Wer von schnellerer Einbürgerung profitiert
Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland bei der Einwanderung hinterher. Mit der Reform könnten vor allem hier lebende Syrer und Türken den deutschen Pass beantragen.
Wie viele Mitgliedsländer hat die Europäische Union? Warum ist der 27. Januar in Deutschland ein offizieller Gedenktag? Welcher Umstand war verantwortlich für die Berliner Luftbrücke? Wer Deutscher werden will, muss die richtigen Antworten kennen, sonst wird es nichts mit dem deutschen Pass. Jeder Bewerber muss unter anderem den Einbürgerungstest mit 33 Fragen zu „Leben in der Demokratie“, „Geschichte und Verantwortung“, sowie „Mensch und Gesellschaft“ beantworten. Der Test gilt als bestanden, wenn 17 Fragen richtig beantwortet wurden.
Der Einbürgerungstest ist nur eine der vielen Hürden zur deutschen Staatsbürgerschaft. Die Regierung hat sich vorgenommen, die Einbürgerung für in Deutschland Lebende ohne deutschen Pass zu erleichtern. Als Teil einer großen Reform der Einwanderungsgesetze.
Einbürgerungen steigen 2021 an
Bislang ist es so: Deutscher oder Deutsche werden kann, wer seit acht Jahren im Land lebt, Sprachkenntnisse nachweisen kann, ein unbefristetes oder auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht hat und finanziell auf eigenen Beinen steht. Bewerber dürfen nicht vorbestraft sein und müssen sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. In der Regel müssen die Neudeutschen ihre bisherige Staatsbürgerschaft ablegen und einen Sprach- und Einbürgerungstest bestehen.
Nach Angaben des Sachverständigenrates für Integration und Migration leben rund fünf Millionen Menschen ohne deutschen Pass schon seit mehr als zehn Jahren im Land. Potentiell könnten sie Deutsche werden, wenn es nicht so schwierig und bürokratisch wäre. Noch hat die Regierung lediglich Eckpunkte für eine Reform vorgelegt, die aber schon bald verbindliche Gesetze werden sollen.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 131.595 Menschen eingebürgert. Im Vergleich zum Vorjahr waren das 20 Prozent mehr. Der Anstieg lässt sich vor allem durch die hohe Zahl von Syrerinnen und Syrern erklären, die eingebürgert wurden. Viele der Neudeutschen kamen als Schutzsuchende in den Jahren 2014 bis 2016 nach Deutschland und erfüllen die meisten Kriterien.
Viele verzweifeln an der deutschen Bürokratie
Dennoch: Deutsche oder Deutscher zu werden, bleibt schwierig. Das zeigt der Fall des Syrers Fadel Haddad, der auch gerne Neubürger werden würde. In der Zeitung „Tagesspiegel“ schilderte Haddad kürzlich seine Probleme. Der in Deutschland berufstätige Jurist war 2015 mit seiner Familie vor den Kriegswirren in Syrien nach Deutschland geflohen.
Seine Kinder gehen auf eine deutsche Schule, fühlen sich wohl. Haddad verzweifelt aber an den Behörden in Berlin, wo er lebt. Seit anderthalb Jahren wartet er darauf, dass sein Antrag bearbeitet wird. Ohne Erfolg. Die Ämter, so Haddad, würden überhaupt nicht reagieren, seien auch telefonisch nicht erreichbar. „Ich bin wütend“, sagte der enttäuschte Haddad der Zeitung.
Doppelte Staatsbürgerschaft Teil der Reform
Optimismus statt Verzweiflung, schnellere Einbürgerung statt langer Wartezeiten und endloser Bürokratie: Das hat sich die Regierung nun vorgenommen. „Wer auf Dauer hier lebt und arbeitet, der soll auch wählen und gewählt werden können, der soll Teil unseres Landes sein, mit allen Rechten und Pflichten, die dazugehören“, sagte Sozialdemokrat und Bundeskanzler Olaf Scholz Ende November.
Die zuständige SPD-Innenministerin, Nancy Faeser, erläuterte ihr Eckpunkte-Konzept. Bereits nach fünf – statt bislang acht – Jahren soll es die Chance zur Einbürgerung geben. „Wer besonders gut integriert ist, kann diesen Zeitraum auf drei Jahre verkürzen.“
Für alle Menschen ab 67 Jahren soll der Einbürgerungs- und Sprachtest nur noch mündlich durchgeführt werden. Zudem sollen Bewerber nicht mehr gezwungen sein, ihre bisherige Staatsbürgerschaft abzugeben, um die deutsche zu erhalten. Auch für türkischstämmige Migranten, die den größten Anteil der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausmachen, soll es grundsätzlich möglich sein, die doppelte Staatsbürgerschaft zu erlangen.
Im vergangenen Jahr ließen sich 12.245 türkischstämmige Menschen einbürgern. Nur aus Syrien kamen noch mehr Neudeutsche. Und die Zahl wird wohl noch ansteigen, denn für viele Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind, könnten die von der Regierung vorgesehen verkürzten Wartezeiten ein Anreiz sein, sich einbürgern zu lassen.
"Jahrzehnt der Einbürgerungen"
Der Sachverständigenrat für Migration und Integration rechnet sogar mit einem „Jahrzehnt der Einbürgerungen“, wie die Vorsitzende des unabhängigen Beratergremiums, Professorin Petra Bendel, der DW auf Anfrage mitteilt. „Wenn die derzeitige Dynamik erhalten bleibt, könnten es sogar mehr als 157.000 werden“, glaubt das Team von Migrationsexpertin Bendel. Darauf sollten sich die Verwaltungen einstellen, mahnt Bendel gegenüber der DW an: „So müssen Kapazitäten in den Einbürgerungsbehörden deutlich erhöht werden.“
Berlin, wo Fadel Haddad mit den zuständigen Ämtern hadert, will es bald besser machen. Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will ab 2024 sogenannte Einbürgerungszentren in der Hauptstadt einrichten, was die Verfahren beschleunigen soll. Bislang lassen sich in Berlin pro Jahr rund 8.000 Menschen einbürgern. Das erklärte Ziel von Giffey: 20.000 Einbürgerungen.
Doch noch hinken Berlin und Deutschland – auch im europäischen Vergleich – weit hinterher. Im EU-Durchschnitt nehmen rund zwei Prozent der Berechtigten die Staatsbürgerschaft des Landes an, in dem sie leben. In Deutschland sind es nur halb so viele.
Für Petra Bendel vom Sachverständigenrat liegt das auch daran, dass „EU-Bürgerinnen und -Bürger in der deutschen Staatsangehörigkeit keinen großen Mehrwert sehen. Sie sind Deutschen in den meisten Angelegenheiten rechtlich gleichgestellt.“ Außerdem: Viele wüssten gar nicht davon, „dass sie sich einbürgern lassen könnten.“
Deutsche bei Reform uneins
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „infratest dimap“ hatte kürzlich ergeben, dass die Deutschen beim Thema Erleichterung bei Einbürgerungen geteilter Meinung sind. Rund die Hälfte (49 Prozent) unterstützt die Reformpläne der Regierung; die andere Hälfte (45 Prozent) hält die Eckpunkte der Koalitionsregierung für falsch.
Expertin Petra Bendel geht davon aus, dass sich der Kreis der potentiell Berechtigten durch die geplanten Reformen weiter vergrößern wird. „Dennoch: Eine Einbürgerung ist eine sehr persönliche Entscheidung. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass nur wenige der Berechtigten diesen Schritt auch gehen.“