischer Länder als Heuchelei an. Diese Staaten hatten die israelische Militäraktion im Gazastreifen verurteilt und erklärt, sie unterstützten die palästinensische Sache. Doch dann, so die Kritiker, hätten diese Staaten Israel direkt oder indirekt bei der Verteidigung gegen den Iran unterstützt. Derartige Kritik richtete sich nicht nur gegen die Regierung Jordaniens, sondern auch gegen die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien.

Die Kritik in Jordanien geht nicht zuletzt auf demographische Umstände zurück: Jeder fünfte Jordanier ist palästinensischer Abstammung. Zu ihnen zählt auch die jordanische Königin. Vielen Bürgern liegt die palästinensische Sache am Herzen. Die Militärkooperation ihres Landes mit Israel gilt vielen als Verrat.

Der jordanische König Abdullah II, hier bei einem Besuch in Berlin 2022
Der jordanische König Abdullah II muss derzeit viel Kritik einsteckennull Bernd Elmenthaler/IMAGO

"Ich bin sehr verärgert darüber, wie Jordanien Israel verteidigt hat", sagt Hussein, ein politischer Aktivist, der aus Furcht vor Konsequenzen seitens der Regierung nur seinen Vornamen veröffentlicht sehen will. "Viele Menschen hier akzeptieren das nicht. Wir unterstützen zwar nicht den Iran und sehen ihn auch als eine der Hauptursachen für die Geschehnisse in Gaza. Aber wir unterstützen jede Aktion, die Israel davon abhält, in Gaza so weiterzumachen wie bisher."

"Es war eine schwierige Nacht", sagt Maryam, eine Universitätsstudentin in Amman, die in der Nähe eines der Trümmergebiete wohnt. Auch sie will nur ihren Vornamen nennen. "Der Iran ist in Jordanien im Allgemeinen nicht beliebt. Aber ich bin dagegen, dass Jordanien iranische Raketen abfängt und sich, ohne es eigentlich zu wollen, in diesen Krieg einmischt."

Regierung: Nur Akt der Selbstverteidigung

Die jordanische Regierung beteuerte angesichts der Kritik, sie habe lediglich aus Gründen der Selbstverteidigung gehandelt. Sie habe Objekte abgefangen, die in den jordanischen Luftraum eingedrungen seien: "Diese stellten eine Bedrohung für unsere Bevölkerung und bewohnte Gebiete dar."

Die Geschehnisse vom Wochenende könne man "niemals als Verteidigung Israels bezeichnen", betont auch Mahmoud Ridasat, ein pensionierter hoher Offizier und Militärexperte in Amman, im Gespräch mit der DW. "Vielmehr ging es um die Verteidigung der jordanischen Souveränität und des jordanischen Luftraums." 

Schließlich könne man nicht wissen, ob eine Drohne oder Rakete auch auf jordanischem Territorium einschlagen würde, so Ridasat. Israelische Medienberichte, die die angebliche jordanische Militärkooperation feierten, seien "nichts als israelische Propaganda", so der regierungsnahe Militärexperte.

"Geheimabkommen" mit den USA

Die jordanisch-israelischen Beziehungen sind enger, als vielen bewusst sein mag. Mit einem angeblich "geheimen Abkommen", auf dass sich einige Jordanier dieser Tage in ihrer Kritik an der Regierung beziehen, ist offenbar ein bilaterales Verteidigungsabkommen aus dem Jahr 2021 gemeint. Dieses erlaubt es den US-Streitkräften tatsächlich, sich weitgehend frei in Jordanien zu bewegen. Das Abkommen formalisiere damit "die jahrelange militärische Zusammenarbeit zwischen den USA und Jordanien, wie sie sich zu Beginn der Operationen gegen die Extremistengruppe Islamischer Staat besonders zeigte ", heißt es in einem Bericht des US-Kongresses aus dem Jahr 2023. 

Amman: Bürger protestieren gegen den Krieg in Gazastreifen
Die Solidarität mit den Palästinensern ist in Jordanien besonders großnull Laith Al-jnaidi/Anadolu/picture alliance

"Doch als die ersten Proteste gegen Gaza begannen, forderten viele Jordanier, man solle die Amerikaner rausschmeißen", sagt Tahani Mustafa, auf die palästinensischen Gebiete spezialisierte Analystin beim Think Tank International Crisis Group. 

Er gehe allerdings davon aus, dass die  Proteste die jordanische Regierung nicht destabilisieren werden, sagt Julien Barnes-Dacey, Nahost-Experte beim Think Tank European Council on Foreign Relations. "Es ist klar, dass verschiedene Seiten die jüngsten Ereignisse auf unterschiedliche Weise darstellen", so Barnes-Dacey. "Letztlich können die Jordanier ihr Vorgehen aber damit rechtfertigen, dass Drohnen und Raketen durch ihren Luftraum flogen." Er meint: "Die jordanische Reaktion zielte eher darauf ab, eine regionale Eskalation zu verhindern, als darauf, ein strategisches Bündnis mit Israel noch enger werden zu lassen."

Viel gefährlicher könne für Jordanien wie die gesamte Region ein größerer Krieg werden, sagt der Forscher. Darum bemühten sich die Regierungen sämtlicher Staaten in der Region, alles zu verhindern, was eine weitere Eskalation in Gang setzen könnte, auch durch Kontakte zum Iran. "Sollten die Jordanier aber nochmals Sicherheitsvorfälle bzw. Attacken in ihrem Luftraum registrieren, werden sie wieder so handeln wie am vergangenen Wochenende", meint Barnes-Dacey.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Demonstrationen gegen Israel

Der Westen drängt Israel zu besonnener Reaktion

Die EU-Außenministerinnen und -minister treffen sich am Dienstagnachmittag zu einer virtuellen Sondersitzung. Auf der Tagesordnung steht nur ein Punkt: Die Konsequenzen des breit angelegten, direkten iranischen Angriffs auf Israel. "Unser hauptsächliches Anliegen ist es zu deeskalieren. Wir konzentrieren uns innerhalb der EU und in Kontakten mit unseren externen Partnern darauf sicherzustellen, dass es keine weitere Eskalation gibt", kündigte Peter Stano, der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell an. Eine weitere Eskalation, also ein Vergeltungsschlag Israels, würde "an den Rand einer neuen, nicht vorhergesehenen Situation im Mittleren Osten führen", meinte Peter Stano in Brüssel.

Warum Iran und Israel Feinde sind

"Defensiver Sieg"

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock spricht wie US-Präsident Joe Biden davon, dass Israel mit der erfolgreichen Abwehr von nahezu 300 Drohnen und Raketen aus Iran im Prinzip schon einen Sieg davon getragen habe. "Diesen defensiven Sieg gilt es jetzt diplomatisch abzusichern", meinte die deutsche Ministerin. Weitere Vergeltung sei eigentlich nicht nötig, legte Annalena Baerbock am Rande einer Konferenz in Paris am Montag nahe. "Das Recht auf Selbstverteidigung bedeutet die Abwehr eines Angriffes. Vergeltung ist keine Kategorie im Völkerrecht", sagte Baerbock. Das habe sie vergangene Woche bereits ihrem iranischen Kollegen vorgehalten, offenbar ohne große Wirkung. Iran rechtfertigt seinen massiven Schlag gegen Israel mit dem Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus am 1. April. Dieser Angriff, bei dem zwei Anführer der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden, wird Israel zugerechnet. Die Regierung in Jerusalem hat sich dazu nicht geäußert.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz. Im Hintergrund ist die deutsche Fahne und die EU-Flagge zu erahnen.
Annalena Baerbock, deutsche Außenministerin: Deeskalation und Solidarität mit Israelnull Christophe Ena/dpa/AP/picture alliance

Vorwürfe, die EU würde nur einseitig das Vorgehen des Iran scharf verurteilen, wies der EU-Sprecher Peter Stano zurück. "Wir haben am 2. April den Angriff auf die iranische Botschaft klipp und klar verurteilt", teilte Peter Stano mit.

Mehr Sanktionen?

Die EU-Außenminister werden am Dienstag verschiedene Optionen beraten, darunter die Verschärfung von Sanktionen oder die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation. Dass es dazu kommt, sieht Ettore Greco eher nicht. Ettore Greco ist der stellvertretende Direktor des italienischen Instituts für Außenpolitik, einer Denkfabrik in Rom. Umfangreiche Sanktionen gegen das iranische Mullah-Regime gebe es ja bereits.

"Einige Staaten könnten mehr Maßnahmen anwenden wollen. Ich erwarte das nicht. Das Sanktionspaket ist bereits so groß. Es könnte einige Ergänzungen geben. Aber das ist nicht entscheidend, solange die Situation so ist wie im Moment, also ohne weitere Wie-du-mir-so-ich-dir Aktionen", meinte Ettore Greco im Gespräch mit der Deutschen Welle. Gegen den Iran haben die EU und die G7-Staaten diverse Sanktionen im Handelsbereich verhängt, um die Produktion von Atomwaffen, Drohnen und Hochtechnologie zu unterbinden. Außerdem sind wegen diverser Menschenrechtsverletzungen und des Todes von Masha Amini Sanktionen gegen Personen und Institutionen im Iran in Kraft. Die 20 Jahre alte Masha Amini war 2022 in Polizeigewahrsam gestorben, nachdem sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Kopftuch-Gebot festgenommen worden war. Ihr Tod hatte landesweit Proteste im Iran ausgelöst.

Iran Aussenminister Amir-Abdollahian trifft sich mit Botschaftern in Teheran
Angebliche Vergeltung: Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian brüstet sich in Teheran mit dem Angriff auf Israelnull Majid Asgaripour/WANA via REUTERS

G7 will auch deeskalieren

Von Mittwoch an werden sich auch die Außenminister der sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten (G7) unter italienischem Vorsitz mit der Lage im Nahen und Mittleren Osten beschäftigen. Der britische Außenminister David Cameron, dessen Land zur G7, aber nicht zur Europäischen Union gehört, hat Israel aufgefordert, "smart und hart" auf den Angriff aus dem Iran zu reagieren, den Konflikt aber nicht weiter zu eskalieren. David Cameron sagte im britischen Rundfunk, es sei wichtig, den Israelis klar zu machen, dass der Iran mit seiner "rücksichtslosen und gefährlichen Aktion" gescheitert sei. Auch die Unterstützung des Iran für die Terrorgruppe Hamas, die nach wie vor im Gaza-Streifen kämpft, sei ein Fehlschlag, meinte der britische Außenminister. Großbritannien und die USA, der wichtigste G7-Staat, würden weiter an der Seite Israels stehen, sollte die Abwehr weiterer Militärschläge des Iran nötig sein. US-Präsident Joe Biden hatte nach einer Videokonferenz der G7-Regierungschefs und -chefinnen klar gemacht, dass sein Land sich aber nicht an einem Vergeltungsschlag Israels gegen den Iran beteiligen werde. Zur Gruppe der Sieben gehören neben den USA und Großbritannien auch Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Kanada.

Ein israelischer Kampfjet F-15 steht auf der Landebahn mit eingeschalteten Lichtern
Erfolgreich abgewehrt mit Hilfe der Verbündeten: Israelischer Kampfjet nach dem Einsatz gegen iranische Drohnennull Israel Defense Forces/Handout via REUTERS

Wirkt politischer Druck?

Direkte Druckmittel auf beide Seiten - Iran und Israel - haben weder die Europäische Union noch die G7, meint der Nahhost-Experte Julien Barnes-Dacey vom "Europäischen Rat für Außenbeziehungen" (ECFR), einer Denkfabrik in Brüssel. Es könnte sein, dass Israel die guten Ratschläge zur Deeskalation in den Wind schlage. "Die Art wie der iranische Angriff abgewehrt werden konnte, könnte Israels zu der Annahme führen, dass die Iraner schwach sind, ohne den Willen und die Kapazitäten für ein tieferes Engagement. Jetzt könnte der Moment für Israel da sein, einen lange erhofften schweren Schlag gegen Iran und seine regionalen Hilfskräfte zu führen", mutmaßt Julien Barnes-Dacey. Es sei deshalb angezeigt, dass Europäer eng und engagiert mit den Amerikanern zusammenarbeiten, um eine fortgesetzte Eskalation zu verhindern. "Zuerst muss man die Israelis unter Druck setzen, keine Vergeltung zu üben, und dann müssen die Bemühungen um einen Waffenstillstand in Gaza weitergehen", rät der Nahost-Experte. Denn der Krieg zwischen Hamas und Israel fache das Feuer des Nahost-Konflikts weiter an.

Blick auf die Palästinensische Autonomiegebiete Khan Yunis. Zu sehen ist die massive Zerstörung nach dem Rückzug der israelischen Armee
Der Kampf Israels gegen die Hamas-Terrorgruppe in Gaza treibt den Konflikt mit Iran weiter annull Ali Jadallah/Anadolu/picture alliance

Offiziell hält die Europäische Union daran fest, irgendwie und irgendwann den Vertrag mit dem Iran zum Stopp seines Atomwaffenprogramms wiederzubeleben. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Der Iran verstößt erklärtermaßen gegen die Bestimmungen des Vertrages. Die USA sind weiterhin nicht an den Verhandlungstisch zurückgekehrt, nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump die Vereinbarung aufgekündigt hatte. 

Angriff auf Israel: Fehlschlag oder Machtdemonstration des Irans?

Drohnen aus heimischer Produktion spielten eine wichtige Rolle bei dem iranischen Angriff auf Israel vom Sonntag. Mit einer Reichweite bis 2.000 Kilometern sollten sie Hunderte Ziele in Israel zerstören. "Der Angriff war ein ernst gemeinter Versuch gewesen, israelische Verteidigungssysteme zu zerstören", bewertet der Militärexperten Fabian Hinz im Gespräch mit der Deutsche Welle den massiven Angriff. Hinz ist Experte für Drohnen- und Raketensysteme beim britischen Thinktank "International Institute for Strategic Studies" (IISS).

