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Schon Adolf Hitlers Vater war ein Tyrann

Man weiß wenig über die Kindheit Adolf Hitlers. Doch 2021 in einem Buch veröffentlichte Briefe seines Vaters bringen ein wenig Licht ins Dunkel: Offenbar war auch Alois Hitler ein menschenverachtender Despot.

„Nicht Heil: Unheil, Zerstörung und Tod hat er über Millionen Menschen gebracht.“ So lautet eine Inschrift auf einer Tafel, die an einer Dorfschule in Oberösterreich angebracht ist. Diese Schule hat einst Adolf Hitler besucht, hauptverantwortlich für Shoah, Krieg, Zerstörung und Vertreibung von Millionen Menschen. Doch wie konnte er zu einem solch grausamen Tyrannen werden?

Geschichten über die Kindheit und Jugend des Diktators sind vor allem wegen des Mangels an historischen Quellen Mangelware. Doch auf einem Dachboden eines Bauernhofs in Hafeld im oberösterreichischen Fischlham wurde ein vergilbtes Bündel von 31 Briefen gefunden, das dort mehr  als 100 Jahre unbeachtet gelegen hatte. Der Hof gehörte einst dem Straßenmeister Josef Radlegger, bevor er ihn 1895 an Alois Hitler verkaufte. Der Briefwechsel zwischen den beiden bildete die Grundlage des Buchs „Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde“ des österreichischen Historikers Roman Sandgruber – und bringt ein wenig Licht ins Dunkel der Geschichte.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Adolf Hitler ähnelte seinem Vater offenbar sehr. Auch der legte ein menschenverachtendes Überlegenheitsgefühl an den Tag. Das komme in den Briefen zum Ausdruck, stellt Sandgruber fest:

„Sie sind im Inhalt sehr hart, hart gegenüber einerseits Untergebenen – die Knechte, die nichts können, die Mägde, die versagen, die Pferde, die nichts taugen. Also niemand kann ihm es dort recht machen. Andererseits [übt er] auch sehr viel Kritik an den Obrigkeiten, am Richter, am Notar, am Geometer. Die können alle nichts.“

Alois Hitler war nicht nur überheblich, sondern auch sonst ein unangenehmer Zeitgenosse. Er galt als gewaltbereiter Despot, rechthaberischer Besserwisser und Pedant. Sein Sohn Adolf erfuhr dies schon in früher Kindheit. Es gibt Berichte darüber, erzählt Sandgruber, dass sein Vater ihn schlug und immer wie einen Hund herbeigepfiffen habe. Alois Hitler wurde 1837 in Österreich unehelich geboren und hieß eigentlich Schicklgruber. Bis zuletzt wusste er nicht, wer sein Vater war - und somit kannte auch Adolf seinen Großvater nicht. Das, so Sandgruber, war eine Hypothek, die zeitlebens auf beiden lastete:

„Das betrifft beide, betrifft den Alois Hitler und seinen Namenswechsel, wobei man die Umstände nie genau klären kann, wie das genau und mit welchen Motiven das abgelaufen ist. Und beim Sohn: Der verbietet eigentlich zuletzt alle Nachforschungen.“ 

Alois war schon 40 Jahre alt, als er den Namen ‚Schicklgruber‘ im Taufbuch in ‚Hitler‘ ändern ließ. Er gab beim Notar an, sein Vater sei der längst verstorbene Johann Georg Hiedler. Vermutlich hatte der Notar, so Sandgruber, den Namen falsch verstanden und trug statt ‚Hiedler‘ ‚Hitler‘ ein. Adolf kam erst danach auf die Welt und breitete über diese Geschichte den Mantel des Schweigens aus. Denn schließlich verlangte er später von Millionen seiner Untertanen lupenreine Abstammungsnachweise. Hitlers Vater war ein Aufsteiger, der stolz auf seine Karriere war. Er kam von einem Bauernhof, besuchte eine Volksschule, schaffte es aber dennoch als Zollbeamter bis ins mittlere Beamtentum der Habsburger Monarchie. Darüber hinaus bemühte er sich darum, durch Immobilienkäufe zu etwas Wohlstand zu kommen. Doch er hatte, sagt Sandgruber, ein verzerrtes Bild von sich selbst:

„Der Bildungsbürger, der sich entwickeln will und auch politisch aktiv werden möchte, der aber auch eine Landwirtschaft führen möchte, was er gar nicht kann. Aber er hat es sozusagen dann autodidakt[isch] erworben weiter. Und vor allem auch: Er will ein Herrenbauer sein, er will besser sein als die Bauern seiner Umgebung.“

Wegen seiner mangelnden Schulbildung stieg Alois Hitler in der Karriereleiter nicht weiter nach oben. Das dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, warum er das gesamte Bildungsbürgertum, jegliches Schulwissen und die Wissenschaft hasste. Stattdessen war er stolz auf sein autodidaktisch erworbenes Wissen, hielt sich für genial. Auch hier offenbart sich eine deutliche Parallele zwischen Vater und Sohn, meint Sandgruber:

„Er ist der Star. Und diese Vorstellung des Autodidakten, Alleskönners, das überträgt sich ja sehr stark auch auf den Sohn Adolf, der denselben Bildungsgang nimmt oder nehmen möchte. Er bricht die Schule ab. Er schwört auf eine autodidakte Ausbildung, angelesenes Wissen in sehr großem Umfang, aber gleichzeitig [ist es] doch Halbbildung. Und er verachtet alle, die einen regulären Bildungsgang gemacht haben. Er verachtet die Generäle, er verachtet die Juristen, er verachtet die Lehrer insbesondere und sieht sich selbst als Genie.“

So betont Adolf Hitler bei einer Rede am 10. November 1933 in Siemensstadt:

„Und [ich] habe mich dann durch Fleiß, Lernen – und ich kann sagen – durch Hungern langsam emporgearbeitet.“

Trotz vieler Parallelen: Adolf wollte nicht wie sein Vater sein. Er hasste den ‚Beamtenkäfig‘, in dem sein Vater arbeitete und lehnte dessen Wunsch ab, auch er solle eine Beamtenlaufbahn einschlagen. Stattdessen rebellierte er gegen Alois‘ Lebensmodell, sagt Sandgruber:

„Der Sohn will vor allem nicht wie der Vater denken, er will noch radikaler sein. Das ist sozusagen eigentlich die Struktur, die man da im späten 19. Jahrhundert überall feststellen kann. Der Vater ist ein Deutschnationaler, der Sohn wird ein Radikaler.“

Adolf wurde Antisemit, eine Einstellung, die damals weit verbreitet war. Denn nach dem verlorenen 1. Weltkrieg und den damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Folgen erstarkte der Antisemitismus nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich. Der Rat des Historikers nach der intensiven Beschäftigung mit Alois Hitler lautet: „Lernen Sie Geschichte.“ Denn, so Sandgruber:

„Es ist also eigentlich fatal, wie Autodidakten – und gerade Autodidakten sozusagen mit Halbbildung – dann besonders stark auf dem verharren, was sie sich einmal angeeignet haben, und eigentlich keine Expertise von Fachleuten mehr anerkennen wollen. Und das ist bei Hitler so und das findet man in der Gegenwart durchaus auch mit gar nicht so wenig Beispielen.“

 

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*Mit Beiträgen von Clemens Verenkotte (ARD Wien) und Katja Gasser (ORF) 

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