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Wie Märchen die deutsche Sprache prägen

Zahlreiche Reime, Redewendungen und geflügelte Worte in der deutschen Sprache stammen aus der Märchenwelt. Wie viele es genau sind, ist nicht klar. Ein neues Buch hat jetzt Schneewittchen und Co unter die Lupe genommen.

Eine Glasmalerei aus Rotkäppchen und der böse Wolf: Im Wald ist Rotkäppchen mit einem Korb, um sie herum schleicht der Wolf.

Kreide fressen, jemandem das Lebenslicht auspusten oder ein Hans im Glück sein: Märchen verdankt die deutsche Sprache viele Bilder, Redewendungen und geflügelte Worte. Rolf-Bernhard Essig, Experte für sprichwörtliche Redensarten, hat sich in Tausende Seiten von Märchenbüchern vertieft, die schönsten Sprachbilder herausgesucht und in seinem Buch „Ach, wie schön, dass niemand weiß …“ erklärt.

Viele Generationen sind mit dem typischen Sound der Erzählungen aufgewachsen und eingetaucht in eine Zeit „in der das Wünschen noch geholfen hat“. „Märchen wurden und werden geliebt von Menschen aller gesellschaftlichen Schichten. Deshalb wurzeln ihre Sprachbilder so tief und breit in unserem Wortschatz“, sagt Essig.

Quellen sind etwa die Geschichten von Wilhelm Hauff (1802-1827), Ludwig Bechstein (1801-1860) und Hans Christian Andersen (1805-1875) – z. B. „Zwerg Nase“,  „Goldmarie und Pechmarie“ oder „Die Kleine Meerjungfrau“ – sowie die etwa 1500 Jahre älteren Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“. Die weitaus meisten Wendungen im Deutschen stammen jedoch aus den „Kinder- und Hausmärchen“, gesammelt von Jacob und Wilhelm Grimm, deren erste Ausgabe 1812 erschien.

In ihrem Werk „Redensarten des Volks, auf die ich immer horche“ zählten Lothar Bluhm und Heinz Rölleke 1997 etwa 600 Sprachbilder aus Grimms Märchen. Essig geht sogar von mindestens 800 aus. Es seien sogar mehr als 1000, wenn man die hinzurechne, die sich den Grimm-Märchen verdanken, dort aber nicht wörtlich vorkommen, beispielsweise „das Aschenputtel-Prinzip“ und „Kreide gefressen haben“ oder aber geflügelte Worte wie „Ich bin so satt, ich mag kein Blatt“.

Farbiger durch Sprachbilder

Für Wilhelm und Jacob Grimm sei klar gewesen, dass Märchen noch farbiger und einprägsamer seien, wenn sie mit Sprachbildern, Wortspielen und geflügelten Worten gespickt seien, schreibt Essig. Die meisten Redensarten erfanden die Brüder Grimm dabei nicht selbst: Die beiden Sprachforscher konnten auf Zettelkästen zurückgreifen, die sie im Laufe von Jahrzehnten gesammelt hatten, oder auf gedruckte Sprichwörter-Sammlungen, von denen sie mindestens 32 besessen haben sollen.

Typisch für ihre Märchen sind etwa Zwillings- und Mehrfachformeln wie „durch dick und dünn gehen", „mit Haut und Haaren fressen“, „Saus und Braus“, Erzählformeln wie „Es trug sich zu“ oder sprechende Bilder wie „Er hatte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.“

Auch einzelne Figuren oder Titel der Märchen gingen in die Alltagssprache ein, etwa „Hans im Glück“ oder das „hässliche Entlein“. Hinzu kommen Dutzende Reime wie der berühmte Hexenspruch „Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“

Eine Illustration aus Hänsel und Gretel: Die Hexe kommt aus ihrem Haus, davor stehen Hänsel und Gretel.
„Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“ - sagt die Hexe in Hänsel und Gretel.null picture-alliance / akg-images

Die klassische Eingangsformel „Es war einmal“, mit der laut Essig 48 von 199 Grimmschen Märchen beginnen, ist ebenfalls keine Erfindung der Brüder. Sie lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen und existiert in vielen Sprachen der Welt in ähnlicher Form. 

Das Gegenstück dazu bildet die Schlussformel „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ oder alternativ „Und sie lebten vergnügt bis an ihr seliges Ende.“ Manchmal jedoch findet sich auch ein ganz anderer Schlusssatz – etwa weil sich „aus“ und „Maus“ so gut reimen: „Mein Märchen ist aus, dort läuft eine Maus, wer sie fängt, darf sich eine große, große Pelzkappe draus machen.“
 

ip/bs (kna)