Eiswein – ein besonderer Tropfen
Er ist zuckersüß und enthält meist nicht so viel Alkohol: Eiswein. Allerdings gibt es keinen Eiswein ohne Minustemperaturen unter sieben Grad. Für Winzer bedeutet das ein Roulette mit der Natur.
Die Weinproduktion hat in Deutschland eine lange Tradition, die Weinanbaugebiete des Landes sind weltberühmt. Wer das Wort „Wein“ hört, denkt an ein alkoholisches Getränk, hergestellt aus in der Sonne gereiften Trauben, die geerntet, gelesen, und dann zu Wein verarbeitet werden. Dass es aber auch einen Wein gibt, der aus gefrorenen Trauben gewonnen wurde, ist nicht so bekannt. Die Trauben, die zur Eisweinproduktion vorgesehen sind, hängen länger als sonst üblich am Rebstock und warten darauf, dass die Temperaturen auf Minusgrade fallen. Denn laut Weingesetz müssen die Trauben bei mindestens minus sieben Grad gelesen und gekeltert, gepresst, werden. Noch besser sind Temperaturen von minus zehn bis minus zwölf Grad. Normalerweise ist das bis in den Februar hinein möglich. Allerdings kann man, vor allem seit dem Klimawandel, nicht mehr sicher sein, ob es in einem Jahr einen Winter mit Frost gibt. Die Eisweinherstellung hat eine sehr lange Tradition. Schon der römische Schriftsteller Plinius berichtet im Jahr 44 nach Christus von Weinen, die aus gefrorenen Trauben gekeltert wurden. Aus Deutschland ist die Herstellung etwa seit 1830 bekannt. Rheinhessische Winzer stellten, so wird zumindest berichtet, eher zufällig fest, dass man aus gefrorenen Trauben einen wunderbar süßen Traubensaft gewinnen kann. Wenn die natürlichen Voraussetzungen stimmen, bedeutet das für Winzer, sehr früh aufzustehen. Das weiß auch Winzer Hans aus dem Rheingau, einer bekannten deutschen Weingegend. Es ist sechs Uhr morgens. Das Thermometer zeigt minus neun Grad Celsius. Die Kälte hat ihren Tiefpunkt erreicht, die Trauben an den Weinstöcken sind durchgefroren. Hans hat den richtigen Zeitpunkt abgepasst:
„Die letzte Nacht war für mich ganz aufregend. Ich war mehrmals draußen, hab mehrmals gefühlt an den Trauben, wie der Zustand ist. Und jetzt war’s heute morgen zwar an der Grenze, aber das Mostgewicht hat gezeigt mit 160 Oechsle, dass es hervorragend war.“
Die Erntetemperatur ist richtig, obwohl sie – wie Hans es ausdrückt – an der Grenze liegt, es also gerade noch geht. Sehr zufrieden ist er mit dem Mostgewicht. „Most“ ist ein sirupartiges, zuckerhaltiges Gemisch vor der Gärung, also der Umwandlung von Zucker in Alkohol. Das Mostgewicht kennzeichnet das Gewichtsverhältnis von einem Liter Most zu einem Liter Wasser, gemessen bei 20 Grad Celsius. Denn in den gefrorenen Trauben trennen sich Wasser und feste Bestandteile – zu 90 Prozent Zucker. Gemessen wird das Mostgewicht mit einem speziellen Gerät, das den Oechsle-Grad anzeigt, die Maßeinheit für das Mostgewicht. Benannt ist es nach dem Erfinder Ferdinand Oechsle. Hans erklärt, was das Besondere am Eiswein ist:
„Das Typische am Eiswein ist, dass man hohe Oechslegrade, also hohen Zucker [hat] – bei 160 Grad Oechsle, das entspricht ungefähr einem Zucker von 400 Gramm in einem Liter; das ist also enorm viel – und gleichzeitig hohe Säurewerte [hat]. Und das macht diese Weine auch so langlebig und endlos haltbar. Und die Hefe kann von diesem hohen Zucker nur einen Teil vergären. Der Rest bleibt als Traubenzucker in dem Wein erhalten.“