Für Hinz war der Angriff nicht nur symbolisch. "Der Iran wollte seine Ziele treffen und zerstören. Es hat aber nicht besonders gut funktioniert. Die Abfangrate durch israelische und amerikanische Abwehrsysteme war außerordentlich hoch."

Nach Angaben der israelischen Armee hatte der Iran in der Nacht auf Sonntag rund 300 Drohnen und Raketen auf Israel abgefeuert. Israel und seinen Verbündeten sei es gelungen, 99 Prozent aller von Iran abgeschossenen Drohnen und Raketen abzuwehren, meldete das israelische Militär am Sonntag in den frühen Morgenstunden. 

"Macht demonstrieren, nicht Macht ausüben"

Der Iran wiederum behauptet, eine erfolgreiche Vergeltungsoperation gegen Israel durchgeführt zu haben. Mit den Vergeltungsangriffen auf Israel wolle der Iran Macht demonstrieren, nicht Macht ausüben, so der Tenor der Experten in den staatlichen iranischen Medien. Der Iran habe gezeigt, dass er, wenn er seine militärische Macht einsetzen wolle, in der Lage sei, die israelischen Verteidigungssysteme zu überwinden, ohne seine Verbündeten in der Region zu mobilisieren.

Das ist aber offensichtlich nicht gelungen. Der Iran hatte seine Nachbarstaaten sowie die USA vorab über seine Angriffspläne informiert. Die in den Augen von Fabian Hinz schief gelaufene Operation stelle für den Iran ein großes Problem dar, betont der Waffenexperte: "Die Abschreckungskraft des Irans hängt genau von diesen Systemen [mit denen er jetzt Israel angegriffen hat, Anm. d. R.] ab, um genau solche Angriffe zu starten."

Die Drohnen, mit denen der Iran angegriffen hat, waren nach Angaben der Agentur Tasnim News, die den iranischen  Revolutionsgarden nahesteht, vom Typ "Shahed-136", die auch Kamikaze-Drohnen genannt werden. Sie sind leicht, klein, günstig und für Radargeräte kaum erkennbar. Sie können einen einfachen Sprengkopf von etwa 50 Kilogramm tragen und mit ihrer Reichweite auch Israel erreichen.

Iran baute schon länger eigene Drohnen

Trotz westlicher Sanktionen hat der Iran in den letzten 30 Jahren sein Drohnen-Programm weiterentwickelt. Heute verfügt Teheran über ein großes Arsenal an Drohnen. Der Iran sei sehr früh in diese Technologie eingestiegen und produziere bereits seit den 1980er Jahren Drohnen, erklärt der Drohnenforscher Holland Michel im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Michel arbeitet als Experte für Drohnen und andere neue Sicherheitstechnologien beim Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. "Drohnen benötigen im Vergleich zu Raketen nicht unbedingt hochentwickelte Komponenten. Die für die Drohnen benötigte Technologie unterliegt keinen Sanktionen oder Handelsbeschränkungen. Zum Beispiel kann man einfache Propeller verwenden, wie man sie auch bei Hobby-Modellflugzeuge einbauen würde."

Liefert der Iran Drohnen an Russland?

Aufgrund des technologischen Fortschritts hat die Bedrohung durch iranische Drohnen in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Der Iran produziere nun präzisere Drohnen in großen Mengen, sagt Michel und fügt hinzu: "Mit jedem Angriff, insbesondere auf die US-Streitkräfte oder in diesem Fall auf Israel, liefert der Iran den Verteidigern Informationen darüber, wie sie dieser Bedrohung besser begegnen können. Ich denke, wenn wir vor fünf Jahren einen Angriff dieses Ausmaßes gesehen hätten, hätten wir nicht so viele Abschüsse erlebt wie letzte Nacht, mit einer Abfangquote von 99 Prozent. Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel."

Trotz der erfolgreichen Abwehr gegen den iranischen Angriff müsse sich Israel auf eine "riesige Bandbreite an Szenarien" einstellen, wenn es über seine Reaktion auf den beispiellosen direkten Angriff des Iran am Samstagabend entscheidet, sagte Oberstleutnant Peter Lerner, Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte (IDF), am Sonntag gegenüber der DW.

Gefahr aus der Luft

Für Luftangriffe setzt der Iran auf ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen.  Nach Angaben der US-amerikanischen NGO Arms Control Association (ACA) besitzt der Iran mit Shahab-2 und Shahab-3 Waffen, die mehr als 2.000 Kilometer weit fliegen und damit auch Israel erreichen können.

Fabian Hinz erklärt: "Die Iraner haben Raketen mit sehr großer Reichweite und mit sehr guter Präzision. Das haben nicht viele Länder auf der Welt." Der Militär-Experte ergänzt: "Gleichzeitig haben sie natürlich das Problem, dass ihre militärischen Gegner, die USA und Israel, was Militärtechnologie angeht, zur absoluten Weltspitze gehören."

Hinz glaubt, dass die USA und Israel in Folge des iranischen Angriffs neue Erkenntnisse über Teherans Waffenarsenal gesammelt haben könnten. "Sie können eine Fülle von Daten sammeln, was die Iraner nicht mehr können, sobald sie ihre Raketen abgeschossen haben".

Warum Iran und Israel Feinde sind

Wie Israels Kriegskabinett funktioniert

Die Eskalation zwischen dem Iran und Israel hält die Welt in Atem. Am Wochenende hatte der Iran nach israelischen Angaben mit rund 300 Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern angegriffen. Dies sollte eine Vergeltung für einen Israel zugeschriebenen Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus am 1. April sein. Nun stellt sich die Frage nach der israelischen Reaktion, die laut dem Israel-Experten Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik weitreichend für die nähere Zukunft des Nahen Ostens sein könnte.

Wer entscheidet über Israels Reaktion?

Maßgebliche Entscheidungen trifft Israels Kriegskabinett, ein kurz nach Beginn des Israel-Hamas-Kriegs im Oktober ins Leben gerufenes parteiübergreifendes Gremium. Seine Aufgabe ist es, das Kriegsgeschehen zu lenken, wobei es rechtlich gesehen dem israelischen Sicherheitskabinett untersteht. Der iranische Angriff steht insofern in Verbindung zu Israels Krieg gegen die Hamas im palästinensischen Gazastreifen, als der Iran ein offener Unterstützer und Financier der radikalislamischen Terrororganisation ist.

Wer sind die Mitglieder des Kriegskabinetts?

Geführt wird das Kriegskabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu von der konservativen Likud-Partei. Die zwei weiteren Mitglieder sind Verteidigungsminister Yoav Gallant, ebenfalls von Likud, und Benny Gantz vom Parteienbündnis HaMahane HaMamlachti. Eine Teilnahme abgelehnt hatte Oppositionsführer Jair Lapid.

Als Beobachter des Gremiums sind der pensionierte General Gadi Eisenknot, der Vorsitzende der Partei Schass, Arie Deri, sowie der Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer (Likud), eingesetzt. Diese haben zwar keine Stimme, nehmen jedoch an den Sitzungen teil.

Warum Iran und Israel Feinde sind

Wozu braucht es eine Notstandsregierung?

Das derzeitige reguläre Kabinett von Netanjahu gilt als die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel je hatte. Dass das Kriegskabinett ausgewogener ist, dient laut Politikwissenschaftler Peter Lintl der besseren Legitimierung der weitreichenden politischen und militärischen Entscheidungen, die im Zuge des Krieges gegen die Hamas zu treffen sind. "Netanjahu hatte bereits durch die kontroverse Justizreform deutlich an Zuspruch verloren, und der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober hat den Druck noch verstärkt", sagt Lintl.

Der Ministerpräsident habe Sorge haben müssen, dass den Krieg betreffende Entscheidungen ohne eine breite Koalition nicht durchsetzbar sein würden und dass dann Forderungen nach seinem Rücktritt laut werden könnten.

Wie verhält sich das Kriegskabinett zum Angriff des Iran?

"Ein militärischer Gegenangriff ist sehr wahrscheinlich, die Frage ist eher, wann, wie und wo", vermutet Peter Lintl. Die Gremiumsmitglieder hätten unterschiedliche Meinungen dazu, was ein angemessener Gegenschlag sein könnte. Denkbar seien auch symbolische Reaktionen oder Cyberattacken. "Man kann nur hoffen, dass ein israelischer Gegenschlag nicht sofort erfolgt und im Umfang begrenzt ist, um weitere Eskalationen im Nahost-Konflikt zu vermeiden" - so die Einschätzung des Politikwissenschaftlers.

Was bedeutet der Angriff des Irans auf Israel für die Weltwirtschaft?

Nachdem Israel den iranischen Angriff mit  Hunderten Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen ohne größere Schäden abwehren konnte, herrscht erst einmal Erleichterung an den internationalen Finanzmärkten: Die Ölpreise sinken leicht und die Futures auf den US-Index S&P 500 haben ins Plus gedreht. Trotzdem ist "seit Freitag die Geopolitik wieder die größte Sorge für die Märkte" geworden, schreiben die Analysten der Deutschen Bank in einer Mitteilung an ihre Kunden.

Immer, wenn sich die geopolitische Lage im Nahen Osten verschärft, lässt sich das weltweit an den Ölpreisen ablesen: Denn die Preise für das Nordseeöl Brent oder sein US-Pendant WTI (West Texas Intermediate) sind wie die Fieberkurve der Weltwirtschaft.

Allerdings hatten die Sorgen vor einer Eskalation im Nahen Osten die Preise für Rohöl schon vor dem iranischen Angriff auf Israel um rund zehn Prozent nach oben getrieben. Laut Rohstoff-Experte Jorge León von Rystad Energy, einem Energieberatungsunternehmen in Oslo, war dieser Anstieg "fast ausschließlich auf den anhaltenden Konflikt zurückzuführen".

Explosionen über Tel Aviv in der Nacht des iranischen Angriffs am 14. April 2024
Explosionen über Tel Aviv in der Nacht des iranischen Angriffs am 14. April 2024null Mostafa Alkharouf /picture alliance/Anadolu

Ölpreise treiben Inflation

"Als allgemeine Faustregel gilt, dass ein Anstieg der Ölpreise um zehn Prozent die Gesamtinflation in den Industrieländern um 0,1 bis 0,2 Prozent erhöht. Dementsprechend wird der Anstieg des Ölpreises im vergangenen Monat die Gesamtinflation in diesen Volkswirtschaften um etwa 0,1 Prozent erhöhen", rechnet Neil Shearing vor, Chefvolkswirt bei Capital Economics.

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Notenbanken durch den erhöhten Inflationsdruck ihre geplanten Zinssenkungen auf Eis legen?

Es sei unwahrscheinlich, dass dies einen wesentlichen Einfluss auf die geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken haben wird, glaubt Shearing. Dazu müssten die Ölpreise stärker und nachhaltiger steigen. Entscheidend seien die Auswirkungen auf die Kerninflation, der Anstieg der Verbraucherpreise ohne die Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und Energie. Denn erst wenn die Erzeuger ihre höheren Energiekosten an die Verbraucher weitergeben, könnten die Notenbanken bei den für 2024 angekündigten Zinssenkungen auf die Bremse treten, glaubt Shearing.

Zuletzt war vor allem in den USA die Inflation wieder in den Fokus gerückt. Im März 2024 waren die US-Verbraucherpreise um rund 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen. Neil Shearing von Capital Economics sieht deshalb erst für den Herbst genug Spielraum für die US-Notenbank Federal Reserve für eine Zinssenkung in den USA: "Wir rechnen mit dem ersten Schritt im September. Und unter der Annahme, dass die Energiepreise in den nächsten Monaten nicht in die Höhe schnellen, gehen wir davon aus, dass sowohl die EZB als auch die BoE (Bank of England) im Juni eine Zinssenkung vornehmen werden."

Steigerung der Öl-Förderung in Sicht?

Eine weitere große Unbekannte ist die künftige Förderpolitik der so genannten OPEC+. Darunter versteht man die traditionellen Förderländer des Nahen Ostens, Afrikas und Venezuela, die mit den Nicht-OPEC-Staaten wie Russland, Kasachstan, Mexiko und Oman kooperieren. Rohstoff-Experten diskutierten zuletzt verstärkt darüber, ob etwa die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Fördermenge demnächst ausweiten könnten, um einer Abkühlung der Weltkonjunktur durch zu teures Öl entgegenzuwirken.

Aktuell haben die Förderländer ihre freiwilligen Produktionskürzungen bis Ende Juni verlängert. Erst auf der Ministertagung der OPEC am 2. Juni könnten diese Kürzungen rückgängig gemacht werden, erklärt Jorge León. "Sollte die geopolitische Lage in der Region jedoch weiter eskalieren, könnte die Gruppe in den kommenden Wochen ein außerordentliches Treffen abhalten", so der Ölmarkt-Experte.

Mit fast sechs Millionen Barrel pro Tag (1 Barrel sind rund 159 Liter) an freien Kapazitäten könnte die OPEC die Produktion leicht erhöhen, um den Preisdruck nach oben zu begrenzen, falls der Konflikt eskaliert. Die Wahrscheinlichkeit dafür sei hoch, unterstreicht Jorge León. 

"Anhaltend höhere Ölpreise würden die Inflation im Westen wieder anheizen und die Zentralbanken dazu veranlassen, alle Bemühungen um eine geldpolitische Normalisierung zu verschieben, was zu einem schwächeren globalen Wirtschaftswachstum führen würde", so der Rystad Energy-Analyst.

