Wenn’s in Winterberg mal nicht schneit
Als schneesicher gilt das Skigebiet im Sauerland nicht. In einem milden Winter müssen Pisten mit Kunstschnee präpariert werden. Vorsichtshalber schauen sich die Winterberger auch nach alternativen Einkommensquellen um.
Die Wintersportregion rund um Winterberg im nordrhein-westfälischen Sauerland gehört zu den beliebtesten Skigebieten nördlich der Alpen. Doch anders als in den Alpen sind weiße Winter hier nicht selbstverständlich. Mit rund 670 Metern über dem Meeresspiegel liegt Winterberg in durchschnittlichen Wintern nur etwas über der Schneefallgrenze. Und die wird Studien zufolge in den nächsten Jahren noch steigen. In der auch „Skiliftkarussell Winterberg“ genannten Region betreibt Nico Brinkmann mehrere Liftanlagen. Seine Familie, alteingesessene Winterberger, lebt vom Tourismus und gibt rund 50 Menschen Arbeit. Das setzt gute Planung voraus:
„Das Skigebiet hier in Winterberg ist von den Anlagen her eins der modernsten in Deutschland. Zusätzlich haben wir auch in die Beschneiungskapazitäten investiert, um auch wirklich dann planbar mindestens zwei bis drei Monate im Jahr Skibetrieb anbieten zu können.“
Im Wintersportgebiet stehen etwa 360 Schneekanonen, Maschinen mit einem Propeller, der einen starken Luftstrom erzeugt. Fein zerstäubtes Wasser wird da hineingespritzt. Die Wassertropfen verdunsten teilweise in der kühlen Luft, kühlen soweit ab bis sie zu Schneekristallen werden. Durch den Propeller werden sie über die Pisten verteilt. Diese werden beschneit. So können Skifahrer*, Rodler und Snowboarder ihrem Sport auch in Wintern nachgehen, in denen nicht viel Schnee fällt. Liegen die Temperaturen über drei Grad Celsius, stehen die Schneekanonen aber still, weil der Kunstschnee dann nicht liegenbleiben würde. Auf einigen Pisten kommen daher sogenannte Snowfactorys zum Einsatz. Sie können auch bei Plustemperaturen noch Schnee produzieren. Ein sensibles Thema, vor allem Umweltschützer kritisieren den hohen Energie- und Wasserverbrauch. Dem gegenüber steht die Sicherung von Arbeitsplätzen. Denn, so berichtet Karl-Heinz Thielke von der Neuen Skischule Winterberg:
„Wenn wir das nicht gehabt hätten dieses Jahr, dann hätten wir das Weihnachtsgeschäft vergessen können. Weil, wir hätten keinen Schnee gehabt, definitiv, weil selbst die minus zwei Grad, die die Schneekanonen brauchen, nicht erreicht wurden, um Schnee zu produzieren.“
Im Winter machen viele Winterberger Betriebe mehr als die Hälfte ihres Jahresumsatzes. Die Saison 2019/2020 ist praktisch ausgefallen, weil es kaum geschneit hat. Ohne den Kunstschnee hätte die Skischule keine Einnahmen, Skilehrerinnen und Skilehrer keine Arbeit gehabt. Man hätte das Weihnachtsgeschäft vergessen können. Und das bei wachsendem Interesse auch aus dem benachbarten Ausland, sagt Karl-Heinz Thielke:
„Der Trend der Leute, das Skifahren zu erlernen und auch in die Skischule zu gehen, der ist ungebrochen. Jetzt hat man durch die Vielzahl der Schneekanonen endlich Schneesicherheit, wo ich zumindest davon ausgehen kann, dass ich an 60 bis 80 Tagen Skischule machen kann. Das konnte ich früher nicht.“
Der Kampf um jeden Quadratmeter Piste geht erst so richtig los, wenn die Touristinnen und Touristen bereits in der Skihütte sind. Dann ist niemand mehr unterwegs. Denn die Pisten müssen jeden Abend aufs Neue präpariert werden. Mit ihren Pistenraupen schaffen Johannes und seine Kollegen den optimalen Untergrund für den nächsten Tag. Wie eine Raupe bewegen sich diese Fahrzeuge auf Ketten über die Hänge. Sie haben vorne eine breite Schaufel, einen Schild, und hinten eine Fräse oder Walze. Mit dem Schneeschild können unter anderem die entstandenen Wellen im Schnee geglättet werden. Mit der Fräse wird der alte Schnee abgeschabt und weggeschleudert. Das Präparieren der Pisten für den nächsten Tag gestaltet sich mal mehr, mal weniger aufwendig, berichtet Johannes:
„Heute war es wirklich voll. Und dann sind die Wellen dementsprechend tief, man muss dementsprechend viel schieben, ja. Dann dauert das auch schon mal für einen Fahrer relativ schnell vier Stunden, so.“
Je mehr Menschen auf der Piste waren, desto mehr Zeit nimmt die Neupräparierung in Anspruch. Die Schneedecke muss – auch um die Verletzungsgefahr zu verringern – homogen sein. Es dürfen keine Wellen, Löcher, Rillen und Vereisungen da sein. Durch eine Software, die mit GPS-Daten arbeitet, weiß Johannes immer, wieviel Schnee gerade unter seinen Ketten liegt:
„Hier haben wir 70 Zentimeter, 80 Zentimeter so, ja. Is’ schon okay.“
Gern präpariert Johannes die Pisten mit Kunstschnee aus der ‚Snowfactory‘ – aus einem bestimmten Grund:
„Der lässt sich eigentlich wunderbar verschieben, weil’s richtig sandig ist. Der rollt richtig vor dem Schild her, und sobald man mit der Fräse drübergefahren ist, kriegt der dann auch relativ gut Bindung. Ja, dass es auch ’ne wirklich gut fahrbare Piste wird.“
Während Johannes seine Runden dreht und dafür sorgt, dass sich Alt- und Kunstschnee miteinander verbinden, drehen die Touristen nochmal auf. Beim Après-Ski. Am nächsten Morgen ist die Party vorbei – auch auf den Pisten. Denn in der Nacht hat es geregnet und den meisten Schnee ‚gefressen‘. Gras und Matsch setzen sich durch. Die wenigen unverdrossenen Wintersportler sammeln sich auf den verbliebenen Pisten, auf denen Ski- und Snowboardfahren halbwegs möglich sind. Immerhin die Pisten, die Johannes am Vorabend präpariert hatte, sind geöffnet. Die Hänge von Nico Brinkmann dagegen sind fast schneefrei. Und auch in seinem Skiverleih, den er nebenbei betreibt, ruht das Geschäft. Bereits ein Tag Ausfall kann hier fatale Folgen haben, einen Verlust von mehreren hundert Euro bedeuten:
„Da bleiben dann vor allem viele Tagesgäste einfach weg. Und entsprechend hat man noch viel Material hier vorrätig, was nicht verliehen wird.“
Weil der Wintersport sehr wetterabhängig ist, sorgen Unternehmer wie Nico Brinkmann schon seit Jahren vor:
„Fatal wäre ein milder Winter wie dieser, wenn man kein zweites Standbein hätte. Das ist aber eben so, dass die meisten hier auch ganzjährig verschiedene Standbeine haben.“
Wer keine zusätzliche Verdienstmöglichkeit, kein zweites Standbein hat, könnte einen Winter, in dem es nicht schneit, schwer durchhalten. Daher betreibt Nico Brinkmann neben den Liften und dem Skiverleih ein saisonunabhängiges Hostel. Er stellt sich breit auf, hat verschiedene Bereiche abgedeckt. Buchungen durch Schulen und Vereine machen ihn unabhängig von Urlaubern, die je nach Wetter- und Schneelage kommen oder ausbleiben. Im Frühjahr verwandeln sich die Skipisten dann in einen Mountainbike- und Erlebnispark. Das gibt ein bisschen Sicherheit, sagt Nico Brinkmann:
„Früher war das so, dass so ’n schlechter Winter dann wirklich schon mal einen an den Rand der Existenz da brachte. Zum Glück sind wir jetzt da ein bisschen breiter aufgestellt, so dass ein schlechter Winter nicht sofort so kritisch ist.“
Allen Klimaprognosen zum Trotz glauben die Winterberger aber fest an die Zukunft des Wintersports in ihrer Region. Und je nach Wetterlage gibt es ja auch mal Winter, in denen es ordentlich schneit – manchmal dann sogar mehr als einem lieb ist. So wie in der Saison 2020/21. Doch diese fiel wegen der Corona-Pandemieins Wasser. Hotels waren geschlossen, Skilifte standen still. Wegen großen Andrangs von Schneebegeisterten wurden die Skigebiete sogar abgeriegelt. Nur die Einheimischen konnten einen der immer seltener gewordenen ‚richtigen‘ Winter genießen.