Seenotrettung führt nicht zu mehr Migration
Die Behauptung gibt es seit Jahren: Angeblich zieht Seenotrettung auf dem Mittelmeer mehr Migranten nach Europa. Studien kommen zu anderen Ergebnissen: Wesentlicher sind die Probleme in den Heimatländern der Migranten.
Aktuell fährt auf dem Mittelmeer kein einziges Seenotrettungsschiff der EU. Ein Grund dafür ist die Angst einiger Länder, dass mehr Menschen nach Europa kommen, wenn sie hoffen können, auf dem Meer gerettet zu werden. Seit Jahren behaupten vor allem konservative Politikerinnen und Politiker, dass NGOs wie Sea-Watch oder Sea-Eye durch die Seenotrettung einen Pull-Faktor für die Flucht nach Europa schaffen – also einen Grund, der die Menschen nach Europa „zieht“. Doch die meisten Studien bestätigen das nicht.
2017 verglich eine Studie der University of London Zahlen zu Flucht und Rettung und stellte keinen Zusammenhang fest. Eine weitere Studie von 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass „die Abwesenheit von Seenotrettern nicht von Überfahrten abhält.“ Und auch eine dritte Studie aus dem Jahr 2019 hat „keinen Zusammenhang zwischen der Präsenz von NGOs auf See und der Anzahl der Migranten finden können.“
Eleanor Gordon und Henrik Larsen von der australischen Monash University betonen, dass vor allem Push-Faktoren wie Krieg, Verfolgung und Armut die Menschen dazu zwingen, ihre Heimatländer zu verlassen. Safa Msehli von der Internationalen Organisation für Migration der UN (IOM) sieht das ähnlich: „Unserer Einschätzung nach sind die Push-Faktoren wichtiger als alles andere“, meint sie, denn die Menschen hätten in ihren Ländern oft existenzielle Not erlebt.
Der italienische Politikwissenschaftler Matteo Villa sagt, dass die Seenotrettung als Pull-Faktor vielen auch ohne Beweise einleuchtend erscheint. Die bisherigen Erkenntnisse legen jedoch nahe: Es können mehr Menschenleben gerettet werden, „ohne zu riskieren, dass sich sehr viel mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen”, so der Wissenschaftler. Das entspricht auch internationalem Seerecht: Demnach müssen Menschen in Seenot gerettet und an einen sicheren Ort gebracht werden.