Ein Hubschrauber fliegt über einem Containerschiff mit Verbindung zu Israel in der Straße von Hormus
Dieses Standbild aus einem Video soll laut Nachrichtenagentur Associated Press die Übernahme eines Containerschiffs in der Straße von Hormus durch iranische Kräfte zeigennull Mideast Defense Official Handout/AP/dpa/picture alliance

Entscheidend für die weitere Richtung der Ölpreise ist auch die Situation in der Straße von Hormus, wo seit Monaten Angriffe der mit Teheran verbündeten Huthi-Miliz auf die internationale Schifffahrt die Frachtpreise in die Höhe getrieben hat. Nach der Beschlagnahmung eines "mit Israel verbundenen Schiffes", wie es die Machthaber in Teheran formulieren, am Samstag durch den Iran, rückt die Meerenge, durch die rund ein Fünftel des weltweit gehandelten Öls transportiert wird, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Warten auf Reaktion Israels

Jetzt warten die Märkte auf die Reaktion Israels. Es gibt widersprüchliche Signale, wie das israelische Kriegskabinett auf die Attacke Teherans reagieren könnte. Die USA versuchen, mäßigend auf die Regierung in Jerusalem einzuwirken. Aber kaum jemand glaubt, dass es gar keine Reaktion Israels geben wird.

"Wer erwartet, dass Israel auf Irans beispiellose Attacke nicht reagiert, leidet entweder unter Wahnvorstellungen oder hat keine Ahnung davon, wie die Dinge im Nahen Osten funktionieren -  oder beides", schrieb Avi Mayer, der frühere Chefredakteur der Jerusalem Post, auf X. "Darauf nicht zu reagieren würde man als Feigheit sehen und das würde nur noch zu mehr und schwerwiegenderen Angriffen einladen. Israel wird darauf antworten", so Mayer.

Bleibt abzuwarten, wie stark diese Reaktion ausfällt. "Im schlimmsten Fall könnte ein energischer Vergeltungsschlag Israels eine Eskalationsspirale auslösen, die möglicherweise zu einem beispiellosen regionalen Konflikt führt", befürchtet Jorge León.

Unter diesen Umständen "würden die geopolitischen Prämien deutlich steigen" und eine neue Runde von US-Sanktionen gegen den Iran könnte die Weltwirtschaft stärker belasten, als es zurzeit absehbar ist.

Frust und Angst im Iran nach dem Angriff auf Israel

Experten haben ihrer Sorge Ausdruck gegeben, dass Israel auf die Raketenangriffe Irans seinerseits militärisch reagieren könnte und warnen davor, dass beide Staaten einen gegenseitigen Schlagabtausch vom Zaun brechen könnten.

General Hossein Salami, Kommandeur der mächtigen Revolutionsgarden des Iran, sagte im Staatsfernsehen, dass Iran eine neue Gleichung aufgemacht habe, in der jeder israelische Angriff auf iranische "Einrichtungen, Vertreter des Staates oder Bürger" erwidert werde. Armeechef Mohammed Bagheri warnte: "Sollte Israel Vergeltung üben, wird unsere Antwort viel größer sein als die militärische Aktion von heute Nacht."

Um die Regierungsposition zu unterstreichen, wurde in der Nacht ein auffälliges Wandgemälde auf Teherans Palästinaplatz enthüllt, das auf Persisch und Hebräisch den Slogan trägt: "Der nächste Schlag wird stärker sein."

"Antiisraelische Stimmung - DNA der Islamischen Republik"

Hamed Mohammadi, ein in Berlin lebender iranischer Journalist, erklärte gegenüber der DW, dass Iran militärische Mittel brauche, um seine Stärke zu demonstrieren. "Antiisraelische Stimmung ist die DNA der Islamischen Republik. Mit diesem Ansatz hat das Ausmaß an Konflikten in der Region schrittweise zugenommen. Die jüngste Eskalation markiert eine neue Phase und gibt Israel faktisch grünes Licht für aggressivere Aktionen, selbst auf iranischem Staatsgebiet."

Iran | Straßenszene in Teheran
Viele Menschen im Iran deckten sich aus Sorge mit dem Nötigsten ein - Reis, Brot, Benzinnull Atta Kenare/AFP/Getty Images

Viele Iranerinnen und Iraner scheinen Angst zu haben angesichts einer drohenden Eskalation des Konflikts und eines potentiellen israelischen Angriffs auf iranische Städte. Am Sonntag zeigten mehrere Social Media Posts lange Schlangen an den Tankstellen, weil Iraner einen plötzlichen Anstieg der Benzinpreise befürchteten. Die Supermärkte waren voller Menschen, die ihren Vorrat an Grundnahrungsmitteln wie Reis und Brot aufstockten. Irans Währung, der Rial, fiel kurzfristig auf ein Rekordtief gegenüber dem US-Dollar, so die Online-Devisenhandelsseite Bonbast.

"Gefühl von Unsicherheit und Pessimismus"

Der Autor und politische Analyst Soroush Mozaffar Moghadam musste den Iran 2022 nach Beginn der regierungskritischen Proteste verlassen. Er sprach wenige Stunden nach dem Angriff über soziale Netzwerke mit Menschen im Iran und erlebte, dass viele von ihnen verwirrt, verängstigt, unruhig und zögerlich waren.

"Ihre Gefühle drehten sich um die Konsequenzen eines israelischen Angriffs auf den Iran, einen pessimistischen Blick in die Zukunft und große Unsicherheit", berichtete er der DW. Viele Iranerinnen und Iraner stünden nicht hinter der offiziellen Politik der Islamischen Republik, glaubt er, aber sie fühlen sich zu machtlos, um einen Wechsel zu bewirken. "Ein junger Mann betonte, dass er für sich keinerlei Zukunftschancen sehe und glaubt, die Mehrheit der Menschen im Iran könne die aggressive Haltung der Regierung nicht beeinflussen."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Warum Iran und Israel Feinde sind

Warum arabische Staaten Israel gegen Iran unterstützen

Iran hat in der Nacht von Samstag zu Sonntag mehr als 300 Raketen und Drohnen auf Ziele in Israel geschossen - als Vergeltung für einen mutmaßlichen Angriff Israels auf das iranische Konsulatsgebäude in Syriens Hauptstadt Damaskus mit etlichen Toten. Israels Verbündete kamen zu seiner Verteidigung: Die britische und die US-Luftwaffe halfen, die Luftangriffe abzuwehren. Auch Frankreich war offenbar beteiligt, allerdings ist unklar, ob französische Einheiten Raketen abgeschossen haben.

Viel Aufmerksamkeit bekam vor allem die Tatsache, dass die Luftwaffe Jordaniens Israel unterstützte. Das Nachbarland öffnete seinen Luftraum für israelische und US-amerikanische Flugzeuge und hat augenscheinlich auch Drohnen abgeschossen, die seinen Luftraum verletzt haben. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Anwohner in Jordanien massive Aktivitäten im Luftraum wahrnahmen. In den sozialen Medien zirkulierten Bilder von Resten einer abgeschossenen Drohne im Süden der Hauptstadt Amman.

"Außerdem könnten die Golfstaaten, Saudi-Arabien eingeschlossen, eine indirekte Rolle gespielt haben, denn sie beherbergen westliche Luftverteidigungssysteme, Luftüberwachung und die Möglichkeit, Flugzeuge aufzutanken - alles unverzichtbar für den Einsatz", schreibt der britische "Economist".

Einige Kommentatoren haben die arabische Beteiligung in ihren Posts umgehend gefeiert und betont, das beweise, dass Israelis und Araber kooperieren könnten und Israel im Nahen Osten nicht allein dastehe - so etwa Anshel Pfeffer, Autor des liberalen israelischen Blattes "Haaretz", und Mairav Zonszein von der Denkfabrik International Crisis Group.

"Die Angriffe Irans haben weitere Unterstützer aus aller Welt hinter Israel versammelt, inklusive einflussreicher arabischer Staaten, die Israels Gaza-Offensive durchaus kritisch sehen, aber dennoch eine Antwort auf die Drohnenangriffe Irans befürworten", sagt Julien Barnes-Dacey, Chef des Nahost- und Nordafrikaprogramms des European Council on Foreign Relations.

Jordanien ist ein Beispiel: Die Regierung steht Israels Vorgehen im Gazastreifen extrem kritisch gegenüber. Einer von fünf Bewohnern Jordaniens ist palästinensischer Herkunft, die Königin inbegriffen, und in den vergangenen Wochen gab es zunehmend feindselige Proteste gegen Israel.

Gleichzeitig teilt Jordanien sich eine Grenze mit Israel, wacht über die Al-Aksa-Moschee und den Tempelberg in Jerusalem, einen der bedeutsamsten Orte für Muslime, Juden und Christen, und arbeitet mit den israelischen Behörden zusammen - wenn auch meist hinter den Kulissen. Doch auch die USA sind ein wichtiger Verbündeter des Landes.

Jordanien muss also viele konkurrierende Interessen ausgleichen, die politische Stabilität des Landes und seine Verteidigung sichern. Die Regierung war schnell bemüht klarzustellen, dass die Unterstützung für Israel auch ein Akt der Selbstverteidigung sei. "Einige Objekte, die vergangene Nacht in unseren Luftraum eingedrungen sind, wurden abgefangen, weil sie eine Gefahr für unsere Bevölkerung und dicht bewohnte Gebiete darstellten", so ein Statement der Behörden. "Teile (der abgeschossenen Objekte) fielen auf unser Staatsgebiet, ohne nennenswerten Schaden anzurichten."

Warum Iran und Israel Feinde sind

Wie Jordanien geht es auch Saudi-Arabien: Die Regierung versucht, ihre eigenen Interessen mit internationalen Bündnissen auszubalancieren und ebenso die eigene Realpolitik mit ihrem Auftreten rund um den Gaza-Konflikt.

Der wohlhabende Golfstaat war gerade dabei, die Beziehungen mit Israel zu normalisieren, als die militante Hamas aus Gaza am 7. Oktober Israel attackierte. Bei dem Terrorangriff starben rund 1200 Menschen in Israel. Bei den anschließenden Militäroffensiven Israels im Gazastreifen sind in den vergangenen Monaten mehr als 33.000 Menschen ums Leben gekommen. Saudi-Arabien hat die Annäherung an Israel fürs erste gestoppt.

Die saudische Regierung befürwortet einen Waffenstillstand in Gaza und kritisiert Israels Vorgehen in dem Küstenstreifen. Insider sagen allerdings hinter verschlossenen Türen, dass Saudi-Arabien weiterhin daran interessiert sei, seine Beziehungen zu Israel zu verbessern.

Iran und die Golfstaaten - ein Jahrzehnte alter Konflikt

Ob sie nun an diesem Wochenende im Interesse Israels eingegriffen haben oder nicht: Die Saudis haben etliche andere Gründe, iranische Raketen vom Himmel zu holen.

Seit Jahrzehnten ist der Nahe und Mittlere Osten entlang religiös-konfessioneller Linien gespalten. Die arabischen Golfstaaten haben eine sunnitische Bevölkerungsmehrheit, der Iran gilt als Führungsmacht der Schiiten. Die gegenseitige Rivalität ähnelt teilweise Konflikten in Europa, in denen die beiden großen Konfessionen, die Katholiken und die Protestanten, gegeneinander angetreten sind - in Nordirland beispielsweise.

Staaten wie Irak, Syrien und Libanon dagegen sind multiethnisch und multireligiös, mit einer Mischung aus Schiiten und Sunniten sowie anderer Religionen und zahlreicher Volksgruppen. In dem Maße, in dem Iran und die Golfstaaten ihren Einfluss dort versucht haben auszubauen, sind sie zwischen die Fronten geraten.

Hier kommen Irans sogenannte Stellvertreter ins Spiel. Das sind schiitisch-muslimische Organisationen, die der Iran finanziell, militärisch, logistisch und selbst geistig zu einem gewissen Grad unterstützt. Dazu gehören die Huthi-Rebellen im Jemen, die Allianz überwiegend schiitischer Milizen im Irak sowie der politische und der militärische Arm der Hisbollah im Libanon. Auch die Hamas zählt dazu - auch wenn sie, wie die Mehrheit der Palästinenser, überwiegend aus Sunniten besteht.

Diese Gruppen haben sich an dem Angriff an diesem Wochenende beteiligt - sie feuerten Raketen aus dem Jemen, dem Irak und aus Syrien auf Israel. Im Irak wiederum soll das dort stationierte US-Militär unbestätigten Berichten zufolge einige der abgefeuerten Raketen abgeschossen haben. Ob die Saudis Geschosse aus dem Jemen abgefangen haben, ist nicht ganz klar - anders als im vergangenen Jahr, als sie Huthi-Raketen unschädlich gemacht haben.

"Regionale Akteure - vor allem Saudi-Arabien und Jordanien, die mutmaßlich iranische Drohnen abgefangen haben - werden argumentieren, dass sie ihren eigenen Luftraum schützen mussten", betont Masoud Mostajabi, Direktor des Nahostprogramms beim US-amerikanischen Thinktank Atlantic Council, in einer aktuellen Analyse. "Sollten diese Angriffe sich aber zu einem größeren Israel-Iran-Konflikt ausweiten, könnten Staaten in der Region, die als Verteidiger Israels gelten, zur Zielscheibe werden und in einen regionalen Flächenbrand hineingezogen werden." Seine Schlussfolgerung: "Dass so viel auf dem Spiel steht, könnte sie anspornen, zwischen den Kontrahenten zu vermitteln, um die Konfrontation zu beenden."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Massiver iranischer Raketen- und Drohnenangriff auf Israel

Ungeachtet internationaler Warnungen hat der Iran seine Drohungen wahrgemacht und Israel in der Nacht zum Sonntag angegriffen. Die große Mehrheit der Drohnen, Marschflugkörper und Raketen sei vom Abwehrsystem noch außerhalb der Grenzen Israels abgefangen worden, teilte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari mit. Nur "wenige" ballistische Raketen seien bis nach Israel durchgedrungen, ergänzte er.

IDF-Sprecher Daniel Hagari, links und rechts von ihm israelische Flaggen
Der Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, Daniel Hagarinull dts Nachrichtenagentur/IMAGO

Ein Mädchen sei verletzt worden, sagte Hagari weiter. Eine Militärbasis im Süden des Landes sei getroffen, aber nur leicht beschädigt worden. Laut Militär wurde die Bevölkerung unter anderem im Süden Israels, am Toten Meer, im Großraum Jerusalem sowie im Norden des Landes vor der Attacke gewarnt.

