Ein Eierschalensollbruchstellenverursacher neben einem Ei

Nominale Wortungetüme

Kaum einer kann sie richtig aussprechen, die Wortzusammensetzungen. In der Bürokratie käme man ohne sie schwerlich aus. Für Schmunzeln sorgen Ungetüme wie der Eierschalensollbruchstellenverursacher allemal.

Zu einem gutbürgerlichen deutschen Frühstück, vor allem an Sonntagen, gehört das weich gekochte Ei. Damit es nicht kalt wird, bekommt es ein putziges Häubchen, das man auch "Frühstückseierwarmhaltehaube" nennen könnte.

Die Eifrage

Da steht es nun in seinem Eierbecher und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Wie wird der Frühstückseierverzehrer oder die Frühstückseieresserin vorgehen? Immer wieder wird in einschlägigen Zeitschriften die weltbewegende Frage aufgeworfen, wie das Ei politisch korrekt zu öffnen ist.

Da gibt es die Methode des Seitenhiebs mit dem Messer, das Eierköpfen – vornehmlich von Männern ausgeführt – und das sanfte Klopfen auf die Schale, das eher der weiblichen Hand ziemt, die das Ei auf diese Weise behutsam und so gut wie schmerzfrei öffnet.

Das Hilfswerkzeug

Welche Methode man auch immer wählt, es gibt eine weitere Variante. Ein Gerät nimmt einem die Arbeit mit dem Messer oder Löffel ab: der "Eierschalensollbruchstellenverursacher".

Dieses Frühstücksutensil ist ein Stückchen handgreifliche Alltagskultur, seine von einer Vertreiberfirma so gewählte Bezeichnung sprachliche Realität.

Hässlich bleibt hässlich

Wie das Gerät funktioniert, ist jetzt nicht so wichtig. Uns interessiert mehr das Wort als solches. Wie kaum eine andere Sprache kann die deutsche Sprache das, was wir beim Computer "komprimieren" nennen.

Dekomprimieren wir den Namen des Edelstahlhelfers beim Eieröffnen, käme etwa Folgendes heraus: "Gerät, das so gehandhabt werden kann, dass es an der gewünschten Stelle des Eis die Eierschale aufbricht." Das klingt zwar genauso hässlich wie die komprimierte Version, macht aber deutlich, was gemeint ist.

Nominalisierung

Wir nehmen ein einfacheres Beispiel aus dem Alltag – abseits des Frühstückstisches: Da wäre zum Beispiel das Wort "Straßenbahnhaltestelle". Klarer Fall: Das ist ein von den Verkehrsbetrieben einer Kommune und ihrer Verwaltung festgelegter Ort, an dem Straßenbahnen halten. Was wir etwas salopp als Komprimierung bezeichnet haben, heißt in der Sprache der Grammatik Nominalisierung.

Viele geläufige Nomina beruhen auf Verben beziehungsweise verbalen Ausdrücken. Zum Beispiel Verantwortung, KrankheitEinigkeit oder Hindernis. An den Endsilben -ung, -heit, -keit und -nis lassen sich solche Nominalisierungen leicht erkennen. Die einfachste Form der Nominalisierung ist die Großschreibung.

Einige Beispiele

Die Beispiele dafür sind zahllos. Nehmen wir die Verben lesen, schreiben, sehen, schreiben sie groß und versehen sie mit dem bestimmten Artikel; schon haben wir die nominalisierten Formen: Das Lesen, das Schreiben, das Sehen.

Nicht nur einzelne Wörter, ganze Sätze können im Deutschen nominalisiert werden. Beispiel: "Obwohl er laut rief, hörte ihn niemand." Dieses einfache Satzgefüge besteht aus Haupt- und Nebensatz. Die Nominalisierung lautet: "Trotz lauten Rufens hörte ihn niemand." Das Satzgefüge ist zu einem Hauptsatz geworden.

Verschlungene Pfade

Allzu leicht kann man sich nicht nur beim Thema "Nominalisierung" im System der Sprache verlaufen. Diese ist zwar kein Irrgarten, erweist sich aber oft genug als hoch kompliziertes System verschlungener Pfade und Wege. Dieses System bietet aber – und das ist einfach großartig – unbegrenzte Möglichkeiten, sich auszudrücken.

Der "Eierschalensollbruchstellenverursacher" ist zwar eine ungewöhnliche und mehr als holprige Wortschöpfung. Genau gesehen aber bezeichnet sie mit großer Präzision, was gemeint ist.

Fantasie ist gefragt

Mit ein bisschen Fantasie können wir uns auch die Leute vorstellen, die dieses Ding erfunden haben. Tüftler, denen beim Frühstück irgendwann die Idee kam, etwas zu konstruieren, was besser als das Eierköpfmesser oder der Eieraufklopflöffel funktionieren und somit alle bisherigen Frühstückseieröffnungsmethoden in den Schatten stellen sollte.

Wahre Ungetüme

Umso unverständlicher sind aber andere Wortungetüme, die vor allem in Politik und Wirtschaft gebräuchlich sind. Dazu zählen etwa Rindfleischetikettierungs-überwachungsaufgabenübertragungsgesetz, Containerschiffsgrößenentwicklungsverhinderungsmaß oder Eignungsfeststellungsprüfungsbedürftigkeitsprüfungsfragebogen. Als Wort-Winzling erscheint da der Eierschalensollbruchstellenverursacher!

Autor: Michael Utz

Redaktion: Beatrice Warken