Auf den Klingelschildern eines Mehrfamilienhauses stehen verschiedene Familiennamen (Quelle: Philipp Brandstädet/dpa/picture-alliance)
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Wie Frau Einhorn und Herr Nonnenmacher zu ihren Namen kamen

Schon im antiken Rom wussten die Menschen: Nomen est Omen – der Name ist ein Zeichen. Der „Kleine deutsche Familiennamenatlas“ erklärt Geschichte und Bedeutung von Familiennamen. Viele Erkenntnisse sind höchst kurios.

Jahrtausendelang hatten die meisten Menschen auf der Welt nur einen Vornamen. Im Mittelalter kamen dann – wohl als Unterscheidungsmerkmal aufgrund der steigenden Bevölkerungszahlen – Beinamen hinzu, die später zu Familiennamen wurden. Meist leiteten sie sich von Berufen, der Herkunft, dem Namen des Vaters, Eigenschaften oder dem Wohnort ab. Mittlerweile gibt es in Deutschland rund 850.000 verschiedene Familiennamen, hinzu kommen noch etwa 250.000 Namen mit Bindestrich, so die Mainzer Professorin Damaris Nübling.

Die Sprachwissenschaftlerin erforscht seit Jahren gemeinsam mit ihrem Fachkollegen Professor Konrad Kunze, wie die Deutschen zu ihren Nachnamen kamen. In den seit 2009 erschienenen sieben Bänden ihres „Deutschen Familiennamenatlas“ haben die Forscherin und der Forscher die Geschichte Tausender Familiennamen analysiert. Nun haben sie für eine breitere Leserschaft den „Kleinen deutschen Familiennamenatlas“ herausgegeben, der die wichtigsten Erkenntnisse allgemeinverständlich zusammenfasst.

Trotz Globalisierung bleiben Familiennamen in der Region

„80 Prozent der Bevölkerung sitzen immer noch dort, wo vor 800 Jahren ihre Vorfahren gesessen haben“, fasst Kunze, emeritierter Professor der Universität Freiburg, eine der Kernerkenntnisse zusammen. Diese Beständigkeit sei durchaus erstaunlich angesichts aller historischen Umwälzungen und der stark angewachsenen Mobilität. Stets sei die Mehrzahl der Menschen bei der Gründung einer Familie in der Nähe des früheren Wohnorts geblieben.

Zumindest war das noch die Situation im Jahr 2005. Für ihre Forschungen zur Namensverbreitung konnten die Wissenschaftler die kompletten Datensätze der Deutschen Telekom aus jenem Jahr auswerten. Damals besaßen noch fast alle Haushalte in der Bundesrepublik einen Festnetzanschluss bei der Telekom. Zu historischen Abgleichen zogen sie zudem unter anderem Verlustlisten aus dem Ersten Weltkrieg heran.

Was uns Familiennamen über vergangene Jahrhunderte erzählen

In den Familiennamen der Deutschen liest Kunze wie in einem Geschichtsbuch. Er spricht gerne von „sprachlichen Fossilien“, aus denen man viele Erkenntnisse über das Leben im Mittelalter gewinnen könne, als sich um 1200 im deutschsprachigen Raum die Nachnamen etablierten. „Wenn man anfängt, ist es, wie wenn man in einer Schatztruhe wühlt.“

Dass es in Deutschland so viele verschiedene Familiennamen gibt, liegt auch darin begründet, dass viele Namen aus Dialekten heraus entstanden sind. Aus den Nachnamen lasse sich teils messerscharf erkennen, wo vor Herausbildung der modernen hochdeutschen Sprache einst welche Dialektgrenzen verliefen, so Kunze.

An der Verteilung der Weizeneggers oder Gerstenmeiers lasse sich zum Beispiel ablesen, welches Getreide wo angebaut worden sei. Und die Anzahl der Familien mit dem Nachnamen Kropf oder Kröpcke deute auf die einstige geografische Verbreitung von Jodmangel hin.

Nicht alle, aber fast alle Familiennamen können Kunze und Nübling erklären – selbst so exotische wie Einhorn oder Pelikan, die sich auf Hauszeichen zurückführen lassen. Die Namen Gölzenleuchter und Nonnenmacher wiederum sind Umschreibungen für den Beruf von Tierkastratoren.

Den Nachnamen sucht sich niemand selbst aus

Im Gegensatz zu den Vornamen waren die Familiennamen im deutschsprachigen Raum anfangs Fremdzuschreibungen. Sie ermöglichten es, in den wachsenden Städten Menschen mit gleichem Rufnamen anhand des Berufs, des Wohnortes, der Herkunft, des Vaters oder anderer Eigenschaften zu unterscheiden. Irgendwann wurden diese zugeschriebenen Namen an die Kinder vererbt und in den Kirchenbüchern nach Gehör verschriftlicht.

Immer wieder kam es deshalb auch vor, dass eher negative Eigenschaften des ursprünglichen Namensträgers zu Familiennamen wurden. Der im Süden verbreitete Familienname Späth bezeichnete ursprünglich einen Langschläfer, Sauer in den meisten Fällen wohl einen missmutigen Zeitgenossen und Hebestreit verweist auf einen zanksüchtigen Nörgler unter den Ahnen. Und es geht noch kurioser: „Im Mittelalter hießen viele Menschen Arschloch“, berichtet Kunze, „in Frankfurt waren es mindestens 20 Familien.“

rh/sts (mit epd)