DW-Korrespondent Amien Essif hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs in Jerusalem auf. Er stand in der Jaffa Street und sprach mit Leuten. Im Internetdienst X veröffentlichte er ein kurzes Video. Die zu hörenden Explosionen stammten vermutlich von der israelischen Luftabwehr.

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte sich kurz vor dem iranischen Angriff an die Bürger seines Landes gewandt. "Der Staat Israel ist stark. Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (Israel Defence Forces, IDF) sind stark. Wir wissen es zu schätzen, dass die USA an der Seite Israels stehen, ebenso wie die Unterstützung Großbritanniens, Frankreichs und vieler anderer Länder", sagte er. "Wir haben ein klares Prinzip: Wer uns schadet, dem schaden wir auch", betonte Netanjahu.

Raketenangriffe auch aus dem Libanon und dem Jemen

Zeitgleich mit den iranischen Luftattacken griffen auch die vom Iran unterstützte schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon sowie die mit dem Mullah-Regime in Teheran verbündeten Huthis im Jemen Ziele in Israel an.

Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie andere Personen in Militäruniform
Verteidigungsminister Yoav Gallant (2.v.r.) bei einer Sitzung des israelischen Kriegskabinetts in der Nacht zum Sonntag null Israeli Ministry of Defense/Handout/Anadolu/picture alliance

Nach Angaben aus dem Weißen Haus in Washington wurden einige der anfliegenden iranischen Kampfdrohnen und Raketen von US-Streitkräften in der Region abgefangen. Auch Frankreich unterstützte Israel bei der Abwehr, wie die israelischen Streitkräfte mitteilten. Israels Nachbarland Jordanien fing beim nächtlichen Angriff ebenfalls mehrere Flugobjekte ab. An mehreren Orten seien Teile der Flugkörper vom Himmel gefallen, hieß es nach einer Sitzung des jordanischen Kabinetts in der Hauptstadt Amman. Die Armee werde auf alle Bedrohungen antworten, die die Sicherheit der Bürger gefährde oder Jordaniens Territorium und dessen Luftraum.

 Großbritannien kündigte an, als Reaktion auf Irans Angriffe weitere Kampfflugzeuge in die Region zu entsenden.

Am Mittwoch gedroht 

Der Iran hatte am Mittwoch mit Vergeltung für einen Israel zugeschriebenen Angriff auf das iranische Konsulargebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus gedroht. Dabei waren Anfang April 16 Menschen getötet worden, darunter zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen  Revolutionsgarden. 

Der jetzige Angriff sei eine Reaktion auf die "Aggression" Israels gegen das iranische Konsulat in Damaskus, erklärte die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen (UN) im Onlinedienst X. Zugleich warnte der Iran Israel vor einem Gegenangriff. "Sollte Israel Vergeltung üben, wird unsere Antwort viel größer sein als die militärische Aktion von heute Nacht", kündigte der Stabschef der Streitkräfte, Mohammad Bagheri, an. Ähnlich äußerte sich der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salami. 

Warnungen aus Ägypten  

Die ägyptische Regierung hatte vor dem iranischen Angriff auf Israel die Führung in Teheran ermahnt und zu äußerster Zurückhaltung aufgerufen. Ein Angriff wäre ein Zeichen einer "gefährlichen Eskalation" zwischen den beiden Ländern, teilte das ägyptische Außenministerium am Samstagabend mit.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi an einem Rednerpult
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bemüht sich neben Katar und den USA seit Monaten um Vermittlung im Israel-Hamas-Krieg null John Macdougall/AP Photo/picture alliance

Ägypten habe schon zuvor vor einer Ausweitung des Konflikts infolge des Israel-Hamas-Kriegs im Gazastreifen gewarnt, erklärte das Außenministerium. Die Regierung in Kairo sei in ständigem Kontakt mit allen beteiligten Parteien, um die Eskalation zu stoppen, hieß es weiter. Ägypten hatte 1979 als erstes arabisches Land Frieden mit Israel geschlossen.

Pro-iranische Milizen in Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen haben seit dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober zahlreiche Angriffe auf israelische Ziele verübt. Israel reagierte nach dem Terrorangriff der Hamas mit einer großangelegten Offensive im Gazastreifen. Sowohl der Iran als auch die von Israel, der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation gelistete Hamas haben die Vernichtung Israels als Ziel ausgegeben.

se/wa/ai (dpa, afp, ap, rtr, cnn) 

Weltweite Kritik nach Angriff des Irans auf Israel

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die iranischen Luftangriffe auf Israel "mit aller Schärfe" verurteilt. "Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand", mahnte Scholz nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels." Weitere Reaktionen werde die Bundesregierung "nun eng mit unseren G7-Partnern und Verbündeten besprechen".

G7-Staaten beraten noch am Sonntag

Für den Abend ist eine Konferenz der G7-Gruppe führender westlicher Industriestaaten geplant - zur Abstimmung der Reaktion auf den Angriff. Um eine abhörsichere Kommunikation des Kanzlers aus China zu gewährleisten, ist ein IT-Experte mit dabei. 

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte den iranischen Angriff "aufs Allerschärfste", der "eine ganze Region ins Chaos stürzen kann". Sie betonte im Onlinedienst X: "Der Iran und seine Proxies müssen diesen sofort einstellen". "Israel gilt in diesen Stunden unsere ganze Solidarität", so Baerbock. Die deutsche Außenministerin fügte hinzu, die "weltweiten Verurteilungen" des iranischen Vorgehens zeigten "ganz klar": "Iran ist mit seinem aggressiven Verhalten, mit dem es eine ganze Region destabilisieren will, isoliert."
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US-Präsident Joe Biden bezeichnete den iranischen Angriff als "dreist" und sicherte Israel seine "unerschütterliche" Unterstützung zu. "Unsere Verpflichtung für Israels Sicherheit gegen Bedrohungen aus dem Iran und von dessen Stellvertretern ist unerschütterlich", erklärte Biden. Zuvor hatte er eine Dringlichkeitssitzung mit seinem für Sicherheitsangelegenheiten zuständigen Team abgehalten.

USA Washington | Präsident Joe Biden mit dem Nationalen Sicherheitsteam nach iranischem Angriff auf Israel
US-Präsident Joe Biden (am Kopfende des Tisches) und Außenminister Antony Blinken (links davon) beraten mit dem Nationalen Sicherheitsteam nach dem iranischen Angriff über Konsequenzennull White House/AFP

EU sieht "beispiellose Eskalation"

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einer "beispiellosen Eskalation". "Die EU verurteilt den inakzeptablen iranischen Angriff auf Israel auf das Schärfste", erklärte Borrell. Dies sei auch "eine schwerwiegende Bedrohung für die regionale Sicherheit". 

EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf X, es müsse "alles getan werden, um eine weitere regionale Eskalation zu verhindern".

UN-Generalsekretär ist "alarmiert"

UN-Generalsekretär António Guterres forderte "eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten". Er sei "zutiefst alarmiert über die sehr reale Gefahr einer verheerenden Eskalation in der gesamten Region". Der UN-Sicherheitsrat in New York will noch an diesem Sonntag auf Antrag Israels zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

Auch die Volksrepublik China äußerte ihre "tiefe Besorgnis über die aktuelle Eskalation". China "fordert die maßgeblichen Parteien auf, Ruhe und Zurückhaltung zu üben, um weitere Eskalationen zu verhindern", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. Das Land rufe die internationale Gemeinschaft, "insbesondere Länder mit Einfluss, dazu auf, eine konstruktive Rolle für den Frieden und die Stabilität der Region zu spielen".

Moskau sieht Mitschuld des Westens

Einen anderen Akzent in der Reaktion auf den iranischen Angriff setzte Russland. Die Regierung in Moskau zeigte sich besorgt wegen der Eskalation im Nahen Osten, gab aber zugleich dem Westen eine Mitschuld daran. Der Iran berufe sich bei seinem Raketenangriff auf Israel auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta - nach der Attacke auf das iranische Konsulat in Damaskus, erklärte das russische Außenministerium. Russland ist ein enger Verbündeter des Irans und bezieht von dort auch Waffen für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. 

"Am Rande eines Abgrunds"

Die bekannte Nahostexpertin Maha Yahya hat den direkten und massiven Angriff des Irans auf Israel als Wendepunkt in dem schon seit langem währenden Konflikt der beiden Ländern bezeichnet. "Wir stehen offen gesagt am Rande eines gefährlichen Abgrunds", sagte die Direktorin der US-Denkfabrik Carnegie Middle East Center dem US-Sender CNN. "Wir befinden uns nicht länger in einem Schatten- oder Stellvertreterkrieg zwischen diesen beiden Ländern."

Maha Yahya | Direktorin Middle East Centre
Maha Yahya, Direktorin des Middle East Centre in den USAnull Isa Terli/AA/picture alliance

Deutsche Außenpolitiker fordern härtere Gangart

Nach dem groß angelegten Angriff des Irans auf Israel haben deutsche Außenpolitiker ein härteres Vorgehen gegen Teheran gefordert. Die EU und Deutschland müssten "endlich eine härtere Gangart gegenüber Iran einlegen", schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), im Onlinedienst X. "Das Mullahregime destabilisiert und radikalisiert den ganzen Nahen und Mittleren Osten."

Deutschland, Berlin | Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages
Deutliche Worte von Michael Roth, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschussesnull Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Mit einer Solidaritätskundgebung haben mehrere Hundert Menschen am Sonntag in Berlin gegen den iranischen Großangriff auf Israel protestiert. Sie waren einem Aufruf der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) zu der Versammlung auf dem Pariser Platz gefolgt. Die Polizei sprach von etwa 500 Teilnehmern und einem ruhigen Verlauf. 

"Mit seinem kriegerischen und direkten Angriff auf Israel heute Nacht hat der Iran ein neues, gefährliches Kapitel dieses Krieges aufgeschlagen", erklärte der DIG-Vorsitzende Volker Beck. Staatsräson des Iran sei die Vernichtung Israels. "Dieses Regime muss isoliert werden." Jegliche Wirtschaftsbeziehungen müssten gekappt werden. Deutschland habe "hier viel zu lange gezögert, eine konsequente und klare Haltung einzunehmen".

haz/se/hf (epd, dpa, rtr)

Redaktionsschluss: 17.00 Uhr MESZ. Dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.

Irans Revolutionsgarden setzen Containerschiff fest

Irans Revolutionsgarden haben einheimischen Medien zufolge ein Handelsschiff nahe der Straße von Hormus beschlagnahmt. Der Containerfrachter "MCS Aries" sei in einem Hubschraubereinsatz von Spezialeinheiten der Revolutionsgarden festgesetzt worden und werde in Richtung Iran umgeleitet, meldet die staatliche Nachrichtenagentur IRNA.

Das Schiff habe eine Verbindung zu Israel, berichtet die Nachrichtenagentur Tasnim, die als Sprachrohr der Revolutionsgarden gilt. Auf einem von der Agentur verbreiteten Foto ist zu sehen, wie sich ein Kommandosoldat von einem Militärhubschrauber auf das Deck des Schiffes abseilt.

Zuvor hatte die zur britischen Marine gehörende Behörde UKMTO allgemein über den Fall berichtet und ihn im Golf von Oman verortet, etwa 50 Seemeilen nordöstlich der Hafenstadt Fudschaira in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Allerdings wurde die Identität des Schiffes durch UKMTO nicht bestätigt. In den Gewässern hatte Irans Marine in der Vergangenheit bereits Öltanker und Containerschiffe beschlagnahmt.

Nach Informationen des israelischen Armee-Senders fährt das Containerschiff unter der Flagge Portugals und hat vermutlich unter anderem israelische Eigner. Das 366 Meter lange Schiff soll sich auf der Fahrt von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Indien befunden haben. Der Schiffsortungsdienst Vessel Finder hatte am Freitag Nachmittag ein letztes Positionssignal der "MSC Aries" empfangen. Da war der Containerriese gerade vor Dubai unterwegs.

Israel: "Akt der Piraterie"

Israels Außenminister Israel Katz sprach in einer Reaktion von einem "Akt der Piraterie" durch den Iran, der internationales Recht verletze. Er forderte die Europäische Union und die "freie Welt" auf, neue Sanktionen gegen die Islamische Republik zu verhängen und die Revolutionsgarden als Terrororganisation einzustufen.

Die militärischen Spannungen in der Region sind so groß wie seit Jahren nicht mehr. Zuletzt hatte es einen mutmaßlich israelischen Luftangriff auf Irans Botschaftsgelände in Syriens Hauptstadt Damaskus gegeben. Dabei wurden Anfang des Monats 16 Menschen getötet. Unter ihnen waren zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden sowie fünf weitere Mitglieder der Elitetruppe.

Syrien, Damaskus | Zerstörtes Botschaftsgebäude des Iran in Damaskus (01.04.2024)
Zerstörtes Botschaftsgebäude des Iran in Damaskus (01.04.2024)null Omar Sanadiki/AP/dpa/picture alliance

Das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, hatte deshalb am Mittwoch Israel mit Vergeltung gedroht. Die Revolutionsgarden ihrerseits drohten damit, die Straße von Hormus zu schließen.

Beobachter sehen die verfeindeten Länder am Rande einer kriegerischen Eskalation. Die Straße von Hormus ist eine etwa 55 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran und Oman. Sie verbindet den Persischen Golf mit dem Golf von Oman. Hier verläuft eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den weltweiten Ölexport. Die USA werfen der iranischen Marine regelmäßig vor, den zivilen Schiffsverkehr in dem Meeresgebiet zu behindern.

Warnungen aus mehreren Staaten

Vor Bekanntwerden der Schiffsbeschlagnahmung hatte US-Präsident Joe Biden vor einem kurz bevorstehenden iranischen Angriffsversuch auf Israel gewarnt. Er gehe davon aus, "dass es eher früher als später sein wird", sagte Biden am Freitag in Washington.

