Manuskript

Wegen Corona: Medikamente werden knapp

Viele Medikamente für den deutschen Markt werden heute in Asien hergestellt. Weil die Löhne dort niedriger sind, ist die Produktion billiger. Dadurch ist Deutschland stark von den Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Das zeigt sich besonders in der Corona-Krise: Weil in Asien weniger produziert werden kann, besteht die Gefahr, dass Deutschland die nötigen Medikamente nicht bekommt.

SPRECHER:
Wie viele Medikamente kann dieser Großhändler noch in Zukunft liefern? 130.000 Präparate sind im Lager verfügbar. Das Unternehmen versorgt ganz Deutschland mit Arzneimitteln.

HANNS-HEINRICH KEHR (Geschäftsführer Pharma Privat):
Bedrohlich ist die Situation insofern, also aus meiner Sicht jedenfalls – das merken wir im Moment auch gerade aktuell durch die Ausrufung der Pandemie –, dass Produkte, natürlich größtenteils Wirkstoffe, in Asien hergestellt werden. In Deutschland ist die Produktion auch weitestgehend verschwunden. In Europa ist auch die Produktion weitestgehend verschwunden. Es ist schon jetzt klar, dass einige Wirkstoffe nicht mehr produziert werden können in China, weil einfach die Produktion ausgefallen ist.

SPRECHER:
In wenigen Monaten dürften, so der Großhändler, diese Ausfälle auch in Deutschland zu spüren sein.

HANNS-HEINRICH KEHR:
Das ist der Nachteil der Globalisierung. Die Globalisierung hat viele Vorteile, aber das sind die klassischen Nachteile. Und wenn man dann noch unterschiedliche Staatsformen hat mit unterschiedlichen Interessenslagen, dann kann’s natürlich passieren, dass plötzlich ein Land, was [das] solche Chancen genutzt hat, in eine Machtposition reinkommt, mit der es nicht vernünftig umgeht. Und das ist das politische Risiko, was [das] in der Globalisierung steckt.

SPRECHER:
Deutschland bezieht seine Medikamente zum größten Teil aus Indien und China – auch Antibiotika. 90 Prozent der weltweiten Antibiotika-Produktion stammt mittlerweile aus diesen beiden Ländern.
Kala Amb im Norden Indiens: Die Firma Saitech Medicare stieg zu einem wichtigen Player auf, weil hier die Löhne niedrig sind und so kostengünstig Medikamente hergestellt werden. Allerdings sind auch die Inder abhängig vom Ausland. Fast die gesamte indische Pharmaindustrie ist auf Lieferungen aus China angewiesen – für die eigene Produktion.

JAGBEER SINGH CHAUDHRY (Geschäftsführer Saitech Medicare):
Wir sind total von China abhängig. Wenn China keine Rohstoffe mehr exportiert, werden 80 bis 90 Prozent der indischen Pharmaproduzenten pleitegehen. Im schlimmsten Fall werden kranke Menschen sterben, weil es zu wenig Medikamente gibt.

SPRECHER:
Indien bezieht seine Wirkstoffe, die Basis eines Medikaments, aus China, weil deren Herstellung dort noch billiger ist als in Indien. In wenigen Megafabriken wird in China ein Großteil des Weltbedarfs an Wirkstoffen mittlerweile produziert – quer durch alle Medikamentengruppen. Wie konnte es zu dieser extremen Abhängigkeit ausgerechnet bei Arzneimitteln kommen?

HANNS-HEINRICH KEHR:
Die wichtigste Facette ist die, dass wir seit 10 Jahren jetzt schon Rabattverträge haben, oder, ich glaub, sogar noch länger – es sind, glaub ich, sogar 13 Jahre –, Rabattverträge haben, das heißt, Krankenkassen schließen Verträge mit Herstellern, vereinbaren Preise. Die Preise sind natürlich dadurch sehr stark gesunken. Die Krankenkassen lassen sich da auch jahrelang schon für feiern, dass sie die Kosten deutlich gesenkt haben. Positiver Effekt, aber jetzt zeigt sich eben die Wirkung, dass die Ware womöglich gar nicht mehr in ausreichender Form nach Deutschland geliefert wird.

SPRECHER:
Aufgrund der Produktionsausfälle infolge der Corona-Pandemie gelangen mittlerweile weniger Wirkstoffe nach Indien. Indien hat daher Anfang März den Export von 26 Medikamenten eingeschränkt, darunter auch Antibiotika. So will die Regierung sicherstellen, dass die eigene Bevölkerung noch mit genug Arzneimitteln versorgt werden kann. Das könnte demnächst heißen, dass auch weniger nach Deutschland exportiert wird. Inzwischen wächst der Druck, sich aus diesen Abhängigkeiten zu lösen.

HANNS-HEINRICH KEHR:
Das hat die Politik inzwischen erkannt. Für den Moment fehlt mir noch die Fantasie, wie man den Preiserfolg, den man erzielt hat – die Preise sind runter –, wie man den so wieder anhebt, dass die Ware auch hier produziert werden kann, ohne dass nun gleich wieder mit dem Füllhorn das Geld ausgegeben werden muss.

SPRECHER:
Die Produktion wieder in Europa hochzuziehen, würde Jahre dauern. In jedem Fall müssten dafür die Preise für Medikamente deutlich steigen.