Wie viel Deutsch braucht eine Lehrkraft?
Während an deutschen Schulen Lehrermangel herrscht, können viele nicht muttersprachliche Lehrkräfte aufgrund hoher Sprachanforderungen nicht angestellt werden. Das Bundesland Bremen hat auf dieses Dilemma reagiert.
„Riesengroße Lücke“, „Notbetrieb“, „Überlastung“, „dramatische Lage“ – die Medien berichten fast täglich über den Lehrkräftemangel an deutschen Schulen. Im Frühjahr präsentierte ein Beratergremium, die sogenannte Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK), den Bildungspolitikern in den Bundesländern Vorschläge, was gegen die Misere getan werden könnte. Dabei rückte auch die Gruppe ausländischer Lehrkräfte in den Blick. Denn nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine kommen ausgebildete und erfahrene Lehrinnen und Lehrer nach Deutschland, von denen viele gern weiter in ihrem Beruf arbeiten möchten. Sie müssen dafür ihre Qualifikationen anerkennen lassen – und scheitern teilweise daran, dass sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache gefordert werden.
Deutschkenntnisse auf nahezu muttersprachlichem Niveau
Den Antrag auf Anerkennung stellen zugewanderte Lehrkräfte bei der zuständigen Stelle in ihrem Bundesland, zum Beispiel beim Kultusministerium, dem Landesprüfungsamt oder dem Landesschulamt. Dort wird geprüft, ob die im Ausland erworbene Qualifikation gleichwertig mit der deutschen Lehrkräfteausbildung ist. Unterschiede können dann in der Regel durch eine Eignungsprüfung oder einen Anpassungslehrgang ausgeglichen werden. „Bei der Gleichwertigkeitsprüfung stehen fachliche Aspekte im Fokus, im Gesamtprozess stellt die Sprache aber tatsächlich eine zentrale Herausforderung dar“, sagt Laura Roser von der am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) angedockten IQ Fachstelle Anerkennung und Qualifizierung (Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“). Spätestens für den Berufszugang, oft jedoch schon für die Ausgleichsmaßnahme, müssen Deutschkenntnisse auf nahezu muttersprachlichem Niveau nachgewiesen werden. Dies zu erreichen, brauche Zeit und Durchhaltevermögen.
Bremen senkt Anforderungen an Deutschkenntnisse
Bremen hat sich nach der Veröffentlichung der SWK-Empfehlungen dafür entschieden, das geforderte Sprachniveau für ausländische Lehrkräfte zu senken: Lehrkräfte können hier nun schon mit einem nachgewiesenen C1-Niveau eine unbefristete Anstellung bekommen, ein C2-Niveau wird nicht mehr verlangt. Sie sollen sich aber dennoch berufsbegleitend weiterqualifizieren. Schon im Herbst vergangenen Jahres hatte der Senat überlegt, wie qualifizierte Lehrkräfte aus dem Ausland schneller unbefristet eingestellt werden können. „Wir wollten ein klein wenig am Sprachniveau schrauben und den Kolleginnen und Kollegen parallel dazu gute Angebote machen, um trotzdem auf das C2-Niveau zu kommen“, erklärt Stephan Rademacher, der die zuständige Abteilung im Schulamt leitet. Schon vor der Änderung konnten Lehrkräfte in Bremen mit einem nachgewiesenen C1-Niveau vor der Klasse stehen, sie mussten das C2-Niveau aber zum Ende des Anerkennungsverfahrens vorweisen, um unbefristet eingestellt zu werden.
Berufsbegleitend: Fachsprachkurse „Schule“
Auch spezielle Deutschkurse für Lehrkräfte gab es schon vorher in Bremen. Sie werden seit 2016 von der gemeinnützigen Organisation Paritätisches Bildungswerk (PBW) angeboten und vermitteln nebenbei wertvolles Wissen über das deutsche Schulsystem. Seit November vergangenen Jahres wird dieses Angebot direkt durch die Senatsverwaltung finanziert, eine Verstetigung ist angestrebt.
