Scharfe Kritik an der Einigung zum EU-Asylverfahren
Nach der Einigung der EU-Innenminister auf verschärfte Asylregelungen reißt die Kritik nicht ab. Flüchtlingsorganisationen und Parteimitglieder der Koalitionsparteien halten die Zustimmung der Bundesregierung für falsch.
Die EU-Innenminister haben sich am 8. Juni nach langem Streit auf eine einheitliche Asylpolitik geeinigt, die auf eine Verschärfung hinausläuft. Flüchtlingsorganisationen und Kulturschaffende hatten die Bundesregierung schon im Vorfeld der Verhandlungen dazu aufgerufen, ihre Zustimmung zu verweigern. Auch aus den Reihen von Grünen und SPD gab es viel Kritik. Zudem mahnten die Kirchen die Wahrung der Menschenrechte an.
Die wichtigsten Punkte der Einigung
Laut dem Beschluss der Innenminister sollen erstmalig durch Asylverfahren an Europas Außengrenzen Menschen mit geringen Aufnahmechancen erst gar nicht in die EU kommen. Dafür soll es sogenannte Asylzentren in Grenznähe geben, von wo aus sie direkt abgeschoben werden können.
Dieses Verfahren soll laut Beschluss bei Menschen aus Ländern greifen, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben. Das gilt etwa für Menschen aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien. Die Mehrheit der Geflüchteten – etwa aus Syrien, Afghanistan oder dem Sudan – hat weiter das Recht auf ein normales Asylverfahren, sofern sie nicht durch einen sogenannten sicheren Drittstaat eingereist sind. Gleichzeitig wurden die Kriterien für sichere Drittstaaten ausgeweitet. Künftig sollen nicht nur Länder als solche gelten, die die Genfer Flüchtlingskonvention beachten, sondern auch die, die „auf andere Weise rechtlich und in der Praxis einen wirksamen Schutz im Einklang mit grundlegenden Menschenrechtsnormen“ gewährleisten würden.
Zudem sollen Länder, die sich wie beispielsweise wie Ungarn und Polen weigern, Migranten aufzunehmen, künftig 20.000 Euro für jede Person zahlen müssen, die sie abweisen. Das Geld soll in einen Topf fließen, der von der EU-Kommission verwaltet wird. Ungarn und Polen lehnten die Regelung ab. Polens nationalkonservativer Regierungschef Mateusz Morawiecki kündigte Widerstand an und sagte, man werde sich keine „Migrationsquoten“ auferlegen lassen. Der ungarische Regierungschef Victor Orbán sagte: „Sie wollen die Migranten mit Gewalt nach Ungarn verlegen. Das ist inakzeptabel, sie wollen Ungarn gewaltsam in ein Migrantenland verwandeln.“
Italien, Griechenland und andere Länder setzten sich mit der Forderung durch, Migranten in „sichere Drittstaaten“ abschieben zu können. Dies soll nach Angaben der EU-Kommission und des schwedischen EU-Ratsvorsitzes auch dann möglich sein, wenn ein Geflüchteter lediglich durch den betreffenden Drittstaat durchgereist ist. Deutschland hatte sich zuvor gegen eine solche Möglichkeit ausgesprochen.
Deutschland konnte sich mit zentralen Forderungen nicht durchsetzen. Dazu gehören vor allem Ausnahmen von den umstrittenen Grenzverfahren für Familien mit Kindern. In den nun folgenden Verhandlungen der EU-Länder mit dem Europaparlament will sich die Bundesregierung laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) weiter dafür einsetzen. Faeser bezeichnete die Einigung dennoch als „historisch“.
Kritik von mehreren Seiten
Deutschland hätte dem „Kompromiss“ wegen der fehlenden Regelung für Familien mit Kindern nicht zustimmen dürfen, kritisierte beispielsweise Grünen-Parteichefin Ricarda Lang. Die Grünen-Kabinettsmitglieder Annalena Baerbock und Robert Habeck sprachen zwar von einem schwierigen Kompromiss und warben aber dennoch um Unterstützung. Die ehemalige hessische SPD-Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti trat hingegen wegen der verschärften Regelungen für Geflüchtete aus ihrer Partei aus.
Menschenrechtsaktivisten fürchten ihrerseits massenhafte ungerechtfertigte Abschiebungen. Die geplante Reform verstoße „gegen menschenrechtliche Grundsätze und wird zu völkerrechtswidrigen Abschiebungen führen“, erklärte Amnesty-Deutschland-Generalsekretär Markus Beeko. Pro Asyl nannte die Einigung einen „Frontalangriff auf das Asylrecht“.
Der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße warnte vor Rückschritten beim Flüchtlingsschutz. Schutzsuchende Menschen – darunter auch Familien mit Kindern – in haftähnlichen Zentren unterzubringen, dürfe nicht der Weg Europas sein, so der Hamburger Erzbischof. Mit Blick auf die Erfahrungen in den Hotspots in Griechenland und Italien seien große Lager zu befürchten, in denen rechtsstaatliche Prinzipien unterwandert würden und unzumutbare Lebensbedingungen herrschten. Der Deutsche Caritasverband twitterte, es sei skandalös, dass Deutschland Ausnahmen für Familien mit Kindern nicht durchsetzen konnte. Es sei extrem bitter, wie nun Menschenrechte ausgehöhlt würden.
rh/ip (AFP, KNA, dpa)