Angesichts der befürchteten Eskalation in der Nahost-Region haben mehrere Länder Reisewarnungen für den Iran ausgesprochen, darunter Großbritannien, Frankreich, Österreich und auch Deutschland. Das Auswärtige Amt in Berlin forderte Deutsche auf, aus dem Iran auszureisen. Wie das Ministerium bestätigte, verlassen Familienangehörige deutscher Botschaftsmitarbeiter den Iran. Zuvor hatten die Zeitung "Bild am Sonntag" und die Nachrichtenagentur AFP darüber berichtet.

Seit Beginn des Israel-Hamas-Kriegs Anfang Oktober, mit dem die israelische Armee auf einen brutalen Angriff palästinensischer Terroristen aus dem Gazastreifen reagierte, haben Konflikte in der Region auch auf den Seerouten deutlich zugenommen. Insbesondere die mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen haben regelmäßig Tanker auf dem Weg nach Israel angegriffen. Große Reedereien meiden zunehmend die Route im Roten Meer, der kürzesten Verbindung auf dem Seeweg zwischen Asien und Europa.

AR/jj/hf (dpa, afp, rtr)

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Tod eines Lokalpolitikers erhitzt die Gemüter im Libanon

Seit dem gewaltsamen Tod von Pascal Suleiman vor einigen Tagen ist die Stimmung im Libanon aufgeheizt. Der Lokalpolitiker gehörte der christlich-nationalistischen Partei "Libanesische Kräfte" an. Am vergangenen Sonntag war Suleiman entführt und nahe Byblos, rund 40 Kilometer nördlich von Libanons Hauptstadt Beirut, getötet worden. Am Montag wurde seine Leiche auf der anderen Seite der Grenze in Syrien gefunden.

Libanesischen Behörden zufolge wurde Suleiman im Zuge eines Autodiebstahls ermordet, doch seine Partei vermutet politische Motive. In Teilen der Bevölkerung dagegen wird die Tat bereits syrischen Flüchtlingen zugeschrieben, die in großer Zahl im Land leben.

"Wir haben so große Angst"

Zahllose Videoaufnahmen in den sozialen Medien zeigen aufgebrachte Menschenmassen, die Syrer auffordern, ihre Geschäfte und Wohnungen zu verlassen und nach Syrien zurückzukehren. In anderen Videos ist zu sehen, wie Syrer verprügelt und Autos und Motorräder mit syrischen Nummernschildern zerstört werden.

"Wir haben das Haus seit zwei Tagen nicht verlassen, wir haben so große Angst", erzählt Abu Mustafa, ein syrischer Flüchtling, der in Byblos lebt, der DW. "Ich weiß nicht, was ich für meine Familie tun kann. Ich traue mich nicht auf die Straße." "Wir haben nichts getan, warum schieben uns die Leute die Schuld zu?", fragt der ebenfalls in Byblos lebende Abed.

Syrische Geflüchtete
Von geschätzt zwei Millionen syrischen Flüchtlingen haben viele keinen legalen Aufenthaltsstatusnull Lebanese Army Website/AP Photo/picture alliance

Der libanesische Interims-Innenminister Bassam Mawlawi rief die Bevölkerung währenddessen dazu auf, "vernünftig" zu bleiben und sich zurückzuhalten. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag erklärte er jedoch, dass die "syrische Präsenz im Libanon reduziert" werden müsse. Wie er eine solche Reduzierung erreichen will, sagte er nicht.

Schätzungen der libanesischen Regierung zufolge leben derzeit etwa zwei Millionen syrische Flüchtlinge im Land. Viele von ihnen allerdings wurden nie offiziell registriert. Laut UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, waren im Dezember vergangenen Jahres exakt 784.884 syrische Flüchtlinge im Libanon registriert.

Syrer als Sündenbock

"Statt bei Angriffen gegen syrische Geflüchtete zu ermitteln, lässt der Staat Lynchjustiz einfach so stehen", klagt Anna Fleischer, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, im Gespräch mit der DW. Zwar sei dies nicht überall so, fügt sie hinzu, wohl aber "dort, wo syrische Geflüchtete besonders unbeliebt sind, wie in christlich dominierten Vierteln oder Städten wie Byblos."

Im gesamten Libanon würden syrische Flüchtlinge zunehmend kriminalisiert. Es werde ihnen immer schwerer gemacht, legale Papiere und Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen, fügt Fleischer hinzu.

Mohanad Hage Ali ist stellvertretender Forschungsdirektor am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center in Beirut. Für ihn ist die nach Suleimans Tod gegen die Syrer gerichtete Wut eine "neue Welle der Panik, hervorgerufen durch die ungelöste syrische Flüchtlingskrise". Unabhängig vom Ergebnis der laufenden Ermittlungen wird "der Umgang mit der Flüchtlingskrise kurz- und mittelfristig für die libanesische Politik Priorität haben", ist er sich sicher.

Suleimans Ermordung wird politisiert

George Akouri, ein libanesischer Journalist in Beirut, sagte gegenüber DW, er schließe nicht aus, dass die Ermordung Suleimans politisiert werde. "Einerseits, um die Spannungen zwischen der Bevölkerung und den Syrern, insbesondere zwischen den Anhängern der 'libanesischen Kräfte' und den syrischen Flüchtlingen im Libanon, zu verstärken. Und andererseits, um von den Ereignissen an der Grenze zu Israel abzulenken."

"Die 'Libanesischen Kräfte' stehen den syrischen Flüchtlingen feindselig gegenüber. Deren anhaltende Präsenz bedroht die Vormachtstellung der christlichen Parteien in der libanesischen Politik", bestätigt Kelly Petillo, Nahost-Forscherin beim European Council on Foreign Relations, gegenüber der DW und fügt hinzu: "Für sie ist die Hisbollah der Volksfeind Nummer Eins."

Der politische Arm der Hisbollah ist im libanesischen Parlament gut vertreten und betreibt zudem lokale Krankenhäuser und andere Einrichtungen zum Wohle ihrer Unterstützer. Die USA, die EU und andere Länder stufen den militärischen Arm der vom Iran unterstützen Miliz jedoch als Terrororganisation ein.

Eine Rede von Hassan Nasrallah wird auf einer großen Leinwand übertragen
Hassan Nasrallah weist Anschuldigungen über eine Beteiligung der Hisbollah an der Ermordung Suleimans zurücknull Hassan Ammar/AP

Besonders präsent ist die Hisbollah im Süden des Libanon. Am 8. Oktober startete sie von dort Angriffe auf den Norden Israels, einen Tag nach den tödlichen Angriffen der militant-islamistischen Hamas auf Israel, die zu dem aktuellen Krieg in Gaza führten. Seitdem kommt es im Grenzgebiet immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanon und viele Libanesen fürchten, dass der Krieg auch ihr Land erfassen könnte.

Vorwürfe, die Hisbollah sei in die Ermordung Suleimans verwickelt, hat ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah als haltlos und als gefährliches sektiererisches Geschwätz zurückgewiesen.

Keine unabhängige Untersuchung von Suleimans Tod

Bisher haben die Behörden noch keine Ermittlungsergebnisse präsentiert. Eine Untersuchung soll aufklären, ob Pascal Suleiman Opfer einer syrischen Bande wurde, die sich auf Autoentführungen spezialisierte (sieben Syrer wurden bislang festgenommen und die Leiche wurde in Syrien gefunden), ob seine Ermordung politisch motiviert war, oder ob Suleimans Position als Leiter der IT-Abteilung einer der größten Banken des Landes, der Byblos Bank, etwas mit seinem Tod zu tun hatte.

Trauerzug im Libanon
Im Grenzgebiet kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanonnull Mohammed Zaatari/AP/picture alliance

Wegen der politischen und wirtschaftlichen Krise können Tausende von Bankkunden, viele davon Syrer, bereits seit Oktober 2019 nicht auf die Guthaben auf ihren Konten zugreifen. Der Präsidentenposten der Interims-Regierung ist zudem gegenwärtig nicht besetzt, die Regierung verfügt also nur über eingeschränkte Befugnisse.

Kelly Petillo hält es daher wegen des Chaos, in dem sich der Libanon politisch befindet, für "unwahrscheinlich, dass es zu einer unvoreingenommenen Untersuchung des Todes von Pascal Suleiman kommt. Vielmehr wird er die bereits bestehende Dynamik, die an sich schon sehr giftig ist, verstärken."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Eine "Fremdenlegion" für die Vereinigten Arabischen Emirate?

Die Stellenanzeige erregte Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich, weil sie wie der Anfang eines Actionfilms klang. Gesucht würden "Fremdenlegionäre", hieß es in der Anzeige.

Die Bewerber sollten unter 50 Jahre alt sein, hochgradig diszipliniert und körperlich fit. Weitere Voraussetzungen: mindestens fünf Jahre Militärerfahrung und die Fähigkeit, mit "enormem Stress" umzugehen. Der Sold beginne bei rund 2000 Dollar (rund 1840 Euro), erhöhe sich aber, sobald der Einsatzort außerhalb der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) liege, nämlich im Jemen oder in Somalia

Als erstes hatte die Fachzeitschrift "Intelligence Online" aus Frankreich über die Stellenanzeige berichtet. Demnach sind dafür ehemalige Soldaten französischer Spezialeinheiten verantwortlich.

Weitere Recherchen führten zur Manar Military Company (MMC), ein Sicherheitsberatungsunternehmen mit Sitz in der VAE-Hauptstadt Abu Dhabi. Die Firma führt ein ehemaliger Kommandeur der französischen Spezialkräfte. Finanziell ist sie mit einer wohlhabenden, politisch einflussreichen Familie aus dem Emirat verbunden.

Parade der französischen Fremdenlegion in Neu Delhi (26.01.2024)
Parade der französischen Fremdenlegion in Neu Delhi (im Januar)null Raj K Raj/Hindustan Times/Sipa USA/picture alliance

Die Stellenanzeige ist bislang der deutlichste Hinweis darauf, dass die VAE an einer eigenen Elitetruppe mit 3000 bis 4000 Rekruten arbeiten - bis Mitte 2025 soll die Einheit offenbar stehen. Medien, die die MMC kontaktierten, erhielten allerdings keine klare Antwort. Vertreter des Unternehmens bezeichneten die Anzeige als Fälschung. Das Projekt sei gestrichen worden. Es handele sich um eine Desinformationskampagne. Auf Anfragen der DW reagierte MMC nicht.

Fachleute halten ein solches Projekt, eine Fremdenlegion der VAE, jedoch für durchaus realistisch. "Intelligence Online" habe gute Verbindungen zum französischen Militärsektor. Die Tatsache, dass die Anzeige an die Öffentlichkeit gelangt sei, lasse vermuten, dass Frankreich seinen Protest gegen diese Entwicklung zum Ausdruck bringen wolle, sagt der Militärexperte Andreas Krieg von der School of Security Studies am King's College in London. Die Franzosen seien besorgt, dass Sicherheitspersonal für gut bezahlte Jobs in den VAE abgeworben werde, so Krieg.

Mit Blick auf die Vergangenheit sei es durchaus denkbar, dass die VAE einen solchen Schritt täten, meint auch Sean McFate von der School of Foreign Service der Georgetown Universität.  "Die VAE haben schon lange militärische Macht ausgelagert. Das haben sie seit 2011 immer wieder getan", so der Autor des Buches "The New Rules of War".

"Bei dem Begriff 'Söldner' denke ich heute in der Regel eher an die VAE als an Russland", sagt Andreas Krieg. "Die Emirate sind so etwas wie eine Drehscheibe für Söldneraktivitäten im globalen Süden geworden."

Warum setzen die VAE Söldner ein?

Insgesamt leben in den VAE rund neun Millionen Menschen. Aber nur eine Million davon sind Emiratis. Die Streitkräfte der VAE umfassen rund 65.000 Mann, von denen 30 bis 40 Prozent Ausländer sind.

Gleichzeitig hat die Führung der VAE ihre strategischen Interessen in Ländern wie dem Jemen und vor der Küste Somalias offensiv verteidigt. Söldner werden eingesetzt, weil man, wie Andreas Krieg es nennt, "Verluste vermeiden will". Und sein US-Kollege Sean McFate kommt zu dem Schluss: "Söldner sind attraktiv für wohlhabende Gesellschaften, die sich an Kriegen beteiligen, aber nicht selbst bluten wollen."

Ein weiterer Aspekt der Aufnahme von Ausländern in das Militär der VAE ist die Sicherheit vor Militärputschen. Denn gut bezahlte Söldner haben in der Regel kein Interesse daran, eine Regierung zu stürzen, der sie ihren Job verdanken. Zudem sind Söldner ideale Akteure für Operationen, die verdeckt ablaufen sollen und für die die dahinter stehenden Staaten keine Verantwortung übernehmen wollen.

Seit 2003 sei der Einsatz sogenannter privater militärischer Sicherheitsunternehmen - kurz: PMSC - explosionsartig angestiegen, schreibt das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) in einem Bericht aus dem Jahr 2023: "Heute sind PMSCs in fast jedem Land der Welt für eine Vielzahl von Kunden tätig."

Ausbildungscamp des Militärunternehmens Blackwater in den USA (02.08.2006)
Ausbildungscamp des Militärunternehmens Blackwater in Moyock, USA (2006)null Chris Curry/dpa/picture alliance

In den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden sie erstmals 2009 eingesetzt, als Erik Prince, ein ehemaliger US-Marineinfanterist und Gründer von Blackwater PMSC, eine 800 Mann starke Brigade in den Emiraten aufbaute. Prince überwarf sich schließlich mit seinen Auftraggebern.

Die gewinnorientierte Zusammenarbeit zwischen hochrangigen US-Offizieren und den Vereinigten Arabischen Emiraten aber ging weiter. Die VAE bezahlten für den Aufbau von Cyber-Kriegseinheiten, berichtete 2019 die Nachrichtenagentur Reuters. Und 2022 berichtete die Washington Post, die VAE engagierten weiterhin ehemalige hochrangige US-Militärangehörige für Unterstützung und Ausbildung.

