In der Pause eine Jause
Ob Powidl, Maroni, Strudel oder Melanzani – in Österreich klingen viele Bezeichnungen für Lebensmittel nach deren Geschmack. Ein Blick in österreichische Kochtöpfe offenbart allerlei kulinarische Traditionen.
Die meisten Menschen denken bei österreichischem Essen wohl zunächst direkt an das berühmte Wiener Schnitzel, verschiedene Torten und den Apfelstrudel. Selbstverständlich umfasst die österreichische Küche viel mehr und lässt sich bestenfalls als international bezeichnen. Daher haben viele der vermeintlich typisch österreichischen Bezeichnungen ihren Ursprung in anderen Ländern, erklärt Dr. Brigitte Sorger von der Pädagogischen Hochschule Wien:
„Das sind die ganzen Einflüsse eben, die aus den anderen, speziell Monarchiesprachen kommen. Also von Melanzani, die eigentlich Auberginen im Bundesdeutschen sind, und Maroni aus dem Italienischen, über Strudel aus dem Türkischen eigentlich sogar. Palatschinken, Knödel – also Palatschinken aus dem Ungarischen, Knödel aus dem Tschechischen – also diese Varianten, die mag ich eigentlich, wo man gar nicht mehr so genau weiß, wo es eigentlich herkommt, was heute [aber] als typisch österreichische Küche verkauft wird und im Grunde genommen eine Mischung aus diesen ganzen Monarchie-Elementen ist.“
Bis 1918 war Österreich eine Monarchie: Das Kaiserreich Österreich umfasste neben dem heutigen Staatsgebiet auch Ungarn, Tschechien, Kroatien, Slowenien, die Slowakei, Bosnien und Herzegowina sowie Teile von Italien, Rumänien, Polen, Serbien, Montenegro und der Ukraine. Dieser Vielvölkerstaat beherbergte viele unterschiedliche Sprachen, die Einfluss auf die Politik und natürlich auch auf das Essen hatten. Einige Begriffe wurden aus den Herkunftssprachen in den österreichischen Wortschatz übernommen. Beispiele sind Melanzani, Maroni, Esskastanien, aber auch der beliebte Strudel. Diese Speise, die sowohl herzhaft als auch süß zubereitet werden kann, wird wie keine andere mit Österreich in Verbindung gebracht. Dabei hat sie ihren Ursprung in der Türkei. Der Knödel, im Bundesdeutschen auch als Kloß bezeichnet, ist eine aus Teig gemachte Speise in Form einer Kugel, Palatschinken ein Eierkuchen beziehungsweise Pfannkuchen. Diesen eingewanderten Begriffen stehen typisch österreichische Lebensmittelbezeichnungen gegenüber, die bei Nicht-Österreicherinnen und Nicht-Österreichern zur Verwirrung führen. Sie können damit nichts anfangen, weiß Brigitte Sorger:
„Viele Deutsche können mit dem österreichischen Sturm nichts anfangen, also der unvergorene Wein, der gerade zu gären beginnt, noch trüb, nicht gefiltert. Dann gibt’s Bezeichnungen wie Brühe oder so, wo ich pointiert sagen würde, die Österreicher haben das Gefühl: Das kann man nicht essen! Also das ist entweder Bouillon oder klare Rindssuppe. Aber Brühe klingt nach Abwaschwasser.“
Eine klare Diskrepanz in der Bedeutung zeigt sich bei den Begriffen Sturm und Brühe. Im bundesdeutschen Raum steht der Begriff Sturm nur für das gleichnamige Wetterphänomen, die Brühe ist eine wohlschmeckende, klare Suppe, eine Bouillon. In Österreich dagegen versteht man unter Sturm zusätzlich einen sehr jungen Wein aus frisch geernteten Trauben. Er ist noch trüb, nicht so klar wie Wein und unvergoren, enthält also kaum Alkohol. Der entsteht beim Gärprozess, der chemischen Umwandlung vom Traubensaft zum Wein. Und wer in Österreich unter Brühe eine wohlschmeckende Suppe erwartet, täuscht sich. Es ist der Begriff für Schmutzwasser, das beim Spülen entsteht. Und das, so formuliert es Brigitte Sorger überspitzt, pointiert, würde ja sicherlich niemand wirklich essen wollen. In Österreich sind bestimmte Begriffe im Bereich Essen und Trinken auch eine Art Ausdruck des Lebensgefühls, des Vertrauten, Familiären. Ein Beispiel ist für Brigitte Sorger etwa der Gang zur Würstchenbude, dem Würstlstand, wo man meist als Nicht-Österreicherin beziehungsweise Nicht-Österreicher auf die nächsten sprachlichen Hürden trifft:
„Da hat jede Sache, die man bestellt sozusagen einen anderen Namen: a Haße, also eine heiße Wurst, zum Beispiel. Also, da hat man nicht mehr die ganze Langform, sondern es ist einfach auch eine Verkürzung, die ich bestelle und die, denke ich, eben schon auch etwas mit Identität zu tun hat. Dort geh ich hin, dort kennt man mich, da bestell ich das.“
Am Würstelstand gibt es – wie bei den Kaffeearten im Kaffeehaus – eine Reihe von Sonderbezeichnungen für die einzelnen Wurstarten. Bestellt man also a Haße, weiß der Besitzer des Würstelstands sofort, dass man eine heiße, grobe Brühwurst haben möchte. Eine Haße kann auch Bestandteil einer Jause sein, die aber, so die Germanistin Sandra Reitbrecht, durchaus für jeden etwas anderes bedeuten kann:
