Manuskript

Typisch bayerisch: das Fingerhakeln

Auf bayerischen Volksfesten werden nicht nur Brezeln gegessen und Bier getrunken. Auch das Fingerhakeln ist ein beliebter Zeitvertreib. Es gibt sogar bayerische Meisterschaften in dieser besonderen Sportart. Dabei haken zwei Leute ihre Finger ein und versuchen dann, ihren Gegner über den Tisch zu ziehen. Ein Riesenspaß für Teilnehmer und Zuschauer.

SPRECHER:
Bayern unter Zugzwang - beim Fingerhakeln. Einer der besten: Josef Utzschneider.

JOSEF UTZSCHNEIDER (Fingerhakler):
Das Faszinierende ist, dass man alle Sinne braucht eigentlich!

SPRECHER:
Beim Fingerhakeln geht es darum, den anderen über den Tisch zu ziehen.

JOSEF UTZSCHNEIDER:
Man braucht Schnellkraft, man braucht [eine] Kondition, man braucht einen Finger. Ohne diesen trainierten Finger… ohne den funktioniert gar nichts.

SPRECHER:
Es ist eine bayerische Tradition. Früher ein Kräftemessen im Wirtshaus. Heute ein ernsthafter Sport mit richtigen Meisterschaften.

JOSEF UTZSCHNEIDER:
Das Interessante ist, dass, wenn einer da ist, der [wo] alle Kraft der Welt hat, aber halt keinen guten Finger, keine Schnellkraft, der macht keinen Stich. Das macht die Sportart eigentlich aus, dass man alles braucht und auf die Zehntelsekunde da sein muss.

SPRECHER:
Da sein muss auch das, was sonst zu Bayern gehört: Blasmusik und Bier. In Reichertshofen bei Nürnberg werden die 61. Bayerischen Meisterschaften im Fingerhakeln ausgetragen. Rund 120 Teilnehmer treten an - und müssen sich einem klaren Regelwerk fügen - unter den Augen von Schiedsrichter Helmut Weiß.

HELMUT WEIß (Schiedsrichter beim Fingerhakeln):
Sie dürfen halt einhakeln mit dem Mittelfinger, Ringfinger, ist eigentlich egal welchem Finger, man darf alle nehmen bis auf den Daumen und kleinen Finger. Dann darf man einen Fuß, den Zugfuß, am Tisch einspreizen, die andere Hand auch, dann kommt‘s Kommando: 'Beide Hakler, fertig, zieht!' Bei 'Zieht!' geht's los, und ab 'Zieht!' darf jeder den zweiten Fuß zur Hilfe nehmen. Da ist praktisch die Anfangslinie … Mittel … Ring. Die Außenlinie muss der gegnerische Finger überqueren, dann ist‘s aus.

SPRECHER:
Die Meisterschaften finden immer im Wirtshaus oder Festzelt statt. Dementsprechend ist auch die Stimmung. Erste Vorbereitung: körperliche Grundlagen schaffen. Josef Utzschneider tritt in der Königsdisziplin an, dem Schwergewicht.

JOSEF UTZSCHNEIDER:
Mit leerem Magen funktioniert gar nichts! Auch noch nicht mal das Fingerhakeln.

SPRECHER:
Im 16. Jahrhundert wurde das Fingerhakeln erstmals erwähnt. Damals ging es darum, Streit zu schlichten oder Frauen zu imponieren. Auch der Vorsitzende des Fingerhakler-Verbandes, Anton Bader, hakelt mit.

ANTON BADER (Vorsitzender des Landesverbandes der bayerischen Fingerhakler):
Es ist a [ein] Brauchtum in meinen Augen. Und dann die Kameradschaft drumherum. Du hockst dich hinauf, du kämpfst miteinand’ [miteinander] bis aufs Letzte und danach umarmst’ [du] dich wieder und trinkst miteinand’ [miteinander] a [eine] Maß Bier oder was. Und das ist das Allerschönste.

SPRECHER:
Mit Magnesia werden die Finger kurz vor dem Kampf eingerieben, damit sie trocken bleiben und der Haklerring nicht so leicht abrutscht. Josef Utzschneider hat sich dafür eine richtige Hornhaut antrainiert.

JOSEF UTZSCHNEIDER:
Es geht jetzt allein’ ums, um dass man den Finger halt auf Betriebstemperatur bringt und … und, dass das halt alles dann, wenn es los geht, gescheit hebt alles.

SPRECHER:
Aber beim Hakeln kommt es nicht nur auf den Finger und die Muskeln an.

JOSEF UTZSCHNEIDER:
Kopf ist … mit entscheidend. Wenn … wenn‘s wirklich … wenn‘s zwoa [zwei] ganz Gleichwertige sind, und der andere ist vom Kopf her net [nicht] so auf‘m Damm, dann ist das entscheidend.

SPRECHER:
Josef Utzschneider ist seit 12 Jahren ungeschlagener bayerischer, deutscher und alpenländischer Meister. Auch hier macht er mit seinen Gegnern kurzen Prozess.

ZUSCHAUERIN:
Das ist a [auch] sexy irgendwie, finde ich, ne? Weil …wenn die Männer da so sitzen und ziehen mit ihrer Manneskraft, also das ist schon schön zum Anschauen.

ZUSCHAUER 1:
Das macht Riesenspaß. Ist halt brutal.

ZUSCHAUER 2:
Ich würde es niemals selbst machen, aber [es] ist auf jeden Fall immer wieder ein Spaß, da zuzuschauen.

SPRECHER:
Auch im Finale zieht Josef Utzschneider seinen Gegner über den Tisch. Er ist neuer und alter bayerischer Meister. Sein Preisgeld: Ruhm, Ehre und die Kameradschaft unter den Haklern.

JOSEF UTZSCHNEIDER:
Jetzt … jetzt gehen wir zum gemütlichen Teil über! Prost!

SPRECHER:
Das Fingerhakeln - ein bayerisches Brauchtum, das einfach unschlagbar ist.

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