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Manuskript

Jodeln auf dem Berg

Es gilt als urbayrisch: das Jodeln. Dennoch ist diese Form des Singens eine der ältesten Kommunikationsformen, die in vielen Ländern praktiziert wird. Jodeln lernen kann jeder – mit oder ohne Trainer.

„Holleridirijoäh, Holleridirijoäh, Jodldiridiri. Juhuhuhu!“

So klingen sie, Begrüßungsjodler und Juchzer von Josef. Josef arbeitete als Musiklehrer, nicht nur im Chiemgau in Bayern, sondern überall in Deutschland. Ende der 1990er Jahre hat er zum ersten Mal ein Jodelseminar angeboten und damit eine Marktlücke entdeckt. Inzwischen melden sich täglich bis zu zehn Interessenten, die diese Art des Singens ohne Text lernen wollen. Die Teilnehmer sind bunt gemischt und kommen aus aller Welt. So reiste eine Gruppe Briten einmal extra aus London für einen Abendkurs an. Und wo kann man den „bayerischen Gipfelruf“ am besten lernen? Auf einem Berg natürlich: 

„Ein echter Bayer geht mindestens einmal im Jahr rauf da. Und wenn er dann e’mal mit der Oma unterwegs ist, dann fährt er natürlich, weil die nicht mehr so gut gehen kann. Also, die Eroberung eines Berges zu Fuß ist schon [etwas] ganz anderes, als wie wenn man es mit der Seilbahn erobert.“ 

Josef macht deutlich, dass echte Bayern, also solche, die wirklich dort leben oder von dort stammen, mindestens einmal, wenn nicht gar mehrmals im Jahr einen Berg besteigen, da rauf gehen. Das Adjektiv „echt“ wird in der Umgangssprache als Synonym für „wirklich“ verwendet. Und ein echter, ein wirklicher, Bergsteiger erobert einen Berg. Er besteigt ihn zu Fuß. Das ist besser, als wenn man bequem mit einer Seilbahn nach oben fährt – oder wie Josef sagt – als wie wenn. In der Umgangssprache werden beide Konjunktionen bei Vergleichen oft fälschlicherweise zusammen verwendet, anstelle entweder als oder wie zu gebrauchen. Einer der Berge, die Josef in seiner Region sehr mag, ist der „Hochfelln“. Und was ist das Besondere gerade an diesem Berg?

„Das ist eigentlich der Aussichtsberg, der schönste, wo ma im Chiemgau haben. Man sieht auf einer Seite dann den Chiemsee und auf der anderen Seite nur noch Berggipfel.“
Der Hochfelln ist für Josef deshalb etwas Besonderes, weil man von dort eine sehr gute Sicht hat. Der 1674 Meter hohe Berg ist der Aussichtsberg, von dem aus – oder wo wie Josef im bairischen Dialekt sagt –, man unter sich den Chiemsee liegen sieht. Dreht man sich um, kann man bei schönem Wetter bis zu den schneebedeckten Spitzen des Großglockners in den österreichischen Alpen sehen. Josef ist nicht nur ist Lehrer, Therapeut, Alleinunterhalter, sondern ab und zu betätigt er sich auch als Fremdenführer:

„Ja, und jetzt sehen wir unten die Maxhütte. Vor 450 Jahren ist hier das Erz verarbeitet worden und Eisen gegossen worden. Hochöfen waren hier.“ 

Die Maxhütte in dem Ort Bergen im Chiemgau blickt auf eine lange Geschichte zurück. 1562 wurde das sogenannte Eisenhüttenwerk gegründet. Dort wurde aus Eisenerz in einem langen Erhitzungsprozess in Hochöfen Roheisen gewonnen. Hochöfen sind etwa 30 Meter hoch und bis zu zehn Meter breit und können bis zu 10.000 Tonnen Eisen täglich produzieren. 1932 wurde die Maxhütte geschlossen, weil sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Heute können sich Besucher im Museum in den alten Gebäuden am Fuße des „Hochfelln“ über die Geschichte der Eisengewinnung und Metallverarbeitung informieren. Bergen liegt idyllisch. In dem Naturschutzgebiet brüten seltene Vogelarten. Der Mensch kann in den nahen Moorbädern Bad Aibling und Bad Feilnbach die heilende Wirkung des Moorschlamms spüren. Und gleich dahinter glänzt das Wasser des Chiemsees. Hier kann man segeln, Boot fahren, schwimmen. Den größten See Bayerns kann man auch mit dem Fahrrad umrunden. Das sind rund 60 Kilometer. Josef aber ist am liebsten auf dem Berg. Und das hat seinen Grund:

„Wenn ich hier oben die Ruhe suche, dann habe ich eine andere Ruhe, die krieg’ ich im Tal unten nie. Ich sag’ so: Wenn jetzt die Dämmerung, dann wenn es Abend wird, dann tritt hier eine besondere Bergstille ein. Die kriegt man sonst nirgendwo. Die kriegst’ nur ’m Berg oben. Da bleiben auch manchmal die Kühe, die läuten da nit mit ihren Glocken, sondern die legen sich nieder und sind ganz still. Das ist der Übergang von Tag zur Nacht.“

Josef findet auf dem Berg völlige Stille, eine Bergstille, wie er sagt. Und diese herrscht besonders bei Dämmerung, beim Übergang von Tag zu Nacht. Dann sind – so Josef – selbst die Kühe still! Wenn Josef den „Hochfelln“ besteigt, kommt er nicht aus der Puste – er hat genug Luft. Und das kommt auch vom Jodeln: 

„Ich bin immer in der Natur draußen. Ich hab’ immer freundliche Leute um mich herum. Und das Jodeln ist ja nicht nur zur Entspannung oder zur Freude oder zum Spaß da, sondern auch gesundheitlich sehr wertvoll.“

Das Jodeln ist also für Josef gesundheitlich so wertvoll wie eine Ausdauersportart zum Beispiel. Und es erfordert wie diese eine ordentliche Vorbereitung:

„Der kräftige Jodelton, der braucht also sehr viel Stimulation vorher. Man muss den Körper sehr viel vorbereiten. Nicht nur mit Atemtechnik, sondern auch die Körperöffnung ist sehr wichtig. Und das krieg’ ich da oben automatisch.“  

Josef erklärt, dass man sich, bevor man mit dem Jodeln loslegt, stimulieren muss. Zur Vorbereitung sollte man mit einem Arm eine weit ausholende Bewegung machen, so als wolle man jemanden freudig begrüßen. Man öffnet – bildlich gesprochen – den Körper. Gleichzeitig streckt man den Bauch raus, um unten im Zwerchfell, dem wichtigsten Atemmuskel im Körper, Luft zum Atmen zu schöpfen. Denn eine richtige Atmung und eine gute Körperhaltung sind wichtig: 

„Das hat alles mit Gestik zu tun. Und wenn man da den Arm ausbreitet und dann oben am Bergesgipfel steht, bringt man auch so einen kräftigen Ton raus, wenn man hier unten anspannt. Also: Hulliarihirihi. Juhuhuhu. Das war sozusagen der Gipfeljodlerruf. Normalerweise im Sommer dann, wenn mehr Leute da sind, dann kriege ich auch schon a Antwort, weil meistens von irgendwoher ein Wanderer schon die Antwort per Jodeln gibt.“

Jodeln diente früher zur Kommunikation über weite Entfernungen. Das Wort „Jodeln“ ist onomatopoetisch. Es bildet die Silben, die beim Jodeln gebraucht werden, lautmalerisch nach. Jodelformen wie zum Beispiel den Ruf vom Gipfel eines Berges, den Gipfeljodlerruf, gibt es viele – auch außerhalb des europäischen Alpenraumes. Rufgesänge finden sich in anderen europäischen Gebirgsgegenden, den USA, in afrikanischen Ländern, aber auch in Polynesien und Papua-Neuguinea im asiatischen Raum:

„Jodeln gibt’s auf der ganzen Welt eigentlich und ist halt eine Urform, wo man das vom Tier abgeschaut hat, dann auch praktiziert hat, um einen anderen Menschen zu suchen und zu finden. Ich hab’ das schon überall praktiziert. Ich hab’ noch nie böse Worte zurückbekommen. Es ist immer mit Lächeln aufgenommen worden.“ 

Jodeln ist – wie Josef sagt – eine Urform des Rufens, um sich zu finden oder auch einfach nur zu verständigen. Denn Telefone und Handys gab es früher noch nicht. Wollte zum Beispiel ein Bauer auf einer abgelegenen Almhütte wissen, ob sein Nachbar da ist, dann jodelte er und wartete auf Antwort. Selbst Verabredungen sollen so getroffen worden sein. Und Jodeln löst nicht nur beim Jodler selbst, sondern auch bei den Zuhörern positive Gefühle aus. Und ein geübter Jodler hört sich so an:

„Hollerädiri, Hollerodiri, Hollerädiri,
Hollerädiri, Hollerodiri, Hollerädiri,
Hollerädiri, Hollerodiri, Hollerädiri,
Hollerädiri, Hollerodiridiri.
Hollerädiri, Hollerodiri, Hollerädiri,
Hollerädiri, Hollerodiri, Hollerädiri,
Hollerädiri, Hollerodiri, Hollerädiri,
Hollerädiri, Hollerodiridiri.“
 

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