„Also für mich umfasst die Jause entweder etwas, was ich zwischen dem Frühstück und dem Mittagessen esse, oder etwas eben zwischen dem Mittagessen und dem Abendessen.“
Die Jause isst man demnach in der Pause – egal ob am Vormittag oder am Nachmittag. Zu einer richtigen Jause gehört natürlich ein Jausenbrot oder auch eine spezielle Jausenwurst. Jausen kann man auch an einer Jausenstation kaufen, einem kleinen Gasthaus in dem Imbisse angeboten werden. Und warum haben sich bestimmte, besondere Begriffe aus dem Bereich Essen und Trinken im österreichischen Deutsch so stark verankert? Brigitte Sorger macht das an etwas Besonderem fest:
„Wir verbinden, würde ich sagen, mit manchen Wörtern im Bereich des Essens auch einen Geschmack, einen gewissen, der damit verbunden ist. Und da ist auch ganz typisch Kaffee. Also, Kaffee kann man trinken. Und Kaffee ist eine Bezeichnung für die Qualität, von dem was man hier bekommt. Also, da duftet fast das Wort, das hört man. Während Kaffee – als deutsche Variante – ist typischer dünner Filterkaffee in der Wahrnehmung, den man ja auch interessanterweise nach Mengen bestellt, nämlich Tasse oder Kännchen. Für Österreicherinnen vollkommen unverständlich, dass ich Kaffee und nicht die Art, die konkrete, bestelle, die ich haben möchte.“
Kaffee ist also nicht gleich Kaffee. Für Österreicherinnen und Österreicher ist die in Deutschland zubereitete Variante dünn, schmeckt also eher nach Wasser als nach Kaffee. Denn das Kaffeepulver wird in einen Filter gegeben, das heiße Wasser tropft langsam darüber. Ganz anders sieht das in Österreich aus. Die dortige Kaffeehauskultur, gerade in der Hauptstadt Wien, hat eine sehr lange Tradition und gehört seit 2011 sogar zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Wer dort in ein Café geht, kann nicht einfach eine Tasse Kaffee oder ein Kännchen Kaffee bestellen. Für jede Art und Zubereitungsform gibt es eine eigene Bezeichnung – wie Einspänner, einen Mokkakaffee mit Schlagobers, also Sahne, oder Gespritzter, schwarzer Kaffee mit Cognac oder Rum. Und durch eine andere Aussprache zeigen die Österreicherinnen und Österreicher den Geschmack und den Wert des Luxusguts Kaffee an. Trotz vieler begrifflicher Unterschiede hat es doch der eine oder andere österreichische Begriff in den bundesdeutschen Wortschatz geschafft. Das wohl bekannteste Beispiel aus dem Bereich der Esskultur nennt Brigitte Sorger:
„Von den Begrifflichkeiten interessant ist das Schmankerl als typisch österreichisches Wort, das ja auch gerade zum Essen gehört und etwas ganz Besonderes, etwas Spezielles ist – dass das das Wort ist, das am weitesten auch im bundesdeutschen Wortschatz verbreitet ist, wenn man sich die Korpora anschaut. Das hat den höchsten Verbreitungswert und ist in sämtlichen deutschen Regionen auch üblich.“
Anhand von Sprachsammlungen, sogenannten Korpora, kann festgestellt werden, welche Begriffe wie häufig im deutschsprachigen Raum verwendet werden und wie weit sie verbreitet sind. Erstellt werden solche Sprachsammlungen zum Beispiel vom Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Grundlage der gesammelten Daten sind die gesprochene und die geschriebene Sprache. Schmankerl ist danach der am häufigsten benutzte Austriazismus im bundesdeutschen Wortschatz. In Österreich bezeichnet Schmankerl einen besonderen kulinarischen Leckerbissen, ein spezielles Gericht. Dieser Begriff hat sich so weit ausgebreitet, dass er auch in anderen sprachlichen Situationen Verwendung findet, zum Beispiel dann, wenn man eine besondere Information für jemanden hat, ein richtiges Schmankerl eben. Und so ein Schmankerl im doppelten Wortsinn hält Sandra Reitbrecht noch für alle diejenigen bereit, die Rast auf einer der zahlreichen Skihütten in Österreich machen, eine Spezialität, die man unbedingt dort gegessen haben sollte:
„Vielleicht würde man nie auf ‘ner Skihütte eine Germknödel bestellen, weil man nicht weiß was Germ ist? Und das ist im Endeffekt Hefeteig. Und das ist wie so ‘n kleinerer Ball und in der Mitte ist Powidlmarmelade, also dieses Pflaumenmus drinnen. Also, das ist für mich immer so ein klassisches Skihüttenessen mit Vanillesoße oder mit Mohn und Butter, ja.“
Oder wer es lieber deftiger mag, bestellt das, was Georg Danzer in seinem Lied besingt: „A Schmalzbrot und a Viertl Wei / Kann oft die letzte Rettung sein / Füa mi, sunst bin i hi / Weu wanns der Körper doch verlangt …“