Wie die BBC meldet, haben die VAE Söldner angeheuert, darunter auch Amerikaner und Israelis. Diese sollten im Jemen politisch motivierte Attentate verüben. Teilweise wurden auch Einheimische für diese Aufgabe ausgebildet. Die Vereinigten Arabischen Emirate gelten auch als zentrales Logistik- und Finanzierungszentrum für die berüchtigte russische Wagner-Gruppe und deren Aktivitäten etwa im Sudan.

"Ein Bruch mit der Vergangenheit"

Sollte eine emiratische Fremdenlegion tatsächlich Realität werden, würde sie sich von einer gewöhnlichen Söldnertruppe unterscheiden - zumindest so, wie sie aktuell in der Stellenanzeige beschrieben ist. "Heuert man Söldner an, bedeutet das jede Menge Kopfschmerzen", sagt Experte McFate, der selbst als privater Militärunternehmer gearbeitet hat. "Man denkt dann vor allem an Begriffe wie Sicherheit, Verantwortung und Verrat. Das ist nicht sonderlich verwunderlich.

Denn Söldner sind wie Feuer: Sie können Ihr Haus niederbrennen oder eine Dampfmaschine antreiben", so McFate. "Als Lösung bietet sich darum die Einrichtung einer Fremdenlegion an." 

Der Grund: Eine solche Legion unterzeichnet in der Regel langfristige Verträge, ist meist Teil einer nationalen Armee und unterliegt zudem örtlichen Regeln und Vorschriften. "Eine Fremdenlegion bedeutet für die VAE eine Art Bruch mit der Vergangenheit", sagt Andreas Krieg. "Denn diese Gruppe ist stärker institutionalisiert und agiert weniger improvisiert, als es bei anderen Einsätzen, an denen die VAE beteiligt waren, der Fall war. Das gibt den VAE die Möglichkeit, zumindest in Ansätzen legal zu rekrutieren".

"Es könnte sogar ein ganz neues Modell werden", so Krieg. "Denn wann immer jemand die Emirate wegen ihrer Söldneraktivitäten anprangert, bei denen sie potenzielle Kriegsverbrechen begehen oder diese vielleicht unterstützen, können diese - wenn sie sich eines etablierten Modells wie der französischen Fremdenlegion bedienen - ablenken und sagen: 'Die Franzosen tun das. Warum können wir das nicht auch tun?'"

Einsatz eines privaten Sicherheitsunternehmens vor der Küste Somalias (26.11.2023)
Einsatz eines privaten Sicherheitsunternehmens vor der Küste Somalias (im November)null Jackson Njehia/AP Photo/picture alliance

In einer Zeit, in der die Welt zunehmend multipolar werde und die Außenpolitik weniger ideologiegetrieben, sondern zunehmend konkrete Interessen verfolge, dürften private Akteure interessanter werden, glaubt Sean McFate. Mit der Folge, dass Konflikte stärker kommerzialisiert werden. Die VAE mit ihrer autoritären Führung, ihrem großen Reichtum und wenigen gesetzlichen Beschränkungen nutzten dies für ihre Zwecke.

"In den vergangenen 20 Jahren haben wir eine Kommerzialisierung von Kriegen erlebt", bestätigt auch Andreas Krieg. "Private und öffentliche Institutionen arbeiten im Krieg immer enger zusammen, sodass man kaum mehr sagen kann, ob es sich um eine staatliche oder nur um eine private Angelegenheit handelt. Es ist eine Mischung aus beidem." Die Emirate seien Meister in dieser Praxis, so Krieg: "Sie nutzen diese Grauzone schon seit Jahren."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Iran und Israel: Eskalation eines Schattenkrieges

Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen hat Israel auch seine Angriffe auf Teherans Verbündete im Libanon und Syrien verstärkt. In diesem Kontext waren bei Luftangriffen auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Syriens Hauptstadt Damaskus Anfang April mindestens 13 Menschen getötet worden, darunter sieben hochrangige Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden. Der Iran, Syrien und Russland machten Israel für den Angriff verantwortlich. Israel selbst äußerte sich nicht zu diesem Vorfall.

"Der Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude war beispiellos. Nach einem langen Schattenkrieg mit dem Iran scheint Israel seine Strategie geändert zu haben", sagt der Nahost-Experte Arash Azizi gegenüber der DW. Azizi unterrichtet Geschichte und Politikwissenschaften an der Clemson University im US-Bundesstaat South Carolina. Er ist der Autor des Buchs "The Shadow Commander" über den Anfang 2020 durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff getöteten General der Revolutionsgarden Quasem Soleimani und die regionalen Ambitionen Irans.

Die Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden spielen eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung und Finanzierung der Hisbollah-Miliz im Libanon, die für zahlreiche Anschläge gegen Israel verantwortlich ist. Als Reaktion auf den Angriff auf das Konsulat in Damaskus droht die Führung in Teheran, israelische Vertretungen im Ausland ins Visir zu nehmen.

Syrien, Damaskus | Nach dem Angriff die iranische Botschaft
Das zerstörte Gebäude der iranischen Botschaft in Damaskus null Omar Sanadiki/AP/dpa/picture alliance

Der Iran sei gezwungen, auf die gezielten Tötungen hochrangiger Offiziere der Revolutionsgarden zu reagieren, meint Azizi. "Wenn der Iran jetzt nicht reagiert, würde das heißen, dass der Iran keine Abschreckungsmöglichkeiten gegen Israel hat".

Azizi geht gleichzeitig davon aus, dass die Reaktion des Iran in einem beschränkten Rahmen bleibt. Der Iran suche jetzt keine große militärische Konfrontation mit Israel. Denn ein Angriff auf Israel könnte die USA zwingen, sich in den Konflikt einzumischen, was unabsehbare Folgen für Teheran haben könnte.

Aus Verbündeten wurden Feinde

Der Iran und Israel sind seit Jahrzehnten verfeindet. Teheran spricht Israel das Existenzrecht ab und droht dem "zionistischen Regime" mit Vernichtung. Israel seinerseits betrachtet den Iran als seinen Erzfeind. Das war aber nicht immer so. 

Bis zur Islamischen Revolution 1979 im Iran waren beide Länder eng verbündet. Der Iran zählte sogar zu den ersten Staaten, die 1948 das Existenzrecht Israels und seine Unabhängigkeit  anerkannten. Israel betrachtete im Nahostkonflikt den Iran als Alliierten gegenüber den arabischen Staaten. Für Teheran bildete das ebenfalls von Washington unterstützte Israel ein willkommenes politisches Gegengewicht zu den arabischen Nachbarländern.

Karte Iran Israel EN
Der Iran und Israel teilen keine gemeinsame Grenze

Israel bildete iranische Agrarexperten aus, lieferte technisches Know-how und half beim Aufbau und Training der persischen Streitkräfte. Der Schah bezahlte dafür mit Öl, das im wirtschaftlich aufstrebenden Israel dringend gebraucht wurde.

Im Iran lebte die zweitgrößte jüdische Gemeinde außerhalb Israels. Nach der Revolution verließ zwar ein größerer Teil der Juden das Land. Doch noch heute leben mehr als 20.000 Juden im Iran. 

Wendepunkt Islamische Revolution

Nach dem Sieg der islamischen Revolution im Iran 1979 und der Machtübernahme des religiösen Flügels innerhalb der Revolutionäre unter Ajatollah Ruhollah Chomeini annullierte Teheran alle Verträge mit Israel. Ajatollah Chomeini kritisierte Israel wiederholt scharf für seine Besetzung palästinensischer Gebiete. Teheran entwickelte Schritt für Schritt eine gegen Israel gerichtete scharfe Rhetorik mit dem Ziel, die Gunst der arabischen Staaten zu gewinnen oder zumindest die Sympathie der Bevölkerung in diesen Ländern. Das Regime im Iran wollte so den eigenen Einfluss zu vergrößern.

Als Israel 1982 in den libanesischen Bürgerkrieg eingriff und in den Süden des Landes einmarschierte, schickte auch Chomeini iranische Revolutionsgarden nach Beirut, um die dortigen schiitischen Milizen zu unterstützen. Bis heute gilt die damals entstandene Hisbollah-Miliz als verlängerter Arm Teherans im Libanon.

Warum Iran und Israel Feinde sind

Irans derzeitiger religiöser Führer Ayatollah Ali Chamenei, der in allen Angelegenheiten das letzte Wort hat, führt diese Politik fort. Chamenei und die gesamte Führung der Islamischen Republik Iran stellen zudem immer wieder die historische Realität der systematischen Massenvernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus in Frage und versuchen sie zu relativieren und gar zu leugnen.

Israel-Politik des Regimes auch im Iran umstritten

Die Feindschaft und der Hass der Teheraner Führung auf Israel wird nicht uneingeschränkt von der Gesellschaft mitgetragen. "Der Iran muss sein Verhältnis zu Israel auf den Prüfstand stellen, denn es ist nicht mehr zeitgemäß", sagte Faezeh Hashemi Rafsandschani Ende 2021 in einem Interview. Faezeh ist die Tochter des ehemaligen Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und ehemalige Abgeordnete des iranischen Parlaments. Sie betonte, auch die muslimischen Uiguren in China und die Tschetschenen in Russland würden unterdrückt. "Trotzdem hat Iran enge Beziehungen zu Russland und China".

Auch der prominente regierungskritische Politologe Sadegh Zibakalam kritisierte wiederholt die iranische Israel-Politik. "Diese Haltung hat das Land auf der internationalen Bühne isoliert", betont der Professor an der Universität Teheran 2022 in einem Gespräch mit der DW. 

Iran | Quds-Tag | Teheran
Trauerfeier in der Hauptstadt Teheran für Mitglieder der Revolutionsgarde, die bei dem Luftangriff getötet wurdennull Vahid Salemi/AP/dpa/picture alliance

Die Feindschaft zu Israel und die Politik des Widerstands gegen die Großmächte findet aber unter den treuen Anhängern des Islamischen Republik Unterstützer.

Es gebe innerhalb der Unterstützerbasis des Regimes im Land, aber auch regional innerhalb der so genannten "Achse des Widerstands",  "einige Frustration" über die iranische Zurückhaltung bei Angriffen Israels im Kontext von Gaza auch gegen den Iran, meint Ali Fathollah-Nejad, Direktor der Berliner Denkfabrik Center for Middle East and Global Order (CMEG) im Gespräch mit der DW. Der Iran-Experte sieht eine "hohe Frustration über die mangelnde Glaubwürdigkeit des Irans als Hauptunterstützer des palästinensischen Anliegens und über die iranische Zurückhaltung, Israel direkt zu konfrontieren."

Fathollah-Nejad geht davon aus, dass der Iran seine pro-iranischen Milizen etwa in Syrien, im Irak oder die Huthis im Jemen nutzen wird, um Vergeltung zu üben.

IGH: Deutschland weist Nicaraguas Vorwürfe zurück

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich an diesem Dienstag vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegen Nicaraguas Vorwürfe verteidigt, Beihilfe zu einem Verstoß gegen die Genozid-Konvention zu leisten. Die deutsche Prozessbevollmächtigte Tania von Uslar-Gleichen wies dies zurück; die Anschuldigungen hätten weder eine faktische noch rechtliche Grundlage. Außerdem warf sie Nicaragua vor, eine einseitige Sicht auf den Nahost-Konflikt einzunehmen.

Mit seiner Klage vom 1. März macht Nicaragua geltend, dass Deutschland insbesondere durch Waffenlieferungen an Israel sowie durch das Zurückhalten von Geldern für das Palästinenserhilfswerk UNRWA "Beihilfe zur Verübung eines Völkermordes" begehen würde. Zumindest verstoße es gegen seine Verpflichtung, alles zu tun, um einen solchen zu verhindern. Nicaragua beruft sich nicht nur auf die Völkermordkonvention aus dem Jahre 1948, sondern auch auf internationales humanitäres Recht wie die Genfer Konventionen sowie andere Regeln des Völkerrechts.

Niederlande | Internationaler Gerichtshof in Den Haag | Carlos Jose Arguello Gomez
Der nicaraguanische Botschafter in den Niederlanden, Carlos José Arguello Gomez, vertritt sein Land beim IGHnull Robin van Lonkhuijsen/ANP/IMAGO

In den Verhandlungen zu Beginn dieser Woche ging es allerdings zunächst um von Nicaragua ebenfalls beantragte "vorläufige Maßnahmen". Nicaragua will beispielsweise, dass Deutschland seine militärische Unterstützung für Israel sofort einstellt und seine Entscheidung bezüglich der UNRWA revidiert. Auch solle der Gerichtshof anordnen, dass Deutschland jede mögliche Anstrengung unternehmen solle, um sicherzustellen, dass bereits an Israel gelieferte Waffen nicht für die vorgeworfenen Rechtsverstöße genutzt werden. 

Nicaragua: Deutschland kennt Völkermord-Risiko

Deutschland "wusste und weiß zumindest von einem Risiko, dass ein Völkermord verübt wird", führte der nicaraguanische Vertreter Carlos José Aguello Gomez aus. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als der IGH vorläufige Maßnahmen gegen Israel verhängte, hätten bei Deutschland alle Alarmglocken schrillen müssen, so der nicaraguanische Botschafter in den Niederlanden.

Im vergangenen Jahr hatte Südafrika eine Klage gegen Israel eingebracht wegen des Vorwurfes der Verletzung der Völkermordkonvention. Am 26. Januar verhängte der IGH vorläufige Maßnahmen gegen Israel und forderte das Land auf, "alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza zu vermeiden". Im März forderte der IGH Israel erneut dazu auf, mehr Hilfe in den Gazastreifen zu lassen.

Auflagen für Israel im Gazastreifen

Deutsche Waffenlieferungen an Israel vor Gericht

"Export-Lizenzen für militärische Ausrüstung im Wert von fast 300 Millionen Euro wurden durch deutsche Behörden an Israel vor dem Hintergrund der speziellen Situation des israelischen Krieges in Gaza prioritär vergeben", sagte der Jurist Daniel Müller, der Nicaragua vertritt. Rüstungsgüter im Wert von 20 Millionen Euro davon seien Kriegswaffen gewesen. Unter anderem seien 3000 Panzerabwehrwaffen, 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehre und 44 Treibladungen nach Israel geschickt worden, so Müller unter Berufung auf Zahlen der deutschen Regierung.