Für die Teilnehmenden ist das Angebot sehr attraktiv, betont Eva Raschke, die die Fachsprachqualifizierungen koordiniert: „Das C2-Niveau ist eine Riesenhürde, auch für Leute, die eigentlich startklar sind – zumal es kaum Deutschkurse auf einem so hohen Niveau gibt, die Kurszeiten sich häufig nicht mit der Tätigkeit in einer Schule vereinbaren lassen und die Kosten für Teilnahme und Prüfung hoch sind.“ Dass die Bremer Senatorin für Kinder und Bildung die berufsbegleitenden Fachsprachkurse inklusive der vom PBW entwickelten Fachsprachprüfung Schule (C2) unterstützt, betrachtet sie als tolles Signal an die potenziellen Lehrkräfte aus dem Ausland: „Wir wollen euch so sehr, dass wir euch diese Möglichkeit bieten.“ Und die Ergebnisse lassen sich sehen: Von den 21 Teilnehmenden des letzten Aufbauqualifizierungskurses haben 20 entweder das Sprachniveau C1 oder C2 erreicht.
Sprachliche Sicherheit wichtig für souveränes Handeln
Warum dankt die Lehrkraft ihren Schülerinnen und Schülern nach einem kurzen Impulsvortrag nicht für ihre Aufmerksamkeit? Wie sucht sie das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern, wenn es auf einer Klassenfahrt Konflikte gibt? Sollte sie ein Kind im Rollstuhl als „behindert“, als „Mensch mit Behinderung“, als „Integrationskind“ oder als „Inklusionskind“ bezeichnen? All das sind Themen, die Eva Raschke in ihren Kursen aufgreift. Deutschkenntnisse auf hohem Niveau brauchen Lehrkräfte unabhängig von dem Fach, das sie unterrichten, sagt die Expertin: Zum Beispiel, um fachliche Inhalte für verschiedene Zielgruppen aufzubereiten, beim Feedbackgeben den richtigen Ton zu treffen, Lernentwicklungsberichte zu schreiben oder nach einem Unfall im Sportunterricht zu beschreiben, was passiert ist. Ob das gelingt, hänge vor allem davon ab, ob man in einer beruflichen Situation souverän handeln kann: „Wenn sich die Lehrkraft sprachlich nicht fit fühlt, ist das unangenehm für sie selbst und für ihr Gegenüber. Aber wir sehen in unseren Kursen und Prüfungen manchmal auch, dass einige internationale Lehrkräfte fehlende sprachliche Sicherheit gut durch ihre Berufserfahrung, zum Beispiel im Führen von schwierigen Gesprächen, kompensieren können.“
Die Bremer Fachsprachkurse „Schule“ richten sich nicht nur an im Ausland qualifizierte Lehrkräfte, sondern auch an Menschen aus dem Ausland, die an Bremer Schulen als Sprachförderlehrkräfte arbeiten möchten. „Obwohl es hier um zwei verschiedene bürokratische Prozesse geht, können die Leute gemeinsam in Kursen sitzen und sich untereinander vernetzen: Für einige ist die Anerkennung ihrer Lehramtsqualifikation attraktiv, andere wollen weiterhin als Sprachförderlehrkraft arbeiten“, erzählt Eva Raschke.
Pluspunkt: Mehr Vorbilder für zugewanderte Kinder
Viele ausländische Lehrkräfte in Bremen bekommen also eine neue berufliche Perspektive dadurch, dass sie schon mit Deutschkenntnissen auf C1-Niveau unbefristet an einer Schule arbeiten können. Darüber hinaus profitieren sie sowie weitere potenzielle Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Ausland von den Fachsprachkursen, die der Senat in diesem Zuge finanziert.
Bremen arbeitet derzeit an Konzepten für weitere Qualifizierungsmaßnahmen für zugewanderte Lehrkräfte. Stephan Rademacher betont, man orientiere sich dabei an erfolgreichen Programmen wie Lehrkräfte Plus in NRW. „Aufgrund des SWK-Gutachtens werden wahrscheinlich Bundesländer nachziehen und auch die Zugangshürden senken“, prophezeit er. Davon könnten nicht zuletzt zugewanderte Schülerinnen und Schüler profitieren. Denn Studien zeigen: Je ähnlicher ihnen die Autoritäten sind, mit denen sie im Schulalltag zu tun haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass Heranwachsende im deutschen Schulsystem und in der deutschen Gesellschaft ihren Platz finden. Wenn eine Lehrkraft Deutsch mit leichtem Akzent spricht, entscheidet sich die Schülerin oder der Schüler also vielleicht später eher selbst einmal dazu, in einer Schule zu arbeiten.
Janna Degener-Storr