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Ein wichtiger Ort für die Entwicklung der deutschen Sprache

Die Klosterinsel Reichenau im Bodensee hat nicht nur romanische Kirchen und kunstvolle Handschriften zu bieten. Das Kloster hat auch einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der deutschen Sprache geleistet.

Ein altes Kloster mit verschiedenen Gebäuden und einer Kirche neben einem Feld  (Quelle: Gerhard Trumler/brandstaetter images/picture-alliance)

„gidahtdin ioh in dadin ioh in uuordon ioh in uuerkon“: Was sich wie Fantasie-Sprache eines Science-Fiction-Films anhört, ist nichts anderes als Althochdeutsch und bedeutet „sowohl in Gedanken und als auch in Taten als auch in Worten als auch in Werken“. Die Zeile entstammt der „Reichenauer Beichte“, einem Text des Reichenauer Benediktiner-Klosters über die Sünden der Menschen aus dem 10. Jahrhundert.

Für das Althochdeutsche kann das im Jahr 724 gegründete Kloster als „immens wichtig“ angesehen werden – und somit auch für die Entwicklung der deutschen Sprache, sagt die Bamberger Sprachwissenschaftlerin Stefanie Stricker.


Althochdeutsch – Sprache des Volkes

Denn das heutige Deutsch, das Neuhochdeutsche, ist ohne die Vorläufer Mittel- und Althochdeutsch nicht denkbar. Letzteres wurde zwischen dem achten und elften Jahrhundert in vielen Dialekten gesprochen. Damals stand es dem Latein der Kirche als Sprache des Volkes gegenüber. Aus dem lateinischen Begriff für diese Volkssprache „theodiscum“ entstand das althochdeutsche Wort „diutisk“ – die Wurzel für das heutige Wort „deutsch“. Weil die Missionare des frühen Mittelalters ihre christliche Botschaft unters Volk bringen wollten, knüpften sie an die Volkssprache an und übersetzten lateinische Texte so, dass sie jede und jeder verstehen konnte.

Bei allen Unterschieden haben althochdeutsche Texte im Vergleich zu Vorgängersprachen und -dialekten bzw. anderen germanischen Sprachen einiges gemeinsam: Bei den Konsonanten verschieben sich die stimmlosen Verschlusslaute „p“, „t“ und „k“ zu Reibelauten bzw. zu einer Kombination aus Reibe- und Verschlusslaut. „t“ veränderte sich zum Beispiel zu „s“ oder im Anlaut zu „ts“: Im Deutschen heißt es deshalb „das“, während es im Niederländischen „dat“ und im Englischen „that“ heißt.

Auch bei den Vokalen gibt es Veränderungen: Beispielsweise wird ein „a“ zu „e“ umgelautet, wenn danach ein „i“ folgt – etwa bei der Pluralbildung von „gast“ zu „gesti“, also „Gast“ zu „Gäste“ im Neuhochdeutschen.


Entstehung der ersten Wörterbücher

Die mittelalterliche Volkssprache veränderte sich stetig durch den Kontakt mit antiken und christlichen Ideen. Dass die Mönche ihren Glauben nicht nur mündlich vermittelten, sondern auch schriftlich festhielten, war eine Revolution: Denn eine deutsche Schriftsprache existierte bis dahin nicht. Lesen und Schreiben waren für die allermeisten Menschen des Mittelalters unbekannte Welten.

Das änderten die Kirchenorte und Klöster wie die Schreibschule auf der Bodenseeinsel. Dort entstand vor allem ein bestimmter Texttyp: „Glossare, Vorläufer unserer Wörterbücher, kommen bereits ab dem Ende des achten Jahrhunderts von der Reichenau“, sagt Stricker. Die darin aufgelisteten Einzelwörter („Glossen“) seien deshalb bedeutsam, weil sie mit dem Überlieferungsbeginn ab dem frühen achten Jahrhundert anderen Texten zeitlich vorausgehen und auch mittelalterliche Lebenswelten spiegeln, die in den meist theologisch-religiösen Texten nicht vorkamen. „Die Glossen zeigen den Sitz im Leben“, fasst die Sprachwissenschaftlerin zusammen.

Neben Wörterbüchern gehen weitere Texte auf das Kloster zurück – wie die „Murbacher Hymnen“ und die „Altalemannische Psalmen“ vom Anfang des neunten Jahrhunderts sowie der „Kicila-Vers“ aus der Mitte des elften Jahrhunderts. Sie füllten die Bibliothek des Klosters, die laut Stricker damals bereits mehr als 400 Bände umfasste.


Ausstellung zum 1300-Jahr-Jubliäum in Reichenau

Von dort werden 1000 Jahre alte mittelalterliche Prachthandschriften, die teilweise zum Weltdokumentenerbe gehören, in der Ausstellung „Klosterinsel Reichenau – Welterbe des Mittelalters“ vom 20. April bis 20. Oktober 2024 im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz zu sehen sein.

Neben Themen wie Klosterinsel, Klosterbau, Liturgie und europaweite Beziehungen werden etwa 50 Handschriften und frühe Drucke, sogenannte Inkunabeln, gezeigt, sagt Olaf Siart vom Badischen Landesmuseum. Er ist wissenschaftlicher Projektleiter der Ausstellung „1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“. Mit Bezug zur Klosterschule wird dann auch die mittelalterliche Sprache behandelt.


sts (mit KNA)/ip