Deutschlang gilt neben den USA als Israels engster Verbündeter und ist nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI nach den USA Israels zweitgrößter Waffenlieferant im Zeitraum von 2019 bis 2023 gewesen. Gegen die Vereinigten Staaten kann Nicaragua nicht unmittelbar vorgehen, da sich diese nicht der Rechtsprechung des IGH unterworfen haben.

Israel will mehr Hilfen in Gazastreifen lassen

Deutschland ist sich historischer Verantwortung bewusst 

Israel geht seit dem Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas am 7. Oktober, bei dem rund 1200 Menschen getötet wurden, gegen diese vor. Bei den Angriffen im Gazastreifen sollen nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 33.000 Menschen getötet worden sein. Israel beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung und hat Völkermordvorwürfe entschieden zurückgewiesen.

Auch Deutschland betont Israels Recht auf Selbstverteidigung, während es gleichzeitig auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts pocht. In den vergangenen Wochen wurde der Ton Deutschlands - wie auch der der USA - diesbezüglich schärfer.

Zu Beginn der Verteidigung unterstrich die deutsche Vertreterin Tania von Uslar-Gleichen nochmals die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel: "Unsere Geschichte ist der Grund, weshalb Israels Sicherheit im Zentrum der deutschen Außenpolitik steht", führte von Uslar-Gleichen einleitend aus. Mit der deutschen Einlassung wolle man aber vor allem auch "die Dinge richtigstellen", was die Angaben Nicaraguas etwa zur Anzahl und Qualität von Waffenlieferungen an Israel angehe.

Waffenlieferung ist nicht gleich Waffenlieferung

In seinen Ausführungen zur deutschen Sicht auf die Faktenlage führte Völkerrechtler Christian Tams aus, dass bei den Waffenlieferungen zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern unterschieden werde. Bei 98 Prozent der seit dem 7. Oktober lizenzierten Waffenexporte habe es sich um sonstige Rüstungsgüter gehandelt, welche normalerweise eine untergeordnete oder defensive Funktion hätten.

Niederlande Internationaler Gerichtshof Den Haag | Nicaragua gegen deutsche Waffenlieferungen an Israel
Eine Entscheidung des Gerichtes über die Verhängung vorläufiger Maßnahmen wird in wenigen Wochen erwartetnull Piroschka van de Wouw/REUTERS

Seit Oktober 2023 seien weder Artilleriegranaten noch Munition für den Export nach Israel lizensiert worden, so Tams. Bei den von Nicaragua genannten lizenzierten Exporten handele es sich vorwiegend um Test- oder Trainingsmunition, die nicht für den Kriegseinsatz geeignet sei. Die deutschen Genehmigungsverfahren sollten insbesondere dazu dienen, die Einhaltung internationaler humanitärer Verpflichtungen sicherzustellen und würden über internationale Vorgaben hinausgehen.

Keine Auswirkungen der Einstellung von UNRWA-Geldern

Auch den Vorwurf, Deutschland habe der UNRWA Gelder entzogen, versuchte Tams zu entkräften. Die temporäre Entscheidung vom 27. Januar, die Zahlungen auszusetzen, hätte insbesondere deshalb keine konkreten Auswirkungen gehabt, da zu diesem Zeitpunkt gar keine einschlägigen Zahlungen angestanden hätten. Vielmehr habe Deutschland - auch über andere Organisationen - seine humanitäre Hilfe für die Palästinenser aufgestockt.

Ein weiteres Argument Deutschlands war unter anderem, dass es ohne eine Beteiligung Israels gar kein Verfahren geben könne. Deutschland hat beantragt, keine vorläufigen Maßnahmen zu verhängen sowie den Fall aus dem Register des Gerichts zu streichen. Eine Entscheidung des Gerichtshofes wird in wenigen Wochen erwartet.

Iran: Keine Moschee für Sunniten in der Hauptstadt

Am 9. April feiern Muslime weltweit das Ende des Fastenmonats Ramadan. Das Fest des Fastenbrechens oder Zuckerfest ist ein hoher islamischer Feiertag; gläubige Muslime beginnen ihn morgens früh mit einem gemeinsamen Gebet. "Auch 45 Jahre nach der Gründung der Islamischen Republik im Iran haben die Sunniten immer noch keine eigene Moschee in der Hauptstadt Teheran, um dieses Fest mit einem gemeinsamen Gebet feiern zu können", klagt die Frauenaktivistin Fariba Balouch. Sie wurde in eine sunnitischen Familie hineingeboren und ist in der ostiranischen Provinz Sistan und Belutschistan aufgewachsen.

Knapp die Hälfte der 3,2 Millionen Menschen in der Region an der pakistanisch-afghanischen Grenze sind Sunniten. Im schiitisch geprägten Iran gehören sie zu einer religiösen Minderheit. Geschätzt etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung im Iran sind Sunniten. "Aufgrund unserer Religion werden wir unterdrückt", erklärt Fariba Balouch im Gespräch mit der DW. Die Frauenaktivistin lebt seit vier Jahren im Exil in London und versucht, den Unterdrückten in ihrem Heimatland eine Stimme zu geben.

Iran Dorf
Die Provinz Sistan und Belutschistan ist eine der ärmsten im Irannull tasnimnews

Sie fügt hinzu: "Sunniten im Iran dürfen keine wichtigen politischen Ämter bekleiden; sie können weder Präsident noch Chef der Justiz werden noch Mitglied des Wächterrats sein oder politische Parteien gründen oder Zeitungen oder Zeitschriften besitzen. Wir sind nicht einmal Bürger zweiter Klasse: Wir haben so gut wie keine Rechte", betont Balouch.

Systematische Benachteiligung der Sunniten

Die Provinz Sistan und Belutschistan ist eine der ärmsten im Iran. Von den Einnahmen aus der Förderung von Bodenschätzen wie Öl und Gas gelangt kaum etwas dorthin. Kleine Städte und Dörfer der Provinz haben keine Schulen, keinen Strom und auch keine Wasserversorgung. Aufgrund anhaltender Dürre und schlechtem Wassermanagement in der Landwirtschaft ist Wasser sehr knapp. Die Provinz sowie andere Regionen an den Grenzen des Landes, in denen viele Sunniten leben, werden systematisch benachteiligt. Zu den sunnitischen Minderheiten im Iran zählen die Turkmenen im Nordosten, die Kurden im Westen, Araber im Südwesten und Belutschen im Südosten.

Karte Iran mit der Provinz Sistan und Baluchestan
Provinz Sistan und Belutschistan im Südosten

Von den rund 1,6 Milliarden Muslimen weltweit sind schätzungsweise 85 bis 90 Prozent Sunniten. Nur im Irak, Aserbaidschan, Bahrain und im Iran bilden Schiiten die Mehrheit. Im Iran ist das Schiitentum seit dem 16. Jahrhundert Staatsreligion. Aus machtpolitischen Gründen und im Konflikt mit dem sunnitischen Osmanischen Reich hatte damals Schah Ismail, Begründer der Safawiden-Dynastie im Iran, das Schiitentum zur Staatsreligion erklärt. Um die Verteidigung des Landes gegen die Osmanen zu stärken, nutze er den ideologisch-konfessionellen Konflikt und stellte sich als Schutzherr der Schiiten dar.

Druck seitens der schiitischen Machthaber

"Die schiitischen Machthaber im Iran verlangen von den sunnitischen Minderheiten des Landes absoluten Gehorsam und Loyalität", schreibt der Theologe Hassan Yussefi Eshkevari auf Anfrage der DW. Der schiitische Geistliche mit dem religiösen Titel Hodschatoleslam gehört zu den bekanntesten Islamforschern des Iran.

Hinrichtungsstaat Nr. 1: Iran

Aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber dem Klerus im Iran wurde Eshkevari im Jahr 2000 in einem geheimen Prozess vom "Sondergericht für Geistliche" zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde ein Jahr später vom Berufungsgericht aufgehoben. 2005 wurde er aus dem Gefängnis freigelassen; er verließ daraufhin das Land, um im Exil in Deutschland zu leben.

"Seit der Revolution von 1979 bekämpfen und unterdrücken die Machthaber jegliche Art von Meinungsvielfalt", erklärt Eshkevari und betont: "Betroffen sind davon religiöse Minderheiten wie Sunniten, Sufi-Orden und Bahai und auch Schiiten mit abweichenden Ansichten, deren Überzeugungen in der Islamischen Republik als antischiitisch interpretiert werden. Neben den politisch-religiösen Autoritäten im Zentrum der Islamischen Republik Iran gibt es weitere schiitische Gelehrte, die die Einschränkungen für Sunniten im Iran unterstützen. Die Weigerung, eine sunnitische Moschee in der Hauptstadt zu errichten, ist hauptsächlich auf den oft verborgenen Druck der religiösen Autoritäten aus dem schiitischen Zentrum des Landes in der Stadt Ghom zurückzuführen. Sie nutzen inoffiziell und heimlich ihren Einfluss, um dies zu verhindern."

Massaker an gläubigen Muslimen

Der Druck auf sunnitische Minderheiten ist in den vergangenen beiden Jahren weiter gewachsen. Im Zuge landesweiter Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam entwickelte sich Zahedan, die Hauptstadt der Provinz Sistan und Belutschistan, zur Protesthochburg. Monatelang versammelten sich Protestierende nach jedem Freitagsgebet auf den Straßen. "Das Massaker vom 30. September 2022 werden wir nie vergessen", sagt Fariba Balouch.

Iran Proteste
Während der landesweiten Proteste 2022 entwickelte sich Zahedan, die Hauptstadt von Sistan und Belutschistan, zur Protesthochburg null UGC/AFP

An diesem Tag wurden in Zahedan innerhalb mehrerer Stunden mehr als 80 Menschen von Sicherheitskräften erschossen. Einige von waren auf den Dächern in der Umgebung der Großmoschee der Stadt in Stellung gegangen und eröffneten das Feuer auf eine Menschenmenge, die sich nach dem Freitagsgebet auf den Straßen versammelt hatte. In Zahedan gibt es die einzige Großmoschee für Sunniten. "Vor dieser Moschee in einem islamischen Land wurden gläubige Muslime erschlossen, weil sie friedlich protestierten. Das allein zeigt, welche Bürgerrechte sunnitischen Minderheiten haben - nämlich gar keine", kritisiert die Aktivistin Balouch.

Nach den Protesten mit dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" ist die Zahl der Hinrichtungen im Iran drastisch gestiegen. Ein Fünftel der mindestens 834 Menschen, die im Jahr 2023 im Iran hingerichtet wurden, waren Angehörige der sunnitischen Minderheit der Belutschen. Überdurchschnittlich viele: Nur jeder zwanzigste iranische Staatsbürger gehört der Minderheit der Belutschen an.

Trauer und Wut sechs Monate nach dem Terrorangriff der Hamas

Avidor Schwartzman war in seinem Haus in Kfar Aza, als am 7. Oktober Hamas-Kämpfer in den Kibbuz im Süden Israels einfielen. Der 38-Jährige schloss sich mit seiner Frau Keren und dem gemeinsamen Baby im Schutzraum ein. Es dauerte 16 Stunden, bis sie vom israelischen Militär gerettet wurden.

"In diesen Stunden konnten wir kaum etwas trinken", erinnert er sich. "Alles Wasser, das wir hatten, verwendeten wir für die Säuglingsnahrung für unser Kind." Bald nach ihrer Befreiung mussten sie erfahren, dass Kerens Eltern, Cindy und Igal Flash, zu den 1200 Israelis gehörten, die während des Terror-Angriffs getötet worden waren.

Außerdem verschleppte die Hamas, die von Israel, den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Deutschland und anderen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, 240 Geiseln in den Gazastreifen.

"Wir haben beide fest an Frieden und Menschenrechte für alle geglaubt", sagt Schwartzman der DW. Seit ihrer Flucht aus Kfar Aza leben er und seine Familie in Shefayim, einem Kibbuz 20 Kilometer nördlich von Tel Aviv. Nach Monaten in einem kleinen Hotelzimmer werden sie bald in einen 45 Quadratmeter großen Wohnwagen im Kibbuz umziehen.

Familienmitglieder der Geiseln stehen rechts und links von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und halten Fotos von Geiseln in den Händen.
Empfang bei Außenministerin Annalena Baerbock (Mitte): Angehörige von Geiseln kamen auch nach Deutschland, um auf das Schicksal ihrer Familienmitglieder aufmerksam zu machennull Dominik Butzmann/AA/photothek/picture alliance

Erst vor kurzem kehrte Schwartzman nach Kfar Aza zurück, um zu sehen, was von seinem Haus noch übrig ist. Die Wände waren von Einschusslöchern übersät, Fenster und Türen standen offen. "Ich hatte das Gefühl, dass unser Zuhause, unser persönlicher Raum, verletzt worden war", erzählt er.

Immer mehr Tote

Sechs Monate sind seit dem Anschlag am 7. Oktober und dem Beginn des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen vergangen. Seitdem sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 33.000 Menschen getötet worden.

Im November wurden einige Geiseln gegen in Israel inhaftierte palästinensische Gefangene ausgetauscht. Noch immer jedoch befinden sich etwa 130 Geiseln in Gefangenschaft der Hamas.

Der Großteil der jüdischen israelischen Bevölkerung unterstützt den Israel-Hamas-Krieg im Gazastreifen. Doch es herrscht nicht immer Einigkeit darüber, worauf das Land sich nun konzentrieren sollte. Laut Zahlen des Israel Democracy Institute, einer Denkfabrik mit Sitz in Jerusalem, sprachen sich im Januar 47 Prozent der jüdischen Israelis dafür aus, vorrangig auf eine Rückkehr der Geiseln hinzuarbeiten. 42 Prozent gaben dagegen der Entmachtung der Hamas im Gazastreifen Vorrang.

