Bart tragen ist „in“
Deutsche Männer tragen wieder häufiger Bart. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Zahl der Bartformen. Drei-Tage-Bart und Vollbart sind aber sehr beliebt. Und was halten deutsche Frauen von dem Trend?
Ob ein Vollbart, ein Bart, der den großen Teil des Gesichts bedeckt, ein „Schnauzer“, der über dem Mund wächst, oder nur ein paar nachwachsende Stoppeln: Bart tragen ist „in“, immer mehr deutsche Männer kommen auf den Geschmack und lassen sich einen Bart wachsen. Besonders extravagante, wohlgeformte Bärte werden auf Bartmeisterschaften prämiert, erhalten Preise; in den Städten haben besondere Barbierläden Zulauf, zu denen natürlich nur Männer Zutritt haben – und es gibt natürlich jede Menge Läden und Informationen rund um die Bartpflege. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2015 tragen inzwischen 45 Prozent der deutschen Männer Bart. Am beliebtesten ist mit Abstand der „Drei-Tage-Bart“, bei dem das Gesichtshaar wenige Millimeter lang ist. Die Motivation, sich einen Bart wachsen zu lassen, ist unterschiedlich:
„Ich richte mich bei meinem Bart immer so nach einigen Stimmungen. Manchmal bin ich glattrasiert, manchmal trage ich einen Drei-Tage-Bart und manchmal auch etwas länger. / Ja, der Bart ist keine neue Errungenschaft. Das ist ein Relikt aus einem Urlaub. Da streikte mein Rasierapparat. Und da hab ich den Bart wachsen lassen. Und als ich zurückkam, fand ich das gar nicht schlecht.“
Mancher richtet sich danach, orientiert sich also daran, wie er sich gerade fühlt, ob er glattrasiert, also ohne Barthaare im Gesicht, aus dem Haus geht oder nicht. Denn „Mann“ kann auch mal keine Lust haben, sich zu rasieren, oder er lässt sich gezwungenermaßen einen Bart wachsen, weil der Rasierapparat im Urlaub kaputtgeht, streikt. Dieser Bart ist keine Errungenschaft, etwas, auf das man lange gewartet hat, sondern ein Relikt, etwas das übriggeblieben ist. Bartexperte und Buchautor Jörg Scheller sieht zwei Hauptgründe für den neuen Trend, Bart zu tragen:
„Auf der einen Seite kann ich mit dem Bart Individualität markieren. Gleichzeitig schließe ich mich fast unweigerlich einem Trend oder einer Gruppe an. Also gerade beim Vollbart ist es ja ganz evident. Ich mag mich zum Beispiel abgrenzen mit meinem Vollbart von meinen glatten, kompromissbereiten, angepassten Altersgenossen. Und lande dann gleichzeitig damit so in dieser Hipster-Ecke.“
Für sein Buch „Anything grows“ hat sich Jörg Scheller mit der Geschichte, Ästhetik und Bedeutung des Bartes befasst. Dabei stellte er unter anderem fest, dass viele einen Bart tragen, um sich von anderen zu unterscheiden. Sie wollen sich abgrenzen, ihre eigene Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, sie markieren. Gerade beim Vollbart ist das für Jörg Scheller offensichtlich, evident. Denn wer glattrasiert ist, gilt als angepasst, will in einer Gesamtgruppe nicht auffallen. Und mit einem Bart, der das Gesicht bedeckt und vielleicht auch noch monumental, sehr dick und lang, ist, zeigt „Mann“ deutlich, dass er etwas Besonderes ist. Allerdings landet so jemand dann laut Jörg Scheller meist in einer bestimmten Ecke, wird einer Gruppe zugeordnet: den Hipstern. Sie haben ihren eigenen Stil, sind nicht angepasst. Hipster-Männer leben sehr oft in großen Städten und kennzeichnen sich unter anderem durch einen Schnauz- oder Vollbart, enge Hosen und auffällige Brillen. Dabei ist das erwachende Interesse am Barttragen für Jörg Scheller nichts Neues:
