Was haben alle Sprachen gemein?
Die Welt spricht viele Sprachen: mehr als 7000 sogar. Sprachliche Unterschiede sind schnell ausgemacht. Aber gibt es Laute oder Vorstellungen, die man überall finden kann? Das erforscht die Sprachwissenschaft.
Wenn man etwas Ekeliges sieht, sagt man überall auf der Welt „iiihh“ – oder etwa nicht? Gibt es in den Tausenden von Sprachen weltweit Laute und Vorstellungen, die sich immer wieder finden? Das ist eine Frage, mit der sich die Sprachwissenschaft beschäftigt. Sie versucht, universelle Eigenschaften von Sprache zu entdecken. Ab und an wird sie fündig.
Ein interdisziplinäres, internationales Forschungsteam hat sich jüngst angeschaut, welche Ausdrücke Menschen in 131 Sprachen von sich geben, wenn sie Schmerz, Freude und Ekel empfinden. „Ah“, „au“, „autsch“ und „ai“ waren typische Äußerungen bei Schmerz, also mit dem offenen Vokal „a“. Bei Freude und Ekel reagierten die Menschen in verschiedenen Kulturen aber mit unterschiedlichen Vokalen. Die Studie, die in der wissenschaftlichen Zeitschrift Journal of the Acoustical Society of America veröffentlicht wurde, kann laut Ko-Autorin Katarzyna Pisanski dazu beitragen, etwas über die Ursprünge der Sprache herauszufinden. „Warum haben wir Menschen angefangen zu sprechen und andere Primaten nicht?“, fragt sie. Beispielweise könnten alle Affen lachen und spielerische Laute bilden. „Dennoch sind wir die einzige Spezies, die eine gesprochene Sprache entwickelt hat.“
Heißen Mama und Papa überall gleich?
Der Linguist Johann-Mattis List von der Universität Passau zählt im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur weitere Merkmale auf, die in vielen Sprachen vorkommen. Das Kinderwort für Mutter ist häufig „Mama“, „Ma“, „Amma“ oder etwas Ähnliches. Väter werden häufig „Papa“ oder „Baba“ genannt. Das hänge damit zusammen, dass Babys die Laute „m“ und „a“ besonders leicht bilden können. Auch die Laute „p“ und „b“ – sogenannte Plosive – gehen Babys leicht über die Lippen.
Andere Gemeinsamkeiten ließen sich auf die Wahrnehmung zurückführen. So haben laut List alle der Wissenschaft bekannten Sprachen ein Wort für „rot“. „Das ist besonders wichtig für Früchte, da reagieren wir drauf“, sagt der Linguist. Doch wie bei allen anderen Sprach-Universalien würde er nicht darauf wetten, dass dies wirklich für alle Sprachen der Welt gelte. „Es gibt immer Ausnahmen.“ Jedes Mal finde sich irgendwo eine Sprache, für die irgendetwas nicht gelte.
Der Sprachwissenschaftler Fabian Bross von der Universität Stuttgart hat dafür ein weiteres Beispiel. So sei „m“ einer der ersten Laute, die Babys produzieren – und trotzdem kommt er nicht in allen Sprachen vor. „97 Prozent der Sprachen weisen ein ‚m‘ auf“, sagt er. Die Sprache Rotokas auf der Insel Bougainville in Papua-Neuguinea gehöre aber beispielsweise nicht dazu. Diese Sprache komme ohnehin nur mit 11 Sprachlauten aus. Die Taa-Sprache, die noch von ca. 3000 Menschen in Botswana und Namibia gesprochen wird, weise hingegen mehr als 140 Laute auf, darunter viele Schnalz- und Klicklaute.
Warum werden Dinge in verschiedenen Sprachen mit ähnlichen Lauten ausgedrückt?
In vielen Fällen, so Bross, sei den Forschenden klar, warum bestimmte Dinge mit bestimmten Lauten ausgedrückt werden. „Dinge, die klein sind oder ‚klein‘ bedeuten, haben eher ein ‚i‘, Dinge, die groß sind oder ‚groß‘ bedeuten, eher ein ‚o‘. Denn kleine Dinge haben eine hohe Frequenz, große Dinge eine tiefe Frequenz – das hängt mit der Größe des Resonanzkörpers zusammen.“
Andere Zusammenhänge aber seien zumindest bislang unklar, etwa der sogenannte Bouba/Kiki-Effekt, sagt Bross. Zeige man Menschen eine runde und eine eckige Form, wiesen sie das Fantasiewort „Bouba“ der runden Form zu und das Wort „Kiki“ der eckigen Form. „Das ist jedem Menschen klar, egal wo er lebt und was er spricht, auch Kindern schon.“ Eine weitere Studie, an der auch deutsche Forschende beteiligt waren, untersuchte gerade, wie verschiedene Sprecherinnen und Sprecher die Laute „r“ und „l“ empfinden. Ein rollendes „r“ wurde mit einer rauen Textur und einer gezackten Form in Verbindung gebracht, ein „l“ mit einer glatten Textur und einer flachen Form, heißt es ebenfalls im Journal of the Acoustical Society of America. „Unsere Forschung zeigt, dass Sprachlaute eine bestimmte Textur und Form haben“, erklärt Ko-Autor Marcus Perlman von der University of Birmingham. Der R/L-Effekt sei noch stärker und konsistenter als der Bouba/Kiki-Effekt.
Gab es eine Ur-Sprache?
Könnte es vielleicht sogar sein, dass manche Universalien auf eine einzige Ur-Sprache zurückgehen? Laut List denken zahlreiche Sprachwissenschaftler, dass Sprache nur einmal in der Evolution entstanden ist. „Aber ich glaube, dass wir nicht genügend Evidenz haben.“ Der Lehrstuhl-Inhaber für Multilinguale Computerlinguistik erläutert, dass die Forschung höchstens 10.000 Jahre zurückreiche, Sprache aber wahrscheinlich schon vor mindestens 250.000 Jahren erstmals gesprochen wurde.
ist/ip (dpa)