Kibbuz Be'eri - Erinnerung an den Schrecken des 7. Oktober

Laut einer im Februar durchgeführten Umfrage des Jewish People Policy Institute befürworteten 40 Prozent der Befragten die Vernichtung der Hamas, während für 32 Prozent die Befreiung der Geiseln einen höheren Stellenwert hatte.

Zudem wird debattiert, zu welchen Zugeständnissen Israel bereit sein sollte, um die Geiseln zurückzubekommen. Dies betrifft insbesondere die Freilassung von in Israel inhaftierten palästinensischen Gefangenen, die "Blut an den Händen" haben.

Viele Israelis gehen jedoch auf die Straße und fordern die Rückkehr der von der Hamas gefangen gehaltenen Geiseln. Für Schwartzman ist es das einzige Ziel, das für die Zukunft des Landes zählt. "Das einzig Richtige, das wir tun können, ist sicherzustellen, dass sie nach Hause kommen", meint er. "Diesen Krieg haben wir bereits am 7. Oktober verloren."

Bei Protesten gegen die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu tragen Menschen israelische Flaggen und Plakate, u.a. mit dem Porträt Netanjahus, der einen großen roten Handabdruck im Gesicht hat
Immer wieder gehen Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu protestierennull Leo Correa/AP Photo/picture alliance

Kampagne für die Freilassung der Geiseln

Auch für Michael Levy ist es das vordringlichste Ziel, dass die Geiseln zurückkehren. Er tut wie andere Familienangehörige von Geiseln sein Bestes, um deren Schicksal im Bewusstsein der Öffentlichkeit wach zu halten.

Sein Bruder Or ist einer derjenigen, die im Gazastreifen festgehalten werden. Or Levy und seine Frau Eynav besuchten das Musikfestival in Re'im, das von Hamas-Terroristen angegriffen wurde. Michael Levy weiß noch gut, wie er am Morgen des Angriffs immer wieder bei den Krankenhäusern in der Umgebung anrief, in der Hoffnung, etwas über seinen Bruder und seine Schwägerin zu erfahren.

Wie sich herausstellte, war sein Bruder entführt, seine Schwägerin getötet worden. Um Almog, den zweieinhalbjährigen Sohn des Paares, kümmern sich nun beide Großeltern.

"Es geht um meinen Bruder"

"Wir wissen, dass mein Bruder lebt, und dass er nicht verletzt wurde. Wir haben keinen Grund, etwas anderes anzunehmen", sagt Levy. In den vergangenen sechs Monaten hat er unentwegt daran gearbeitet, die Erinnerung an die Geisel wachzuhalten. Nur so kann er mit der grausamen Situation seit der Entführung seines Bruders umgehen.

"Ich tue, was ich kann, um das Bewusstsein daran wachzuhalten und praktisch auf jeden Druck auszuüben. Ich bin durch die Welt gereist, war in neun verschiedenen Ländern, habe mit einflussreichen Menschen gesprochen, mit Präsidenten, Außenministern, den Medien. Ich habe sogar den Papst getroffen."

Plakate mit Konterfeis der Geiseln
Auf dem Flughafen Ben Gurion erinnern Plakate an die Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden.null Tania Kraemer/DW

"Es geht hier um meinen Bruder. Er hat einen zweieinhalbjährigen Sohn, der seine Mutter verloren hat. Mein Bruder ist der einzige verbliebene Elternteil. Und die Welt hat dazu nichts zu sagen", klagt Levy. Er vermisse seinen Bruder in den kleinen, alltäglichen Momenten. Or beschreibt er lächelnd als das "nervige Genie der Familie".

"Wir haben alle Geschwister, und wir halten es für selbstverständlich, das Telefon in die Hand zu nehmen und mit ihnen zu sprechen", sagt Levy. "Ich hoffe so sehr, dass ich ihn anrufen und ihm sagen kann, dass ich ihn liebe. Das kann ich jetzt nicht, und ich bedaure, dass ich es nicht öfter getan habe."

Hoffnung auf ein Abkommen

Die scheinbaren Fort- und Rückschritte bei den indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas seien eine Achterbahnfahrt der Gefühle, sagt Levy. Er gehört zu denen, die den Eindruck haben, dass nicht genug getan werde, um die verbliebenen Geiseln freizubekommen. Bei etwa 30 von ihnen wird angenommen, dass sie nicht mehr am Leben sind. 

"Sie wissen, was sie zu tun haben. Sie wissen, dass es ihre Pflicht ist. Und sie wissen, dass nichts, was Israel in diesem Krieg erreicht, etwas zählt, wenn die Geiseln nicht freikommen", betont Levy. "Die Tatsache, dass die Geiseln noch nicht zu Hause sind, heißt, dass wir nicht genügend tun."

Angehörige von Geiseln beschmieren in der Knesset Scheiben mit gelber Farbe
Angehörige von Geiseln protestieren in der Knesset, dem israelischen Parlament, um die Erinnerung an die Geiseln wachzuhalten.null Oren Ben Hakoon/REUTERS

Gil Dickmann ist der Cousin von Carmel Gat, einer weiteren Geisel, die von der Hamas im Gazastreifen festgehalten wird. Seit dem 7. Oktober dreht sich sein ganzes Leben um die Kampagne zur Freilassung der Geiseln.

Vergangenen Oktober sollte er eigentlich sein Studium aufnehmen. Doch er sagt, dass die Familien trotz der vielen Momente der Verzweiflung das Gefühl hätten, nicht aufgeben zu können.

Rechte Hetze im Netz

"Wenn wir irgendwann hören, dass Carmel nicht mehr lebt, und wir wissen, dass wir mehr hätten tun können, um sie zu retten, werden wir uns das nie verzeihen können." Dickmann zählt zu den Familienangehörigen, die in den sozialen Medien heftig kritisiert wurden. Hauptsächlich kommt die Kritik von Accounts, die den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und extrem-rechte Elemente seiner Regierungskoalition unterstützen.

In diesen Kreisen wird immer wieder der Vorwurf erhoben, dass die Unterstützer der Kampagne für die Freilassung der Geiseln die Regierung stürzen und der Hamas helfen wollten. Dickmann weist jedoch auch darauf hin, dass er und andere Familienmitglieder Unterstützung durch die israelische Öffentlichkeit erfahren haben, unabhängig von der jeweiligen politischen Überzeugung.

"Die Angriffe auf uns und auf mich persönlich sind nicht repräsentativ für die Mehrheit der israelischen Bevölkerung", sagt er. Er habe die Hoffnung nicht verloren, dass die Regierung auch ohne einen Wechsel an der Spitze eine Einigung erzielen könne. Ein Regierungswechsel wurde in den vergangenen Wochen von vielen Demonstrierenden in Israel gefordert. "Einige haben den Glauben verloren, dass diese Regierung ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln erreichen kann. Ich habe das nicht, zumindest nicht bis heute", betont er.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Krieg in Gaza: Wie stark ist die Hamas?

Grundsätzlich waren sich Vertreter Israels und der USA in einer Videokonferenz Anfang April einig: Um die Hamas militärisch zu besiegen, müsse Israel die Gruppe auch in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens attackieren. "Sie (die Vertreter beider Staaten, Anm. d. Red.) waren sich über das gemeinsame Ziel einig, die Hamas in Rafah zu besiegen", heißt es in einer nach der Konferenz von beiden Seiten veröffentlichten Mitteilung. "Die US-Seite äußerte ihre Besorgnis über verschiedene Vorgehensweisen in Rafah. Die israelische Seite stimmte zu, diese Bedenken zu berücksichtigen."

Die Veröffentlichung deutet es an: Militärisch ist die von zahlreichen Ländern als Terrororganisation eingestufte Hamas noch nicht besiegt. Sie liefert sich auch nach mahr als einem halben Jahr Krieg weiterhin Kämpfe mit der israelischen Armee. Wie lange diese dauern, ist offen. Wie stark ist also die Hamas?

Schwer überprüfbare Zahlen 

Exakt lasse sich die Frage kaum beantworten, sagt der britische Polit-Analyst H. A. Hellyer vom Royal United Services Institute for Defence and Security Studies in London. Denn beide Seiten hätten Interesse daran, ihre Erfolge zu betonen. "Natürlich will die Hamas sagen, dass sie nicht ernsthaft geschlagen wurde, dass sie großartige Waffen hat oder ähnliches", so Hellyer. "Umgekehrt wollen die Israelis zum Ausdruck bringen, dass sie in ihren Zielen sehr erfolgreich waren. In dieser Hinsicht dürfte es also auf beiden Seiten eine Menge Propaganda geben. Ich nehme allerdings an, dass sie von den Israelis stärker betrieben wird, da sie an viel mehr Operationen beteiligt waren, die zudem ein Vielfaches an Opfern gefordert haben."

Hamas-Führer Jihia al-Sinwar spricht während einer Pressekonferenz, 2019
Von Israel gesucht: Jihia al-Sinwar, Kopf der Hamas im Gazastreifen, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2019 null Ashraf Amra/ZUMAPRESS/picture alliance

Deutlich spürbare Auswirkungen

Allerdings seien die Auswirkungen der Militärintervention durchaus spürbar, sagt Gil Murciano, geschäftsführender Direktor des Think Tanks Israeli Institute for Regional Foreign Policies. So nehme die Zahl abgefeuerter Raketen sehr deutlich ab - auch nahe der Grenze Israels zum Gazastreifen. "In diesem Gebiet ist die Zahl der Abschüsse wie auch der durch sie verursachten Verluste nahezu vollständig zurückgegangen." Zudem habe die Operation der israelischen Armee im mittleren Teil des Gazastreifens auch zur Zerstörung der Hauptproduktionslinien für fortschrittliche Waffen, Raketen, Drohnen und anderer Waffen geführt. "Das ist ein erheblicher Schaden für die militärischen Fähigkeiten, die die Hamas über viele Jahre aufgebaut hat."

Er gehe davon aus, dass rund 70 bis 80 Prozent des Raketenarsenals der Hamas zerstört worden sei, sagt Michael Milshtein, ehemals Angehöriger des israelischen Militärgeheimdienstes und heute Forscher am Moshe Dayan Center der Universität Tel Aviv. Das liege auch daran, dass es der Hamas zunehmend an Bauteilen fehle. "Der größte Teil des entsprechenden Nachschubs kam früher als Schmuggelware über den Grenzübergang bei Rafah. Der wird jetzt aber sehr penibel kontrolliert. Darum erhält die Hamas kaum noch Nachschub."

Probleme bereiteten der israelischen Armee allerdings weiterhin die Tunnel, so Milshtein. "Ich gehe davon aus, dass die Hamas noch über mindestens 50 Prozent ihrer Tunnel verfügt." Das mache ihre Bewegungen schwer berechenbar und biete ihren Kämpfern Schutz. 

Rapper ohne Hoffnung in Gaza

Hamas: erhebliche personelle Verluste

Personell hat die Hamas dem Militäranalysten Kobi Michael vom israelischen Think Tank Institute for National Security Studies zufolge erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Die israelische Armee habe 20 von rund 24 Bataillonen der Hamas zerstört, so Kobi Mitte März auf der Webseite des Instituts. Auch habe man strategische Ziele und militärische Produktionsstätten der Hamas ausschalten können. Dennoch werde sich die Gruppe auch auf Grundlage verminderter Kapazitäten regenerieren können. So könnten die Milizen den israelischen Streitkräften zwar weiterhin zusetzen - "allerdings ohne die fortschrittlichen Raketenfähigkeiten, die während dieses Krieges gezeigt wurden".

Ähnlich sieht es auch Murciano. Die Hamas könne zwar noch in kleinen Gruppen auf Grundlage von Guerilla-Taktiken operieren. Aber auf Bataillonsebene sei sie nicht mehr funktionsfähig. Einzige in der Stadt Rafah seien noch vier Bataillone präsent. "Die wurden durch die israelische Armee zwar geschwächt, sind aber immer noch funktionsfähig."

Allerdings sehe sich Israel einer Herausforderung gegenüber, sagt Milshtein. Zwar habe die Armee etwa ein Drittel der rund 30.000 Mitglieder der Miliz getötet, so dass sie derzeit nur über rund 20.000 Kämpfer verfüge. Allerdings könne die Hamas diese Lücke recht schnell schließen. "Denn dafür muss sie nicht viel mehr tun als junge Palästinenser zu rekrutieren. "Das dürfte ihr kaum Probleme bereiten. Denn in Gaza gibt es viele junge Palästinenser, die sich der Hamas anschließen wollen."

Ein zerstörtes Haus in Gaza
Ein zerstörtes Haus im Gazastreifen (Aufnahme vom 20.03.2024)null Ashraf Amra/Anadolu/picture alliance

Eine diffuse Bedrohung

So dürfte Israel wohl noch über längere Zeit mit dem anhaltenden bewaffneten Widerstand der Hamas konfrontiert sein, heißt es in einem Report des Office of the Director of National Intelligence der USA. "Das Militär wird damit beschäftigt sein, die Untergrundinfrastruktur der Hamas zu neutralisieren." 

Die Hamas dürfte keine derartige Bedrohung mehr sein wie noch vor einigen Monaten, meint H. A. Hellyer. "Ich glaube nicht, dass die Hamas in der Lage ist, einen ähnlichen Anschlag wie am 7. Oktober zu verüben. In dieser Hinsicht dürfte sie enorm zurückgeworfen worden sein."

Politische Kampagne unverzichtbar

Was es aber brauche, sei eine politische Kampagne, so Murciano. "Für den Gazastreifen ist eine politische Alternative nötig. Wenn man die nicht schafft, bringen die militärischen Erfolge letztlich gar nichts. Es gilt zu verhindern, dass im Gazastreifen ein politisches Vakuum entsteht. Denn das wird umgehend wieder militärisch gefüllt."

Gaza-Helfer: Situation "nicht in Worte zu fassen"