Das deutsche Weingesetz schreibt vor, dass das Mindestmostgewicht für Eiswein je nach Anbaugebiet 110 bis 128 Oechsle betragen muss. Weil die Weinhefe, eine aus Pilzen bestehende Substanz, nur einen Teil des Zuckers in Alkohol vergären, umwandeln, kann, bleibt etwas Traubenzucker, Glukose, im Wein enthalten. Deutsche Eisweine haben meist sehr hohe Restzuckergehalte von mehr als 100 Gramm pro Liter. Deshalb gehören sie zu den sogenannten edelsüßen Weinen, unterscheiden sich von anderen edelsüßen Weinen aber darin, dass durch das Gefrieren der Beeren am Rebstock zusätzlich auch ein vergleichsweise hoher Säuregrad erreicht wird. Dieser verleiht dem Eiswein einen erfrischenden Geschmack. Keine Zauberei also, sondern pure Physik. Allerdings produziert nicht jeder Winzerbetrieb in Deutschland auch Eiswein. Hans nennt ein paar Gründe:
„Einmal geht nicht jeder das Risiko ein, das ist ein Punkt. Der zweite Punkt: Es erfordert auch zusätzliche Arbeit, zusätzliche Investitionen – die Folie ist sehr teuer, die Vorarbeiten, die man leisten muss. Vor allen Dingen: Sie müssen auch die Leute bekommen, die bereit sind, wie heute jetzt, um sechs Uhr dann auf der Matte zu stehen, um bei minus sieben oder acht Grad sich kalte Finger zu holen. Und zum anderen muss man auch die Vermarktungsstruktur haben, um diese Weine in dem Preisbereich zu verkaufen.“
Eiswein produzieren zu wollen, ist wie Roulette, ein Glücksspiel. Man kann Glück haben, und es ist ein sehr kalter Winter. Aber auf das Klima und ausreichenden Frost ist nun mal kein Verlass. Weiterhin müssen die für die Eisweinproduktion vorgesehenen Rebstöcke, wenn die Trauben reif sind, von den Blättern befreit und in Kunststofffolie eingepackt werden – hauptsächlich damit Vögel die Trauben nicht fressen. Darüber hinaus muss man Erntehelferinnen und -helfer finden, die bereit sind, sehr früh aufzustehen, auf der Matte zu stehen, und bei frostigen Temperaturen die Trauben zu lesen. Und man muss – wie es Hans formuliert – eine Vermarktungsstruktur haben, muss für das eigene Produkt werben und Abnehmer finden, die bereit sind, den entsprechenden Preis zu bezahlen. Denn Eiswein ist nicht preiswert. So kann beispielsweise eine halbe Flasche der höchsten Qualitätsstufe ab 30 Euro und mehr kosten. Deutsche Eisweine genießen allerdings wegen des hohen Qualitätsstandards Weltruf. Denn Winzern in den USA oder Kanada ist es beispielsweise erlaubt, die Trauben künstlich einzufrieren oder vor der Gärung Zucker hinzuzugeben. So gibt es genug Eisweinliebhaber, die beim deutschen Produkt schon mal ins Schwärmen geraten – wie der britische Weinkritiker Stuart Pigott:
„Es ist ein unglaublich feiner Duft, intensiv, aber so subtil wie ein großes Parfüm. Und beim Geschmack ist diese Pikanz, diese ungeheure Lebendigkeit, was den deutschen Süßwein so genial macht. Es ist nicht nur ein angenehmer, süßer Geschmack, sondern unglaublich lebendig und erfrischend.“
Stuart Pigott schätzt den Duft und den Geschmack des deutschen Eisweins. Er findet ihn pikant, angenehm würzig, lebendig und den Duft so subtil wie ein Parfüm, fein und nicht aufdringlich. Eiswein ist also ein ganz besonderer Tropfen. Er kann der krönende Abschluss eines kulinarischen Abends sein. Dann am besten pur und als Dessertersatz.