„Alle paar Jahre muss irgendein neuer Trend her. Das für mich Faszinierendste an Bärten ist, dass sie jeweils ganz neue Bedeutung annehmen in unterschiedlichen Kontexten. Gerade wenn man den Vollbart anschaut, dann sieht man, dass der zum Beispiel im 19. Jahrhundert als so revolutionärer Demokratenbart galt, in den 60er Jahren war er das bis zum gewissen Grad auch noch. In den 80er Jahren trugen eigentlich nur noch Reaktionäre, Konservative Vollbärte. Und jetzt tragen plötzlich religiöse Extremisten wie auch Berliner Hipster so monumentale Vollbärte.“
Mit dem Barttragen ist es wie mit der Mode: Sie ändert sich ständig. Was heute im Trend ist, ist morgen schon „out“. Dabei stellt sich oft heraus, dass etwas, dass jetzt gerade „in“ ist, schon mal vor vielen Jahren existierte. Nur das, was man jetzt damit ausdrücken möchte, ändert sich. Es nimmt eine neue Bedeutung an. Und die ist abhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld. Sehr gut sehen kann man das, so Jörg Scheller, am Beispiel des Vollbarts: Wer Vollbart trägt, will sich vom gesellschaftlichen „Mainstream“ absetzen, will anders sein. Bei manchem Mann ist es auch Ausdruck einer religiösen Anschauung. Allerdings hat Bartexperte Jörg Scheller eine Gemeinsamkeit zwischen Bartträgern und Nicht-Bartträgern ausgemacht:
„Das Interessante bei Bartträgern und Nicht-Bartträgern ist, dass selbst Nicht-Barttragen heute als Statement verstanden wird – also ähnlich wie Nicht-Tattoo-Tragen. Man ist heute schon fast verhaltensauffällig, wenn man kein Tattoo und keinen Bart hat.“
Wer keinen Bart trägt, gibt laut Jörg Scheller ein Statement ab, zeigt, dass er neuen Trends nicht folgen möchte, zu denen etwa gehört, sich Tattoos in die Haut stechen oder sich einen Bart wachsen zu lassen. Trotz aller Individualität, die mancher Bartträger ausdrücken möchte: Letztlich fällt „Mann“ auf, wenn „Mann“ sich dem neuen Trend nicht unterwirft, ist verhaltensauffällig. Wer Bart trägt, muss viel Zeit für dessen Pflege aufbringen. Etwa 14 Zentimeter pro Jahr wachsen die Haare an Kinn und Wangen. Wer die Pracht im Zaum halten will, muss dafür einiges tun. Rund 3000 Stunden verbringen Männer mit der Rasur. Professionelles Handwerkszeug für die Bartpflege gibt es im Rasierfachgeschäft. Auch dort macht sich der neue Trend bemerkbar, weiß die Inhaberin eines Rasierservice-Fachgeschäfts in Bonn:
„Bartschneidegeräte, Langhaarschneider werden sehr oft geholt – zum Trimmen und zum Konturen stylen. Es gibt die Nachfrage auch von jüngeren Herren. Klassische Rasiermesser, klassische Hobelformen.“
Bärte müssen in eine bestimmte Form, Kontur, gebracht werden. Sie werden gestylt beziehungsweise getrimmt , erhalten eine bestimmte Länge und Kontur. Dafür gibt es unterschiedliche Geräte, zu denen nicht nur spezielle Rasierapparate wie Langhaarschneider gehören, sondern auch bewährte Rasiermesser und Rasierhobel, Handrasierer mit einer Klinge. Und wie kommen Bärte beim weiblichen Geschlecht an? Umfragen zufolge bevorzugen etwas mehr als die Hälfte aller Frauen ein glattrasiertes Kinn. Es gibt aber auch andere Meinungen:
„Von Männerbärten halte ich verdammt viel. Ich finde, das sieht ziemlich sexy aus. / Ich finde Drei-Tage-Bärte bei Männern eigentlich ganz attraktiv. Aber je mehr Haar da ist, desto ungepflegter finde ich das eigentlich.“
Für Bartliebhaberinnen sind Bärte ein Zeichen für Männlichkeit und Attraktivität, Bartträger wirken auf manche Frau verdammt, sehr, anziehend und sexy. Voraussetzung ist jedoch, dass im Gesicht kein Wildwuchs herrscht, der Bart gepflegt ist. Allerdings gilt: Anders als ein Tattoo ist der Bart ein Modeaccessoire, das sich ganz einfach wieder entfernen lässt – mit einem Rasiermesser, Rasierhobel oder einem herkömmlichen Elektrorasierer.